Eine Art Vokabeltest

Zwanzig Begriffspaare, die Sie nie wieder verwechseln, vermischen oder vergessen sollten und mit deren Hilfe Ihr Leben von jetzt an leichter wird

In diesem Kapitel finden Sie zwanzig Begriffspaare, die ich Ihnen in der jeweiligen Unterscheidung vorstellen möchte. – Warum sollten wir uns in diesem Buch mit einzelnen Vokabeln oder Begriffen beschäftigen? Weil diese uns helfen, uns besser zu verstehen und zu stabilisieren. Worte helfen uns einen Unterschied in uns selbst zu initiieren, da sie uns das Gerüst der Differenzierung geben. Trost, Hilfe entsteht so erst einmal nebenbei, einfach durch die Einführung der Unterscheidungen mit diesen Wortpaaren.

Worte haben Kraft. Unterschätzen Sie nie die Macht von Sprache und wie durch Begriffe, die wir nutzen oder weglassen, unser Denken und Fühlen und die Möglichkeit unserer Handlungen geprägt wird. Ähnlich wie im Kapitel über Gefühle, als ich Ihnen die Unterscheidung zwischen Emotion und Gefühl dargelegt habe, werden Ihnen die in diesem Kapitel folgenden Begriffspaare helfen, in Ihrem Denken eine Binnendifferenzierung vorzunehmen. Und Sie werden im späteren Kapitel »Wertearbeit« noch eine Unterscheidung kennenlernen, nämlich die wesentliche Unterscheidung zwischen Werten und Zielen. Dadurch kommen Sie in die Lage, Ihre Situation klarer und präziser zu benennen und so von Ihrem generalisierten Krisen- und Ohnmachtsdenken wegzuführen.

Nehmen Sie die Begriffe und die Unterscheidungen in sich auf und bemerken Sie, wie dadurch ein Unterschied möglich wird. Und bringen Sie diese Erfahrung in den Kontext der Begriffe Innere Freiheit, Selbststeuerung und psychologische Flexibilität, die ich schon im Vorwort genutzt habe. Sämtliche Ausführungen in diesem Buch dienen dem Zweck, Ihre innere Freiheit zu erweitern und Ihre Kompetenzen der Selbststeuerung auszubauen: Indem ich von der Unterscheidung der Begriffe Notiz nehme, bin ich in der Lage, in mir eine Gedanken- und Zuordnungsunterscheidung vorzunehmen, die mich aus der Ohnmacht und Hilfslosigkeit herausführt. Bin ich in der Lage flexibler und besser zu denken, zu fühlen und zu handeln.

Denken Sie immer daran, was wir in den ersten Kapiteln gelernt haben: Wir neigen zu Krisendenken und Krisenfühlen. Zur Stabilisierung und zur Überwindung der Krise ist dies aber der schlechtmöglichste Zustand, in den wir uns versetzen können. Nutzen Sie deshalb die Kraft dieser Wörter, um für sich selbst einen Unterschied zu machen und eine Unterscheidungskompetenz zu erlangen: Sie werden dadurch Ihr Denken, Ihr Fühlen, Ihr Handeln, Ihr Reflektieren, Ihr Erleben mit anderen Begriffen neu beschreiben und besser begreifen. Diese Möglichkeit geben uns Wörter, nutzen Sie diese, um besser durch Ihre aktuelle Lebenssituation zu navigieren und halten Sie diese Unterscheidungen aktiv, da die dann folgenden Kapitel aus dem Verständnis und unter Verwendung dieser Begriffe formuliert sind.

Vorabinfo: Der jeweils erste Begriff der Paare ist zur Überwindung einer Krise immer der sinnvollere.

1. Selbst vs. Ich

Als »Selbst« bezeichnen wir uns in der Beobachtung unseres Ichs. Als Synonym für das Selbst wird zum Beispiel auch »das beobachtende Ich« genutzt.

Die zentrale Leistung des Menschen liegt in seiner Fähigkeit, sich selbst zu beobachten und über sich selbst Auskunft zu geben. (Ich bin traurig. Ich bin wütend. Ich bin ängstlich.) Dies ist eine wichtige Gabe, die wir möglichst nie vergessen sollten und die den Menschen einzigartig macht, da kein anderes uns bekanntes Wesen zu dieser bewussten Unterscheidung, also das Nachdenken über sich selbst und das Beobachten seiner selbst, fähig ist.

In Therapie und Forschung hat sich deshalb die Unterscheidung zwischen Selbst und Ich eingebürgert. Das Ich erlebt etwas, reagiert auf etwas und wird eins mit dem Erleben. Das Ich ist fröhlich oder traurig. Ängstlich oder wütend. Das Selbst ist in der Lage, das Ich in seiner Emotion, in seinen Gedanken, seiner Angst, seiner Trauer, seiner Wut zu beobachten und zu benennen. In den Zuordnungen der Hirnforschung handelt es sich beim Ich-Erleben um Aktivitäten in den beiden älteren Hirnarealen Stammhirn und limbisches System, während das Selbst-Erleben dem Großhirn und speziell dem präfrontalen Cortex, also dem Stirnhirnbereich vorbehalten ist.

Wenn wir in der Freude, im Vergnügen, im Spiel sind, sollten wir uns unserem Ich-Empfinden hingeben und danach im Selbst-Modus dankbar sein, diese Freude erlebt zu haben. In der Angst, in der Trauer, in der Hilflosigkeit sollten wir aber im Erleben der negativen Emotion schnellstmöglich in den Selbst-Modus umschalten. Wir sagen dann nicht: »Ich bin traurig, ich bin nur noch Wut«, sondern: »Ich beobachte, wie ein Teil von mir in die Wut geht. Ich sehe mich in meiner Angst oder Trauer. Ich sehe, wie die Wut oder Angst mir gerade vorschlägt, alles ihrer Kontrolle zu unterwerfen. Aber ich weiß, dass ich mehr bin als meine Wut oder Trauer. Ich finde gute Antworten auf die Herausforderungen meines Lebens, auch wenn in mir gerade große Anteile wütend, hilflos, ängstlich sind und ich aktuell auch noch keine belastbar gute Antwort habe. Ich bin mehr als meine Wut, die Angst ist nur ein Teil von mir. Ich beobachte mich dabei, wie ein Teil von mir den Gedanken und das Gefühl hat, dass ich wütend, hilflos, ängstlich bin.«

Auch wenn diese Formulierungen aktuell für Ihre Ohren gestelzt und etwas sperrig klingen sollten: Üben Sie sich in dieser Ich-Beobachtung und Ich-Beschreibung aus dem klugen, reflektierten Blick des Selbst heraus. Gehen Sie immer wieder in den Selbst-Modus, und beschreiben Sie aus dieser Position das Erleben Ihres Ichs. Erleben Sie dadurch, dass Sie immer mehr sind als Ihr unmittelbares Fühlen oder Denken.

Wir Menschen haben immer den Ort des Selbst. Ein Ort der Sicherheit und der Reflexion, von dem aus wir unsere Gefühle und Gedanken beschreiben können. Das ist ein großes Geschenk. Nutzen Sie diese Gabe, und erleben Sie dadurch, dass Sie immer mehr sind als nur Ihre unmittelbaren leidhaften Gedanken oder Gefühle: Sie sind auch immer das beobachtende Selbst, das sich während schmerzhafter Gedanken und Gefühle selbst betrachten und diese negativen Gedanken und Gefühle als solche benennen kann.

Vergleichen Sie Ihr Ich und Ihr Selbst zum Beispiel mit Ihrem Auge und Ihrem Gehirn. Das Auge verarbeitet unmittelbar Ihre visuellen Sinneseindrücke, auf Ihrer Netzhaut entsteht ein Bild: Tisch, Baum, Haus, Auto. Ihr Gehirn ist in der Lage zu sagen: »Ich sehe durch mein Auge einen Tisch, einen Baum, ein Auto.« Das mag wie ein unwesentlicher Unterschied klingen, es ist aber ein wesentlicher. So verhält es sich mit Ihrem Ich und Ihrem Selbst. Nur Ihr Selbst ist in der Lage, ein Besser oder Schlechter, eine Einordnung vorzunehmen und neben der Technik der Beobachtung auch eine Technik der Relativierung anzuwenden. Nur aus dem Selbst heraus können Sie sagen: »Auch wenn ich gerade nicht weiß, wie es finanziell weitergehen kann, habe ich zum Beispiel meine Freunde, meine Familie, meine Gesundheit. Im Ich-Modus bin ich immer in der Unmittelbarkeit meines aktuellen Schmerzes.«

Formulieren Sie mit dieser Kenntnis auch den berühmten Satz von René Descartes »Ich denke, also bin ich« um zu »Ich beobachte mich, also bin ich«. Denn das ist die eigentliche und besondere Befähigung des Menschen. Nutzen Sie diese, um von Ihrem Menschsein bestmöglich Gebrauch zu machen.

Falls Ihnen die Unterscheidung von Selbst und Ich zu kompliziert ist, können Sie auch mit den Begriffen »beobachtendes Ich« (Selbst) und »erlebendes Ich« (Ich) arbeiten. Manchen Klienten fällt diese Unterscheidung leichter.

2. Differenzierung vs. Verschmelzung

Während die Unterscheidung von Ich und Selbst uns hilft, in zwei unterschiedlichen Ich-Zuständen zu denken, helfen uns die Begriffe »Differenzierung« und »Verschmelzung«, in zwei unterschiedlichen inneren Reaktions- oder Bewältigungsstrategien zu handeln. Es gibt Klienten, die mit beiden Begriffspaaren arbeiten, andere entscheiden sich nur für ein Begriffspaar und erzielen damit gute Ergebnisse. Wenn Sie beide Begriffspaare nutzen wollen, dann sehen Sie Ihr Selbst als den Ort an, aus dem heraus Sie in Differenzierung handeln können, während Ihr Ich Ihnen immer Verschmelzung als Handlung vorschlägt.

Differenzierung bezeichnet unsere Fähigkeit, uns selbst in der Trauer, in der Angst, in der Freude wahrzunehmen und unsere äußeren Handlungen, unser Agieren mit unserer sozialen Umwelt davon zu trennen: »Ich beobachte mich dabei, wie ich den Gedanken, das Gefühl habe oder wie Teile von mir den Gedanken oder das Gefühl haben, traurig, hilflos oder ängstlich zu sein. Ich sehe, dass dies nur ein Teil von mir ist, dass ich dieses Gefühl oder diesen Gedanken zulassen und trotzdem gerade notwendige Tagesaufgaben erledigen kann. Der Umstand, dass ich gerade – auch – sehr traurig bin, hält mich nicht davon ab, auch zu lachen, aufzustehen oder ein notwendiges Telefonat zu führen. Mein Selbst ist durch Differenzierung in der Lage, unmittelbare Emotionen als solche anzuerkennen, diese stehen zu lassen und trotzdem sinnvolle Handlungen zu initiieren, die im Kontrast zur unmittelbaren Emotion stehen.«

Differenzierung ist also die Fähigkeit, trotz emotionaler Belastung, trotz schwieriger Zeiten sinnvolle Handlungen zu vollziehen, und eine Entscheidung für die kluge Handlung und gegen die Hingabe (Verschmelzung) in die negative Emotion. – Achten Sie bitte darauf, dass ich hier nicht sage, dass Ihr Selbst in der Lage sein muss, Emotionen und Gedanken zu kontrollieren, zu unterdrücken oder krampfhaft darin eine Chance oder Positives zu finden. Das ist gar nicht notwendig, es reicht vollkommen, wenn Sie Ihre negativen Gedanken und Gefühle wahrnehmen und annehmen (siehe hierzu auch das Wortpaar »Akzeptanz vs. Kontrolle«). Differenzierung ist das Bewusstsein trotz der Angst, trotz der Trauer sinnvolle Handlung initiieren zu können.

Verschmelzung ist das Gegenteil davon. Verschmelzung führt meist zu Lähmung, Passivität, Erlebnisvermeidung, Resignation. In der Verschmelzung bin ich meine Angst, meine Trauer. Ich übergebe die gesamte Kontrolle für alle Gedanken, Gefühle und besonders Handlungen an meine Angst, meine Trauer, meine Sorge. Ich bin dann nichts außer meiner Angst, meiner Trauer. Meine Angst, meine Trauer darf über mich und jede meiner Handlungen bestimmen. Verschmelzung ist immer total und absolut. Differenzierung ist immer relativ und partiell.

Während in der Freude eine Verschmelzung positiv ist, da wir dadurch eins werden mit der Freude und uns den guten Gefühlen hingeben können, sorgt der gleiche Mechanismus bei Ängsten, Sorgen oder Trauer für die Verstärkung des negativen Erlebens und für die Verhinderung von sinnvollen Handlungen, die uns aus der Krise führen. Verschmelzung bei negativen Emotionen und Gedanken manifestiert die Krise, lähmt uns und verhindert Veränderung. Differenzierung reduziert das Krisenerleben, lässt uns handeln und fördert Veränderung.

Deshalb gilt als einfache Faustregel: Bei positiven Emotionen sollte man die Verschmelzung zulassen und forcieren, da uns die Verschmelzung erlaubt, längstmöglich in der Freude, in der Zufriedenheit, in der Euphorie zu bleiben. Bei negativen Emotionen sollte man eine Verschmelzung in der Selbstbeobachtung benennen, unterbrechen, verhindern, mildern – und wenn dies in einem ersten Schritt nur darin besteht, sich seine Verschmelzung zuzugestehen.

Die meisten erleben in ihrem Erwachsenenleben genau die umgekehrte Dynamik: In der Freude sind wir unfähig, mit dieser zu verschmelzen, sie zu genießen und zuzulassen, und in unseren Ängsten werden wir durch Verschmelzung zu Gefangenen unserer negativen Emotionen und Gedanken.

Integrieren Sie von nun an bitte die beiden Begriffe in Ihr Denken, und beobachten Sie sich dabei, ob und wie Sie eher zur Verschmelzung oder zur Differenzierung neigen. Und ob Sie rückblickend Situationen benennen können, in denen Sie zur Verschmelzung oder zur Differenzierung neigten und was wann für Sie hilfreich und gut war. Oder wie Sie heute darüber denken: »Rückblickend hätte ich mehr Freude gehabt, wenn ich mich in dem Urlaub vor drei Jahren nicht den Sorgen aus meinem Job hingegeben hätte, sondern das schöne Wetter, das blaue Meer und die Gegenwart meiner Freunde für die Zeit meines Urlaubs genossen hätte.« Werden Sie aktiv, und fragen Sie sich drei-, viermal am Tag: »Lasse ich gerade Verschmelzung zu oder übe ich mich in Differenzierung?« Werden Sie so zum Beobachter Ihrer eigenen Strategien und dadurch kompetenter, diese zu überwinden.

3. Pilot vs. Autopilot

Diese Begrifflichkeit hatte ich schon in den ersten Kapiteln genutzt. Erinnern Sie sich daran, dass Ihr Körpergedächtnis, die frühen Erfahrungen Ihrer Kindheit, Ihre geübten und erlernten Reaktionsmuster, Ihre neuronalen Muster oder Autobahnen, Ihr Energiesparmodus in Krisenzeiten und vermeintlichen Angst- oder Gefahrensituationen Ihnen immer wieder den gleichen, alten Weg vorschlagen. Wir sind dann in einer Art Autopilotenmodus. Einmal damit angefangen, spulen wir das ganze Programm gern bis zum Ende ab. Wir halten an diesen Wiederholungen fest, da wir in früheren Zeiten damit Erfolg hatten, da uns diese Wiederholungen vertraut sind, da unsere inneren Systeme diese Wiederholungen als schnellste Antwort parat haben und da diese Wiederholungen am wenigsten Energie verbrauchen.

Aus Sicht unseres Gefahren- und Angstgehirns, unseres Körpergedächtnisses ist dies nur folgerichtig und die bestmögliche Antwort, die wir finden können. Was im Autopilotenmodus völlig unberücksichtigt bleibt, ist die Frage, ob die Wiederholung der alten Strategie heute, hier und jetzt, in der konkreten Situation, in unserer körperlichen Erwachsenheit, mit den aktuellen Möglichkeiten unserer reflexiven, einordnenden Gehirnteile wirklich immer noch die bestmögliche Antwort ist. Von der frühkindlichen Wut, der frühkindlichen Verzweiflung, dem frühkindliche Ausrasten oder der frühkindlichen Hilflosigkeit wissen wir nur, dass sie die bestmögliche und notwendige Antwort in unserer frühen Kindheit war.

Sie können sich auch in konkreten Situationen der Angst, der Unsicherheit, der Trauer fragen: »Wie alt ist meine Reaktion? Wann war ich schon einmal ängstlich, unsicher, traurig? Welche früheste Erinnerung an Angst, Unsicherheit, Trauer habe ich?« Sie können sich immer sicher sein, dass Ihr Autopilot sich genau auf diese frühe Reaktion bezieht, sich daran erinnert und Ihnen deshalb genau jetzt vorschlägt, wieder in diesen Modus zu gehen, da es vor langer Zeit eine erfolgreiche Strategie war.

Werden Sie zum Piloten Ihres Verhaltens und Ihrer Handlungen. Übernehmen Sie wieder das Steuer, und finden Sie auf die heutigen Herausforderungen Ihres Lebens heutige Antworten, egal, was Ihr Autopilot Ihnen vorschlägt. Misstrauen Sie entsprechend den spontanen, schnellen Antworten, die Ihnen Ihr Körper, Ihr Energiesparmodus oder Ihr Angstgehirn vorschlagen. Sagen Sie sich immer: »Ich kann bessere Antworten als die spontanen, ersten, schnellsten finden«, und denken Sie immer daran, dass Ihr Autopilot primär das Ziel verfolgt, Ihren inneren Schmerz, die Angst oder die Trauer zu überwinden, nicht aber eine Lösung zur Überwindung der Krise zu finden. Das ist ein wesentlicher Unterschied. (Eine Vertiefung dieser Arbeit finden Sie in dem Kapitel »Ich ist ein Feigling – aber nicht mehr lange!«)

4. Adler vs. Maulwurf

Ein zentraler Leitspruch in meiner therapeutischen Arbeit mit Klienten in der Krise lautet: »Was dem Maulwurf Mühe, ist dem Adler Weisheit.« Auch in diesem Satz steckt, wie in den Begriffspaaren zuvor, die Einladung, die Perspektive zu wechseln: Der blinde Maulwurf spürt und realisiert nur, was ihm direkt vor der Schnauze liegt und an Last und Erde aufgebürdet wird, der Adler hat die Möglichkeit, eine Perspektive zu entwickeln, die das Gestern und Morgen mit einbezieht (siehe hierzu vertiefend das Kapitel »Ein Hoch auf das Gestern und Morgen«).

Beobachten Sie sich: »Bin ich gerade Maulwurf? Was, wenn ich Adler werde? Was sehe ich dann, was ich als Maulwurf nicht sehe? Woher kommt meine Verzweiflung? Meine Verzagtheit? Und wohin führt mich der Weg, auf dem ich gerade Schwierigkeiten habe voranzukommen? Die Perspektive des Adlers löst nicht meine Probleme, löst die Krise nicht auf, aber sie gibt dem aktuellen Erleben, den aktuellen Schwierigkeiten einen Kontext von Herkunft und Zukunft und lässt mich dadurch das Aktuelle besser, ruhiger, zuversichtlicher, stoischer fortsetzen oder auch beenden, weil ich aus der Perspektive des Adlers erkenne, dass es gerade bessere Handlungen gibt als die, die der Maulwurf vorschlägt.«

5. Lebenswächter vs. Leibwächter

Eng verwandt mit »Pilot vs. Autopilot« oder »Adler vs. Maulwurf« und doch mit einem anderen Fokus und dadurch wichtig!

Bedenken Sie immer nach der Lektüre der ersten beiden Kapitel: Ihr Geist, Ihr Körper will Sie beschützen. Die ersten Reaktionen von Körper und Geist sind Abwehr des Schmerzes, Abwehr der Zumutung. Ihr spontaner Geist und Ihre unmittelbare Körperreaktion haben entsprechend eine Art Leibwächterfunktion (einzig mit dem Ziel, den Körper zu beschützen), und wir geben uns gern dieser Reaktion hin, da wir ja unmittelbar erleben, dass dadurch Stress, Schmerz oder Trauer nachlassen. Ihr Leibwächter agiert immer nur aus den Belastungen und Bedrohungen des Hier und Jetzt, der absoluten Gegenwart heraus. Eine klassische Leibwächterreaktion ist zum Beispiel Wegrennen, Ablenkung oder Alkoholkonsum. Dies führt aber meist dazu, dass der Vorschlag des Leibwächters uns von unseren Werten, unserem Lebenssinn, unseren eigentlichen Zielen wegführt.

Ganz anders der Lebenswächter: Der Lebenswächter in Ihnen möchte, dass Sie ein sinnvolles und Ihren Zielen und Werten verbundenes Leben leben. Der Lebenswächter agiert aus dem Wissen von Gestern und Morgen, von Vergangenheit und Zukunft, von Verantwortung und Konsequenz. Er bleibt auch in der Krise den Werten und Zielen, die Ihnen wichtig sind, verbunden. Und auch wenn der Weg des Lebenswächters manchmal kurzfristig schmerzhafter ist und uns Überwindung kostet, ist es oft sinnvoller, den Vorschlägen des Lebenswächter zu folgen als den Vorschlägen des Leibwächters.

Unterscheiden Sie also Ihre inneren Stimmen zwischen Leibwächter und Lebenswächter, und entscheiden Sie dann, welchem Wächter Sie die Kontrolle über die konkrete Situation und über Ihr Leben übergeben. Oder reflektieren Sie im Nachgang eine Situation, und fragen Sie sich, was Sie getan hätten oder jetzt noch tun könnten, wenn Sie die Verantwortung für Ihre Reaktion anstatt Ihrem Leibwächter Ihrem Lebenswächter übergeben (hätten). (Vertiefende Ausführungen hierzu finden Sie im Kapitel »Ich ist ein Feigling – aber nicht mehr lange!«.)

6. Innerer Freund vs. innerer Richter

Schauen Sie voller Liebe und Freundschaft auf sich. Was geschehen ist, ist geschehen. Was ist, das ist. Seien Sie wohlwollend sich selbst gegenüber. Beschimpfen Sie sich nicht. Kritisieren Sie sich nicht. Ärgern Sie sich nicht. Weil es nicht sinnvoll ist. Weil Sie mit Selbstkritik, Selbstbeschimpfung, Selbstärger keinen Schritt vorankommen. Seien Sie sich selbst gegenüber der beste, wohlwollende, tröstende, unterstützende, verständnisvolle Freund. Weil nur aus dieser Haltung eine Veränderung, Energie, Trost und Zuversicht kommen können.

Wir alle kennen diese innere Stimme, die über uns urteilt, die uns verurteilt: »Du hast versagt. Du bist nicht gut. Du genügst nicht. Du wirst es nie schaffen. Du machst alles falsch.« Vermeiden Sie es, dieser Stimme Raum und Energie zu geben. Sie gehört Ihrem inneren Richter, dem inneren Kleinmacher, dem inneren Beschimpfer. Danken Sie der Stimme, aber folgen Sie ihr nicht.

Hören Sie besser auf die Stimme Ihres inneren Freundes, die sagt: »Wir schaffen das. Ich weiß zwar noch nicht, wie, aber wir werden einen Weg, gute Antworten finden. Wir können an dem, was passiert ist, aktuell nichts mehr rückgängig machen, und wir werden bestmöglich mit dem, was ist, umgehen. Du bist ein guter, liebenswerter Mensch. Du genügst. Du wirst es schaffen.«

7. Selbstfürsorge vs. Selbstbekämpfung

Damit eng verwandt sind die Begriffe »Selbstfürsorge« und sein Gegenpart, die »Selbstbekämpfung«. Der innere Richter fördert und fordert Selbstbekämpfung, der innere Freund fördert und sorgt für Selbstfürsorge.

Tun Sie sich Gutes, wenn es Ihnen schon nicht gut geht. Das ist das größte und wichtigste Geschenk, das Sie sich machen können und machen müssen, damit es Ihnen besser geht und das Leben wieder besser wird.

Beachten Sie bei der Selbstfürsorge bitte folgende Unterscheidung, die uns auch im Kapitel »Ich ist ein Feigling – aber nicht mehr lange!« noch einmal zentral beschäftigen wird: In der unmittelbaren Realisierung der Krise, der Gefahr, der Angst können Akte der Selbstfürsorge Rückzug, Ruhe, Ablenkung sein und dienen der konkreten Schmerzregulierung. Bis zu einem gewissen Grad ist das in Ordnung und auch notwendig, um dem Schmerz, der Krise auch etwas Relativierendes, Erholendes entgegenzusetzen. Die Verstetigung dieser Handlungen kann aber mittel- und langfristig zu einem Akt der Selbstbekämpfung werden, wenn diese Handlungen uns von unseren eigentlichen Zielen und Werten abbringen. Schlafen, Sport machen, Serien schauen kann am Anfang einer Krise ein Akt der Selbstfürsorge sein, um die Wucht des Schmerzes für die Dauer der Aktivität zu mildern. Wenn diese Aktivitäten aber zu viel Raum und Zeit einnehmen, werden sie zu einem Akt der Selbstbekämpfung, da sie uns davon abhalten, die wesentlichen und richtigen Dinge voranzubringen, die uns wirklich helfen die Krise zu überstehen und zu überwinden, und nicht nur die Funktion haben, uns von der Krise abzulenken (siehe hierzu auch das Begriffspaar »Schmerz vs. Leid«).

8. Binnenregulation vs. Außenregulation

Alle bisher vorgeschlagenen Begriffe (und die meisten der folgenden auch) sollen Sie kompetenter in Ihrer sogenannten Binnenregulation machen.

Binnenregulation ist die Fähigkeit, Ihre eigenen Gedanken, Gefühle, Sorgen und Ängste einzuordnen, zu regulieren, kompetent darauf zu reagieren, sich selbst zu beruhigen und zu beschützen, obwohl im Außen keine Änderung stattgefunden hat. Beachten Sie das bitte: Unsere Erstreaktion auf die Krise ist immer die Hoffnung, dass sich im Außen etwas verändert. Das ist aber nicht in unserer Kontrolle.

In der Belastung fokussieren wir uns oftmals zu sehr darauf, die Regulation der Krise oder Herausforderung singulär durch eine Veränderung im Außen zu erwarten (ein Wunder, ein Anruf, ein Zufall, ein neuer Mensch, eine neue Arbeitsstelle, ein Rückgängigmachen, eine Entschuldigung, ein Erwachen aus dem Albtraum). Sie werden diese Gedanken nach einem rettenden, alles wiedergutmachenden Außen nicht abstellen können, aber Sie sollten sich gleichzeitig immer fragen, was Sie bei sich, in sich als Akte der Binnenregulation zusätzlich machen können, damit es Ihnen besser geht, damit Sie sinnvolle Schritte in eine bessere Zukunft gehen können. Die Veränderung nur im Außen zu erwarten ist zu wenig.

Binnenregulation bedeutet die Fähigkeit, die eigene Wut, den eigenen Ärger, Frust, die Trauer und den Schmerz zuzulassen, aber nicht die Kontrolle übernehmen zu lassen (siehe hierzu auch »Differenzierung vs. Verschmelzung«). In der Unterscheidung zum Begriffspaar Differenzierung und Verschmelzung geht es hier aber um den beliebten Mechanismus, alle Erlösungen und Lösungen für die aktuelle Krise im anderen, im Außen zu erhoffen, ja zu erwarten und keinen eigenen Anteil an der Veränderung beitragen zu wollen.

Die menschliche Fokussierung auf eine Außenregulation hat zentral mit unseren frühkindlichen nachgeburtlichen Erfahrungen zu tun (siehe das Kapitel »Vor der Geburt war es doch am schönsten …«). Aus unserer damaligen Hilflosigkeit und aus dem Erleben, dass das Außen uns seinerzeit permanent gerettet und umsorgt hat, leiten wir bis in unser Erwachsenenalter ab, dass dieser Mechanismus auch heute noch funktionieren kann oder muss. Sätze wie »Du bist schuld«, »Mein Chef ist schuld«, »Die müssen doch etwas für mich tun«, »Das System ist schuld«, »Du musst mich retten« oder »Wenn du gehst, bin ich verloren« sind Ausdruck dieser Haltung.

In der Binnenregulation habe ich die Fähigkeit, mich in der Krise nach einer gewissen Zeit auch selbst zu beruhigen, zu erholen und zu entspannen, meinen Zustand einzuordnen, zu relativieren. Ich habe die Kapazitäten, meine Aufmerksamkeit auf Schritte und Handlungen zu richten, die notwendig sind, um gute und sinnvolle Handlungen zur Überwindung meiner aktuellen Situation zu initiieren.

Nichts spricht dagegen, sich durch ein Außen retten zu lassen. Allerdings werden die Chancen mit zunehmendem Lebensalter immer geringer, dass Sie jemanden finden, der Sie in Unbedingtheit retten möchte. Weil niemand mehr in Ihnen ein hilfloses Kleinkind oder eine bedürftige jüngere Variante seiner eigenen Existenz sieht. Verlassen Sie sich also bitte nicht auf dieses Außen. Aktivieren Sie stattdessen Ihre binnenregulatorischen Energien und Möglichkeiten, sodass Sie sich selbst bestmöglich darin unterstützen, einen Weg aus der Krise zu entdecken. Und fragen Sie sich immer wieder: »Was kann ich jetzt hier aktuell noch tun, um einen guten Weg aus dem Schmerz zu finden? Wodurch kann ich mich selbst unterstützen, diese Zeit gut zu überstehen und gleichzeitig Veränderung zu initiieren?«

Erlauben Sie mir hier eine kleine Zwischenbemerkung: Sie merken, dass es Schnittmengen zwischen den Begriffspaaren gibt. Was ich im vergangenen Absatz ausgeführt habe, hätte ich auch bei der Selbstfürsorge oder dem Inneren Freund schreiben können. Bei anderen Begriffen ist das ähnlich. Das ist beabsichtigt, unvermeidbar und gut so. Fragen Sie sich bitte nicht, wie sich genau und präzise das eine Begriffspaar vom anderen unterscheidet. Ich will Ihnen eine Vielzahl manchmal überlappender Begriffe und Vokabeln nahebringen. Sie werden daraus etwas Gutes und Hilfreiches für sich machen. Das weiß ich. Und wenn das bedeutet, dass Sie von nun an mit allen Begriffen arbeiten, ist das ebenso gut, wie wenn Sie sich nur für eine Auswahl der sich überschneidenden Begriffspaare entscheiden. Wesentlich ist, dass Sie möglichst viele Wörter in Ihr Aktivdenken übernehmen, um einen Unterschied in Ihnen und in Ihren Handlungen zu machen. Welche das sind und wie Sie diese voneinander abgrenzen, ist zweitrangig.

Und weiter geht es …

9. Akzeptanz vs. Kontrolle

Akzeptanz bedeutet, Gedanken und Gefühle zuzulassen. Kontrolle ist der Versuch, Gedanken und Gefühle einzudämmen, in bestimmte Richtungen zu lenken, sich selbst dienlich zu machen. Kontrolle will Vermeidung. Kontrolle versucht, Trauer, Schmerz, Unsicherheit wegzudrücken und durch die Fokussierung zum Beispiel auf Chancen in der Krise zu vermeiden.

Viele Jahrzehnte waren Therapeuten obsessiv damit beschäftigt, Klienten dabei zu helfen, dass sie ihre Gedanken und Gefühle unter Kontrolle bringen. Seit ein paar Jahren wissen wir aber, dass es viel zielführender ist, wenn wir uns beruhigen, indem wir uns die Normalität unserer Angst, Trauer, Unsicherheit vor Augen führen und akzeptieren, dass diese Begleiter unseres Lebens sind. Und da Sie die vorhergehenden Kapitel gelesen haben, wissen Sie auch, warum das so ist und dass es kaum eine Möglichkeit gibt, sich dagegen zu wehren.

Oftmals verbringen wir viel Zeit damit und vergeuden dabei viel Energie, unser Denken und Fühlen unter Kontrolle bringen zu wollen.

Akzeptieren Sie alle Gefühle und Gedanken, die kommen. Integrieren Sie diese in Ihr Leben, und sagen Sie sich: »Es ist ganz normal, dass ich jetzt traurig oder unruhig bin.« Oder besser: »… dass gewisse Anteile in mir Trauer oder Unruhe als Bewältigungsstrategie vorschlagen, da etwas mir Wichtiges und Schönes gerade zu Ende geht und ich nicht weiß, wie es weitergehen wird/da ich nicht weiß, ob ich jemals wieder lieben kann/da ich nicht weiß, ob ich wieder eine Arbeit finde/da ich nicht weiß, wie ich kommenden Monat meine Miete bezahlen kann/da ich nicht weiß, ob ich wieder gesund werde.«

Akzeptieren Sie, dass in solchen Momenten Gefühle und Gedanken der Angst, der Unruhe, der Trauer normal sind. Auch wenn das seltsam klingt: Sie sind beruhigende Zeichen Ihrer tiefen Menschlichkeit. Das kann auch dazu führen, dass Sie ein paar Tage keine Lust haben aufzustehen, keine Lust haben, Freunde zu sehen, keine Idee von Freude oder Energie haben. Akzeptieren Sie auch solche Phasen als normal. Vertrauen Sie darauf, dass die Intensität dieser Gedanken und Gefühle auch wieder nachlässt, und danken Sie diesen Gedanken und Gefühlen, da sie Ihnen ja Hinweise darauf geben, was Ihnen im Leben wichtig ist.

Sicher erinnern Sie sich noch an die Umkehrungsfrage aus dem Vorwort. Dort hatte ich Sie gebeten, die Frage »Was will ich vom Leben?« umzukehren: »Was will das Leben von mir?« Durch die Umkehrung gehen Sie aus der Kontrolle in die Akzeptanz. Die Antwort, die Sie dann auf diese Frage finden, könnte zum Beispiel lauten: »Das Leben will, dass ich gerade in einer großen Herausforderung/in einer großen Trauer/in einer großen Unsicherheit bin und damit klarkomme.« Das ist keine Einladung, um sich mit der Trauer, Unsicherheit abzugeben und in der Trauer oder Angst zu verharren. Es ist in einem ersten Schritt die Akzeptanz des Umstandes, dass viele unserer Krisen uns durch äußere Impulse zustoßen und wir diese nicht ungeschehen machen können, und die Akzeptanz des Umstandes, dass diese Krisen in uns Ängste, Trauer, Unsicherheit auslösen.

Oder nehmen Sie den oft zitierten Satz von Ambrose Redmoon: »Mut bedeutet nicht, keine Angst zu haben, sondern es ist die Entscheidung, dass etwas anderes wichtiger ist als die Angst.«1 Auch in diesem Satz liegt der Fokus auf der Akzeptanz, nämlich der Akzeptanz, dass ich mutig sein kann, ohne die Angst unter Kontrolle bringen zu müssen. Viele Menschen fokussieren sich aber in einem ersten Schritt zu sehr darauf, die Angst in den Griff bekommen zu wollen, anstatt zu akzeptieren, dass diese da sein darf und sie trotz der Angst ihre ihnen wichtigen Ziele verfolgen können.

Sie können ja auch trotz Hunger Ihre Wanderung zum nächsten Etappenziel zu Ende führen. Sollten Sie sich aber darauf konzentrieren, Ihren Hunger unter Kontrolle zu bekommen (ohne Nahrung oder Wasser verfügbar zu haben), ist das ein sinnloses und energieraubendes Unterfangen. Üben Sie sich darin, die unguten Gefühle und Gedanken zuzulassen und gleichzeitig sinnvolle Handlungen zu initiieren. Schon bald werden Ihre Ängste an Kraft und Einfluss verlieren, auch wenn die Ängste weiter dableiben (siehe hierzu das zentrale Kapitel »Ich ist ein Feigling – aber nicht mehr lange!«).

10. Schmerz vs. Leid

Schmerz ist unsere unmittelbare Reaktion auf Enttäuschung, Verletzung, Scheitern. Schmerz erleben wir, wenn wir im Angst-, Krisen-, Gefahrenmodus sind. Schmerz ist die normale Reaktion des Körpers auf äußere Geschehnisse, die nicht in unserem Sinne verliefen. Trauer ist Ausdruck von Schmerz über eine Trennung oder einen Tod. Angst ist Ausdruck von Schmerz über einen Jobverlust. Frust ist Ausdruck von Schmerz über ein Karriereende. Scham, Schuld, Ärger, Unzufriedenheit sind alles Ausdruck von Schmerz in diversen Lebenssituationen. Kämpfen Sie nicht gegen diesen Schmerz. Akzeptieren Sie ihn als Realität Ihres Lebens und Hinweis darauf, dass gerade etwas Ihnen Wichtiges nicht mehr ist, ein Ende oder keinen Anfang gefunden hat. Schmerz ist wie ein Hinweisschild, das uns zeigt, was uns wirklich wichtig ist im Leben.

Leid hingegen resultiert aus Ihrem spezifischen Umgang mit dem Schmerz. Leid ist eine Art dysfunktionales Schmerzmanagement. Leid ist die Konsequenz Ihres Versuchs zukünftiger Schmerzvermeidung. Schmerz ist die Trauer eines Verlustes, Leid ist die Vermeidung einer Bindung, um zukünftig den Schmerz eines Verlustes nie wieder spüren zu müssen. Schmerz ist die Angst vor dem Versagen, Leid ist die Vermeidung einer Prüfung oder einer verantwortlichen Tätigkeit, um nie wieder Angst vor dem Versagen haben zu müssen. Die Strategie, die Leid immer vorschlägt, ist Rückzug, Erlebnisvermeidung, Passivität, Wegschauen. Ohnmacht, Gleichgültigkeit und Hoffnungslosigkeit sind Ausdruck von Leid. Leid ist anders als Schmerz destruktiv, sinnlos, unnütz, leer. Leid entfernt uns von unserer Bestimmung, als Menschen zu wachsen, zu lernen, uns zu verändern. Leid ist Stillstand und Agonie.

Schmerz ist überlebenswichtig, zentral, beschützt uns. Leid ist der nicht hilfreiche Versuch, Schmerzen zu vermeiden. Schmerz geschieht. Leid kreieren wir.

Integrieren Sie in Ihre Reflexion über sich selbst die Unterscheidung zwischen Schmerz und Leid, und entkommen Sie damit der Falle, die Ihnen das Leid immer stellen will. Aus dem Leid heraus erscheint alles sinnlos und unnütz. Glauben Sie dem Leid nicht. Der Schmerz hingegen legt den Finger in die Wunde und zeigt uns verlässlich, was uns wichtig ist, wofür wir eigentlich brennen, wir jederzeit kämpfen würden, wenn wir wüssten, dass wir immer gewinnen, was für unser Wohlempfinden zentral ist. Leid ist Ihr Feind. Schmerz ist Ihr Freund. Beobachten Sie sich dabei, ob Sie gerade im Schmerz oder im Leid sind, und beenden Sie schnellstmöglich Verhalten, das aus dem Leid geschieht und nur weiteres Leid etabliert.

11. Gedanken vs. Sorgen

Lernen Sie die wichtige Unterscheidung zwischen Gedanken und Sorgen. Wenn ich mir Gedanken mache, ist mein Denken lösungsfokussiert: »Wie kann es weitergehen? Was ist jetzt zu tun?« Mache ich mir Sorgen, ist mein Denken hingegen problemorientiert: »Wird es jemals weitergehen? Finde ich jemals gute Antworten? Werde ich jemals wieder glücklich sein? Kann ich jemals wieder lachen?«

Gedankenfragen beginnen meist mit »wie/wann/was/wo/wen?«. Auf Gedanken und Fragen, die Gedankenfragen sind, gibt es immer eine Antwort, eine Handlung. Wenn Sie sich Sorgen machen und aus dem Sorgenmodus Fragen stellen, ist die Antwort immer: »Nein. Ich weiß es nicht.« Daran merken Sie, ob Sie sich Gedanken oder Sorgen machen. Sorgen drehen sich um das Morgen. Gedanken drehen sich um das Heute und Jetzt und unsere Möglichkeiten, das heutige Schlechte in ein morgiges Besseres zu wandeln.

Eine hilfreiche innere Frage ist: »Hilft mir mein aktuelles Denken, einen Weg aus der Krise zu finden?« Falls Sie diese mit Ja beantworten, sind es Gedanken, falls Sie die Frage mit Nein beantworten, sind es Sorgen.

Sobald Sie sich dabei ertappen, im Sorgendenken festzuhängen, verändern Sie Ihre Sorgen zu Gedanken, indem Sie die Sorgenfragen in Gedankenfragen umformulieren: Eine Sorge »Werde ich jemals wieder einen Job finden?« wird zum Gedanken »Was kann ich jetzt tun, um wieder einen Job zu finden?«. Eine Sorge »Werde ich jemals wieder lachen können?« wird zum Gedanken »Worüber könnte ich auch jetzt noch lachen?«.

Konzentrieren Sie sich immer wieder darauf, Ihr Denken zu beobachten und Gedanken von Sorgen zu unterscheiden. Ziel ist es, sich mehr Gedanken als Sorgen zu machen, und ideal, den Sorgen wenig bis keinen Raum zu lassen.

Eine weitere Hilfe, zwischen Gedanken und Sorgen besser unterscheiden zu können, bietet der stoische Philosoph Epiktet, der Dinge, die in unserer Macht liegen, von jenen abgrenzt, die nicht in unserer Macht liegen.

Wenn Sie sich Sorgen machen, sind Sie meist in Denkschleifen gefangen, auf die es keine Antwort in Ihnen gibt, die also nicht in Ihrer Macht liegen: »Wird mein Bruder jemals wieder mit mir sprechen?«, »Wird mein Partner mir jemals verzeihen oder sich entschuldigen?«, »Wird sich jemals wieder jemand in mich verlieben?«, »Wissen die Kollegen schon mehr über meine berufliche Zukunft als ich?«, »Wird mein Vermögen jemals sicher sein?«, »Werde ich jemals gefestigt in meinem Beruf sein?«, »Ist die Entscheidung richtig?«, »Wird es am Ende gut ausgehen?«, »Werde ich im Alter an Krebs erkranken?« …

Gedanken erkennen Sie daran, dass es Antworten, Verhaltensmöglichkeiten gibt, die Sie selbst initiieren können, die also in Ihrer Macht liegen: »Will ich auf meinen Bruder zugehen und ihm ein Gespräch anbieten?«, »Suche ich das Gespräch mit meinem Partner und bitte um Verzeihung oder lasse ihn wissen, dass mir eine Entschuldigung wichtig ist?«, »Bemühe ich mich täglich, ein liebenswerter, interessanter Mensch zu sein?«, »Spreche ich meine Kollegen an und frage, ob sie etwas über meine berufliche Zukunft wissen?«, »Was kann ich aktuell tun, um mein Vermögen bestmöglich aufzustellen, damit ich in der Krise sagen kann: Ich habe nach bestem Wissen gehandelt?«, »Bin ich bereit, das Risiko dieser Entscheidung einzugehen, selbst wenn es am Ende schlecht ausgeht?«, »Verhalte und ernähre ich mich aktuell so, dass ich die Wahrscheinlichkeit einer Krebserkrankung bezüglich solcher äußerer Faktoren gering halte?« …

Auf Gedanken gibt es Antworten, und aus den Antworten resultieren Handlungen. Auf Sorgen gibt es keine Antworten, und Sorgen führen zu Nicht-Handlungen. Lernen Sie diese Unterscheidung, und ersetzen Sie möglichst viele Ihrer Sorgen durch Gedanken.

Vielleicht scheint Ihnen diese Unterscheidung zu akademisch oder abstrakt. Ich weiß aber, dass sie vielen meiner Klienten hilft, eine Differenzierung im eigenen Denken zu etablieren, und dass sie dadurch ihre Kompetenzen erhöhen, Sorgen zu reduzieren und Gedanken zu stärken. Dadurch entsteht ein Unterschied im Denken, der uns stabilisiert, in Handlungen führt und guten Lösungen näher bringt.

12. Verantwortung vs. Schuld

Ähnlich ist die Unterscheidung zwischen Verantwortung und Schuld. Verantwortung führt zu Gedanken und Handlungen. Schuld führt zu Sorgen und Lähmung.

Schuld ist rückwärtsgewandt: »Wie konnte es so kommen? Was habe ich wann und wie falsch gemacht? Was haben andere wann und wie falsch gemacht?«

Verantwortung meint: »Wie finde ich bestmöglich aus dieser aktuellen Sackgasse heraus? Welches verantwortliche Handeln resultiert aus dieser Krise? Aus diesem Versagen? Aus dieser Katastrophe? Aus diesem Scheitern? Aus der Realität meines Lebens, in der ich jetzt bin?«

Die Schuld stellt Fragen an die Vergangenheit, auf die es keine belastbare Antwort gibt, will verstehen, was nicht zu verstehen ist.

Die Verantwortung stellt sich der Realität meiner Gegenwart und sucht Wege, einen besseren Umgang, eine neue Realität in Gegenwart und Zukunft zu erschaffen.

Der Unterscheidung zwischen Verantwortung und Schuld entspricht auch die Unterscheidung zwischen einer Wofür-/Wozu- und einer Warum-Frage. Warum-Fragen führen Sie immer direkt in Schuldzuweisung, die Sorge und den Abgrund. Warum- und Schuld-Fragen können streng genommen nie empirisch verlässlich beantwortet werden. Und doch geben wir uns ihnen nur zu gern hin und konstruieren vermeintlich logische Kausalketten des Niedergangs, wo es keine gibt.

Warum ich? Warum dort? Warum das? Warum fragt nach Ursachen, führt in das Gestern, in die Schuld. Unsichtbar im Zentrum einer Warum-Frage steht eigentlich immer: Was habe ich falsch gemacht? Was haben die anderen alles falsch gemacht, damit ich jetzt da bin, wo ich bin?

Alle Antworten auf Warum-Fragen, auf die Frage nach Schuld oder Schuldigen sind spekulativ, da unser Verstand in der Gegenwart ein wackliges Gedankenkonstrukt über die Unausweichlichkeit, Folgerichtigkeit oder Zufälligkeit einer Vergangenheit und deren Konsequenzen bastelt.

Warum-Fragen führen nirgendwohin, geben uns keine Handlungsanleitung, verharren in Vergangenheit und Krise. Wandeln Sie deshalb Warum-Fragen in Wofür-/Wozu-Fragen um.

Wofür-/Wozu-Fragen fragen nach der Absicht, nach den Zielen und führen uns in die Verantwortung, auf die gegenwärtige Situation reagieren zu müssen, egal, wer oder was diese Situation herbeigeführt hat.

Die Schuld fragt: »Warum bin ich so traurig?« Und antwortet: »Weil alles scheiße ist.«

Die Verantwortung fragt: »Wozu bin ich so traurig?« Und antwortet: »Um meinen Schmerz, meine Trauer zu leben, zu zeigen, zu überwinden.«

Die Schuld fragt: »Warum wurde ich entlassen?« Und antwortet: »Weil irgendjemand etwas gegen mich hat. Weil man ein Bauernopfer brauchte.«

Die Verantwortung fragt: »Wofür wurde mir gekündigt?« Und antwortet: »Damit ich mir einen neuen Job suche. Damit ich etwas Neues beginnen muss.«

»Warum?« gibt Spekulationen Raum und sucht Schuld. Warum führt immer zu Lähmung.

»Wofür?« gibt Antworten und sucht Lösungen, ist Verantwortung. »Wofür?« führt immer zu Handlungen und zu Veränderungen.

Stellen Sie sich von heute an nur noch Wofür-Fragen. Handeln und denken Sie von jetzt an immer in Verantwortung. Ihr Leben wird es Ihnen danken.

13. Reflexionsreaktion vs. Affektreaktion

Eine Affektreaktion ist immer eine spontane unmittelbare Reaktion auf ein Erleben, meist ein Erleben im Außen. Ein Streit, eine Kündigung, ein Umzug, eine drohende Insolvenz, ein Brief, eine Rückmeldung, eine Trennung. Seien Sie nachsichtig mit sich selbst, wenn Sie im Affekt in die Wut, die Trauer, den Ärger, die Verzweiflung, die Hilflosigkeit gehen. Das ist zutiefst menschlich und normal. Unterscheiden Sie aber die Affektreaktion von der Reflexionsreaktion. Eine Reflexionsreaktion bezeichnet ein mittelfristiges, reflektiertes Antwortmuster. Handlungsfähige und veränderungsfähige Menschen unterscheiden sich von tendenziell eher hilflosen, verzweifelten nicht dadurch, dass sie nie im Affekt reagieren, nie hilflos oder verzweifelt sind, sondern dadurch, dass sie nach einer bestimmten Zeit eine alternative reflektierte Reaktion zur affektiven Erstreaktion zeigen.

Viele Klienten kommen immer wieder in meine Praxis und wünschen sich, nie wieder wütend, nie wieder traurig, nie wieder ängstlich oder hilflos zu sein. Das ist schlechterdings unmöglich. Was in unseren Möglichkeiten liegt, ist aber, nach unseren spontanen affektiven Erstreaktionen – die individuell ganz unterschiedlich sind – eine sekundäre reflexive Reaktion zu etablieren und zu praktizieren. Nur weil Sie gestern wütend oder hilflos waren, muss das nicht heißen, dass Sie auch heute oder morgen noch genauso wütend oder hilflos sein müssen. Sie alle kennen das aus eigener Erfahrung. Sie wissen, dass die Intensität der ersten Reaktion nachlässt, weil Sie sich ihr ganz hingegeben oder darüber nachgedacht haben, weil Sie eine Nacht darüber geschlafen oder sich ein paar Stunden berauscht und abgelenkt haben.

Integrieren Sie deshalb in Ihr Denken und Handeln die Unterscheidung von Affektreaktion zu Reflexionsreaktion, und erlauben Sie sich, dadurch sowohl eine innere Beruhigung als auch einen inneren Abstand zu Ihrer ersten Reaktion zu haben, ebenso wie die Gewissheit, dass Ihnen die reflektierte Reaktion noch als Handlungs- und Denkoption zur Verfügung steht.

Sie können sich selbst sagen: »Auch wenn meine erste unmittelbare affektive Reaktion darauf so war, werde ich doch in den kommenden Tagen oder Wochen auch noch ein alternatives, hilfreiches, unterstützendes, sinnvolles, konstruktives Reaktionsmuster an den Tag legen, das mir hilft, auf die aktuellen Herausforderungen bestmögliche Strategien, Antworten, Handlungen zu finden.«

Und auch in der Affektreaktion haben Sie dadurch die Möglichkeit, sich aus Ihrem Selbst zu beobachten und zu sagen: »Gerade drehe ich total durch, gerade verliere ich total den Boden unter den Füßen, gerade bin ich total hilflos, aber ich weiß, dass ich morgen, übermorgen, in einer Woche, in einem Monat eine bessere, hilfreichere, zielführende Reaktion an den Tag legen werde; und deshalb gebe ich mich jetzt nicht total der Hilflosigkeit meiner Affektreaktion hin, sondern kann diese einordnen als etwas, was auch wieder anders wird.«

Und für Fortgeschrittene in dieser Unterscheidung gibt es dann natürlich auch die Möglichkeit, der eigenen Affektreaktion keinen Raum zu geben, ihr nicht nachzugeben, sie zu verkürzen und schneller oder ausschließlich in die reflektierte Reaktion zu gehen, auch wenn das bedeutet, dass man zum Beispiel einfach mal ein paar Minuten still ist, nachdenkt, tief atmet, in sich hineinhört und dann erst reagiert. Vergessen Sie nie: Sie sind viel mehr als Ihre spontanen Affektreaktionen, ja das Wesentliche, Besondere, Liebenswerte, Wertvolle Ihres Menschseins hat mit Ihren negativen Affektreaktionen überhaupt nichts zu tun.

14. Verhalten/Handlung vs. Denken/Fühlen

Wie eben schon erwähnt, wünschen sich Klienten in der Krise immer wieder, dies oder jenes nicht mehr zu fühlen oder dies oder jenes nicht mehr zu denken. Da sie der tiefen Überzeugung sind, dass es gerade die Gedanken und Gefühle sind, die sie davon abhalten, ein zufriedenes Leben zu leben. Die Erfahrungen in der therapeutischen Arbeit haben aber gezeigt, dass so etwas nur selten möglich ist und wir viel Energie vergeuden, wenn wir uns ausschließlich darauf konzentrieren, bestimme Gedanken oder Gefühle nicht mehr zu denken oder zu haben. Die Aufforderung, jetzt nicht an einen rosa Elefanten zu denken, sorgt verlässlich dafür, an einen rosa Elefanten zu denken.

Ein viel lebenspraktischerer Ansatz ist es deshalb, die Gedanken und Gefühle, die wir haben, einerseits zu akzeptieren (siehe »Akzeptanz vs. Kontrolle«), andererseits aber unsere Gedanken und Gefühle streng von unserem Verhalten zu trennen.

Beachten Sie bitte deshalb:

Diese Sätze sind für die meisten Menschen pure Provokation, da wir in einer Zeit leben, in der wir gelernt haben, unsere Gedanken und Gefühle sehr ernst zu nehmen, ja, sie zum Maßstab all unseres Erlebens und Empfindens zu machen. Was, wenn das falsch ist? Was, wenn das nicht nur wenig hilfreich ist, sondern uns geradezu von unserem Bestreben abhält, ein gutes und zufriedenes Leben zu leben? Lassen Sie bitte diese Frage zu, und nehmen Sie sie sehr ernst.

Sie haben in den ersten drei Kapiteln des Buches viel über die Normalität der Krise gelesen und wie wir Menschen damit umgehen. Sie wissen, dass Ihre lebensbiografische, evolutionäre und kulturelle Prädisposition Sorge und Angst ist, dass all Ihre Systeme nur darauf ausgelegt sind, Gefahr zu erkennen. Es ist deshalb ganz normal, dass Ihr Körper, Ihr Gehirn, Ihr Denken und Fühlen Angst- und Sorge-, Gefahr- und Ärgerkompetenzen hat und diese Kompetenzen ausgeprägter sind als Freude-, Lust-, Entspannungs-, Zuversichts- oder Handlungskompetenzen. Ihr Denken und Fühlen neigt deshalb dazu, permanent vorzuschlagen, dass alles doch eh keinen Sinn hat.

Trennen Sie aus diesem Grund strikt Ihre Denk- und Fühlkompetenzen von Ihren Handlungskompetenzen. Sie können sich schlecht fühlen und trotzdem etwas Sinnvolles tun. Sie dürfen auf etwas keine Lust haben und es trotzdem tun. Nur Ihr Denken und Fühlen kann Sie davon abhalten. Nur Ihre Bereitschaft, Ihrem Denken und Fühlen die Macht über Ihr Verhalten zu geben, sorgt dafür, dass Sie nichts tun und damit die Krise aufrechterhalten oder verstärken.

15. Wachstum vs. Stillstand / Veränderung vs. Wiederholung

Vielleicht erinnern Sie sich noch aus der Schule an Bertolt Brechts Geschichten vom Herrn Keuner und die Zeilen daraus: »Ein Mann, der Herrn K. lange nicht gesehen hatte, begrüßte ihn mit den Worten: ›Sie haben sich gar nicht verändert.‹ ›Oh!‹ sagte Herr K. und erbleichte.«2

Sorgen Sie dafür, dass Ihnen dies nicht geschieht. Verpflichten Sie sich auf Wachstum und Veränderung. Wir sind auf der Welt, um zu wachsen, um uns zu verändern. Wir sind nicht auf der Welt, um unveränderlich, starr oder im Stillstand zu sein.

Schauen Sie in den Spiegel, und erfreuen Sie sich daran, nicht mehr die-/derjenige zu sein, die/der Sie vor zwei, drei, fünf oder zehn Jahren waren. Freuen Sie sich auf die-/denjenige(n), der/die Sie in zwei, drei, fünf oder zehn Jahren sein werden. Machen Sie weiterhin Fehler, aber machen Sie immer wieder neue Fehler. Bleiben Sie sich nicht treu. Machen Sie jeden Tag etwas anders und etwas anderes. Langweilen Sie sich nicht selbst, indem Sie immer wieder die gleichen Fehler machen.

Haben Sie Mut und Neugier auf Veränderung, auf Wachstum! Was Sie verlässlich wissen: Wenn Sie alles so machen wie bislang, wenn Sie sich für Stillstand entscheiden, wird immer genau das passieren, was Sie in die aktuelle Krise geführt hat und was Sie in der Krise festhält.

Gibt es einen Unterschied zwischen »Wachstum vs. Stillstand« und »Veränderung vs. Wiederholung«? Nehmen Sie die Begriffe, die Ihnen besser gefallen. Für manche Klienten hat »Veränderung« einen höheren Aufforderungscharakter, ist lebenspraktischer; für andere klingt das Wort »Wachstum« weihevoller, größer und reizvoller und ist gerade durch seine höhere Abstraktion dann stärker.

Ausdruck höchster menschlicher Unvernunft bleibt es, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Entscheiden Sie sich deshalb für Wachstum und Veränderung und gegen Stillstand und Wiederholung.

Als Nummer 20 finden Sie noch die Unterscheidung »Neubeginn vs. Weitermachen wie bisher«. Auch zu diesem Wortpaar gibt es große Überschneidungen.

16. Furcht vs. Angst

Sie finden zu diesen beiden Begriffen und ihrer Unterscheidung viele Bücher und tiefe philosophische Gedanken. Umgekehrt macht die Alltagssprache zwischen den beiden Begriffen kaum einen Unterschied. Trotzdem kann es für Menschen in der Krise entlastend sein, eine Angst in eine Furcht umzutaufen. Vielleicht gerade deshalb, weil wir, obwohl wir die Begriffe kaum unterscheiden, überwiegend von Angst und seltener von Furcht sprechen. In der Therapiearbeit hat sich deshalb eine recht simple Unterscheidung bewährt:

Angst beschreibt und evoziert ein vages, diffuses und dadurch generalisiertes Gefühl von Unsicherheit oder Gefahr und ist meist auf ein Irgendwann, also eine nicht spezifische Zukunft gerichtet. Angst ist eine vermutete Gefahr. Angst ist oft abstrakt, generell und absolut. Angst erscheint uns unbeherrschbarer, wie ein Riese, gegen den wir ohnehin keine Chance haben. Angst ist dadurch subtiler, länger und leider auch zersetzender. Da wir das Wörtchen »Angst« in unserem Aktivwortschatz haben, greifen wir auch immer auf diese Vokabel zurück, obwohl wir vielleicht deutlich weniger als Angst spüren und nur ein Unwohlsein, eine Unsicherheit zum Ausdruck bringen wollen. Aber die Kraft des Wortes »Angst« macht dann unser Problem größer, als es eigentlich ist.

Furcht hingegen ist spezifisch. Ich habe Furcht vor etwas. Furcht ist eine konkrete Gefahr, eine Herausforderung, die kleiner als meine Möglichkeiten ist, auch wenn sie gerade nervt. Furcht ist beschreibbar, beherrschbar. Furcht hat einen Fokus. Furcht hat einen Namen. Furcht kennt ein Ziel. Furcht ist relativ, definier- und benennbar. Furcht erscheint uns einzig durch die Verwendung des Wortes handhabbarer, lösbarer. Dadurch, dass das Wort »Furcht« uns viel weniger selbstverständlich über die Lippen oder durch den Kopf geht als Angst, wirkt es kleiner, beherrschbarer und hat weniger Macht über uns.

Diese Unterscheidung ist eine rein sprachliche. Wenn Sie Ihnen hier nicht hilft, will ich nicht darauf bestehen. Ich weiß aber aus der konkreten Therapiearbeit, dass vielen Klienten diese Unterscheidung hilft und sie darin unterstützt, eine diffuse Angst in eine konkrete Furcht umzutaufen und dadurch bessere Handlungen und Strategien zu entwickeln, um mit dieser Furcht dann besser umzugehen, sie besser zu definieren und ihr dadurch besser zu begegnen.

Probieren Sie es einfach aus, indem Sie das, was Sie aktuell »Angst« nennen, zukünftig »Furcht« nennen, es als »Furcht vor …« konkretisieren und es dadurch vielleicht an Schrecken und Größe verliert und begreifbarer, überwindbarer und kleiner wirkt als zuvor.

17. Krise vs. Problem

Unsere Erwachsenwerdung zeichnet sich meist dadurch aus, dass wir in der Pubertät oder als junge Erwachsene eine eigene Kompetenz entwickeln, Probleme zu lösen und Entscheidungen zu treffen. Wir schreiben Listen, machen Pro-und-contra-Zettel, wir schlafen eine Nacht über etwas, wir fragen Freunde, die Eltern, einen Berater, wir lesen einen Ratgeber und so fort und finden eine Antwort, eine Lösung.

Die Probleme, Entscheidungen, die wir zu treffen haben, sind Themen wie: Welchen Fächerschwerpunkt wähle ich in der Schule? Ziehe ich in eine andere Stadt? Beende ich diese Beziehung nach acht Wochen? Wie überwinde ich den Streit mit meinen Eltern/meinen Freunden? Wohin fahre ich in den Sommerurlaub? Welche Ausbildung/welches Studium beginne ich? Wo bewerbe ich mich? Wie hält man eine freie Rede? Wie funktioniert Geldanlage? Wie verhalte ich mich gegenüber dieser Person? Engagiere ich mich politisch oder ehrenamtlich? Welcher Sport interessiert mich? Was will ich noch wissen oder können?

Wir erleben uns in dieser frühen Erwachsenheit bis Ende zwanzig/Mitte dreißig in der Kompetenz, Probleme zu lösen. Wir wissen Herausforderungen anzugehen und damit verbundene Unsicherheiten relativ schnell zu überwinden. Entsprechend erfreuen wir uns in dieser Lebensphase an unserer eigenen Kompetenz, Probleme zu lösen und zu überwinden. Probleme, Herausforderungen, die dann ab Mitte/Ende dreißig/Anfang vierzig kommen und uns länger begleiten, müssen wir in unserer Zuordnung aber eindeutig von Problemen unterscheiden und anders benennen, nämlich als Krisen.

Warum und worin unterscheiden sich Probleme von Krisen? Krisen sind komplexer, tiefer, mehrdimensionaler. Es gibt für sie keine einfachen Antworten, keine stabil überzeugenden Lösungen, keine verlässliche Kausalität, keine wiederholbar einsetzbare Strategie der Überwindung, da an jeder Entscheidung sehr viel hängt, sie eventuell unumkehrbar ist, unüberwindbar scheint oder wir auf verlässliche, eindeutig belastbar gute Antworten noch sehr lange warten müssen. Alle Antworten, Lösungen verbleiben in einer nebulösen Ambivalenz und der Option, dass dieser Weg auch falsch sein könnte. Immer bleibt eine zu große Restunsicherheit in uns. Krisen sind damit einerseits größer, relevanter und träger als normale Probleme, und andererseits haben wir mit solchen Herausforderungen gar keine Erfahrung, ja, wussten nicht einmal, dass es solche Herausforderungen überhaupt geben kann.

Fragen, die wir uns dann stellen, lauten zum Beispiel: »Werde ich jemals in meinem Beruf glücklich?«, »Kann ich den Belastungen meines Alltags entsprechen?«, »Verlasse ich meinen Ehepartner nach so vielen Jahren?«, »Überwinde ich jemals die Trauer um den Verlust meines Kindes?«, »Warum habe ich kein Talent zu Unbeschwertheit?«, »Zerbreche ich an der Insolvenz?«, »Werden die Schatten meiner Kindheit mich mein Leben lang im Griff haben?«, »Bekomme ich meine Sucht in den Griff?«, »Finde ich jemals einen Menschen, den ich lieben kann?«, »Werde ich die Krankheit besiegen und in fünf Jahren noch leben?«, »Ist das alles, was das Leben noch zu bieten hat?« …

Die Falle, in die die meisten Menschen tappen, ist, zu glauben, dass solche Herausforderungen a) mit den alten Problemlösungskompetenzen und/oder b) überhaupt schnell und sauber lösbar sind. Wir verwechseln (da wir keine Erfahrung damit haben) eine Krise mit einem Problem und wenden entsprechend Mittel und Strategien zur Überwindung von Problemen an, um eine Krise zu überwinden. Tappen Sie bitte nicht in diese Falle!

Verwechseln Sie Ihre Fähigkeit zur Lösung von klassischen, eindimensionalen, niedrigkomplexen Problemen nicht mit Ihrer Fähigkeit, gute, schnelle, belastbare, klare, verlässliche Antworten zur Lösung von komplexen, mehrdimensionalen Krisen zu finden. Wäre das, was Sie gerade umtreibt und motiviert, dieses Buch zu lesen, »nur« ein Problem, hätten Sie es längst gelöst. Da das, was Sie gerade beschäftigt, aber eine Krise ist, sollten Sie es auch als solche anerkennen und benennen und davon Abstand nehmen, es mit Ihren tradierten Problemlösungskompetenzen lösen zu wollen. Das klappt nicht, ist nur energiesaugend, frustriert Sie und führt zu keinen guten Lösungen.

Akzeptieren Sie, dass mit zunehmendem Lebensalter und verlässlich ab Mitte/Ende dreißig jede Herausforderung, jede Krise nur noch vielschichtige, mehrdimensionale, unsichere Reaktions- und Antwortmöglichkeiten zulässt, bei denen immer Unsicherheit, Zweifel, Verlust, Angst, Risiko bleiben, und akzeptieren Sie auch, dass wir, wenn wir in den Fluss des Lebens steigen, auch die Erfahrung machen werden, dass eine Entscheidung, eine Antwort, eine Reaktion rückblickend falsch sein kann, wir mit Abstand sehen, dass wir es damals besser anders gemacht hätten, aber uns noch gut daran erinnern, warum wir das damals so getan haben, auch wenn es falsch war und wir bis heute mit den Konsequenzen dieser Entscheidung leben müssen.

Krisen sind nicht schnell zu lösen oder zu überwinden. Akzeptieren Sie, dass es oftmals sinnvoller, klüger, lebenstauglicher ist, wenn Sie lernen, eine Herausforderung, eine Krise dieser Art über einen Zeitraum von Monaten in der Schwebe zu halten, ohne eine verlässliche Antwort zu haben. Dass Sie lernen müssen, die Diffusität auszuhalten, und Sie nur Ihre Energien vergeuden, wenn Sie sich darauf konzentrieren, diese Diffusität schnellstmöglich auflösen zu wollen.

18. Gebürtlichkeit vs. Sterblichkeit

Diese Unterscheidung hat die Philosophin Hannah Arendt in das lebensphilosophische Denken eingeführt.

Das Wissen um die eigene Sterblichkeit kann im gelingenden Leben Energien freisetzen. Da wir wissen, dass wir sterben werden, lernen wir, Dinge anzugehen, Neues auszuprobieren, Visionen umzusetzen. Unsere Sterblichkeit wirkt dann wie ein Beschleuniger, aktiv zu werden – aus dem Gedanken heraus, nichts verpassen zu wollen.

In der Krise jedoch kann die Fixierung auf das Wissen um unsere Sterblichkeit eher resignative Gedanken in uns heraufbeschwören und die Krise verstärken. Wir denken dann: »Es hat doch ohnehin alles keinen Sinn. Es ist zu spät. Es lohnt sich nicht mehr. Es ist doch eh alles vergeblich.« Das Wissen um unsere Sterblichkeit bekommt dann etwas Fatalistisches, Verengendes und Vermeidendes.

Die Fokussierung auf unsere »Gebürtlichkeit« führt uns hingegen auch in der Krise deutlicher dahin, unser Dasein als wahrhaft einmaliges Geschenk zu begreifen. Ermöglicht es uns, aus der besonderen Tatsache unserer Geburt Freude, Zuversicht und Energie zu ziehen. Und aus diesem Geschenk die Verpflichtung zur Entfaltung abzuleiten.

Unsere Gebürtlichkeit ist immer ein Wegweiser in die Zukunft, da sie immer vom Anfang gedacht ist. Unsere Gebürtlichkeit ist damit immer Begreifen, Chance und Verpflichtung zum Neubeginn, sie ist das Geschenk der Freiheit, die uns in die Handlung führt.

Definieren Sie bitte Ihre Menschlichkeit, Ihr Dasein im Moment der Krise also nicht durch Ihre Sterblichkeit, sondern durch Ihre Gebürtlichkeit, dann entsteht aus diesem Geschenk laut Hannah Arendt das klare Bewusstsein der Verpflichtung, unsere Lebendigkeit und unser Dasein bestmöglich zu nutzen. Es gibt nur dieses Leben.

Es mag sein, dass Ihnen diese Unterscheidung sehr akademisch vorkommt. Ich weiß aber von sehr vielen meiner Klienten, dass sie diese Idee geradezu elektrisierte und sie sofort begannen, mit Lust und Freude Ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und zu gestalten. Lassen Sie den Begriff einfach ein wenig in sich wirken, und sehen Sie dann, ob er für Sie hilfreich ist.

19. Sinn vs. Spaß

Der Mensch ist nicht dazu geboren und nicht dafür gemacht, dauerhaft Spaß zu haben. Wir können also aufhören, es zu versuchen.

In der griechischen Lebensphilosophie der Stoa und im Hedonismus ist das Ziel eines gelungenen Lebens Freude. Freude ist aber nicht die Anwesenheit von Kurzweil, Vergnügen oder Spaß. Freude ist definiert als die Abwesenheit von Schmerz, Leid, Trauer, Wut, Angst oder Unglück – Gleichmut, Ruhe, Akzeptanz, Gelassenheit und Tätigsein sind entsprechend Ausdruck von Freude.

Das Leben muss dauerhaft sinnvoll erscheinen. Geben Sie Ihrem Leben Sinn, Ihren Sinn. Sinn kann sein, dass ich helfen will. Sinn kann sein, dass ich Geld verdienen will. Sinn kann sein, dass ich mich für eine Idee engagiere. Sinn kann sein, dass ich in Zusammenhängen, in Familie, Gemeinschaft, Freundschaft lebe. Sinn kann sein, dass ich meine Talente lebe. Sinn kann sein, dass ich mich der Betreuung meiner Kinder oder meiner Eltern verschreibe. Sinn kann sein, dass ich mich meinem persönlichen Wachstum widme. Sinn kann sein, dass ich mich der Pflege meines Körpers oder der Rettung des Planeten verpflichte. All das sind Sinnkategorien.

Ich will mit Ihnen nicht darüber diskutieren, ob die eine Kategorie wertvoller ist als die andere. Was Sinn für Ihr Leben ist, definieren einzig Sie. Ich will Sie lediglich dabei unterstützen, Ihren Lebenssinn und Ihre zentralen Lebenswerte zu finden (zur vertiefenden Sinnarbeit Ihres Lebens siehe besonders die Kapitel »Ein Hoch auf das Gestern und Morgen«, »Auch in der größten Krise ist nicht alles immer und total katastrophal« sowie »Wertearbeit«). Und ich will, wenn Sie Ihre eigenen und spezifischen Sinnkategorien gefunden haben, dass Sie danach leben und handeln. Es gibt nur eine Regel: Machen Sie nicht den Fehler, Sinn darin zu suchen, dass das Leben Spaß machen soll. Das wird nicht klappen und nur in Unglück münden.

Verabschieden Sie sich also jetzt und sofort von der Idee, dass Ihr Leben Spaß machen soll. Ein gelungenes Leben muss sinnvoll sein und macht auch ohne Spaß große Freude.

Wenn Sie sich zukünftig bei dem Gedanken ertappen, dass etwas keinen Spaß macht, dann machen Sie es halt ohne Spaß. Daran ist nichts falsch. Falsch ist es erst, wenn Sie in Ihren Verpflichtungen, Ihren Tätigkeiten, Ihrem Handeln keinen Sinn entdecken, keine größere, sinnvolle Idee, die Sie und Ihr Handeln trägt.

Und natürlich habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn Sie Ihr Leben als sinnvoll erleben und dabei auch eine Menge Spaß haben. Ich will Sie nur aus der Fokussierung auf den Spaß herausführen. Wenn wir uns dem singulären Lebensziel Spaß verschreiben, verlieren wir den Zugriff auf die Vielfalt und die Schönheit des Lebens, der Freude und der Tiefe des Daseins. Und das wäre sehr schade.

20. Neubeginn vs. Weitermachen wie bisher

Als letztes Begriffspaar will ich Sie mit der Unterscheidung von Neubeginn und Weitermachen vertraut beziehungsweise noch einmal explizit darauf aufmerksam machen. Denn im Grunde schimmert diese Unterscheidung seit der ersten Zeile dieses Buches durch alle Seiten. Zudem gibt es eine schon erwähnte enge Verwandtschaft zu den Begriffen »Wachstum vs. Stillstand/Veränderung vs. Wiederholung«. Für viele meiner Klienten liegt die besondere Kraft in dem starken Wort »Neubeginn«, das sie mehr anspricht und deutlicher aktiviert als die Wörter »Wachstum« oder »Veränderung«. Andere sind speziell vom Begriff »Wachstum« begeistert. Entscheiden Sie, was besser zu Ihnen passt.

Die Tatsache, dass Sie sich mit diesem Buch beschäftigen, sagt mir: Sie haben eine Herausforderung, etwas in Ihrem Leben läuft nicht rund, es geht Ihnen aktuell nicht gut. Sie haben Leidensdruck, Ängste, Sorgen, Unsicherheiten. Und ich weiß: Ihre bisherigen Veränderungsstrategien haben nicht funktioniert. Ihre Werkzeuge greifen nicht, denn sonst hätten Sie dieses Buch gerade nicht in Händen. Ein Weitermachen wie bisher würde nur die Krise verstetigen, vertiefen. Denn all Ihre Strategien und bisherigen Optionen haben Sie genau in diese Krise geführt. Und dabei ist es auch egal, ob es primär Gründe im Außen waren, die das aktuelle Scheitern, die aktuelle Trauer, den aktuellen Schmerz, die aktuelle Verzweiflung letztendlich befeuert haben. Weitermachen wie bislang ist also keine Option und nur der rückwärtsgewandte Versuch, mit unzulänglichen Mitteln und Werkzeugen aus Ihrer Vergangenheit einen Ausgang in die Zukunft zu finden, der so nicht zu finden ist. Sie müssen Abschied nehmen vom Weitermachen wie bisher.

Eine Veränderung erreichen Sie nur durch Offenheit, durch neue Erkenntnisse, durch neues Wissen, durch Strategiewechsel, durch neue Werkzeuge, durch neues Denken, durch neues Verhalten. Durch die Entscheidung, Neues auszuprobieren. Durch einen Neubeginn im tiefsten Sinn des Wortes. Sie müssen etwas neu und anders machen, und Sie müssen es beginnen und ritualisiert in Ihr Leben bringen.

Denken Sie deshalb immer in Neubeginn. Immer in anders. Immer in Disruption. Immer in Alternativen. Fragen Sie sich immer wieder: »Was kann ich ab jetzt und für den Rest meines Lebens anders als bislang machen? Ganz anders oder als Erweiterung zu meinem bisherigen Handlungs- und Verhaltensoptionen. Was kann ich ab heute Neues beginnen? Und mich von Altem verabschieden oder in mein bisheriges Leben zusätzlich integrieren?« Sie werden erstaunt sein, was Ihnen alles einfallen wird.

Damit sind wir am Ende dieses Kapitels, und ich habe folgenden Wunsch: Schauen Sie immer wieder in diesem Kapitel vorbei. Blättern Sie wie eine Art Daumenkino durch diese Seiten, und bringen Sie dadurch Ihren Verstand immer wieder in die Reflexion über diese Begriffspaare. Oder schreiben Sie die zwanzig Begriffspaare untereinander auf einen Zettel, tragen Sie diesen ein paar Wochen bei sich, und lesen Sie die Übersicht immer wieder.

Überschätzen Sie Ihren Verstand nicht, indem Sie glauben, einmal gelesen sei ewig gewusst. So tickt unser Gehirn leider nicht. Einmal gelesen, führt das Wissen dieses Kapitels in Ihr Kurzzeitgedächtnis, und übermorgen ist alles wieder weg. Natürlich gilt das für alle anderen Kapitel auch. Allerdings sind viele von ihnen erzählerischer und breiter angelegt, sodass die grundlegende Botschaft dieser Kapitel einfacher den Weg in Ihr Langzeitgedächtnis findet. Die Kapitel »Eine Art Vokabeltest« und »Ich ist ein Anderer – und am besten immer öfter!« arbeiten hingegen sehr präzise in Begriffen. Und nur wenn Sie sich diese Begriffe in Ihr Aktivwissen und Aktivdenken packen, können Sie Veränderung und Verbesserung initiieren und erzielen.

Falls das ein oder andere Begriffspaar so gar nicht zu Ihnen spricht, ist das auch nicht schlimm; dann lassen Sie es einfach weg. Aber mindestens die Hälfte der Unterscheidungen sollten Sie zukünftig aktiv denken, leben und nutzen. Ihr Leben wird den Unterschied spüren und dankbar sein.

Und jetzt kommt noch eine kleine Übung:

Übung: Vokabelbingo/Unterstützungssatzbingo

Das ist eine sehr kurze und jederzeit wiederholbare Übung. Schreiben Sie die zwanzig unterstützenden Begriffe jeweils auf einen kleinen Zettel, und falten Sie diese in der Mitte:

Selbst, Differenzierung, Pilot, Adler, Lebenswächter, Innerer Freund, Selbstfürsorge, Binnenregulation, Akzeptanz, Schmerz, Gedanken, Verantwortung, Reflexionsreaktion, Verhalten und Handlung, Wachstum und Veränderung, Furcht, Krise, Gebürtlichkeit, Neubeginn.

Legen Sie die Zettel in einen Topf, eine Schale, einen Korb oder einfach auf den Tisch. Mischen Sie die Zettel, und ziehen Sie dreimal drei Zettel heraus.

Formulieren Sie mit den jeweils drei Begriffen Ihre persönlichen Leitsätze, die Sie von jetzt an begleiten und an die Sie sich von jetzt an immer erinnern können und sollen, wenn es schwierig wird.

Alle zwanzig Begriffe sind als sinnvolle und stärkende Sätze kombinierbar und formulierbar. Alle Begriffe funktionieren miteinander.

Sie können diese Übung immer wieder machen, in Zeiten oder Momenten, in denen es Ihnen gerade nicht gut geht, oder einfach einmal im Monat zur Stabilisierung, zur Konzentration auf Ihre Fähigkeiten und Möglichkeiten.

Beispiele für solche Unterstützungssätze sind:

Selbst/Differenzierung/Selbstfürsorge:

Aus der beobachtenden Perspektive meines Selbst bin ich in der Lage, Differenzierung vorzunehmen und täglich Selbstfürsorge in mein Leben zu integrieren.

Innerer Freund/Reflexionsreaktion/Neubeginn:

Die Stimme meines Inneren Freundes wird mich immer liebevoll daran erinnern, dass ich neben meiner spontanen Affektreaktion auch noch eine reflexive Reaktion zur Verfügung habe, von der ich weiß, dass sie mich besser in der Überwindung der Krise unterstützt und dass ich deshalb, auch wenn ich gerade frustriert oder ängstlich bin, trotzdem aufstehe und meine aktuellen Aufgaben voranbringe, da ich Veränderungen und Verbesserungen in meinem Leben nur erzielen kann, indem ich jetzt etwas anders mache und dadurch einen Neubeginn starte.

Pilot/Schmerz/Wachstum:

Indem ich auf dem Pilotensitz meines Lebens in der Lage bin, Schmerz von Leid zu unterscheiden, kann ich mich immer wieder meinem Wachstum verpflichten, um gute Antworten auf meine aktuellen Herausforderungen zu finden.

Binnenregulation/Akzeptanz/Verantwortung:

Ich begreife, dass ich mich auf meine Ressourcen der Binnenregulation konzentrieren muss, wenn ich wirkliche und spürbare Veränderung leben will. Ich führe meine aktuelle Situation, Krise und Herausforderung in die Akzeptanz, die ich nicht kontrollieren kann, und verpflichte mich dazu, verantwortlich (das heißt in Lösungs- und Veränderungsgedanken) mit dieser aktuellen Realität meines Lebens umzugehen, statt dass ich mich weiter darin verliere, Schuld oder Schuldige zu suchen.

Gedanken/Krise/Gebürtlichkeit:

Mein Denken ist von jetzt an nur noch von Gedanken bestimmt, die verantwortlich die Überwindung meiner aktuellen Situation zum Ziel haben. Ich habe begriffen, dass es keine schnelle Lösung gibt, da ich mich in einer tiefen, strukturellen Krise meines Lebens befinde und es sich dabei nicht um ein Problem handelt, das spontan zu lösen wäre. Mir hilft es sehr, mich auf das fantastische Geschenk meiner Gebürtlichkeit zu konzentrieren, da ich dadurch lerne, dankbar für mein grundsätzliches Dasein und für die permanente Freiheit eines Neubeginns zu sein, auch wenn ich gerade noch gar nicht sehe, wie der aussehen könnte.

Lebenswächter/Handlung und Verhalten/Sinn:

Mein reflexiver Lebenswächter, der in der Lage ist, ein Gestern und Morgen und ein Falsch oder Richtig zu denken, wird mich täglich daran erinnern, dass sich das gelingende Leben primär aus Entscheidungen für Handlungen und Verhalten formt und nicht aus Sorgen, Grübeln, Denken und Fühlen; und er wird darauf achten, dass ich mein Leben an von mir als wichtig erachteten Sinnkategorien ausrichte und es damit nicht richtungslos und zufällig vor sich hin plätschert.

Ihrer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, und Sie können auch gern mehr als drei solcher Sätze formulieren und aufschreiben.

Meine drei Unterstützungssätze, die mich von nun an begleiten:

  1. ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________
  2. ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________
  3. ____________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________________