VI. STAAT UND GESELLSCHAFT ZUR BLÜTEZEIT DES OSMANISCHEN REICHES

1. Staat, Sultan, Zentralverwaltung

Das Staatswesen, das Selim I. hinterließ, zählte zu den stärksten Mächten der Erde. Das Osmanische Reich erstreckte sich über drei Kontinente, von Armenien bis Belgrad und von der ukrainischen Steppe – sie gehörte zum Herrschaftsbereich des Vasallenchanats der Krim – bis zum fernen Ägypten und der Arabischen Halbinsel.

Zu den wichtigsten Grundsätzen des osmanischen Staates gehörte im außenpolitischen Bereich die Expansion und im Inneren die Aufrechterhaltung der bestehenden Verhältnisse.

Die ständige territoriale Ausdehnung hing in starkem Maße mit der Tatsache zusammen, daß das Osmanische Reich als islamisches Staatswesen schon religionsgesetzlich zur Expansion verpflichtet war. Nach der islamischen Rechtsauffassung ist es allerdings besser, die Huldigung von Angehörigen einer monotheistischen ‘Buchreligion’ entgegenzunehmen und diesen Schutz zu gewähren, als sie mit Waffengewalt niederzuwerfen. So ist die den christlichen Vasallenstaaten von seiten der Pforte zugebilligte Existenzberechtigung zu verstehen. Diese erkannten ja die osmanische, d.h. die islamische Oberhoheit an und galten somit staatsrechtlich nicht als ‘Kriegsgebiet’, sondern als islamisches Land.

Das Gebot der Umwandlung von ‘Kriegsgebiet’ in islamisches Land wurde auch sonst nicht starr ausgelegt. Man verfuhr pragmatisch, entsprechend der inneren und auswärtigen politischen Konstellation. Dazu gehörte auch, daß die Pforte – meistens, um den Rücken für Operationen an anderen Fronten freizuhalten – befristete Friedensverträge mit verschiedenen europäischen Staaten abschloß. Sie war dabei von vornherein entschlossen, die betreffenden Abkommen bei der ersten günstigen Gelegenheit zu brechen. Diese Praxis den Feinden gegenüber – auf dem Grundsatz der müdara1 (Heuchelei, eigentlich: ‘Katzenfreundlichkeit’) basierend – stellte im islamischen Recht einen moralisch überaus positiven Wert dar.

Auf die Binnenstrukturen des Osmanenreiches läßt sich durchaus der Begriff ‘Massenstaat’ anwenden; nicht nur wegen der außergewöhnlichen geographischen Ausdehnung und der Bevölkerungszahl, sondern und vor allem aufgrund der starken Zentralisierung, die unvermeidlich zu einer gewissen Vermassung führte. Bis auf wenige Vasallenstaaten war der größte Teil des Reiches nach einem einheitlichen, autokratisch geprägten Schema organisiert.

Für die innere Strukturierung und Stabilität war die Tatsache nicht minder wichtig, daß das Osmanenreich – an damaligen Maßstäben gemessen – ein Rechtsstaat war. Es gab eine feste gesetzliche Ordnung, der sich jedermann, auch der Sultan, zu unterwerfen hatte. Die Grundlage dieser Ordnung bildete das Religionsgesetz. Rechtsprobleme, für die es im Religionsgesetz keine Bestimmung gab, wurden, wie erwähnt, durch im Namen des Sultans erlassene ‘weltliche Gesetze’ (kanun) geregelt, und wenn diese nicht ausreichten, wurde das örtliche Gewohnheitsrecht (örf) herangezogen. Man hütete sich in der Regel vor Ad-hoc-Entscheidungen; die Präzedenz spielte eine große Rolle.

Ebenfalls der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung dienten – modern gesprochen – wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen. Europäische Klischeevorstellungen, wonach der Osmanenstaat eigentlich nur eine Herrschaft über eine große barbarische Horde dargestellt habe, ohne Rechte für die der grausamen Willkür der Oberschicht ausgelieferten Untertanen, tragen den tatsächlichen Bedingungen keine Rechnung. Die Staatsspitze war nämlich schon im eigenen Interesse bestrebt, den Untertanen, die die Produktion betrieben und damit letzten Endes die Hauptquelle für die Macht und Blüte des Osmanenstaates waren, erträgliche Arbeits- und Lebensverhältnisse zu gewährleisten. Nicht nur die Abgabepflichten waren genau geregelt, auch die oberen Preisgrenzen der Hauptversorgungsgüter wurden festgelegt und die Lebensmittelversorgung in den großen Städten nach staatlichen Direktiven organisiert. Eine etwaige Peinigung der Untertanen zog schwere Strafen nach sich. Um sie vor möglichen Übergriffen örtlicher Machthaber zu schützen, wurde ihnen ein uneingeschränktes Beschwerderecht zugebilligt. Jeder Untertan – ob Muslim, Christ oder Jude – konnte sich, wenn er sich in seinen Rechten verletzt fühlte, mit seinem Anliegen unmittelbar an den Reichsrat, den ‘Großherrlichen Diwan’ wenden. Dieses – übrigens häufig in Anspruch genommene – Beschwerderecht ist natürlich auch ein wichtiges Indiz für die Rechtsstaatlichkeit des Reiches.

An der Spitze des Staates stand der Sultan, oder wie er von den Europäern meistens genannt wurde, der ‘Großherr’. Er verkörperte den Staat zu dieser Zeit nicht nur in abstraktem Sinne, wie es später der Fall war, als der Niedergang bereits eingesetzt hatte und die tatsächliche Macht in den Händen verschiedenster rivalisierender Politiker oder politischer Gruppierungen lag. Der Sultan war kein Primus inter pares, sondern ein absoluter Herrscher, der nach Maßgabe der Rechtsordnung über Leben und Tod entschied. Seitdem die alte Feudalaristokratie zugunsten der Männer aus der Knabenlese zurückgedrängt worden war, gab es auch keine privilegierten Familien, die, nur auf ihre eigenen Interessen bedacht, von seiten des Sultans mit einer besonderen Rücksicht behandelt worden wären. So konnte der Sultan sich alle grundlegenden Entscheidungen vorbehalten, wie etwa Kriegserklärungen und Friedensschlüsse. Aber auch die höchsten Machtpositionen konnte er nach eigenem Ermessen vergeben und jederzeit widerrufen. Und da der Sultan sich bei der Besetzung der höchsten Kommandostellen meist der entwurzelten, durch Familienbindungen und Grundbesitz nicht ‘belasteten’, ihm selbst besonders ergebenen Männer aus der Knabenlese bediente, brauchte er nicht den Widerstand einer Aristokratenschicht zu fürchten. Die Tatsache, daß der Sultan keine Rücksicht auf nicht leistungsadäquate Umstände, wie Familienzugehörigkeit, Adel oder Vermögensverhältnisse, zu nehmen hatte, ermöglichte es ihm, die verschiedenen Positionen in erster Linie nach dem Leistungsprinzip zu besetzen. Ogier Ghiselin von Busbeck, der langjährige habsburgische Gesandte an der Pforte in den 50er Jahren des 16. Jh., stellte erstaunt und zugleich treffend fest2: „Geburt unterscheidet hier keinen von den andern, Ehre wird jedem nach dem Maße seines Standes und Amtes erwiesen; da gibt es keinen Rangstreit, die Stelle, die man versieht, gibt jedem seinen Rang. Ämter aber und Stellen verteilt der Sultan selbst. Dabei achtet er nicht auf Reichtum, nicht auf den nebelhaften Adel, nicht auf jemandes Ansehen oder auf das Urteil der Menge: sondern die Verdienste zieht er in Betracht, Sitten, Begabung und Eignung sieht er an; nach seiner Tugend wird jeder ausgezeichnet.“

Der Sultan unterlag keineswegs der Kontrolle anderer Institutionen; gebunden war er nur an die Prinzipien des Religionsgesetzes. Da der Sultan neben seinen politischen Kompetenzen weitestgehend über das Hauptproduktionsmittel, den Boden, verfügte, kann seine Machtfülle als despotisch bezeichnet werden, wobei es allerdings unangebracht wäre, diese Bezeichnung im abwertenden Sinne zu verstehen. Jedenfalls aber übte der Sultan die Macht uneingeschränkter aus als die absolutistischen Herrscher Europas.

Die osmanischen Prinzen wurden auf das schwierige Amt des Sultans angemessen vorbereitet. Schon frühzeitig lernten sie schreiben; sie studierten die Grundlagen der islamischen Religion und erhielten eine Einführung in die feine höfische Bildung. In jungen Jahren bekamen sie dann eine Sandschak-Statthalterschaft, um sich unter der Anleitung eines militärisch wie verwaltungstechnisch versierten Prinzenerziehers (lala) die Kunst des Regierens anzueignen.

Die zentrale Staatsverwaltung war vom Haushalt des Sultans deutlich getrennt. Die Patrimonialbediensteten des sultanlichen Haushalts, d.h. diejenigen im Dienste des Serails3, umfaßten drei Hauptgruppen: den ‘Inneren Dienst’, den ‘Äußeren Dienst’ und den Dienst im Großherrlichen Harem. Das Personal des sog. ‘Inneren Dienstes’ (enderun) war im wesentlichen für die Bedienung des Sultans abgestellt. Hierher gehörten außer der inneren Kammer (has oda) der großherrliche Waffenträger (silâhdâr), der Steigbügelhalter (rikâptâr), der Oberkleidungswart (çuhadâr), der Unterkleidungswart (dülbent oğlam), die Bediensteten des persönlichen Schatzes des Großherrn (hazîne), die der sultanlichen Küche (kiler) und des persönlichen Feldzugdienstes (seferli oda). Auch eine Anzahl weißer Eunuchen (akaga) waren im Inneren Dienst beschäftigt. Ihre Hauptaufgabe war die Bewachung des Tores des vom Sultan bewohnten Inneren Palastes im Großherrlichen Serail.

Ebenfalls zum Inneren Dienst gehörte die erwähnte Palastschule, in der seit der Zeit Mehmets II. die Pagen (içoğlan) unterrichtet wurden. Diese Kinder waren im Rahmen der Knabenlese ausgehoben und als geistig wie körperlich besonders geeignet der Palastschule zugeteilt worden. Hier hatten sie sich bei strenger Disziplin umfangreiche Kenntnisse anzueignen, namentlich in den ‘drei Sprachen’ (Osmanisch-Türkisch, Arabisch und Persisch), in Kalligraphie, islamischer Religionskunde und in den Militärwissenschaften, wozu neben der Waffenkunde und der Militärtheorie auch eine harte körperliche Ausbildung gehörte. Während die Mehrzahl der Pagen nach Beendigung der Ausbildung den berittenen Pfortentruppen zugeteilt wurde, eröffnete sich für die Besten die Möglichkeit, bis in die höchsten Staatsämter aufzusteigen.

Den ‘Äußeren Dienst’ (birun) bildeten im äußeren Teil des Serails u.a. die Türhüter (kapucı), das Stall- und das Küchenpersonal sowie eine weitere großherrliche Leibgarde (bostancı4, neben der has oda), der der Polizei- und Wachdienst im Serail sowie verschiedene Dienstleistungen zufielen. Auch die zentralen Militäreinheiten (kapukulu) wurden dem Äußeren Dienst zugerechnet.

Eine eigenständige Einrichtung war schließlich der Großherrliche Harem, in dem die Ehefrauen der Sultane sowie sonstige weibliche Angehörige und Dienstmägde lebten. Bis zur Zeit Süleymans des Prächtigen war es üblich, daß die Sultane Prinzessinnen fremder Dynastien5 heirateten. Der Usus, lediglich Konkubinen zu halten, datiert erst aus späterer Zeit. Im Harem leisteten nur total emaskulierte, schwarze Eunuchen6 (harem ağalari) Dienst. Außer dem Sultan war allen Männern, selbst den weißen Eunuchen, der Zugang verwehrt.

Das Personal des Großherrlichen Haushalts bestand ohne Ausnahme aus unfreien Personen. Die Eunuchen gehörten wie die Dienstmägde als Sklaven zum Eigentum des Sultans. Die sonstigen Bediensteten waren sog. Militärsklaven (kul).

Vom Haushalt des Sultans war die zentrale Staatsverwaltung deutlich getrennt. Da der Großherr sich nicht mehr um alle Angelegenheiten seines großräumigen Reiches persönlich kümmern konnte, wie es in den Anfangszeiten des Osmanenstaates der Fall gewesen war, delegierte er verschiedene Aufgaben in fester Kompetenz. Die Führung der praktischen Politik oblag dem Großwesir. Er tat dies im Rahmen der vom Sultan vorgegebenen Direktiven. Je nach Persönlichkeit des Großwesirs variierte das Ausmaß seiner Machtfülle. Die Finanzpolitik des Reiches wurde an den Hzuptdefterdar delegiert. Nur der Erste Mufti des Osmanischen Reiches, der seyhülislâm, verfügte in seiner Beziehung zum Großherrn über eine gewisse Eigenständigkeit. Die in religiösen bzw. juristischen Sachen zuständigen beiden ‘Heeresrichter’ waren hingegen ebenfalls unmittelbare Organe des Sultans.

Die wichtigeren politischen Entscheidungen wurden von den erwähnten hohen Bediensteten allerdings nicht im Alleingang gefällt. Wie in anderen islamischen Staaten, gab es auch im Osmanischen Reich seit Orhan einen Reichsrat, den sog. Großherrlichen Diwan (divan-ı hümayun). Wie erwähnt, war diese Institution kein entscheidendes, sondern lediglich ein beratendes Organ in wichtigen Staatsangelegenheiten. Außerdem fungierte sie als oberstes Zivilgericht. Gesandte auswärtiger – islamischer wie christlicher – Mächte wurden ebenfalls vom Großherrlichen Diwan empfangen. Der Diwan tagte im äußeren Teil des Serails (birun) und bestand um die Zeit der Thronbesteigung Süleymans des Prächtigen (1520) aus folgenden Mitgliedern: dem Großwesir, der den Vorsitz führte, zwei bis drei Kuppelwesiren7 (so genannt nach der Kuppel, die den Beratungssaal überwölbte), den beiden defterdar (nämlich denjenigen von Rumelien und Anatolien), den beiden Heeresrichtern und dem nişancı. Der şeyhülislam, der oberste Mufti des Reiches, ranghöher als die beiden Heeresrichter und de facto gleichrangig mit dem Großwesir, war kein Diwanmitglied, da er sich ausschließlich mit religionsgesetzlichen Problemen befaßte; die Aufgaben des Reichsrats waren rein politischer Natur. Auch der Beglerbeg von Rumelien und der Oberkommandierende der Flotte (kapudan paşa) wurden während der Zeit Süleymans des Prächtigen in den Reichsrat aufgenommen. Andere Bedienstete waren bei den Diwansitzungen als Exekutivorgane zugegen. Sie durften jedoch nicht Platz nehmen und sich nicht in die Beratungen einschalten. Es handelte sich dabei um den Obersten der Hoffouriere (müteferrika) sowie denjenigen der Tschauschen, ferner um Türhüter, um Diwansekretäre (kâtip), die die anfallenden schriftlichen Arbeiten zu verrichten hatten, sowie um den Aga der Janitscharen8, der für die Sicherheit des Reichsrates verantwortlich war. Der Zeremonienmeister (teşrifatçi) war bei den Diwansitzungen ebenfalls anwesend, denn der protokollarische Bereich spielte am Sultanshof und in der osmanischen Staatsverwaltung eine wichtige Rolle.

Der Sultan nahm an den Beratungen des Diwans seit der Zeit Mehmets des Eroberers nur noch selten teil. Wie schon erwähnt, folgte er den Sitzungen jedoch der Kontrolle halber bisweilen unbemerkt hinter einem Gitter im Diwanssaal oder im Feldlager hinter einem Vorhang. Um den Sultan über die Ergebnisse der Diwanberatungen zu informieren und seine Entscheidung bzw. die entsprechenden Beurkundungsbefehle einzuholen, legte ihm der Großwesir die wichtigsten Sachen anläßlich einer feierlichen Audienz (arz) vor.

Die enorme Ausdehnung des Reiches einerseits und die starke Zentralisierung andererseits bewirkten, daß sich seit der Zeit Mehmets des Eroberers im Osmanenstaat ein mit klaren Kompetenzen ausgestatteter bürokratischer Apparat herausbildete. Immer mehr Belange der Administration waren seither von der Schriftlichkeit erfaßt worden. Die vielschichtigen schriftlichen Aufgaben, z.B. die Abfassung der Verfügungen an die Lokalbehörden, die Ernennungen von militärischen, religiösen und zivilen, insbesondere fıskalischen Bediensteten, die Stellungnahmen zu den zahlreichen Petitionen der Untertanen, wurden durch die zentrale Staatskanzlei geregelt. Sie war dem Großherrlichen Diwan nachgeordnet. Die bereits seit längerer Zeit mit auswärtigen Mächten geführte Korrespondenz – unter Süleyman dem Prächtigen stark erweitert – oblag ebenfalls der Staatskanzlei. Alles in allem fertigte diese Dienststelle jährlich weit über 3000 Schriftstücke aus, eine Größenordnung, die im europäischen Bereich nur von der päpstlichen Kanzlei erreicht wurde. An der Spitze der osmanischen Staatskanzlei stand der hochangesehene ‘Staatssekretär für den Großherrlichen Namenszug’ (nişanci9), dessen Aufgabe nicht nur darin bestand, für die reibungslose Abwicklung des ausgedehnten Schriftverkehrs Sorge zu tragen; er hatte auch die im Namen des Sultans herausgegebenen Schriftstücke auf ihre Gesetzmäßigkeit hin zu prüfen und sie durch Anbringung des Großherrlichen Namenszuges zu beglaubigen. Eine unmittelbare Unterzeichnung durch den Sultan erfolgte nicht. Erst während der Zeit Süleymans des Prächtigen erhielt der nişancı die zusätzliche Aufgabe, die erforderlichen neuen weltlichen Gesetze (kanun) auszuarbeiten und diese zu kodifizieren.

Außerhalb der Kompetenz des Diwans lag die Finanzverwaltung,10 die unmittelbar den beiden defterdar unterstand: demjenigen von Rumelien für die europäischen und demjenigen von Anatolien11 für die asiatischen Gebiete des Reiches. Der Defterdar von Rumelien, auch Hauptdefterdar (baş defterdar) genannt, führte zugleich die Oberaufsicht über den Gesamtfiskus im Osmanischen Reich. In den ersten Regierungsjahren Süleymans des Prächtigen wurde für die erst kurz zuvor erworbenen arabischen Gebiete zusätzlich der Posten eines Defterdar von Aleppo eingerichtet.

Das Tätigkeitsfeld der Defterdar war mannigfaltig. Es umfaßte die Verwaltung der Staatsfinanzen und der Staatsdomänen (has-ı hümayun), insbesondere die Abrechnung der Bareinnahmen, die aus dem Tribut (haraç) der Vasallenstaaten, aus Steuer-, Zoll- und Mietzinseinkünften bestanden sowie im Rahmen des Steuerpachtsystems anfielen. Auch die Buchführung über die Barausgaben, d.h. Sold-, Gehalt- und Lohnzahlungen, Unterhalt des Großherrlichen Serails, Geschenkzahlungen, Waren- und Materialbeschaffung insbesondere für militärische Zwecke u.ä. gehörten hierher. Die Evidenzhaltung des Bodenbesitzes oblag ebenfalls dem Fiskus. Für diese Aufgabe wurden seit der Zeit Süleymans des Prächtigen besondere ‘Defterdar zur Evidenzhaltung der zu verleihenden Pfründen’ (timar defterdarı) eingesetzt.

Um den Ertragswert des Bodens im Rahmen des Timar-Systems fixieren und vergeben zu können, wurde eine genaue Registrierung der von der Landwirtschaft zu erwartenden Einkünfte benötigt. Die entsprechenden Konskriptionen, deren Zweck mit dem der Urbare (Grundbücher) aus der Zeit des europäischen Feudalismus vergleichbar ist, wurden im Osmanischen Reich für jedes Wilajet bzw. jeden Sandschak erstellt. Sie enthielten die gesetzlichen Bestimmungen (kanunname) des Abgabewesens der betreffenden Territorialeinheit und führten nicht nur die kleinsten Territorialeinheiten (nahiye) des Reiches, sondern sämtliche Ortschaften bei namentlicher Aufzählung der Steuerpflichtigen sowie die eingehobenen Steuerarten auf. Neben diesen sog. ausführlichen Konskriptionen (defter-i mufassal) gab es eine zweite Art von Registern, die die Verteilung der genannten Einkünfte summarisch anzeigte: die summarischen Register (defter-i icmal).

Die Gesamtheit des zentralen osmanischen Amtsapparates war zur Zeit Süleymans des Prächtigen so kompliziert, daß sich darin selbst neuernannte Großwesire nicht ohne weiteres auskannten. Dieser Amtsmechanismus setzte gründlich ausgebildete und gewandte Beamte voraus, deren Kenntnisse weit über das rein Fachliche hinausgehen mußten: Sie hatten auch Kenntnisse in islamischer Theologie, in der arabischen bzw. persischen Sprache und Literatur, der Geschichte, der Geographie. Alle Beamten der Zentralverwaltung führten den Titel çelebi, erst in späterer Zeit wurden sie efendi genannt. Letztere Bezeichnung stand anfänglich nur den Vertretern der islamischen Geistlichkeit zu.

Für die Zustellung der Erlasse der osmanischen Zentralverwaltung an die Lokalbehörden stand ein gut geschultes Personal zur Verfügung, das sich aus den höhergestellten Hoffourieren (müteferrika) und aus den subalternen Hofboten, den sog. Tschauschen zusammensetzte.

Es wurde bereits erwähnt, daß das Osmanische Reich als islamischer Staat völlig dem Religionsgesetz unterlag. So war es nicht verwunderlich, daß außer der gerade erörterten zentralen Staatsverwaltung ein ausgedehnter religiöser Verwaltungsapparat vorhanden war, der völlig in den Händen der orthodoxen Ulemas lag. Diese Angehörigen der theologisch-juristischen – mit einem islamischen Terminus: ‘wissenschaftlichen’ – Laufbahn (ilmiye) fanden vornehmlich auf drei Gebieten ihren Wirkungsbereich: im Hochschulwesen, im Gerichtswesen und in der juristischen Gutachtertätigkeit. Tätigkeitswechsel innerhalb dieser Teilbereiche waren ohne weiteres möglich.

An den islamischen Hochschulen (medrese) unterrichteten die Professoren (müderris) nicht nur verschiedene theologische Disziplinen wie Koranexegese, Traditionslehre, islamisches Recht und Liturgik, sondern auch Ethik, Staatslehre, Naturwissenschaften, Mathematik, arabische Sprach- und Literaturwissenschaft, Rhetorik und Stilistik, Geschichte und Kalligraphie. Zu diesen in ihrem Niveau recht unterschiedlichen Hochschulen wurden nur Jugendliche zugelassen, die in den sog. Koranschulen (mektep) schreiben und lesen gelernt und sich einige Kenntnisse im Koran erworben hatten. Das Niveau dieser Elementarschulen, die der Kontrolle der örtlichen Kadis unterlagen, war meist nur mittelmäßig; nicht nur wegen der auf dem Auswendiglernen basierenden Didaktik, sondern infolge der oft sprichwörtlichen Ignoranz der Lehrer. Sie freilich gehörten nicht dem Stand der Ulemas an. Solche Koranschulen gab es zwar überall in den Städten, aber das Gros der Bevölkerung blieb schriftunkundig, vorab weil die Unterschichten für ihre Berufstätigkeit keine Schulbildung brauchten.

Ein anderer Wirkungsbereich der Ulemas war das Gerichtswesen. Viele von ihnen fungierten als Kadis an der Spitze der einzelnen Gerichtsbezirke (kaza). Die Kadis hatten nicht nur richterliche Funktionen, sie galten auch als Vertrauenspersonen der Hohen Pforte, die über die Tätigkeit der hohen und höchsten Würdenträger und die Stimmung in der Bevölkerung informiert sein wollte. Sie waren gleichzeitig die Leiter der staatlichen Verwaltung in den Gerichtsbezirken, verrichteten notarielle und standesamtliche Tätigkeiten und übten eine Kontrollfunktion über die staatliche Verwaltung aus, den lokalen Fiskus eingeschlossen. Gehalten, den lokalen Amtsorganen bei ihren mannigfaltigen Aufgaben zur Seite zu stehen, sollten sie konsequent nach dem Prinzip der Gleichheit der Menschen vor Gott und dem Gesetz handeln. Obwohl die Kadis verpflichtet waren, sich streng an den Gesetzen zu orientieren, genoß der sozial Höhergestellte gegenüber Personen mit geringerem gesellschaftlichen Ansehen, der Muslim gegenüber Nichtmuslimen eine Vorzugsbehandlung. Dazu kam, daß die Kadis nach ein, zwei Jahren Amtszeit in der Regel für die gleiche Zeitspanne ohne Besoldung in den zeitweiligen Ruhestand versetzt wurden. So war es nicht verwunderlich, wenn sie danach strebten, während ihrer Amtszeit so viel zu verdienen, daß damit die Zeit des zeitweiligen Ruhestandes mitabgedeckt werden konnte. Sie verstanden es, ihre Vertrauensstellung in klingende Münze umzusetzen, auch wenn es ihnen wiederholt verboten wurde, Bestechungsgelder (rüşvet) anzunehmen.

Die Kadis unterstanden (je nach der geographischen Lage ihrer Gerichtsbezirke) dem zuständigen ‘Heeresrichter’ (kadiasker, kazasker) von Rumelien bzw. Anatolien. Obwohl es die Bezeichnung ‘Heeresrichter’ vermuten ließe, oblag diesen nicht nur die oberste Verwaltung der Rechtsprechung im Heer, sondern im gesamten ihnen zugeordneten Reichsteil auch im zivilen Bereich. Die Bezeichnung ‘Heeresrichter’ war zu dieser Zeit nur mehr ein Relikt aus der Frühzeit des Osmanenstaates, als während der Regierungsjahre Murats I. ein Richter eigens für das Gerichtswesen im militärischen Bereich eingesetzt worden war. Diese Position wurde dann im Zuge der raschen Expansion des Reiches in den letzten Regierungsjahren Mehmets des Eroberers doppelt besetzt. Neben der allgemeinen Oberaufsicht über die Tätigkeit der Kadis und der Medresen oblag den beiden Heeresrichtern auch die Ernennung der Kadis sowie der Müderris.

Vom Arbeitsfeld der Kadis trennte sich mit der Zeit der Wirkungsbereich der Muftis vollständig ab. Letztere mischten sich in die praktische Rechtsprechung nicht mehr ein. Ihre Aufgabe war theoretischer Natur: Bei komplizierten Rechtsfällen erstellten sie, wie kurz erwähnt, auf Antrag der streitenden Parteien, ohne Rücksicht auf deren soziale Stellung, auf dem Religionsgesetz basierende Rechtsgutachten, die Fetwa genannt wurden. Die Fetwas waren für die Kadis bei der Urteilsfindung verbindlich. Lange Zeit hindurch scheinen die osmanischen Muftis – sie waren nur in größeren Städten vertreten – autonom, in eigener Verantwortung gewirkt zu haben. Zur Zeit Süleymans des Prächtigen wurde dann der Mufti von Konstantinopel zum Obersten Mufti (şeyhülislam) bestellt. Dieser nahm von nun an nicht nur die Ernennung sämtlicher Muftis vor, sondern auch die Besetzung der oberen Kadiränge, der sog. Mollas.12

2. Die Territorialverwaltung

Die Territorialverwaltung entsprach ganz dem zentralistischen Charakter des osmanischen Staatsaufbaus. Mit Ausnahme der wenigen Vasallenstaaten war das Reich nicht nur nach einheitlichem Muster organisiert, auch der Führungsstil der Territorialbehörden war von der Staatsführung reglementiert. Die beiden größeren Verwaltungseinheiten, die sog. Wilajets und die Sandschaks, waren militärisch, die beiden kleineren indes, die Gerichtsbezirke (kaza) und die Kreise (nahiye), jurisdiktionell organisiert. Kamen die Beglerbegs und die Sandschakbegs fast vollzählig13 aus der militärisehen Laufbahn (seyfiye), so gehörten die Leiter der Gerichtsbezirke und der Kreise der theologisch-juristischen Karriere (ilmiye) an.

Die größten Territorialeinheiten des Osmanischen Reiches waren die Wilajets14, Großprovinzen, an deren Spitze die Großgouverneure, die Beglerbegs standen, mit Anspruch auf eine Standarte mit zwei Roßschweifen als Hoheitszeichen. Die Beglerbegs verfügten unmittelbar über einen Sandschak – Pascha-Sandschak genannt – und waren außerdem befugt, die Sandschakbegs ihres Wilajets zu kontrollieren, allerdings ohne allzu starke Einmischung in die Kompetenzen der einzelnen Sandschakbegs. Zur Zeit der Thronbesteigung Süleymans des Prächtigen gab es verhältnismäßig wenige Wilajets: Rumelien, Anatolien, Karaman, Rum (auch Sivas genannt), ‘Arabien’ (worunter Syrien zu verstehen war) und Diyarbekir.

Die Wilajets bestanden jeweils aus mehreren Sandschaks (8 – 34), denen als Gouverneure die Sandschakbegs – mit einem Roßschweif als Hoheitszeichen – vorstanden. Sie hatten das Kommando über die Truppen in ihren Sandschaks; außerdem waren sie für sämtliche Belange der ihnen unterstellten Gebiete zuständig. Die Leitung einiger Sandschaks (wie etwa Amasya, Antalya, Kastamonu, Konya, Kütahya, Manisa oder Trapezunt) war den osmanischen Prinzen zur Einführung in ihre künftigen Aufgaben vorbehalten.

Als Absolventen der anspruchsvollen Großherrlichen Palastschule verfügten sowohl die Beglerbegs als auch die Sandschakbegs in der Regel über eine angemessene militärische Ausbildung. Auch bewährte Führungskräfte beim Heer und Nachkommen der Fürsten der in das Osmanenreich einbezogenen altanatolischen Emirate konnten einen Gouverneursposten erhalten. Zur Vereinheitlichung der Provinzialverwaltung trug in großem Maße die Tatsache bei, daß die Beglerbegs und Sandschakbegs keine an ihren Besitz gebundene Grundherren waren. Sie waren jederzeit ab- bzw. versetzbar, ja, es wurde durch eine regelrechte Versetzungspolitik bewußt dafür gesorgt, daß die Großgouverneure keine zu festen Bindungen an ihr Territorium entwickeln konnten. Diese Maßnahme diente dazu, der Gefahr einer feudalen Zersplitterung vorzubeugen. Die Provinzialverwaltung war übrigens eine verkleinerte Kopie der Zentralverwaltung in Istanbul, mit Provinz-Diwan und den jeweils entsprechenden Bediensteten. Selbst das Amtsgebaren war in allen Einzelheiten ein Abbild des Verhaltens der Zentralverwaltung.

Auch Ägypten galt als Wilajet, obwohl dieser Reichsteil nicht in das osmanische Timar-System einbezogen worden war. Da die Mamluken-Emire sich nach der Eroberung ihres Landes durch die Osmanen (1517) mit den neuen Machtverhältnissen abgefunden hatten, durften sie ihre Sonderstellung wahren und die alte Herrschaftsstruktur und Sozialordnung ihres Landes auch unter osmanischer Botmäßigkeit beibehalten. Als Gegenleistung hatten die Mamluken dem osmanischen Fiskus einen beträchtlichen jährlichen Tribut (sâliyâne) abzuliefern.15

Die Hauptstadt Konstantinopel bildete eine eigenständige Verwaltungseinheit, die unmittelbar der Pforte unterstand. Der Großwesir – er war häufig abwesend, weil er in der Regel die Feldzüge zu leiten hatte – überließ in Kriegszeiten die Aufsicht über die Verwaltung der Hauptstadt seinem Stellvertreter (kaymakam). Ihm standen verschiedene Bedienstete zur Seite, die für die Versorgungsbelange der Stadt (Bauwesen, Wasser- und Lebensmittelversorgung, Stadtreinigung) zuständig und dem Stadtkommissar (şehremini) unterstellt waren. Für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung war der Aga der Janitscharen zuständig.

Während sich die osmanische Provinzialverwaltung auf die Militärorganisation stützte, bildeten für die unteren Verwaltungseinheiten, wie erwähnt, die jurisdiktioneilen Amtsträger die Basis: Jeder Sandschak setzte sich aus mehreren Gerichtsbezirken (kaza) zusammen, die jeweils einem Kadi unterstanden. Die Gerichtsbezirke umfaßten mehrere Kreise (nahiye), die von Richterkommissaren (naip) verwaltet wurden. Die juristisch vorgebildeten Richterkommissare sprachen – wenn dies nicht die Kadis taten – die erstinstanzlichen Urteile, sie verhängten Strafen, meist Prügel oder Bußgelder, die sie selbst eintrieben. Zu diesem Zweck erschienen sie in den Dörfern in Begleitung einer Schar von Bewaffneten, wobei es oft zu Übergriffen kam. Bei der Bevölkerung waren die naip deswegen äußerst unbeliebt.

Für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung außerhalb der Hauptstadt waren die zuständigen Sandschakbegs verantwortlich. Sie delegierten diese Aufgabe an die subaşı genannten Offiziere, von denen es in jedem Gerichtsbezirk einen gab.

Wie schon erwähnt, verfügten die Vasallenstaaten über eine gewisse Sonderstellung, insofern sie vom üblichen Einheitssystem der Territorialverwaltung ausgenommen waren. Zur Zeit des Regierungsantritts Süleymans des Prächtigen gab es nur wenige osmanische Vasallenstaaten. An erster Stelle ist das Chanat der Krim zu nennen, dessen Machtbereich sich auf den größten Teil der Halbinsel, aber auch auf Gebiete des nördlichen Festlandterritoriums erstreckte, sowie auf das Nordufer des Schwarzen Meeres von der Moldau bis zum Kaukasus. Der südliche Teil der Halbinsel Krim wurde bei der Eroberung 1478 unmittelbar in das Osmanenreich eingegliedert. Der Pforte stand es frei, einen Chan seines Amtes zu entheben und einen neuen zu ernennen, allerdings mit der Einschränkung, daß die Würde eines Chans nur Mitgliedern der von Dschingis Chan abstammenden Dynastie Giray zukommen konnte. In staatsrechtlicher Hinsicht galten die Krim-Chane als Souveräne; sie waren deshalb berechtigt, diplomatische Beziehungen mit fremden Mächten zu unterhalten.

In Anatolien selbst gab es nur noch die türkmenischen Vasallenfürstentümer Ramazan und Zulkadr. Ersteres, um Adana gelegen, war ursprünglich ein mamlukisches Protektorat gewesen und infolge der osmanisch-mamlukischen Auseinandersetzungen dem Osmanenreich zugefallen. Ähnliches gilt für Zulkadr im Gebiet von Elbistan und Maraş. Die beiden Türkmenenfürstentümer hatten erheblich weniger politische Reputation bzw. politischen Spielraum als das Chanat der Krim.

Dies galt auch für das – am Ende der Herrschaftszeit Selims I. einzige – christliche Gebiet mit Vasallenstatus, das Fürstentum Walachei, obwohl es über eine gewisse innen- und außenpolitische Handlungsfreiheit verfügte. Das Fürstentum Moldau entrichtete zwar seit der zweiten Hälfte des 15. Jh. Tribut an die Hohe Pforte, wurde dann aber im strengen Sinne erst 1538 Vasallenstaat.

Im Osmanischen Reich gab es außerdem Gebiete, die mehr oder weniger autonom waren; so etwa Kurdistan, wo die lokalen Emire ihre erblichen Machtbezirke (hükûmet) im Rang eines Sandschakbegs verwalteten. Eine Sonderstellung genoß der Scherif von Mekka, dem außer der heiligsten Stadt des Islams der ganze Hedschas unterstand; allerdings unter starker osmanischer Einflußnahme, etwa mittels der Bestallung eines Sandschakbegs mit Sitz in Dschidda, der Einrichtung von osmanischen Garnisonen und der Entsendung osmanischer Kadis.

3. Das Militärwesen

Der hohe Entwicklungsgrad der osmanischen Heeresorganisation stand mit der expansiven Hauptzielsetzung des Osmanenstaates in Verbindung. Kriegszüge waren für den osmanischen Staat – abgesehen von der religionsgesetzlichen Motivation – vor allem deshalb unerläßlich, weil die von den eigenen Untertanen produzierten Güter zur angemessenen Versorgung des riesigen militärischen Sektors und der staatlichen und religiösen Bürokratie offensichtlich nicht ausreichten. Man war auf die Produktion der Bevölkerung der neueroberten Gebiete und auf die Kriegsbeute, die allerdings seit der Zeit Murats I. nur noch eine untergeordnete Rolle spielte, angewiesen. Das Kriegführen war zugleich auch aus sozialpsychologischen Gründen notwendig. Wurden die Truppen nämlich nicht in ihrem gelernten ‘Beruf’, dem Kriegshandwerk, angemessen beschäftigt, mußte es über kurz oder lang zu Revolten kommen. Je stärker folglich die Streitkräfte wurden, desto mehr Eroberungen mußten gemacht werden; je mehr Eroberungen indes gemacht wurden, um so stärker mußten die Streitkräfte werden.

Auch die osmanische Armeeorganisation war bis zur Zeit Süleymans des Prächtigen recht kompliziert geworden. Es können an dieser Stelle nur die Hauptcharakteristika erläutert werden. Die Armee setzte sich aus zwei Hauptbestandteilen zusammen, aus dem stehenden Heer der Zentralgewalt, d.h. den Truppen der sog. ‘Pfortensklaven’ (kapukulu) und aus dem Provinzialaufgebot. Während die gut geschulten Zentraltruppen sich durch die größere Schlagkraft auszeichneten, spielten die Provinztruppen vor allem durch ihre Quantität die entscheidende Rolle.

Nach damaligem ‘internationalen’ Maßstab war das Heer der ‘Pfortensklaven’ das beste seiner Zeit; es war fest besoldet, die Soldaten konnten sich folglich ausschließlich ihren militärischen Pflichten widmen. Es war ferner ständig vollzählig unter Waffen und kaserniert und somit jederzeit einsatzbereit, im Gegensatz zu den damaligen europäischen Söldnertruppen, bei denen im Frieden lediglich der Kader ständig einsatzbereit war. Die osmanischen ‘Pfortensklaven’ waren zudem sorgfältig ausgesucht, entweder im Rahmen der Knabenlese oder unter den jungen Kriegsgefangenen. Außerdem waren sie vorzüglich ausgebildet und diszipliniert16, was man von den europäischen Söldnern nicht gerade behaupten konnte.

Der Kern der Zentraltruppen waren die Janitscharen, eine Infanterietruppe, die in der Schlacht das Zentrum des Heeres bildete und für die Verteidigung der Linie eine besondere Bedeutung hatte. Das Kommando dieser Elitetruppe führte der Janitscharenaga, seit der Zeit Selims I. in der Regel ein Absolvent der Palastschule. Er war damals einem Sandschakbeg gleichgestellt und hatte etwa den Rang eines europäischen Generals. In der Folgezeit nahmen sein Ansehen und Einfluß beträchtlich zu. Das Korps (ocak) der Janitscharen, in der ersten Hälfte des 16. Jh. schätzungsweise 20.000 Mann, bestand aus drei Divisionen. Die größte Division, die cemaat (wörtl. ‘Gruppe’) der Janitscharen im engeren Sinne machte fast zwei Drittel des Janitscharenkorps aus. Sie war in Kompanien (orta) zu je 60–70 Mann unterteilt. Die einzelne orta unterstand je einem çorbacı (was soviel wie ‘Suppenmeister’17 bedeutete). Die Division der sog. ‘Hundewächter’ (sekban oder segmen) war erheblich kleiner, nur etwa ein Fünftel des gesamten Janitscharenbestandes. Die ursprüngliche Aufgabe der ‘Hundewächter’ war die Betreuung der großherrlichen Jagdhunde. Ihre Formation entwickelte sich später zu einer Gardedivision des Sultans, die ihn auf die Jagd oder ins Feld begleitete. Die dritte, im Vergleich zur cemaat ebenfalls kleinere Division hieß ‘Kompanien18 des Agas’, da sie zur unmittelbaren Verfügung des Agas, des Kommandeurs der Janitscharen stand. Zur Ergänzung der Janitschareneinheiten diente die schon erwähnte Rekrutentruppe (acemi ocaği), in der Kinder aus der Knabenlese wie auch gefangengenommene junge Christen ihre Ausbildung erhielten.

Erwähnenswert sind unter den Zentraltruppen neben den Janitscharen die Einheit der Waffenschmiede (cebeci), welchen die Herstellung, Aufbewahrung und Wartung der Waffen oblag, die Truppe der Artilleristen (topçu) und die ebenfalls festbesoldeten berittenen19 Einheiten des Zentralheeres (etwa 6000 Mann). Der Effektivbestand der besoldeten Zentraltruppen dürfte insgesamt 30.000 erreicht haben. Nicht alle Janitscharen leisteten in der Hauptstadt Dienst. Eine Anzahl von ihnen wurde in verschiedenen Städten bzw. Festungen besonders im Grenzgebiet stationiert, teils um feindliche Einfälle abzuwehren, teils um bei eventuellen Unruhen als Ordnungsmacht aufzutreten und der möglichen Rebellion einer Provinzialmacht vorzubeugen.

Zahlenmäßig war das Provinzialaufgebot den Zentraltruppen weit überlegen: Sein Effektivbestand dürfte in der ersten Hälfte des 16. Jh. an die 200.000 Mann ausgemacht haben, war also fast siebenmal so stark wie das besoldete Zentralheer. Beim Provinzialaufgebot spielten die Spahis, d.h. die schwere Reiterei, die größte Rolle. Diese Spahis waren speziell für den Angriff ausgebildete Berufssoldaten und wurden für den Militärdienst nicht mit Sold, sondern mit einer Pfründe (timar) entlohnt. Ihr militärischer Ausbildungsstand war recht hoch, freilich nicht dem der ‘Pfortensklaven’ entsprechend. Auch war das Provinzialaufgebot schwerfälliger als das Zentralheer, da die Spahis sich ständig in der Nähe ihrer Pfründen aufzuhalten hatten und die Mobilmachung naturgemäß eine beträchtliche Zeit in Anspruch nahm. Der Umstand, daß diese Timar-Inhaber, die Timarioten, jederzeit ihrer Pfründen verlustig gehen konnten, trug stark dazu bei, daß die Disziplin auch bei dieser Truppe bedeutend höher war als bei ihrem Pendant im christlichen Westen, dem europäischen Feudalaufgebot. Für die Disziplin spielte, nebenbei bemerkt, auch der islamische Glaube – sowohl bei den Zentraltruppen als auch beim Provinzialaufgebot – eine wichtige Rolle. Der Kampf gegen die Ungläubigen war nicht nur religionsgesetzliche Pflicht der Muslime; nach islamischem Glauben ist demjenigen, der im Kampf gegen die Ungläubigen fällt, das Paradies sicher.

Die Spahis, deren Gesamtzahl in der ersten Hälfte des 16. Jh. unter 30.000 lag, waren nicht nur verpflichtet, persönlich Militärdienst zu leisten. Sie mußten darüber hinaus je nach der Größe ihres Timars bis zu sieben bewaffnete Reiter (cebeli20) auf eigene Kosten ausrüsten und mit in den Krieg führen, nämlich je einen pro 3000 Asper (akçe) Einkommen. Die Inhaber von Großpfründen, die zaim, hatten pro 4000 Asper und diejenigen von Stabspfründen (has) pro 5000 Asper je einen Bewaffneten zu stellen. Die schwere Reiterei, Spahis und cebeli zusammen, dürften zu jener Zeit 80.000 bis 90.000 Mann gezählt haben. Kommandeur der Spahitruppen war der jeweilige Sandschakbeg. Die Spahis eines Sandschaks waren in territorial organisierte Einheiten, die sog. bölük21 gegliedert, an deren Spitze die bereits erwähnten subaşi standen. Je zehn dieser bölük unterstanden einem Obersten (alaybegi oder miralay), dessen unmittelbarer Vorgesetzter der Sandschakbeg war. Im Kriegsfall wurden nur 90 % der Spahis eingezogen. Die restlichen 10 % wurden zum Schutz des Heimatgebietes eingesetzt. Es oblag diesen zugleich, sich um die Timare der Kameraden im Felde zu kümmern.

Neben den schwerbewaffneten Spahis gab es im Rahmen der Provinzialtruppen, wie erwähnt, auch leichte Kavallerieeinheiten, von denen die sog. akıncı (‘Stürmer’) die wichtigsten waren. Ihre Aufgabe bestand darin, den Feind zu beunruhigen, ihm den Weg abzuschneiden, Erkundigungen vorzunehmen und Vorräte zu erbeuten. Die akıncı erhielten weder Sold noch eine Pfründe; sie bestritten ihren Lebensunterhalt gänzlich aus der Beute. Die Disziplin war nicht die starke Seite der akını; es kam wiederholt vor, daß sie sogar auf osmanischem Gebiet Schaden anrichteten. Außerdem gab es noch leichte Infanterietruppen, wie die sog. azep (‘Unverheiratete’), die auch häufig in Festungen Dienst leisteten. Der Modus ihrer Aushebung wies schon Elemente einer allgemeinen Wehrpflicht auf: In Anatolien waren jeweils 30 Haushalte verpflichtet, bei Bedarf einen Mann für die azep zu stellen. Zum Provinzialaufgebot gehörte schließlich die Söldnertruppe der gönüllü (‘Begeisterte’), von denen es sowohl Berittene als auch Fußvolk gab.

In der ersten Hälfte des 16. Jh. betrug der Effektivbestand der osmanischen Gesamtarmee ca. 250.000 Mann und übertraf damit die Armeestärke eines jeden europäischen Staates bei weitem. Der Bestand des ausrückenden Heeres konnte, wie aus Berichten über den Çaldıran-Feldzug Selims I. hervorgeht, um 140.000 Mann betragen. Die Hilfstruppen des Vasallenstaates Walachei, die dem osmanischen Heer für Operationen in Europa zur Verfügung standen, sind dabei nicht mitgerechnet. Hilfstruppen aus dem Chanat der Krim wurden vor der Zeit Süleymans des Prächtigen noch nicht eingesetzt.

Besonderer Wert wurde im osmanischen Militärwesen auf die Versorgung dieses enorm großen Heeres im Felde gelegt. Da der Lebensmittelvorrat, den ein auf dem Landweg vorrückendes Heer mitführen konnte, nicht ausreichte, wurden Lebensmittel nicht nur an Ort und Stelle beschafft, sondern auch auf dem Wasserweg zur Truppe transportiert. Die Organisation des Nachschubwesens war erfahrenen, ehemaligen hohen Finanzbeamten (defterdar) anvertraut. Für die Transportaufgaben wurden spezielle Einheiten eingesetzt, in Rumelien die yürük (wörtl. ‘die schnell Marschierenden’) und die voynuk22 und in Anatolien die müsellem (‘die [von Steuern] Befreiten’) bzw. yaya oder piyade (‘Fußsoldaten’); sowohl bei müsellem wie yaya handelte es sich in frühosmanischer Zeit um Kampftruppen. Zum Aufgabenbereich dieser Einheiten gehörte es auch, im Krieg für die Benutzbarkeit der Straßen zu sorgen. Die strategisch wichtigen Reichsstraßen wurden – nach Maßgabe der damaligen Möglichkeiten – vorzüglich hergerichtet.

Die außenpolitische Zielsetzung, den Machtbereich des Osmanischen Reiches so weit wie möglich auszudehnen, bildete die Grundlage der Strategie der osmanischen Heerführung. Die Landesverteidigung kam dabei in Gestalt eines adäquaten Festungssystems nicht zu kurz, zumal sämtliche Festungsanlagen sich in staatlichem Besitz befanden. Burgen konnten im Osmanenstaat kein Privateigentum bilden.

Nichtsdestoweniger hatte die Intention der militärischen Expansion den Vorrang. Die Eroberungsfeldzüge beschränkten sich in der Regel auf ein Sommerhalbjahr. Der Ausgangspunkt war normalerweise Edirne, wo der Sultan sich im Winter meistens aufhielt und einen beträchtlichen Teil seiner Zeit der Jagd, die damals die Funktion von Manövern hatte, widmete. Hier sammelten sich im Frühjahr die Zentraltruppen der Pforte, während das Provinzialaufgebot sich an der geographisch dazu am meisten geeigneten Stelle dem heranziehenden Heer anschloß. Für die Verwirklichung des jeweiligen Vorhabens, etwa der Eroberung einer starken Festung oder der Vernichtung eines gegnerischen Heeres in der Feldschlacht, blieb bei der Schwerfälligkeit des gewaltigen Heeres nicht viel Zeit übrig, zumal das Heer rechtzeitig vor Einbruch der kalten Jahreszeit den Rückzug antreten mußte. Eine Überwinterung im Feindesland wurde aus klimatischen und versorgungstechnischen Gründen in der Regel nicht ins Auge gefaßt.23 So erklärt es sich, daß das osmanische Heer die ursprüngliche Zielsetzung, beispielsweise die Belagerung einer Festung oder die Verfolgung des Feindes, wiederholt unverrichteter Dinge aufgeben mußte. Ebenfalls dieser Gepflogenheit ist es zuzuschreiben, daß selbst ein bedeutender Erfolg die osmanische Kriegsleitung nicht veranlassen konnte, über die ursprüngliche Zielsetzung hinauszugehen und weitere Eroberungen vorzunehmen.

Auf die Taktik des osmanischen Heeres kann hier nicht eingegangen werden. Es soll aber erwähnt werden, daß auch die Bewaffnung der osmanischen Armee auf dem technischen Niveau ihrer europäischen oder orientalischen Gegner lag. Dies gilt nicht nur für die starke Artillerie; auch Handfeuerwaffen waren weit verbreitet. Die Elitetruppe der Janitscharen – ursprünglich mit Bogen ausgerüstet – wurde seit dem späten 15. Jh. mit Musketen bewaffnet. Zu Beginn des 16. Jh. war diese Umrüstung bereits abgeschlossen.

Die Führung der Armee lag bis in das 16. Jh. hinein in den Händen des Sultans, der die dafür erforderliche Qualifikation noch vor der Thronbesteigung als Provinzgouverneur erworben hatte. Der Großherr ließ sich bei seinen Entscheidungen vor allem vom Großwesir, aber auch von anderen Diwanmitgliedern beraten, denn der Reichsrat, der Großherrliche Diwan, nahm an den Feldzügen stets teil und fungierte auch als eine Art Generalstab. Selbst an der Schlacht nahm der Sultan persönlich teil. Er war von Janitscharen umgeben und wurde von ihnen geschützt.

Besonderer Wert wurde darauf gelegt, über den tatsächlichen wie potentiellen Feind Informationen zu beschaffen. Hierzu diente – außer der freilich nur taktischen Kundschaftertätigkeit der akma – die unter Folterungen vor sich gehende Befragung von Kriegsgefangenen sowie ein weitgespanntes Spionagenetz, dessen Agenten in allen wichtigen europäischen Staaten Nachrichten sammelten.

Vor der Zeit Süleymans des Prächtigen hatten die Landstreitkräfte eine weitaus größere Bedeutung als die Flotte: Letztere war zwar ein erfolgreiches militärisches Instrument, wie die Operationen bei Negroponte 1470 und Lepanto 1499 gezeigt hatten, aber der große Aufstieg des osmanischen Marinewesens setzte erst während der Regierungszeit Süleymans ein.

4. Wirtschaft und Gesellschaft

Die Grundlage der osmanischen Ökonomie bildete die Landwirtschaft, in der die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung tätig war; sie erbrachte auch den Löwenanteil des osmanischen Gesamtsozialprodukts.

Der Boden, das Hauptproduktionsmittel, gehörte seit Mehmet II. zum größten Teil dem Staat. Der Privatbesitz an Boden (mülk) spielte seither nur noch eine untergeordnete Rolle: Das vererbbare private Grundeigentum24 dürfte kaum mehr als 5–10 % der Gesamtbodenfläche ausgemacht haben. Etwas mehr Bedeutung hatte der Bodenbesitz der Frommen Stiftungen (vakf).

Der staatliche Bodenbesitz (arz-ι miri) selbst wurde durch den Fiskus verwaltet und zu einem guten Teil in kleineren oder größeren Stücken in der Form von Pfründen hauptsächlich militärischen, seit Beginn des 16. Jh. aber auch zivilen Bediensteten zur Nutznießung übertragen.

Das Hauptcharakteristikum dieses sog. Timar-Systems bestand darin, daß die Pfründen den Inhabern lediglich zur Nutznießung (tasarruf) zur Verfügung standen: Sie brachten ihnen lediglich den Ertrag der zugewiesenen Fläche ein, der Boden selbst war jedoch nicht in ihrem Besitz; die Inhaber durften ihre Pfründen weder verkaufen noch verschenken, noch – im Gegensatz zu den europäischen Lehen – vererben. Bei ihrem Tod wurde die Pfründe – ob Klein- oder Großpfründe – zunächst eingezogen. Die hinterbliebenen Söhne der Pfründeninhaber gingen jedoch nicht ganz leer aus: Sie hatten Anspruch auf eine angemessene Versorgung, und zwar – je nach Größe der Pfründe des Vaters – entweder eine mehr oder weniger einträgliche Stelle in der Staatsverwaltung bzw. in der Armee oder die Anwartschaft auf eine Pfründe, wobei eventuell einem der Söhne die Pfründe des verstorbenen Vaters zugewiesen werden konnte. Da es keine gesicherte Erbfolge gab, kann man sagen, daß es sich bei dem Timar-System noch um eine weitgehend offene Gesellschaft handelte. Ebenfalls im Gegensatz zu den europäischen Lehensmännern verfügten die osmanischen Pfründner über keine Rechtsimmunität. Ferner waren die Bauern keine Leibeigenen, als Person waren sie den Spahis nicht unterworfen. Dem Pfründner stand den Bauern gegenüber auch keine Gerichtsbarkeit zu. Allod25 und Fronhof26 waren im osmanischen Timar- System unbekannt. So ist es kaum verwunderlich, daß der Pfründner sich um die Landwirtschaft gar nicht kümmerte; er erschien bei den Bauern lediglich, um die ihm zugewiesene Rente und die staatlichen Steuern einzutreiben; letztere hatte er an den Fiskus weiterzuleiten.

Was die Größe anbelangte, gab es drei Arten von Pfründen. Die Kleinpfründen (timar) waren anfangs zur Versorgung der Spahis bestimmt, wurden aber nach und nach auch gleichrangig subalternen Zivilbediensteten, wie etwa Kanzlei- oder Finanzbeamten usw., zugewiesen. Das Jahreseinkommen aus einem Timar betrug maximal 19 999 Asper. Das Mindesteinkommen aus dem Timar, die ‘Stammpfründe’ (kiliç, wörtl. ‘Säbel’), für welches der Timariot (der mit dem Timar belehnte Reitersoldat) sich persönlich auszurüsten und Dienst zu leisten, jedoch noch keinen Bewaffneten (cebeli) zu stellen hatte, war je nach Gebiet auf 1000, meist jedoch auf 3000 Asper festgesetzt.27 Bei Bewährung konnte das Einkommen aus dem Timar durch Zulagen (terakki) erhöht werden.

Die Großpfründen (ziamet oder zeamet) standen insbesondere höheren Offizieren wie subaşı und alaybegi, aber auch höheren Zivilbeamten zu. Die Großpfründen brachten den Inhabern 200.00–99999 Asper jährliches Einkommen ein.

Während die Inhaber der Kleinpfründen, die Timarioten, und die Inhaber der Großpfründen, die zaim, ihre Pfründen als Lohn für ihre persönliche Dienstleistung erhielten, war der dritte Pfründentyp, die sog. ‘Stabspfründen’ (has), an ein Amt gebunden: Es handelte sich um die Ämter von Wesiren, Beglerbegs und Sandschakbegs und einigen hohen Würdenträgern der Zentralverwaltung (Heeresrichter, nişancı, defterdar). Das Jahreseinkommen aus einem has betrug mindestens 100.000 Asper. In der Zeit Süleymans des Prächtigen hatte ein Sandschakbeg jedoch in der Regel ein has von 200.000–550.000, ein Beglerbeg von 800.000–1200.000, ein Kuppelwesir von 1000.000–1200.000 und der Großwesir sogar von 2000.000 Asper Jahreseinkommen.

Die überwiegende Mehrheit der Kleinpfründen, nämlich der kleineren unter diesen, wurde von den Beglerbegs verliehen. Dagegen behielt sich der Fiskus die Vergabe der Stabs- und Großpfründen (has und ziamet) und auch der größeren Timar vor.

Ein bedeutender Teil des staatlichen Bodens wurde indes nicht als Pfründen vergeben, sondern diente in Form von Staatsdomänen (has-ı hümayun) der Bargeldeinnahme der Staatskasse. Die Einkünfte des Fiskus aus den Staatsdomänen wurden ebenso wie die sonstigen öffentlichen Einnahmen in manchen Fällen durch Bevollmächtigte (emin) eingetrieben; seit der Zeit Mehmets II. wurden diese Geschäfte meist jedoch im Rahmen der ‘Steuerpacht’28 (iltizam) vergeben. Bei der Steuerpacht beauftragte der Fiskus für ‘festgesetzte Abgabeeinheiten’ (mukataa29) je einen Steuerpächter (mültezim), der Steuern und sonstige Staatseinkünfte wie Zölle, Mieten öffentlicher Immobilien etc. einzutreiben hatte. Der Steuerpächter erhielt für seinen Dienst ein Gehalt; als Gegenleistung hatte er den höchstmöglichen Betrag einzutreiben und an den Fiskus abzuführen. Der Vorgesetzte des Steuerpächters war der jeweilige Gutsverwalter der einzelnen Staatsdomänen, der Woiwode (voyvoda), der die Zahlungen der Steuerpächter für die Finanzverwaltung zu kassieren hatte. Da der Steuerpächter in der Regel – nicht ganz legal – mehr eintrieb, als er dem Staate ablieferte, war seine Tätigkeit ein einträgliches Geschäft. Vermögende Unternehmer rissen sich um die Steuerpacht so sehr, daß der Fiskus dazu überging, die Posten der Steuerpächter auf öffentlichen Auktionen an die Meistbietenden zu vergeben. Um einen zu weit gehenden Mißbrauch zu vermeiden, wurde die Tätigkeit der Steuerpächter durch Kontrolleure (müfettiş) überwacht. In diese Funktion wurden meist Kadis anderer Gerichtsbezirke nebenamtlich eingesetzt, um dadurch die Unbefangenheit des Kontrollorgans zu gewährleisten. Das Steuerpachtsystem spielte im osmanischen Wirtschaftssystem eine wichtige Rolle, da die Steuereinnahmen nach der Verstaatlichung des landwirtschaftlich nutzbaren Bodens unter Mehmet II. stark angewachsen waren.

Die Lage der osmanischen Bauern im 16. Jh. war im Vergleich zur europäischen Bauernschaft derselben Zeit keineswegs nachteilig. Die Hintersassen (raya30) erhielten vom jeweiligen Inhaber des Bodens (sahip arz) in der Regel einen Bauernhof (çiftlik) und damit ein Stück Land, das sie mit einem Ochsenpaar zu bearbeiten vermochten. Sie durften diesen Hof zwar nicht auf eigenen Entschluß hin verlassen, waren praktisch also an die Scholle gebunden, aber der Bodeninhaber war nur dann berechtigt, dem Bauern das zugewiesene Land abzunehmen, wenn er es nicht bestellte. Die Hintersassen im Osmanischen Reich waren keine Leibeigenen, sondern personenrechtlich frei und den Pfründeninhabern weder untergeordnet noch von diesen abhängig. Insbesondere unterlagen sie nicht der Gerichtsbarkeit der Inhaber des Bodens. Dies waren grundlegende Unterschiede im Vergleich zu den Leibeigenen in Europa.

Für die Bodennutzung hatten die Hintersassen im Osmanenreich meist religionsgesetzlich fixierte Abgaben an den Inhaber des Bodens bzw. Steuern an den Fiskus zu entrichten. Von dieser Regelung waren lediglich die freien Bauernhöfe der Soldaten der Kategorie müsellem bzw. yaya ausgenommen: Ihre Höfe waren nicht Teil einer Pfründe, folglich hatten sie keine Feudalabgaben zu erbringen.

Entsprechend der ländlichen Naturalwirtschaft überwog im 16. Jh. als Abgabe noch die Naturalrente, wenngleich von der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts an die Abgaben hin und wieder in bar verlangt wurden.

Übernahm ein Hintersasse einen Hof, mußte er dem Bodeninhaber zuerst eine einmalige, verhältnismäßig hohe Überlassungsabgabe (resm-i tapu) zahlen. Der Bodenbebauer ging damit ein unkündbares, vererbbares Pachtverhältnis auf Anteilbasis ein. Außerdem schuldete er jenem regelmäßig Abgaben, an erster Stelle die Bauernhofabgabe, die bei Muslimen resm-i çift und bei christlichen Hintersassen ispence31 hieß; sie war bei diesen etwas höher als bei den muslimischen Hintersassen. Darüber hinaus hatten die Hintersassen den Bodeninhabern noch Zehnten und andere Abgaben zu entrichten, entsprechend den verschiedenen Produkten, die sie erwirtschafteten. Wie erwähnt hatten die Pfründeninhaber bis zum Ende des 16. Jh. kein Land, das sie selbst bewirtschafteten. Als Spahis oder Staatsbeamte konnten und wollten sie sich damals noch nicht um die Landwirtschaft kümmern. Dies hatte für die Hintersassen den Vorteil, daß ihnen kaum Dienstleistungen, also Fronarbeiten, abverlangt wurden: lediglich sieben Tage jährlich, namentlich um den Ernteertrag in den Speicher des Bodeninhabers zu überstellen bzw. Bauarbeiten an dessen Wohnsitz auszuführen. Es war allerdings auch möglich, den Frondienst durch eine Geldsumme abzulösen. Andererseits lagen die Kosten der Produktion ganz bei den Bauern, da die Pfründeninhaber nicht daran dachten, in die Landwirtschaft zu investieren.

Allen Steuerpflichtigen gegenüber standen dem Fiskus u.a. die Verhängung von Geldstrafen wie auch die verschiedensten Gebühren, namentlich die Erbschafts- und Heiratsgebühr, zu. Der Staatskasse fielen ferner die sog. Kopfsteuer (cizye) der nichtmuslimischen Untertanen und die Abgabe für die Bodennutzung auf dem Gebiet der Staatsdomänen anheim, da hier ja der Fiskus als Bodeninhaber galt. Die Eintreibung von Sondersteuern (avariz), vorwiegend durch Arbeitsleistung oder in bestimmten Waren entrichtet, blieb Anfang des 16. Jh. nach wie vor auf Einzelfälle beschränkt.

Die maßvolle und vor allem strikt geregelte Abgabepflicht hatte zur Folge, daß der Bauer an der Bearbeitung des ihm überlassenen Bodens interessiert war. Er konnte nämlich durchaus damit rechnen, daß ein Teil der Frucht seiner Arbeit ihm nach Leistung der Abgaben zur eigenen Verfügung verblieb – sieht man hier einmal von strukturschwachen Gebieten etwa in Anatolien ab. Es nimmt daher nicht wunder, daß sogar christliche Fronbauern in nichtislamischen Gebieten wiederholt aus dem Herrschaftsbereich ihrer Lehensherren, von denen sie ausgepreßt wurden, flüchteten und zu den Osmanen hinüberwechselten.

Die genannten positiven Aspekte sollten jedoch nicht dazu verleiten, die Lage der osmanischen Landbevölkerung zu idealisieren. Zwar war der technische Stand der Landwirtschaft in den europäischen Gebietsteilen des Osmanischen Reiches mit dem anderer europäischer Staaten durchaus vergleichbar. Anatolien, besonders das Hochland im Landesinneren, war indessen, wie schon angedeutet, in dieser Hinsicht äußerst rückständig. Im Rahmen der traditionellen Wechselwirtschaft wurde das Ackerland dreigeteilt und je nach Beschaffenheit ein Teil oder zwei Teile des erschöpften Bodens brach liegengelassen. Zur Bestellung wurden ein primitiver Holzpflug und als Egge ein schweres Rundholz verwendet. Über den Rahmen der Subsistenzwirtschaft konnte hier nicht hinausgegangen werden, da der Ernteertrag kaum ausreichte, nach der geleisteten Abgabe und der Zurücklegung des Saatguts die Landbevölkerung auch nur notdürftig zu ernähren. Da keine Rücklagen erwirtschaftet werden konnten, war die Versorgungslage der Landbevölkerung nach schlechten Ernten miserabel. Notgedrungen strebten die einzelnen bäuerlichen Wirtschaften nach Autarkie; eine landwirtschaftliche Warenproduktion konnte sich unter den obwaltenden Umständen in Anatolien nicht herausbilden. Dem Stand der Landwirtschaft entsprechend waren auch die Ernährungs- und Wohnlage äußerst rückständig. Die Mahlzeiten bestanden meistens aus einer mehr oder minder dünnen Suppe. Die Proteinversorgung der Landbevölkerung war sehr mangelhaft: Fleisch kam nur bei Notschlachtungen auf den Tisch. Die bäuerlichen Behausungen waren meist halb unterirdische Katen.

Schwieriger als die Lage der Hofbauern war generell die der Kätner (bennâk), die weniger als die Hälfte der Ertragsfläche eines çiftlik besaßen. Ihre Abgabenpflicht war zwar entsprechend geringer, aber auch der Ernteanteil, der bei ihnen verblieb. Auch die Bauern auf Privatlandgütern, auf Stiftungsländereien und auf Staatsdomänen waren nicht gut gestellt, da ihr Status – im Gegensatz zu den Bauern auf den Pfründen – gesetzlich nicht geregelt war. Auf Staatsdomänen wurden z.B. sogar unfreie Kriegsgefangene in der Eigenschaft von Halbpächtern (ortakçi kul) beschäftigt.

Die nomadische Viehzucht war seit der Zeit Mehmets des Eroberers vorerst zu einer untergeordneten Rolle verurteilt.

Das Sklavenwesen war im Osmanischen Reich – wie überall im Bereich des Islams – gang und gäbe. Nicht nur der Sultan, auch die Angehörigen der Oberschicht besaßen Sklaven, Sklavinnen und Eunuchen als ihr Eigentum. Die meisten Sklaven wurden zu Dienstleistungszwecken verwendet, nicht nur im häuslichen Bereich, sondern auch z.B. als Ruderer auf Schiffen. In der Produktion fanden sie selten Verwendung. Nur in der Landwirtschaft wurden mancherorts Sklaven eingesetzt, entweder zur Feldbestellung (auch anstelle von Zugtieren) oder zum Hüten des Viehs. Die sog. ‘Militärsklaven’ (kul), zu denen ja auch die Janitscharen gehörten, waren strenggenommen keine Sklaven, da ihre Beziehung zu ihrem Herrn, dem Sultan, nicht auf einem Eigentums-, sondern auf einem Dienstverhältnis beruhte. Der wesentliche Unterschied zwischen gewöhnlichen Sklaven und den kul bestand darin, daß letztere Rechte hatten. Den kul stand nicht nur freie Unterkunft und Verpflegung, sondern auch Sold zu. Außerdem waren auch ihre sonstigen Pflichten und Rechte gesetzlich geregelt.

Eine Art Gegenstück zur Subsistenzwirtschaft im ländlichen Bereich waren der Handel und das Handwerk, die sich im wesentlichen auf die Städte beschränkten. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung war im Verhältnis zur Landwirtschaft untergeordneter Art. Innerhalb der Städte war für Handel und Gewerbe der jeweilige Basar, der einer strengen Ordnung unterlag, der zentrale Ort. Händler und Handwerker waren in Gilden (esnaf) organisiert, deren Aufgabe darin bestand, Kontrollen hinsichtlich Qualität, Preisen, Maßen usw. vorzunehmen. Die Gilden selbst unterlagen einer behördlichen Aufsicht, die vom Marktaufseher (muhtesip), einem Organ des örtlich zuständigen Kadis, vorgenommen wurde. Es ist in großem Maße gerade den Qualitätskontrollen zu verdanken, daß bestimmte Waren des osmanischen Handwerks sogar auf den europäischen Markt vordringen konnten.

Eine erheblich geringere Bedeutung hatten die staatlichen Manufakturen, die die Streitkräfte mit den nötigen Produkten zu versorgen hatten. Diese für ihre Zeit hinlänglich technisierten Betriebe produzierten auf der Basis von Lohnarbeit. In den wenigen auf dem Balkan betriebenen Bergwerken waren sowohl Staatsmonopol als auch Privatunternehmertum vertreten. Auch die Bergleute waren Lohnarbeiter: Sie erhielten einen Zeit- oder einen Leistungslohn.

Der Fernhandel wurde mit Karawanen über die gut ausgebauten strategischen Reichsstraßen oder auf dem Seeweg abgewickelt. Da der osmanische Staat bzw. Fiskus am Handel nur passiv als Zolleinnehmer interessiert war, lag der internationale Schiffshandel völlig in den Händen ausländischer, namentlich italienischer Reeder.

In der osmanischen Gesellschaft Anfang des 16. Jh. gab es zwei hauptsächliche Schichten. Die Schicht der Herrschenden bestand – neben dem Sultan – aus den steuerfreien Personen (beraya), deren Lebensunterhalt von den abgabepflichtigen Bevölkerungsgruppen bestritten wurde. Zu dieser Schicht zählten Mitglieder der staatlichen und religiösen Bürokratie, die Soldempfänger beim Militär, die Begünstigten der Frommen Stiftungen und vor allem die Pfründeninhaber.

Ein Adelsstand und eine Aristokratie, wie es sie im feudalen Europa gab, waren im Reich der Osmanen, vor allem seit Mehmet der Eroberer das Privateigentum (mülk) an Boden zurückgedrängt und die altanatolische ‘Feudalaristokratie’ gleichsam eliminiert hatte, nicht mehr vorhanden; dies nicht nur, weil die Angehörigen der herrschenden Klasse über keine Standesprivilegien verfügten, sondern vor allem deshalb, weil die osmanischen Präbendare im Gegensatz zu den europäischen adeligen Lehensherren nicht im Besitz des Bodens waren, sondern dessen Ertrag nur zeitweilig zur Nutznießung erhielten. Auch die Tatsache, daß es bei dem osmanischen Timar-System keine automatische Erbberechtigung gab, trug, wie erwähnt, in großem Maße dazu bei, daß sich hier weder Adel noch Aristokratie herauszubilden vermochten, wie dies in den europäischen Ländern der Fall war. Die Mobilität zwischen der Schicht der Herrschenden und der der Beherrschten war zudem viel größer als im feudalen Europa. Angehörige der niederen Schichten hatten im Osmanischen Reich – vor allem infolge militärischer Tapferkeit – gute Aufstiegschancen; andererseits konnten Angehörige der herrschenden Klasse, etwa bei Versagen oder Amtsmißbrauch, jederzeit zurückgestuft werden. Die Gruppe der hochangesehenen Prophetenabkömmlinge (seyyit bzw. şerif32) kann – obwohl dies hin und wieder getan wird – schlecht mit dem europäischen Adel verglichen werden, da ihre Angehörigen oft nicht zur herrschenden Klasse gehörten, sondern sich aus allen Gesellschaftsschichten rekrutierten und häufig sozial niedere Berufe ausübten.

Das Hauptmerkmal der beherrschten Klasse war die Steuer- bzw. Abgabenpflicht. Zu diesen sog. Untertanen im strengeren Sinn (raya, wörtl. ‘Herde’) zählten namentlich die Bauern, ferner die – ebenfalls steuerpflichtigen – Handwerker und Händler, und zwar ohne Rücksicht auf ihr Glaubensbekenntnis. (Der Brauch, lediglich die nichtmuslimischen Untertanen der Pforte raya zu nennen, war im 16. Jh. noch nicht üblich; er setzte sich erst in der osmanischen Spätzeit durch.)

Auch das Alltagsleben des muslimischen Bevölkerungsteils verlief im Osmanenreich völlig nach den Normen des Religionsgesetzes, das auch die gesamte Privatsphäre einschließlich des Familienlebens regelte. Nach dem islamischen Recht war es zwar den Männern erlaubt, mit – höchstens – vier Frauen gleichzeitig verheiratet zu sein, doch dies kam verhältnismäßig selten vor. Meist hatten nur Mitglieder der privilegierten Schichten mehr als eine Ehefrau und darüber hinaus eine Anzahl von Sklavinnen als Konkubinen. Bei Angehörigen der unteren Schichten war die Mehrehe in der Regel auf Fälle beschränkt, wo die erste Ehe kinderlos geblieben war. In der osmanischen Gesellschaft waren die Frauen den Männern, dem Ehemann, dem Vater bzw. dem Bruder, völlig untergeordnet; sie durften von den Männern körperlich gezüchtigt werden. Die Frauen hatten ein von der Männergesellschaft völlig isoliertes Leben im häuslichen Bereich zu führen. Das öffentliche Leben und das Wirtschaftsleben waren der Männerwelt vorbehalten. Die Frau durfte sich – gewohnheitsrechtlich bedingt – keinem fremden Mann unverschleiert zeigen. Das wichtigste Amüsement der Frauen höherer Gesellschaftsschichten bestand darin, das bunte Geschehen auf den Straßen hinter einem Fenstergitter zu beobachten, durch das sie von außen nicht gesehen werden konnten.

Der nichtmuslimische Bevölkerungsteil lebte in verhältnismäßig günstigen Verhältnissen, wenngleich er zusätzliche, aber nicht besonders drückende Steuern zu entrichten hatte. Die Abgabe an den Inhaber des Bodens für die Überlassung des Bauernhofes war allerdings meist etwas höher als für muslimische Bauern. Nach den Bestimmungen des Religionsgesetzes stand auch dem islamischen Staat von den nichtmuslimischen Untertanen, den sog. Schutzgenossen (zimmî), eine besondere Personensteuer (haraç) zu, die im Osmanischen Reich jedoch durch die Entrichtung der Kopfsteuer (cizye) der arbeitsfähigen männlichen Nichtmuslime abgegolten wurde. Es wäre jedoch verfehlt, von solchen finanziellen bzw. steuerlichen Sondergegebenheiten auf eine Diskriminierung der nichtmuslimischen Untertanen im Osmanischen Reich zu schließen, wenngleich die haraç- bzw. cizye- Steuer in der osmanischen Spätzeit von den Betroffenen als Diskriminierung empfunden wurde. Es handelte sich faktisch um die Ersatzleistung für den Militärdienst, der im Bereich des Islams lediglich für die muslimischen Männer obligatorisch war. Dafür konnten die Nichtmuslime jedoch ein mehr oder weniger unbehelligtes Leben führen, vorausgesetzt, daß es den Prinzipien des Islams nicht widersprach. Die Grundlage dieser toleranten osmanischen Religionspolitik bildete nicht nur das islamische Religionsgesetz. Auch der Umstand, daß der Osmanenstaat auf die Produktion und die Steuerleistungen der christlichen und jüdischen Untertanen angewiesen war, spielte dabei eine Rolle.33 Außerdem sollte die Integration neuerworbener Gebiete, insbesondere mit christlicher Bevölkerung, nicht durch religiöse Unduldsamkeit zusätzlich erschwert werden. Trotz der letztlich eher praktischen Beweggründe ist es dennoch bemerkenswert, daß der Osmanenstaat religiöse Duldsamkeit zu einer Zeit praktizierte, als im christlichen Europa Andersgläubige den schlimmsten Verfolgungen ausgesetzt waren. Die verschiedenen christlichen und jüdischen Religionsgemeinschaften (millet) waren nicht nur in Glaubens- bzw. Ritualfragen autonom, sie erhielten unter der Voraussetzung, daß keine Muslime beteiligt waren, auch die Gerichtsbarkeit über die eigenen Religionsgenossen zuerkannt.

Das Osmanenreich war zu Beginn des 16. Jh. zweifellos eines der am besten organisierten, vielleicht sogar zeitweilig das bestorganisierte Staatswesen im Weltmaßstab. Die gesamte Bevölkerung, die Ober- und Unterschichten, wurde in diesem Staatswesen durch Verwaltung und Militärorganisation, durch Gilden oder nichtmuslimische Religionsgemeinschaften erfaßt. Nicht nur war das Reich der Osmanen ein nahezu perfekter Ordnungsstaat, auch die Bezeichnung ‘formierte Gesellschaft’ kann für dieses Staatswesen durchaus verwendet werden. In dieser formierten Gesellschaft scheint es keinen Platz für Außenseiter gegeben zu haben.

Im Blick auf die bisherigen Darlegungen ist der Verfasser der Meinung, daß die Grundlage der osmanischen Gesellschaft der Feudalismus34 war. Dabei ist unter dem Begriff Feudalismus nicht nur die feudale ‘Anarchie’ zu verstehen, die lediglich eine Variante des Feudalismus ist. Hoher Zentralisierungsgrad und Feudalismus schließen sich nicht gegenseitig aus. Die Gemeinsamkeit zwischen der europäischen und der osmanischen Spielart des Feudalismus besteht darin, daß die Feudalherren hier wie dort über einen Teil des Bodenertrags verfügten: Sie stellten den Landbebauern jeweils ein Stück Land zur Verfügung und verlangten von diesen als Gegenleistung einen Teil des Ertrags, die sog. Feudalrente. Bei der Beantwortung der Frage, ob man es in einer Gesellschaft mit dem Phänomen des Feudalismus zu tun hat oder nicht, ist die Praxis einer Feudalrente das entscheidende Kriterium.

Im osmanischen Hauptproduktionszweig, der Landwirtschaft, hatten weder die Sklaven- noch die Lohnarbeit eine wesentliche Bedeutung. Auch quantitativ also spielte die Feudalrente für das Funktionieren des Gesellschaftsaufbaus die zentrale Rolle.

Selbstverständlich gab es zwischen der europäischen und der osmanischen Spielart des Feudalismus auch beträchtliche Unterschiede. Diese Unterschiede betreffen jedoch nicht das Wesen des Feudalismus, sondern beinhalten lediglich additionelle Spielartelemente. Im Gegensatz zu ihren europäischen Pendants hatten die osmanischen Feudalherren keinerlei ständische Privilegien. Die Bauern waren ihnen gegenüber weder leibeigen noch sonst personenrechtlich abhängig. Auch verfügten die osmanischen Feudalherren über keine Gerichtshoheit, da die Rechtsprechung ausschließlich den Kadis zustand. Der wesentliche und vergleichsweise gewichtigste Unterschied zum europäischen Feudalismus bestand aber darin, daß die osmanischen Feudalherren ihre Ländereien nicht als erbliche Lehen, sondern als widerrufliche Pfründen (Präbenden) erhielten. Deshalb erscheint es folgerichtig, die zweite Phase des osmanischen Feudalismus in Abgrenzung gegen den europäischen Lehensfeudalismus als Pfründenfeudalismus (oder Präbendalfeudalismus) zu bezeichnen.

 

    1 Hierzu vgl. Hans Joachim Kissling: Rechtsproblematiken in den christlich-muslimischen Beziehungen, vorab im Zeitalter der Türkenkriege (Kleine Arbeitsreihe des Instituts für Europäische und Vergleichende Rechtsgeschichte an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz, Heft 7), Graz 1974.

    2 O. G. von Busbeck, Vier Briefe aus der Türkei, aus dem Lateinischen übers., eingel. und mit Anm. versehen von W. von den Steinen, Erlangen 1926, S. 64.

    3 Das Wort ist eine Verballhornung des persischen seray und meinte im osmanischen Sprachgebrauch den Großherrlichen Palast zu Konstantinopel, heute Topkapı Sarayı genannt.

    4 Bostancı bedeutet wörtlich ‘Gärtner’; die Angehörigen dieser Truppe hatten ursprünglich Gartendienste zu verrichten.

    5 Darunter auch christliche, d.h. byzantinische Prinzessinnen.

    6 Eunuchen waren durch Kastration zeugungsunfähig gemachte Männer. Bei den schwarzen Eunuchen sind nicht nur die Hoden, sondern auch der Penis entfernt worden.

    7 Zur Zeit Süleymans des Prächtigen führten nur die Wesire (Großwesir und Kuppelwesire) den Titel Pascha. Sie hatten Anspruch auf eine Standarte, die mit drei Roßschweifen (tuğ) geschmückt war. Um seine besondere Würde sichtbar zu machen, erhielt der Großwesir später vier oder fünf tuğ. Unter den Kuppelwesiren gab es eine hierarchische Reihenfolge: Zweiter, Dritter, Vierter usw. Wesir, wobei der Zweite Wesir der Stellvertreter des Großwesirs war.

    8 Der Janitscharenaga wurde erst in späterer Zeit ein vollwertiges Diwanmitglied, als sein Einfluß – gegenläufig zum Verfall der sultanlichen Macht – zunahm.

    9 Das Amt des Oberhaupts der Diwansekretäre (reisülküttap) neben dem fortbestehenden Amt des nişanci wurde erst zur Zeit Süleymans des Prächtigen geschaffen.

  10 Vom Staatsfiskus war der Privatschatz des Sultans deutlich getrennt.

  11 Das ursprünglich für einen Amtsträger geschaffene Amt des defterdar wurde zur Zeit Bayezits II. in diese beiden Bereiche aufgeteilt.

  12 Das bezieht sich allerdings nur auf den Bereich der im Osmanischen Reich bevorzugten hanefitischen Rechtsschule. Auf die Situation bei den anderen Rechtsschulen kann hier nicht eingegangen werden.

  13 Nur hin und wieder wurden sie aus der Finanzverwaltung übernommen.

  14 Anstelle von ‘Wilajet’ wird häufig die Bezeichnung eyalet verwendet, obwohl dieser Terminus eigentlich nicht die Territorialeinheit selbst, sondern das Amt und die Würde des Großgouverneurs bezeichnete. Dieser Ausdruck setzte sich erst gegen Ende des 16. Jh. auch für die Territorialeinheit durch.

  15 Trotzdem galt Ägypten nicht als Vasallenstaat, da hier keine einheimische Dynastie regierte, sondern der Wali, der von der Pforte eingesetzte Großgouverneur; das Land hatte infolgedessen auch keine Autonomie.

  16 Aus gelegentlichen Janitscharenmeutereien darf jedoch nicht auf eine allgemeine Disziplinlosigkeit dieser Truppe geschlossen werden.

  17 Vermutlich hieß er so, weil seine Hauptaufgabe ursprünglich in der Verteilung der Hauptmahlzeit der Janitscharen, der Suppe, bestand.

  18 Bei diesen Einheiten wurden die Kompanien als bölük bezeichnet. Orta wie bölük wurden auch oda (d.h. ‘Zimmer’) genannt, weil sie in der Kaserne in jeweils einem Schlafsaal untergebracht waren.

  19 Auch diese Kavalleristen wurden als Spahis bezeichnet; sie dürfen jedoch nicht mit den viel zahlreicheren Spahis des Provinzialaufgebots verwechselt werden.

  20 Nicht zu verwechseln mit den cebeci genannten Waffenschmieden.

  21 Nicht identisch mit den ebenfalls bölük genannten Janitscharenkompanien.

  22 Aus dem bulgarischen vojnik, ‘Krieger’.

  23 Selims I. Überwinterung anläßlich des Feldzuges l516/17 hing mit den günstigen klimatischen Bedingungen Syriens und Ägyptens zusammen.

  24 Grundeigentum wurde lediglich in Ausnahmefällen, als Geschenk des Sultans, vergeben. Es handelte sich nie um mehr als ein paar Dörfer mit ihrem Umland.

  25 Allod ist im europäischen Lehnswesen das Eigengut, als Gegenbegriff zu Lehen.

  26 Mittelpunkt einer Grundherrschaft im europäischen Feudalismus.

  27 Ein Hinweis zur Kaufkraft des Asper (akçe), der im Osmanischen Reich gültigen Geldeinheit: Ende des 15. Jh. kosteten 10 kg Mehl etwas weniger als 1 Asper und ein Schaf rund 30 Asper.

  28 Es herrscht in der Forschung allerdings keine Einhelligkeit darüber, ob die Institution tatsächlich als Pacht bezeichnet werden kann.

  29 Das osmanische mukataa-Wesen hat mit dem seldschukischen ikta-System nichts zu tun.

  30 Der Terminus raya bezeichnete faktisch jedoch nicht nur die Hintersassen, sondern sämtliche Steuerpflichtigen.

  31 Der Ursprung des Wortes ispence ist ungeklärt.

  32 Die seyyit stammen vom Prophetenenkel Husain, die şerif vom Prophetenenkel Hasan ab, beides Söhne der Prophetentochter Fatima und des Vetters des Propheten, Ali.

  33 Man ging sogar gegen den Übertritt zum Islam vor, wenn er nur aus wirtschaftlichen Gründen erfolgte; vgl. Franz Babinger, Großherrliche Schutzvorschrift gegen nutznießlichen Glaubenswechsel, in: Der Orient in der Forschung (Festschrift Otto Spies), Wiesbaden 1967, S. 1–8.

  34 Die Forschung ist allerdings hinsichtlich der Frage, ob man im Falle des Osmanenreiches überhaupt von einem Feudalstaat sprechen kann, verschiedener Meinung. Zu dieser Frage seien hier einige wichtigere Stellungnahmen genannt: Bistra A. Cvetkova, Sur certaines réformes du régime foncier du temps de Mehmet II., in: Journal of the Economic and Social History of the Orient, VI (1963), S. 104–120; Cl. Cahen, Au seuil de la troisième année: Réflexions sur l’usage du mot féodalité, a.a.O., III (1960), S. 2–10; Nicoară Beldiceanu, Recherches sur la réforme foncière de Mehmed II., in: Acta Historica – Societas Academica Dacoromana, München, IV (1965), S. 27–39; Hakkı Keskin, Die Türkei, Berlin o. J., S. 11ff. und neuerdings J. Matuz, The Nature and Stages of Ottoman Feudalism, in: Asian and African Studies. Journal of the Israel Oriental Society 16 (1982), S. 281–292.