[Die Katze 05] • Die tödliche Madonna

Die Leiche trieb langsam nach oben. Ein Karpfen hatte den Körper unter Wasser angestoßen und die letzten Verbindungen zu den Pflanzen zerrissen, die den Leichnam am Grund des Flusses festgehalten hatten. Es plätscherte leise, als der Körper die Wasseroberfläche durchbrach.

Es war Nacht. Hoch über der Loire stand am klaren, sternenübersäten Himmel der Vollmond und beleuchtete das Land. Die Leiche trieb langsam, der Strömung folgend, flußabwärts. Niemand bemerkte sie.

Der Körper driftete, sich langsam drehend, die Loire entlang – vorbei an den Schlössern, die sich die französischen Könige und Fürsten an den Ufern dieses herrlichen Stroms erbaut hatten. Chambord, Blois, Amboise und viele andere. Nach fast jeder Biegung tauchte ein neues Juwel auf, versteinerte Vergangenheit, angefüllt mit Kunstschätzen aus vielen Jahrhunderten, zusammengetragen von Menschen, die zeit ihres Lebens kaum einen Handschlag selbst getan hatten.

Hinter den hohen Fenstern der Schlösser brannte kein Licht. Die Touristenströme, die sich nachmittags durch die Räume wälzten, hatten sich verloren. Die wenigen Bediensteten, die im zwanzigsten Jahrhundert noch in diesen Palästen arbeiteten, waren längst zu Bett gegangen.

Die Leiche passierte ein Wehr, verschwand für ein paar Augenblicke im wirbelnden, weißschäumenden Wasser und trieb dann weiter.

Erst in den frühen Morgenstunden streifte der Leichnam einen Baum, dessen Wurzeln ins Flußbett ragten, und blieb daran hängen …