Ein Weckruf – denn das Leben wartet nicht, und diese Krise ist keine Chance, sondern Verpflichtung
Kein Menschenleben wird ohne Krisenerfahrung gelebt, und kein Menschenleben ist ohne Krisenerfahrung lebenswert. Wir benötigen die Krise, um zu wachsen, uns zu verändern, innerlich wie auch äußerlich. Und erst dieses Wachstum lässt uns rückblickend das eigene Leben als gelungen empfinden.
Die Kunst des Lebens besteht nicht darin, keine Fehler zu machen oder Fehler zu vermeiden, sondern darin, die Fehler und die Niederlagen so zu verarbeiten und in das eigene Leben zu integrieren, dass wieder ein Dasein in Zuversicht, Freude und Sinnhaftigkeit möglich ist.
Es gibt kein Plateau, nicht den Ort der Sicherheit, ein einmal Erreichtes, von dem aus alles Zukünftige gelingen würde. Das Leben ist zu jeder Zeit gefährdet und unsicher. Es ist nie zu spät, sein Leben in die Krise zu steuern. Gewöhnen Sie sich an diesen Gedanken. Je schneller, desto besser.
Falls es Menschen gelingt, ohne Rückschläge, ohne Krisen durch ihr Leben zu steuern, so ist dies primär Glück und Zufall und nicht Verdienst oder Konsequenz irgendeiner geheimen Erfolgsformel.
Ich beneide solche Menschen nicht, denn ein inneres Wachstum ist dadurch weder nötig noch möglich. Wahre Schönheit des Lebens entsteht durch innere Veränderung, innere Sturmreife, innere Flexibilität und Reife, durch das Wissen, eine Krise durch innere Arbeit gemeistert und überwunden zu haben.
Wenn ich in den vergangenen Kapiteln also von der Normalität der Krise sprach, bedeutet dies nicht, dass Sie sich resignativ der Krise hingeben sollen. Das Erkennen der Normalität soll vielmehr zu Anerkennung und Akzeptanz führen, die Krise als etwas Regelhaftes zu sehen. Ihre Fragenkaskaden »Warum ich? Warum mir? Warum jetzt?« sollten dadurch stiller werden.
So normal die Krise ist, ist diese Erkenntnis eben genau kein Grund, in der Krise zu verharren, sich der Krise hinzugeben. Vielmehr entsteht aus dieser Erkenntnis die umgekehrte Verpflichtung, die Krise zu überwinden, aus ihr Veränderung zu pressen und zu schöpfen, zu wachsen, Neues zu lernen, danach zu handeln und in das Leben zu integrieren
Normalität heißt deshalb, dass wir eine Verpflichtung haben, auf die Krise zu reagieren. Die Krise spricht zu uns und sagt: »So kann es nicht weitergehen. Du musst dein Leben ändern. Du musst dein Denken ändern. Du musst dein Handeln ändern.« Und die Krise stellt Fragen: »Wie soll, wie kann es weitergehen?« Das Leben fragt, und wir haben die Verpflichtung, Antworten zu finden. Die Krise ist keine Chance, sondern Verpflichtung zum Wachstum und zur Veränderung.
Nur durch Wachstum, durch gelebte Veränderung, findet die Krise ein Ende, nur so überwinden wir die aktuelle Situation, nur so finden wir wieder in die Zuversicht, in die Lebendigkeit, in die Freude, ja generell ins Leben. Und halten Sie sich dabei die von mir immer wieder erwähnten wesentlichen aktuellen Erkenntnisse unterschiedlichster wissenschaftlicher Disziplinen vor Augen: Diese Veränderung ist möglich, weil unser ganzer Organismus, unser Gehirn, unsere Persönlichkeit, unser Denken und Fühlen, unser Stoffwechsel für die Veränderung, für das Wachstum gemacht ist. Das ist die zentrale wissenschaftliche Erkenntnisrevolution der Persönlichkeitsforschung der letzten beiden Jahrzehnte. Verpassen Sie diese Chance nicht!
Verwechseln Sie deshalb Normalität nicht mit Resignation. In der Akzeptanz der Normalität liegt die Kraft, deutlicher in die Veränderung zu kommen, weil diese Akzeptanz uns mit der Wahrheit der menschlichen Existenz, mit der Wahrheit allen Lebens in höherer Ruhe und Gelassenheit vertraut macht.
Erst die Akzeptanz der Normalität der Krise lässt unsere inneren Paniksysteme, unsere innere Alarmbereitschaft, unsere inneren Gefühlsmonster zur Ruhe kommen. Und erst in dieser höheren Ruhe und Gelassenheit sind wir wieder in der Lage, uns unserer reflexiven, variablen Menschlichkeit zu bedienen, und nur in diesem inneren Zustand sind innere und dadurch äußere Veränderungen möglich. Und genau diese Veränderungen sind nötig, um die Krise hinter uns zu lassen.
Die Krise sagt: »Deine bisherigen Strategien des Lebens waren nicht erfolgreich. Schlimmer noch: Deine bisherigen Strategien und Reaktionen, dein bisheriger Umgang mit den Herausforderungen des Lebens haben dich genau in diese Krise geführt, in der du jetzt bist. Es ist deshalb deine erste und wichtigste Selbstverpflichtung, dich von deinen bisherigen Strategien, Überzeugungen, Ideen, Gedanken, Gefühlen und Handlungen zu verabschieden, die du so schlafwandlerisch beherrschst, und Neues, Konträres und anderes in dein Leben zu integrieren, zu wachsen, dich zu verändern und die Krise hinter dir zu lassen.«
Deshalb ist die Krise in einem ersten Schritt Stoppsignal und Unterbrechung. Die Krise ist Irritation und Überraschung. Die Krise ist Signal und Störung. Die Krise sagt: »Du musst dein Leben ändern und du musst dein Ändern leben.«
Die Gegenwart der Krise ist nichts als der Übergang in eine ungewisse Zukunft, die wir gerade deshalb mutig gestalten müssen. Und das tun Sie besser heute als morgen, denn das Leben wartet nicht, es geht einfach weiter und im schlimmsten Fall vorüber, ohne dass Sie die notwendigen und wichtigen Veränderungen initiiert haben. Das wollen wir verhindern.
Am Ende geht es immer ums Beginnen und ums Verändern. Und genau davon handeln die weiteren Kapitel dieses Buches.