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Besiegt!

Nergato bewegte sich schnell. Sein muskulöser Körper wand sich den Baumstamm hinauf.

„Es gibt kein Entkommen“, dachte Tom.

Nergato öffnete das Maul und spie einen Lichtstrahl aus. Da er keine andere Wahl hatte, stieß sich Tom vom Baum ab und sprang in die Luft. Die Baumkrone explodierte und Flammen loderten in die Höhe.

Toms Hände griffen verzweifelt in die Luft – da erwischte er eine Liane. Schmerz durchfuhr seine verletzte Hand, aber Tom hielt sich trotzdem fest. Heftig baumelte er an der Liane hin und her. Dabei rutschte sein Schwert aus der Hülle und durch die Äste zu Boden. Tom hatte keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen. Denn Nergato ließ sich vom Baum fallen und reckte sich zu ihm hoch. Mit seinen Fangzähnen versuchte er, Tom aus der Luft zu schnappen.

Tom holte mit seinen Beinen Schwung und schaukelte zur Seite. Im Flug ließ er die Liane los und griff nach einer anderen. Er erwischte sie und pendelte hin und her. Da traf Nergato ein neuer Blitz. Er glitt über den Boden bis unter seine Beute und suchte nach einer Möglichkeit zuzuschlagen.

Tom schwang sich wie ein Affe von Liane zu Liane Richtung Felsenhöhle. Seine Schultern und Hände schmerzten, aber er wusste, dass er sich den Hals brechen würde, wenn er losließ und auf den Boden stürzte. Nergato befreite sich gerade aus einem Wurzelgewirr, als Tom an der letzten Liane hing und auf die Erde sprang. Dabei überschlug er sich mehrmals. Auch sein Schild war verloren gegangen. Er war wieder auf der Lichtung und lag am Fuße des Felshaufens. Aber Elenna war nicht mehr da.

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Tom hatte keine Zeit, nach ihr zu suchen. Er rappelte sich benommen auf. Die Höhle war nicht weit weg. Aber Nergato kam schon zwischen den Bäumen hervor. Er richtete sich auf und Funken blitzten zwischen seinen Zähnen.

Toms Beine bewegten sich nicht so schnell, wie er wollte.

„Das war’s“, dachte er. „Ich bin verloren.“

Nergato feuerte einen Blitz ab. Die Luft war von gleißendem Licht erfüllt. Dann war plötzlich Elenna da. Mit Toms Schild. Sie warf sich vor Tom und hielt den Schild schützend über sie beide. In Toms Ohren schrillte es, als der Blitz mit voller Kraft auf den Schild traf.

„Hier entlang!“ Elenna packte Tom am Ärmel und zog ihn hinter ein paar Felsen.

„Wir müssen Nergato in die Höhle locken“, sagte Tom keuchend.

Der Höhleneingang war zwanzig Schritte entfernt, aber man musste bis dorthin eine Lichtung überqueren.

„Er wird uns sehen, wenn wir da hinüberrennen“, sagte Elenna.

„Wir wollen doch, dass er uns sieht“, erwiderte Tom. „Wir brauchen nur einen Vorsprung.“

Tom beobachtete, wie das Biest seinen großen Kopf hin und her schwang und nach ihnen Ausschau hielt. Er sah sich suchend nach etwas um, das es ablenken konnte. Sie brauchten nur ein bisschen Zeit. Seine Finger schlossen sich um einen Stein und er warf ihn nach dem Schwanz des Biests.

Nergato zischte, drehte den Kopf und feuerte einen Blitzstrahl hinter sich. Tom und Elenna ergriffen die Gelegenheit und rannten zur Höhle.

Nergato wandte sich zu den beiden um und spie einen neuen Blitz aus, der den Boden neben ihren Füßen traf, als sie gerade in den dunklen Eingang stürzten.

„Er wird uns bestimmt folgen“, sagte Tom und wischte sich über die Stirn. Ohne sein Schwert fühlte er sich schutzlos, aber er wusste, dass er trotzdem gegen das Biest kämpfen musste. „Wir müssen so tief wie möglich in die Höhle hinein.“

Gedämpftes Licht fiel auf den steinernen Boden. Plötzlich steckte Nergatos Kopf im Eingang. Ein Blitz traf einen Stalagmiten in Toms Nähe. Mit einem dröhnenden Krachen brach der Tropfstein zusammen.

Tom sprang auf einen Felsvorsprung am Rand der Höhle und rannte tiefer in die Dunkelheit hinein. Elenna konnte er nicht mehr sehen.

Nergato zögerte kurz, dann glitt er in die Höhle. Sein langer Körper schlängelte sich auf der Suche nach Tom um die Stalagmiten herum. Blitze schossen durch die Luft und erhellten die groben Wände, auf denen Schatten zuckten. Tom presste sich eng an die Höhlenwand. Stalagtiten regneten von oben herunter und zerbrachen auf dem Boden in tausend Splitter.

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Vor Tom tauchte plötzlich die Rückseite der Höhle auf. Er kam rutschend zum Stehen und verlor dabei beinahe das Gleichgewicht. Es ging doch nicht so weit in den Fels hinein, wie er gedacht hatte. Er drehte sich schnell um und entdeckte Elenna auf der anderen Seite. Seine Freundin legte gerade einen Bolzen in die Armbrust ein. Auf der Rückseite der Höhle befand sich ein weiterer, etwas höher gelegener Vorsprung. Wenn er nur dort hinauf gelangen könnte.

Nergato kam schnell näher und richtete sich vor Tom auf. Er war nun weniger als zehn Schritte entfernt. Das Licht vom Höhleneingang beleuchtete das Biest von hinten. Als es seine Hautfalten auseinanderzog, wirkte es noch bedrohlicher. Tom presste seinen Rücken gegen die Höhlenwand. Er konnte nicht ausweichen. Das Biest öffnete sein Maul und Tom warf sich auf den Boden. Über ihm traf ein Blitz die Wand – genau an der Stelle, an der eben noch sein Kopf gewesen war. Felsstücke und Staub regneten auf Tom herab.

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Tom kroch ein Stück weiter, da bemerkte er etwas: Nergato knurrte und grollte nicht mehr wütend, sondern klang eher verwirrt. Tom wagte einen Blick zurück. Das Biest hatte Mühe, seinen langen Körper zwischen den Stalagmiten durchzusteuern. Es zischte erschöpft.

„Seine Kraft lässt nach“, rief Elenna. „Das ist unsere Chance!“

Tom sprang von dem Vorsprung herunter und landete neben der abgebrochenen Spitze eines Stalagmiten. Sie war schwer und glatt.

Mit aller Kraft wuchtete er die Stalagmitenspitze über seinen Kopf hoch. Es fühlte sich an, als würde er einen Amboss hochheben. Er machte ein paar taumelnde Schritte, bis er über Nergatos Körper gebeugt dastand. Das Biest zuckte und zischte. Endlich war es Tom ausgeliefert.

„Das ist dein Ende“, rief er und sah Nergato in die Augen. „Es wird Zeit für dich, nach Hause zu gehen.“

Nergato ließ den Kopf auf den Boden sinken und der Glanz in seinen Augen erlosch. Er wusste, dass er besiegt war. Tom senkte den Stalagmiten und ließ ihn auf den Boden fallen.

Das Biest hätte ihn beinahe getötet. Doch er wusste, dass es nur verwirrt und verängstigt war, weil es aus seinem Zuhause verbannt worden und durch Malvels bösen Zauber im Dschungel gelandet war. Jetzt würde es nach Hause zurückkehren.

Plötzlich begannen sich die Felswände zu bewegen. Die ganze Höhle schien zu wackeln. In den Felsen über ihnen erschienen Risse und Staub und Steine regneten auf die beiden herab.

„Raus hier, Tom!“, schrie Elenna. „Die Höhlendecke gibt gleich nach!“