Ehe.
Der letzte Schritt ins Niemandsland.
Steven war der Erste. Sozusagen unser Testobjekt. Wie die Affen, die die NASA in den Fünfzigern in den Weltraum geschossen hat, obwohl klar war, dass sie niemals lebend zurückkehren würden.
Und jetzt ist Matthew in seine Fußstapfen getreten.
Was? Sie dachten doch nicht etwa, dass ich heute heirate, oder?
Auf gar keinen Fall. Ich komme ja gerade halbwegs damit klar, die Rolle des festen Freundes zu spielen. Ehemann ist ein Titel, auf den ich erst mal nicht scharf bin. Immer schön langsam mit den jungen Pferden. Matthew dagegen, der Spinner, wagt den Versuch.
Und sein Heiratsantrag – Mann, das war echt eine abgefahrene Geschichte! Matthew wollte die ganze romantische Nummer abziehen. Hat ein komplettes Restaurant nur für Delores und sich gemietet. Im Hintergrund spielte sogar ein Streichquartett. Aber als der große Augenblick dann kam … war Matthew so aufgeregt, dass er hyperventiliert hat.
Dann ist er einfach umgekippt.
Und hat sich auf dem Weg nach unten noch den Kopf an der Tischkante aufgeschlagen.
Delores ist ausgetickt – Kate meinte, Blut konnte Dee noch nie sehen. Sie hat den Krankenwagen gerufen. Und obwohl Matthew ihr mehrmals versichert hat, dass es ihm gut gehe, hat sie ihn gezwungen, in die Notaufnahme zu fahren.
Ab da wurde es interessant.
Im Krankenhaus müssen sie nämlich bestimmte Vorschriften einhalten. Eine davon sieht für jeden Patienten ein Krankenhemd vor. Als sie also Matthew mit seinem blutigen Verband am Kopf reinrollen, fangen sie an, ihm die Klamotten vom Leib zu schneiden. Dann stecken sie all sein Hab und Gut in eine große Plastiktüte – einschließlich des Zweihunderttausend-Dollar-Diamantrings, den Matthew für diesen Anlass gekauft hatte.
Die Vorstellung, diesen Ring zu verlieren, reißt ihn verdammt schnell auf seine kalten Füße. Also springt er von der Rolltrage, schnappt sich den Ring, rennt raus in die Ambulanz und fällt vor Delores auf die Knie. Und da platzt er mit dem Antrag raus.
Mitten in der dämlichen Unfallstation, während ihm der Arsch hinten aus dem Krankenhemd hängt, nackt wie am Tag seiner Geburt.
Natürlich hat Delores Ja gesagt. Und zwei Tage später sind wir zu viert nach Vegas zur Trauung in der Elvis-Kapelle gejettet.
Durchgeknallt? Klar. Aber irgendwie passt es auch, finden Sie nicht?
Jedenfalls kommen wir zurück in die Stadt, wo Matthew seinen Eltern verkündet, dass er jetzt ein verheirateter Mann ist. Noch nie habe ich Estelle Fisher so voller Leben gesehen. Sie hat sich die Augen ausgeheult und gejammert, dass sie die Hochzeit ihres einzigen Kindes verpasst habe.
Mir war echt unwohl dabei; deswegen kann ich nur erahnen, wie beschissen es Matthew gegangen sein muss. Seine Mutter zum Weinen bringen, das sind Schuldgefühle vom Kaliber sechster Höllenkreis.
Frank, kein Mann der großen Worte, hat seinen Sohn einfach nur angeschaut und gesagt: »Bring das in Ordnung.«
Aber sein Blick sprach Bände. Ungefähr so: Du magst ja dreißig Jahre alt sein, aber ich trete deinen Arsch trotzdem die Park Avenue rauf und runter, wenn du das nicht verdammt schnell wiedergutmachst.
Und hier sind wir nun.
Bei Matthews und Delores’ prachtvollem Hochzeitsempfang in New York City, mit freundlicher Unterstützung von Frank und Estelle. Keine Kosten wurden gescheut – ganz wie es der New Yorker High Society gebührt. Elegant muss es sein. Klassisch. Und das ist es auch.
Bis auf Delores’ Kleid natürlich. Haben Sie mal das Video zu Like a Virgin von Madonna gesehen?
Sehr gut – dann wissen Sie genau, wie Delores aussieht.
Zeit für die Cocktails – mal ehrlich, das ist der beste Teil auf jeder Hochzeit. Lediglich übertroffen von der Sache mit den Strumpfbändern. Ich war immer ein ausgezeichneter Strumpfbandfänger, und es gibt keinen besseren Weg, ein Mädel kennenzulernen, als ihr die Hand so hoch wie möglich unter den Rock zu schieben.
Aber das ist Geschichte. Mein Hier und Jetzt ist viel besser.
Weil neben mir nämlich das heißeste Mädchen im ganzen Raum sitzt – und ich darf ihr die Hand unter den Rock schieben, wann immer ich will.
Jetzt, da Kate ihr Kleid anhat, verstehe ich, warum sie gesagt hat, dass Strumpfbänder dazu nicht funktionieren würden. Es ist silbern und kurz. Und damit meine ich mikro-mini-mäßig kurz. Und halterlos. Jedes Mal, wenn ich sie anschaue, muss ich unwillkürlich daran denken, wie leicht es auszuziehen ist. Und ihre Schuhe? Sie erinnern sich doch an meinen Schuhfetisch, oder? Ihre Schuhe haben hohe Absätze, viele Riemchen, zeigen viel Zeh und …
Amelia Warren, Delores’ Mutter, steht von ihrem Tisch auf. Sie ist ziemlich dünn und hat eine schulterlange rotblonde Wuschelmähne im Achtziger-Stil. Und ganz wie die Tochter ist sie völlig durchgeknallt. Und das meine ich im wörtlichsten Sinne.
Zu Kates Geburtstag hat Amelia ihr eine riesige, schwere Kette aus Naturkristallen geschenkt, geborgen aus den Höhlen des Périgord, weil sie glaubt, dass sie Kates Lunge vor der schmutzigen Stadtluft schützen.
Eine Schande, wie streng die Vorschriften für eine Zwangseinweisung in diesem Land geworden sind.
Ach ja – und Amelia kann mich überhaupt nicht leiden. Keine Ahnung, wieso. Vor diesem freudigen Ereignis habe ich sie erst ein einziges Mal getroffen, und wir haben nicht mehr als fünf Worte gewechselt. Ich frage mich, ob die vernichtenden Blicke, die sie mir zuwirft, irgendwas mit ihrem Neffen zu tun haben.
»Oh, schau mal – Billy ist da! Er hat’s geschafft!«
Wenn man vom Teufel spricht, kommt er gegangen. Ich werfe einen Blick zur Türöffnung, und tatsächlich, der Schleimscheißer stolziert gerade herein.
Jep, ich hasse ihn immer noch. Der ist wie Genitalherpes – er geht einfach nicht weg.
Seit acht Monaten wohnt er jetzt in L. A., und sehr zu meinem Missfallen haben Kate und er immer noch Kontakt. Sie sagt, sie wären bloß – sprecht es alle mit – »Freunde«, aber das schlucke ich nicht. Ich meine, klar, in Kates Augen sind sie bloß Freunde. Das glaube ich schon. Doch in den Augen eines Kerls? Nie und nimmer.
Der »Freunde«-Joker ist die älteste Masche der Welt. Gleich nach »Ich glaube, ich bin schwul«. Er wartet bloß auf den richtigen Augenblick – darauf, dass ich’s verkacke, sodass er Kate seine Schulter zum Ausweinen darbieten kann. Wenn sie ganz schwach und verletzlich ist, dann steckt er ihr die Zunge in den Hals.
Kann er sich abschminken. Nicht mit mir.
Er bahnt sich seinen Weg zu unserem Tisch, und Kate geht auf ihn zu. Sie umarmen sich, und ich knirsche mit den Zähnen.
»Hi, Katie.«
»Hallo, Billy.«
Entschuldigen Sie mich kurz, ich muss die Kotze runterschlucken, die mir gerade hochgekommen ist.
»Dee-Dee wird sich wahnsinnig freuen, dich zu sehen. Ich dachte, du hast einen Auftritt?«
Sein Lächeln ist selbstgefällig. Schmierig. Wie bei einem Gebrauchtwagenverkäufer. »Ich hab meinem Agenten gesagt, er soll ein paar Sachen verschieben.« Dann nimmt er Kate genau in Augenschein, von Kopf bis Fuß.
Und ich würde sie am liebsten in eine Tischdecke einwickeln und ihm gleichzeitig mit einem Kaffeelöffel die Augäpfel ausstechen.
»Du siehst umwerfend aus.«
Sie legt den Kopf schräg und lächelt. »Oooh, süß von dir. Du siehst auch toll aus.«
Kate lässt den Scheiß echt über sich ergehen? Will sie mich verarschen?
Räuspernd erhebe ich mich und stelle mich hinter sie. »Warren.«
»Evans.«
Wir funkeln uns gegenseitig an – wie ein Löwe, der eine Hyäne mit seinen Blicken bezwingt, und Kate ist die frische Beute, die wir beide fressen wollen.
Genau in diesem Moment kommt meine Mom zu uns. »Kate, sei so gut und hilf mir, deine Mutter zu finden, ja? Der Fotograf will draußen noch ein paar Aufnahmen von der Familie machen, bevor die Sonne untergeht.«
Kates dunkle Augen verfinstern sich vor Sorge. Nervös huscht ihr Blick zwischen uns hin und her. »Äh … sicher, Anne. Kein Problem.«
»Danke dir, Schätzchen.«
Kate sieht eindringlich von mir zu Billy und zurück. »Bin gleich wieder da.« Im Weggehen flüstert sie mir noch zu: »Sei ein guter Junge, Drew.«
Ich feixe. »Heute Vormittag wolltest du das noch nicht.«
Ihr Lächeln ist schmallippig, und in ihrem Blick liegt eine Warnung: Jetzt aber schon.
Ich streiche ihr eine Strähne hinters Ohr. »Ich bin immer gut, Süße.«
Sie geht weg und lässt mich mit meinem Erzfeind zurück. Könnte interessant werden.
Warren stürzt sich kopfüber ins Gefecht. »Also, ich hab Kate letzte Woche ein paar Mal auf den Anrufbeantworter gesprochen. Anscheinend hat sie die Nachrichten nicht bekommen.« Seine Stimme klingt vorwurfsvoll. Völlig zu Recht.
»Vielleicht wollte sie einfach nicht mit dir reden.«
Er schnaubt – wie ein Schweinchen. »Vielleicht hast du die Nachrichten aber auch gelöscht.«
Ich trete einen Schritt näher, bis er zurückweicht. »Vielleicht solltest du nicht in meiner Wohnung anrufen.«
»Ich habe angerufen, um mit Kate zu sprechen.«
»Genau – Kate, die in meiner Wohnung wohnt.«
»Du kannst ihr verdammt noch mal nicht vorschreiben, mit wem sie redet. Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«
»Ihr Freund. Und das bedeutet: Doch, kann ich wohl. Und damit bist du ziemlich sicher von der Gesprächsliste gestrichen.«
»Weißt du was, Evans? Ich durchschaue dich. Du kommst so arrogant und selbstsicher daher, aber insgeheim scheißt du dir doch in die Hose. Weil du weißt, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Kate genug von dir hat.«
Ich runzle in gespielter Verwirrung die Stirn. »Tut mir leid – ich spreche kein Vaginalesisch. Was zum Henker soll das bedeuten?«
Er macht einen Schritt nach vorn, bis wir Nase an Nase voreinander stehen, wie zwei Boxer vor der Glocke. »Es bedeutet: Eilmeldung für dich, Schwachkopf – du bist nur der Lückenbüßer. Eine Ablenkung. Kate hat ihren Spaß, und dann sucht sie sich was mit besseren Zukunftsaussichten.«
Ich lache. »Dich zum Beispiel?«
»Die Rockstar-Nummer macht mich schließlich zu einem heiß begehrten Mann, oder nicht?«
Kate hat erzählt, dass er vor einigen Monaten einen Plattenvertrag unterschrieben hat, und ich habe ein paar seiner Songs im Radio gehört. Aber mir ist egal, wie viele Alben er verkauft – für mich wird er immer eine Dumpfbacke bleiben. Obwohl er mit der Rockstar-Sache recht hat. Die zieht immer. Typen mit der Visage von Mick Jagger oder Steven Tyler hätten ohne diesen Vorteil nicht die geringste Chance bei Frauen, und die wurden jahrzehntelang von sexwütigen Fans belagert.
»Aber nein, ich rede nicht von mir«, fährt er fort. »Das mit Kate und mir ist vorbei. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass sie bei dir bleibt. Wie lange kennst du sie jetzt, Evans? Acht Monate? Ich war elf Jahre mit ihr zusammen und davor neun Jahre mit ihr befreundet. Ich kann wohl sehr viel besser beurteilen, was Kate tun oder lassen wird.«
Na schön – das hat ein bisschen zu gut gesessen. Einer der Gründe, warum es mich so nervt, dass Kate immer noch mit ihm telefoniert. Weil er sie vor mir hatte. Das bezieht sich nicht auf den Sex; damit könnte ich umgehen. Ich rede von der Tatsache, dass sie ihn geliebt hat, ihn beinahe geheiratet hätte. Egal, was ich tue, egal, wie gut es zwischen Kate und mir läuft, ich werde also nie der Erste auf dem Gebiet sein, das wirklich zählt. Und das ist einfach ätzend. Der zweite Platz ist bloß für den ersten Verlierer.
Aber eher verschlucke ich meine Zunge, als dass ich das vor dem Arschgesicht hier zugebe.
»Erzähl keinen Scheiß. Ich kenne Kate. Ich …«
Mit einem Knuff in die Schulter unterbricht er mich. »Du weißt nur das, was Kate dich wissen lässt. Ich hatte bei allen bedeutsamen Momenten ihres Lebens einen Platz in der allerersten Reihe, du Arschloch. Zwanzig Jahre voller Erinnerungen werden ihr immer mehr bedeuten, als du jemals …«
Wissen Sie noch, wie Popeye immer wutentbrannt die Spinatdose aus der Tasche zog, bevor er sich über den blöden Pluto hergemacht hat? Tja, bei mir muss es jetzt ohne den Scheißspinat gehen.
Ich trete einen Schritt zurück und schlage dem Penner genau vors Kinn. Iron Mike sieht gerade ganz alt aus, und es fühlt sich großartig an. Das hätte ich schon vor Monaten tun sollen.
Warren taumelt nach hinten. Ich mache mich darauf gefasst, dass er mit einem Schwinger zurückkommt, und bereite mich auf einen Block vor. Worauf ich allerdings nicht gefasst bin, sind seine Schultern, die er mir geübt wie ein Linebacker der N. Y. Giants tief unten in die Hüfte rammt.
Wir purzeln übereinander und reißen das Pasta-Büffet hinter uns mit einem Krachen um, das die Menge herbeilockt. Marinarasoße spritzt durch die Gegend, regnet auf nichtsahnende Köpfe nieder und besudelt elegante Kleider. Sieht ein bisschen aus wie die Szene mit dem Schweineblut aus Carrie – Des Satans jüngste Tochter, stimmt’s?
Tja, entgegen der verbreiteten Auffassung laufen solche Sachen nicht so ab wie im Film. Da sind die Schlägereien minutiös geplant und durchchoreografiert. Im echten Leben wälzen sich raufende Kerle viel länger erfolglos über den Boden, fluchen und ächzen, während sie zwischen den verbalen Angriffen mal einen Hieb oder einen Tritt einstecken.
Schauen Sie sich das an!
Wir rollen herum, bis wir nebeneinanderliegen. Ich schiebe Warren auf Armeslänge von mir, wobei ich sein Hemd an der Brust gepackt halte, und lande einen hübschen rechten Haken an seinem Kiefer; das erste Blut fließt. Mit einem Knurren wuchtet er sich hoch, sodass er rittlings auf mir sitzt, und schallert mir von links eine aufs Auge.
Ich schüttele den Hieb ab und stoße hervor: »Da haut ja meine Schwester härter zu, du Saftsack.«
Er presst die Zähne zusammen und drückt mich an der Brust zu Boden. »Ach, lutsch mir doch den Schwanz!«
Ich ramme ihm von hinten das Knie in den Rücken. »Das würde dir gefallen, was? Ach, nein, stimmt ja, würde es gar nicht. Kate hat übrigens echtes Talent zum Schwanzlutschen. Du hast ja keine Ahnung, was dir all die Jahre entgangen ist, du Pisser.«
Ja – ich weiß.
Ich kann auch kaum fassen, dass ich das gerade gesagt habe. In einem Raum voller Leute. Vor Kates Verwandtschaft.
Und wenn der entsetzte Aufschrei, der verdächtig nach der Stimme meiner Freundin klingt, irgendwas zu bedeuten hat, stehen meine Chancen bestens, nie wieder im Leben einen geblasen zu bekommen.
War trotzdem ein ziemlich guter Konter, oder?
Ohne Vorwarnung erfüllt der Duft von Kaffee den Raum. Und gleich darauf stehen meine Beine in Flammen. Es brennt wie das siedende Öl, das die Burgwachen im Mittelalter auf Eindringlinge gossen.
»Aaaah! Himmelherrgott!«
Von einer Sekunde auf die andere vergessen Warren und ich jeden Gedanken daran, uns die Zähne einzuschlagen, weil wir vollauf damit beschäftigt sind, der glühend heißen Flüssigkeit auszuweichen, die sich auf uns ergießt.
Ich hebe den Kopf und blicke direkt in die teuflischen Augen von Amelia Warren. Stolz hält sie zwei Edelstahlkaraffen in die Höhe, die ehemals mit Kaffee gefüllt waren … und es jetzt nicht mehr sind.
Mit je einer Hand packt sie mich und Warren am Ohr. Und wir sind umgehend außer Gefecht gesetzt. Amelia Warren – bei Tage eine Nervensäge, bei Nacht eine Ninja-Kriegerin.
Sie schleift uns an unserem jeweiligen Ohr aus dem Saal, so ähnlich wie Schwester Beatrice es in den guten alten Schulzeiten gemacht hätte. Aber wir räumen nicht schweigend das Feld.
»Au … Scheiße … aaaauuu!«
»Tante Amelia, lass mich los! Ich bin Musiker, ich brauch das Ohr noch!«
»Heul nicht rum! Beethoven war taub und ist prima zurechtgekommen.«
Wir werden zu einem Nachbarzimmer gezerrt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Kate uns folgt. Die Arme verschränkt, den Rücken durchgedrückt – kein gutes Zeichen für mich. Sie öffnet uns die Tür, und wir vier gehen hinein.
Und bleiben alle wie angewurzelt stehen.
Denn vor uns, auf einem leeren Tisch, befindet sich niemand anders als Kates Mutter Carol und Stevens Vater – der gute alte, stille, zahlenversessene George Reinhart – und treiben’s wie zwei Teenager auf dem Rücksitz im Autokino.
Kein Scheiß.
Kate klappt der Unterkiefer runter; Fassungslosigkeit liegt in ihrer Stimme. »Mom?«
Ich hebe die Augenbrauen. »Wow. Weiter so, George.«
Hatte ich erwähnt, dass Kates Mom ein verdammt heißer Feger ist? Ist sie nämlich. Aber so was von.
Sie ist um die fünfzig, mit rostbraunen Locken, dunklen Augen, die mir vertraut vorkommen und kaum von Fältchen umgeben sind, und einem herzlichen Lächeln. Mit den Jahren ist sie ein bisschen rundlicher geworden, hat aber immer noch eine zierliche Figur. Wenn man wissen will, wie eine Frau im Alter aussehen wird, guckt man sich am besten die Mutter dazu an. Hätte ich noch nicht gewusst, dass ich der größte Glückspilz unter der Sonne bin, wären beim ersten Blick auf Carol Brooks alle Zweifel ausgeräumt gewesen.
Carol und George springen auseinander, als stünden sie in Flammen, und stottern verlegene Entschuldigungen, während sie ihre Kleidung zurechtziehen. Carols Gesichtsfarbe erinnert mich an diesen pinkfarbenen Hund aus der Zeichentrickserie Blue’s Clues – Blau und schlau. Von ihr muss Kate wohl das mit dem Erröten geerbt haben. George richtet seine Krawatte und gibt sich größte Mühe, Würde auszustrahlen – als wäre er nicht gerade mit den Händen auf Carols Milchtüten erwischt worden.
Er nickt in unsere Richtung. »Jungs. Kate.«
Ich winke.
Dann haspelt Kate hervor: »Mom, der Fotograf braucht dich.« Carol scheint erleichtert zu sein, eine Rückzugsstrategie zu haben, und das Pärchen eilt aus der Tür. Amelia-san entlässt mein Ohrläppchen aus ihrem Kung-Fu-Griff und dreht sich wie ein Oberfeldwebel auf dem Absatz hin und her.
Ich versuche, die Stimmung aufzulockern. »Junge, Junge … Das kam unerwartet, was?«
Kate runzelt die Stirn. Und Amelia pikst mir den Finger in die Brust. »Auch wenn du nicht in meine Verantwortung fällst: Sollte ich je wieder solche unflätigen Abscheulichkeiten aus deinem Mund hören, werde ich dir alle viere zusammenbinden, deine Nase zuhalten und dir Spülmittel in den Rachen gießen, wie es deine Mutter schon längst hätte tun sollen! Habe ich mich klar ausgedrückt, Mister?«
Ihr Zorn richtet sich auf Warren. »Und du – um Himmels willen, benimm dich, als hättest du wenigstens einen Funken Verstand! Wenn du glaubst, du wärst zu alt, um von mir noch mit dem Gürtel gemaßregelt zu werden, hast du dich grob verrechnet, junger Mann. Ich habe dir bessere Manieren beigebracht als das.«
Er senkt den Kopf. »Ja, Ma’am.«
»Für den restlichen Abend haltet ihr zwei euch auf unterschiedlichen Seiten des Raumes auf. Sollte einer von euch noch mal Ärger machen, lasse ich euch hochkant hinauswerfen.« Wütend marschiert sie aus dem Raum, und Warren trottet hinter ihr her wie ein verirrter Welpe.
Womit Kate und ich allein zurückbleiben.