Baum-Kolumne.jpgKapitel 9
Feuer in der Nacht

Allem äußeren Anschein nach war ich auf dem absoluten Tiefpunkt angekommen. Ich hatte kein Geld und keinen Ort, an den ich gehen konnte. Doch erst als ich alles verloren hatte, lernte ich den Frieden kennen, den man empfängt, wenn man sich völlig auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes verlassen muss. Ich hatte nichts, aber gleichzeitig hatte ich alles, weil Christus das Kommando hatte.

Die nächsten paar Wochen verbrachte ich in Moatize, in einem Lager für Binnenvertriebene. Tausende Familien lebten dort in Zelten, die meisten hatten ihr Zuhause durch den Krieg verloren. Viele von ihnen hatten auch Familienmitglieder und Freunde in den Auseinandersetzungen verloren. Sie hatten es dringend nötig, die Liebe Jesu kennenzulernen.

Gott hatte mich sicher an diesen Ort gebracht, damit ich diesen völlig verstörten Menschen, die so viel erlitten hatten, die Gute Nachricht bringen konnte. Bei meiner Ankunft in Moatize redeten die negativen Stimmen in meinem Kopf immer noch laut auf mich ein und sagten mir, dass ich einen schrecklichen Fehler begangen hatte, nach Mosambik zurückzugehen, und dass ich dafür mit meinem Leben bezahlen würde. Aber als ich wieder klar denken konnte, konnte ich eindeutig sehen, wie Gott mich beschützt und mich hierher gebracht hatte. Ich hatte die radikale Entscheidung getroffen, nach Mosambik zurückzukehren, und der Herr hatte meinen Entschluss bestätigt und mir den Weg durch gefährliche Umstände hindurch geebnet, so wie er den Israeliten den Weg durch das Rote Meer gebahnt hatte. Ich wusste jetzt, dass ich das, was Gott für mich vorbereitet hatte, nicht erreichen konnte, wenn ich nicht bereit war, es auf radikale Weise zu verfolgen. Seitdem bin ich immer entschlossen gewesen, mich durch nichts von dem abhalten zu lassen, wozu Gott mich berufen hat.

Nicht um meinetwillen hatte Gott mich auf so wunderbare Weise beschützt, sondern um der Menschen in Mosambik willen, die auf dem Weg zur Hölle waren, weil sie Jesus nicht kannten!

Ich begann, von Zelt zu Zelt zu gehen und die Leute zu fragen, ob sie mir einige Minuten widmen würden, damit ich ihnen etwas über Jesus erzählen konnte. Innerhalb weniger Tage hatte ich eine kleine Gruppe von Gläubigen gesammelt, und ich predigte die Gute Nachricht mit Hingabe, denn ich wusste, Gott war mit mir und würde mir beistehen. Meistens wusste ich während dieser Zeit nicht, wo ich meine nächste Mahlzeit herbekommen würde, aber Gott versorgte mich immer. Eines Tages predigte ich außerhalb des Lagers, als ein weißhaariger, zahnloser alter Mann auf mich zukam. Er führte eine junge Ziege mit sich. Dann verbeugte er sich in meine Richtung und bedeutete mir mit einer Handbewegung, dass ich die Ziege nehmen sollte.

„Nein, nein“, protestierte ich. „Ich kann deine Ziege nicht nehmen.“ Der Mann war offensichtlich selber bedürftig, und die Ziege war ein kostbares Geschenk. In den Vereinigten Staaten oder in Westeuropa käme es etwa dem gleich, dass jemand einem ein nagelneues Auto schenkt. Man konnte sich kaum vorstellen, wie lange der Mann für diese Ziege hatte arbeiten müssen.

„Du musst sie nehmen“, beharrte er. Wiederum versuchte ich abzulehnen. „Es ist ein Geschenk von Gott“, sagte er.

Was konnte ich also anderes tun? Ich nahm die Ziege mit zu meinem Zelt, schlachtete sie und hatte mehrere Tage lang ausreichend zu essen. Manchmal frage ich mich, ob dieser „alte Mann“ wirklich ein Mann gewesen ist.

Sechs Monate lang reiste ich in Tete von Dorf zu Dorf, erzählte den Menschen von Jesus und gab mein Zeugnis in örtlichen Gemeinden, und viele kamen zum Herrn. Manche dieser Reisen über Land waren gefährlich. Mehr als einmal hörte ich in der Ferne das Geräusch von Maschinengewehren, als Renamo-Rebellen und Frelimo-Truppen gegeneinander kämpften.

Während meiner Zeit in Tete gab mir Gott von heute auf morgen die Nhungue-Sprache. Ich war Zeuge vieler Lebensübergaben und Heilungen, noch viel mehr als in Malawi, und an jedem Tag geschahen Wunder. Mein Glaube wuchs und erreichte ein höheres Niveau. Die Menschen waren so offen für das, was ich ihnen zu sagen hatte. Alle wurden gläubig und kamen zu Christus. Das Wort Gottes verbreitete sich in den Städten Tete, Matundo und Moatize, und die Menschen wurden ermutigt.

Sogar heute noch ist die gleiche Kraft, die in Jesus war und die ihn von den Toten auferweckt hat, auch in uns wirksam. Sie ist in Ihnen wirksam. Wenn Sie Ihr Herz öffnen und sie empfangen, dann wird sie sich auch durch Sie manifestieren. Der Herr kann Sie in noch viel größerem Maße gebrauchen, und es ist sein Wunsch, dass jeder dazu bereit sein möge.

Wieder auf der Schulbank

Nach einer Weile war ich bereit weiterzuziehen. Die Zeit war gekommen, meine Ausbildung fortzusetzen und in Beira, an der Küste von Mosambik, zur Schule zu gehen. Ich bat den Herrn, und durch einen Bruder in Christus gab er mir ein Flugticket. Es war meine erste Erfahrung mit dem Fliegen, und trotz all der göttlichen Bewahrung, die ich schon persönlich erlebt hatte, hatte ich Angst. Ehe ich in das Flugzeug stieg, kniete ich im Flughafenterminal nieder, um zu beten, meine Sünden zu bekennen und Gott zu danken.

Einige der vorbeigehenden Leute lachten mich aus, und heute ist mir klar, dass sie wahrscheinlich dachten, ich wäre verrückt. Als ich im Flugzeug saß, fing ich wieder an zu beten. Ich tat das so voller Inbrunst, dass die Flugbegleiterin mich bat, leiser zu beten. Fünfundvierzig Minuten später war ich sicher auf dem Boden von Beira angekommen und betrat so den nächsten Abschnitt meines von Gott vorgezeichneten Lebenswegs.

Beira ist mit etwa einer halben Million Einwohnern die zweitgrößte Stadt Mosambiks. Dort schaffte ich den Sekundarschulabschluss und begann danach eine Ausbildung in einer Schule für Krankenpflege. Erstaunlicherweise war ich Klassenbester, obwohl ich seit Jahren nicht zur Schule gegangen war, und ich entdeckte eine Liebe und Begabung für die Mathematik.

Selbstverständlich nahm die Schule immer den zweiten Platz ein, da mein Hauptinteresse nach wie vor darin bestand, den Verlorenen von der Erlösung durch den Glauben an Jesus Christus zu erzählen. Doch ich schaffte den Berufsabschluss als Krankenpfleger und zog danach in die nahe gelegene Stadt Dondo, wo ich im örtlichen Krankenhaus eine Arbeitsstelle annahm. In Mosambik gab es auf Grund des Krieges einen großen Bedarf an Ärzten und Pflegepersonal, und während dieser Zeit versorgte ich viele schwere Verletzungen.

Was den Evangelisationsdienst anging, gesellten sich nach einer Weile drei junge Männer zu mir. Wir wanderten gemeinsam meilenweit, predigten das Evangelium und beteten für die Kranken. Was uns verband, war nicht nur unsere Liebe für den Herrn, sondern auch die Liebe zum Gesang. Wir nannten uns die „New Jerusalem Singers“ und begannen in Gemeinden in ganz Zentral-Mosambik zu singen.

Samito war ein gutes Stück größer als wir anderen und trug immer ein leuchtend gelbes Hemd mit einem roten Blättermuster. Ich konnte ihn immer schon von Weitem kommen sehen!

Faria war sehr dünn und unglaublich schüchtern, aber fest entschlossen, Wundern nachzujagen. Er hatte einen tiefen, starken Glauben, und obwohl er ein wenig frustriert zu sein schien, wenn wir beim Beten für die Kinder der Blindenschule in Dondo keine Wunder erlebten, wankte sein Glaube nie. Seine Entschlossenheit, das nächste Wunder zu erleben, entzündete Glauben in uns allen.

Eliya war ein weiteres Mitglied unserer Gruppe. Er war nur ein Junge, gerade mal ein Teenager, vielleicht sogar noch jünger. Er machte immer bei allem mit, was wir anderen beschlossen. Er war hellhäutig und redselig, die Art von Kamerad, der die Dinge immer am Laufen hält und für gute Laune sorgt. Außerdem hatte er eine großartige Einstellung: „Ihr seid die Erwachsenen, also folge ich euch und mache alles, was ihr mir zu tun gebt“, sagte er immer – und genau das tat er auch.

Ich war in unserer Vierergruppe der Älteste, und obwohl ich nicht wirklich sehr viel älter war als die anderen, hatte ich das Gefühl, als wären sie alle drei meine Söhne. Genau wie ich waren sie auch Waisen, da sie ihre Eltern durch den Krieg verloren hatten. Alles, was ich hatte, teilte ich mit ihnen und durch meinen Teilzeitjob im Krankenhaus konnte ich sie mit allem versorgen, was sie brauchten.

Wenn wir nicht sangen oder predigten, verbrachten wir viel Zeit mit Fasten und Gebet. Es gab in Mosambik so viele leidende Menschen – Blinde, Lahme, Taube – und wir sehnten uns danach, ihnen zu zeigen, dass Gottes Macht sie an Leib und Seele gesund machen konnte. Für mich war das Wichtigste zu lernen, im Glauben etwas zu wagen, bereit zu sein, kühne Schritte zu tun und Gott in allem zu vertrauen. Ich trainierte meinen Glauben wie ein Gewichtheber, der sich an immer größere Gewichte heranwagt. Ich lernte auch, wie wichtig es ist, zu allen Zeiten den Willen Gottes zu suchen, anstatt ihm vorauszueilen an Orte, an die er mich überhaupt nicht gesandt hatte.

Wir hatten einen Freund namens Chico, der oft mit uns sang. Chico war ein kleiner Kerl mit einer großen Meinung von sich selbst. Er hatte zu allem etwas zu sagen und vertrat oft einen gegensätzlichen Standpunkt, nur weil er gerne Streitgespräche führte. Dabei war Chico kein Hitzkopf. Das Erstaunlichste an ihm war, dass er immer ruhig und gefasst erschien, selbst wenn er einem den Blutdruck in die Höhe trieb mit seinen provozierenden Bemerkungen!

Was ebenfalls bemerkenswert an ihm war, war die Musik, die er auf seiner selbstgebauten dreisaitigen Gitarre spielte. Der Junge liebte die Musik, und immer wenn ich ihn sah, wusste ich, dass die kleine Gitarre nicht weit sein konnte.

Leider war Chico kein Nachfolger Christi. Ich hatte viele Male mit ihm darüber gesprochen, dass er Christus als Herrn und Erlöser annehmen muss, aber er schob es immer auf.

An einem klaren, sonnigen Nachmittag beschlossen wir, ihn zu besuchen und noch einmal mit ihm über den Herrn zu reden. Wir machten uns also auf nach Mafarinha, einem Dorf am östlichen Rand von Dondo. Wir bahnten unseren Weg zwischen den strohbedeckten Häusern hindurch, unter den vielen mit Früchten beladenen Mangobäumen und vorbei an den Brunnen des Dorfes, bis wir zu Chicos Heim kamen. Chicos Eltern waren gestorben, als er ein kleiner Junge war, und er hatte sich selbst eine einfache Hütte gebaut, direkt neben dem Haus seines Bruders und seiner Schwägerin.

Chico war wie immer erfreut uns zu sehen, und wie immer hatte er seine Gitarre dabei. Er saß Gitarre klimpernd vor seiner Hütte und rief zur Begrüßung, als er uns den Weg entlang kommen sah: „Hallo! Kommt ihr um Musik zu machen?“

„Nein“, lächelte ich. „Wir sind gekommen, um mit dir über das neue Leben in Jesus Christus zu reden.“

„Ja“, sagte er und deutete auf die Bibel, die ich bei mir trug. „Ich sehe, ihr habt euer Buch mitgebracht.“

„Chico“, sagte ich und legte ihm freundschaftlich den Arm um die Schulter, „wann wirst du dein Leben Jesus anvertrauen?“

„Darüber können wir später reden“, sagte er. „Lasst uns zuerst etwas singen!“

Und das taten wir dann auch. Wir sangen etwa eine Stunde lang, oder etwas länger. Dann lasen wir eine Weile in der Bibel und sprachen darüber, was Gott in unserem Leben tat. Danach sangen wir wieder. Wir sangen immer weiter Loblieder zu Gott, bis die Schatten länger und dunkler wurden, die Sonne hinter dem Horizont versank und Dunkelheit das Land bedeckte.

Als wir schließlich endeten, war es schon spät und wir waren alle müde und schläfrig. Da es ein weiter Weg zurück in die Stadt war, beschlossen wir, die Nacht in Chicos Hütte zu verbringen. Drinnen gab es nicht viel Platz für uns fünf, aber zwei legten sich auf die eine Seite des Mittelpfahls, der das Dach stützte, und die anderen drei auf die andere Seite. Ich fiel schnell in einen tiefen Schlaf.

Obwohl ich die meiste Zeit des Tages damit verbracht hatte, Loblieder für Gott zu singen, hatte ich einen schrecklichen Traum: Ein dunkles, mordlustiges Gespenst war hinter mir und meinen Freunden her. Der Kopf des Feindes war etwa zwei Meter hoch, und es hatte riesige, lange Zähne und Augen, die mit Feuer brannten. Ich versuchte zu rennen, aber meine Beine wollten sich nicht bewegen. Das Monster kam näher und näher und näher. Es war jetzt so dicht, dass ich seinen heißen Atem auf meinem Gesicht spürte. Ich war drauf und dran verschlungen zu werden und konnte nichts dagegen tun. Ich versuchte, den Namen Jesus zu rufen, aber als ich den Mund öffnete, kam kein Laut heraus.

Ich schreckte ruckartig aus dem Schlaf hoch. Einen Moment lang dachte ich, das Monster wäre immer noch da und aus seinen Augen und Nasenlöchern schössen Flammen. Doch zu meinem Horror merkte ich plötzlich, dass die Flammen real waren: Chicos Hütte brannte!

Ich fuhr hoch und rief den anderen zu: „Wacht auf! Wacht auf! Feuer!“

Von draußen hörten wir das unverkennbare Rat-tat-tat-tat von Maschinengewehren. Dann erschütterte eine dröhnende Explosion die Nachtluft. Ein Artilleriegeschoss war ganz in der Nähe eingeschlagen.

Das Feuer blockierte die Eingangstür der Hütte. Es gab keinen anderen Weg nach draußen – es gab keine weiteren Fenster oder Türen. Wir rannten zum hinteren Teil der Hütte, um uns von den Flammen zu entfernen.

Die Hitze war auf einmal sehr intensiv, brennendes Stroh fiel vom Dach auf uns herab. Uns war klar, dass wir wahrscheinlich sterben würden; entweder würden wir bei lebendigem Leib verbrennen oder von Kugeln eines Maschinengewehrs durchlöchert werden.

Wir fingen an, wie verrückt auf die Lehmwand einzuhämmern in dem Versuch, ein Loch hineinzuschlagen, durch das wir entkommen könnten. Das Maschinengewehrfeuer ging draußen weiter, verstärkt durch vereinzelte Explosionen von Bazookas oder Handfeuerwaffen. Schreie und laute Rufe waren zu hören – überall um uns herum starben Menschen.

„Los!“, rief ich. „Jetzt oder nie!“

Gemeinsam traten wir ein letztes Mal gegen die Wand – sie zerbröckelte und wir stolperten nach draußen in die Dunkelheit, gerade als der letzte Rest des Dachs über uns zusammenbrach.