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Gesichtet!

Tom hackte mit seinem Schwert ins Unterholz und zerteilte dicke Schlingpflanzen, die von oben herabhingen, sowie Wurzeln, die sich um Storms Hufe wickelten. Ein süßlicher Geruch hing in der feuchten Luft. An Stellen, an denen das Feuer Schneisen ins Dickicht geschlagen hatte, konnten sie sich freier bewegen. Aber nach einer Weile landeten sie immer wieder im undurchdringlichen Gebüsch. Es war so still und ruhig wie auf einem Friedhof.

Sie kämpften sich gerade aus einem besonders dichten Dschungelstück heraus, als Toms Fuß in weicher Erde versank. „Halt!“, sagte er zu seinen Gefährten und hob warnend die Hand.

Vor ihnen breitete sich schlammiges Wasser aus.

„Das ist ein Sumpf“, sagte Elenna.

Der Sumpf war riesig. Er erstreckte sich von links nach rechts und so weit Tom sehen konnte. An den Ufern wuchsen Mangrovenbäume, deren Wurzeln aus dem Wasser ragten wie Schlangenkörper. Weit am linken Rand konnte Tom mehrere kleine Inseln erkennen, die über die grüne Oberfläche des Sumpfs verstreut waren. Das gegenüberliegende Ufer war nicht weit weg. Nebel waberte über das ölige Wasser.

„Wie sollen wir da hinüberkommen?“, fragte Elenna besorgt, während Tom das dichte Unterholz auf beiden Seiten betrachtete. Die Bäume standen so nah beieinander, dass zwischen den Stämmen kaum Platz war.

„Wir gehen zu Fuß“, antwortete er.

„Was ist mit Storm und Silver?“, wollte Elenna wissen.

„Sie müssen hierbleiben“, sagte Tom. Storm schnaubte und stupste ihn mit der Nase an.

Elenna sah unbehaglich drein. „Aber was ist mit dem Biest?“

„Eine andere Möglichkeit haben wir nicht“, sagte Tom. „Und es ist sicherer, als sie mit uns zu nehmen.“

Er hob einen dicken Ast vom Weg auf und stocherte damit im Wasser. „Es ist nur hüfttief“, stellte er fest. „Trotzdem sollten wir uns aneinanderbinden, falls einer stolpert oder so.“

Er hackte eine Liane ab, die von einem Baum hing, und band sich das eine Ende um den Bauch. Elenna wickelte das andere Ende um ihre Hüfte.

Storm und Silver beobachteten Tom und Elenna, die vorsichtig in den Sumpf stiegen. Das Wasser schwappte um Toms Bauch, stinkend und schleimig, und durchnässte seine Kleider. Der Schlamm zog an seinen Füßen, als er behutsam einen Schritt vorwärts machte.

Er drehte sich zu Elenna um, die sich ebenfalls vorankämpfte. Dann blickte er zu Storm und Silver hinüber, die am Ufer standen und die Kinder nicht aus den Augen ließen.

Das einzige Geräusch weit und breit war das Schwappen des Sumpfs, wenn sie sich bewegten. Toms Sinne waren angespannt.

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„Hier lauert Gefahr“, dachte er. „Irgendwo …“

Als sie sich dem gegenüberliegenden Ufer näherten, lichtete sich der Nebel. Tom hörte etwas und blieb so plötzlich stehen, dass Elenna gegen ihn stieß und ihn beinahe umwarf.

„Was war das?“, fragte er.

„Ich habe nichts gehört“, antwortete Elenna mit gerunzelter Stirn.

Tom lauschte. Da war es wieder. Das Knacken von Ästen am Ufer. Da im Dschungel kein einziges Tier mehr war, konnte das nur eines bedeuten.

Das Biest wartete auf sie.

Eine Nebelwolke löste sich auf und Tom konnte dahinter einen seltsamen blauen Schimmer zwischen den Bäumen erkennen. Er entdeckte regenbogenfarbene Flossen auf einem langen Körper, der über den Boden glitt und sich durch die Wurzeln der Mangroven schlängelte.

„Sieh doch“, wisperte er Elenna zu. „Da ist Nergato.“

Der Körper des Biests schien endlos zu sein. Wie eine riesige Schlange wand sich Nergato durch den Dschungel. Tom bewunderte die Farben, die auf der Haut des Biests schimmerten und tanzten.

Es war wunderschön und schrecklich zugleich.

„Hat er uns gesehen?“, flüsterte Elenna und wandte den Blick nicht von dem Biest.

Nergato hob den großen Kopf und starrte über das Wasser. Seine Augen waren blau und kleine Blitze funkelten darin.

Er näherte sich geschmeidig und flink dem Rand des Sumpfs. Sein Kopf war angriffslustig erhoben, sein Mund geöffnet und seine Zähne glänzten bedrohlich.

„Die Antwort auf deine Frage ist Ja“, sagte Tom. Er zog sein tropfendes Schwert und deutete damit zum Ufer. „Raus aus dem Wasser, Elenna. Schnell!“

„Nein. Wir können uns besser verteidigen, wenn wir hierbleiben“, sagte Elenna. Sie zog einen Bolzen aus dem Köcher und spannte die Armbrust. „Was soll er schon machen, er ist am Ufer und wir im Wasser.“

Da schnellte Nergato kopfüber in den Sumpf. Es zischte und dampfte.

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Voller Panik entdeckte Tom einen blauen Lichtstrahl, der unter Wasser auf sie zuschoss. Plötzlich verkrampfte sich sein ganzer Körper und Schmerz breitete sich in seiner Brust aus.

Benommen hörte er Elenna schreien. Er versuchte, aus dem Wasser zu stapfen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Schließlich gaben seine Knie unter ihm nach.

Hilflos stürzte Tom in den Sumpf. Das Wasser schloss sich über seinem Kopf und drang ihm in Mund und Nase. Er war vollkommen wehrlos.