Erinnerung an meine traurigen Huren
![Erinnerung an meine traurigen Huren](/cover/1vUrX2-fSLfpAzwl/big/Erinnerung%20an%20meine%20traurigen%20Huren.jpg)
- Authors
- Márquez, Gabriel García
- Publisher
- Fischer Verlag
- Tags
- roman
- ISBN
- 9783596172597
- Date
- 2006-11-16T00:00:00+00:00
- Size
- 0.28 MB
- Lang
- de
Wenn man älter wird, bleibt oftmals nur Erinnerung. So
ist es auch beim Ich-Erzähler im Roman Erinnerung an meine traurigen
Huren des großartigen kolumbianischen Schriftstellers und Nobelpreisträgers
Gabriel García Márquez, der immerhin seinen 90. Geburtstag feiert und im Buch
der leichten Mädchen blättert, die er im Laufe seines Lebens für Sex bezahlte.
Oder doch zumindest fast. Denn Márquez wäre nicht Márquez, hätte er nicht auch
diesmal wieder eine ganze Reihe raffinierter Wendungen und narrativer Wunder in
seine Geschichte mit eingeflochten. Und so beginnt das erzählerische Feuerwerk
von Erinnerung an meine traurigen Huren gleich mit dem ersten,
überraschenden Satz: „Im neunzigsten Jahr meines Lebens wollte ich mir zum
Geburtstag eine liebestolle Nacht mit einem unschuldigen Mädchen schenken“.
Was die „Reinheit meiner Prinzipien“ angeht, so hatte Rosa Cabarcas,
Besitzerin eines geheimen Bordells, das Wesen des Erzählers bereits früh
durchschaut: „Auch die Moral ist nur eine Frage der Zeit, sagte sie mit einem
maliziösen Lächeln, du wirst schon sehen.“ Aber die Reinheit der Prinzipien ist
doch stärker als die Intuition der Frau. Denn der Greis rührt die ihm zugeführte
Delgadina in der Liebesnacht nicht an. Aus dem Wunsch nach Sex wird Liebe, und
als Delgadina plötzlich verschwindet, fürchtet der Erzähler nichts mehr, als
dass ein anderer vollendet haben könnte, was er zum Glück im letzten Augenblick
zu verhindern verstand.
Für Gabriel García Márquez, der uns mit Romanen und Erzählungen wie
Hundert Jahre Einsamkeit oder Chronik eines angekündigten Todes
ein ums andere mal verzaubert hat, gehört Erzählen zum Leben dazu wie Essen und
Schlaf. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit bis zum Erscheinen des neuen
Buchs. Trotzdem haben wir zehn Jahre auf dieses Ereignis warten müssen. Aber das
Warten hat sich gelohnt. Denn Erinnerung an meine traurigen Huren strotzt
nur so von Altersweisheit, Lust und Liebe. Mit diesem Buch hat der Autor dem
alten literarischen Topos vom alten Mann und dem Mädchen ein neues, in allen nur
erdenklichen Farben des phantastischen Realismus seiner Heimat schillerndes
Denkmal gesetzt.
Schade ist da nur, dass García Márquez einen eher schmalen Band vorgelegt
hat. Aber wenn sein nächstes Buch nur annähernd so gut sein sollte wie dieses,
dann wollen wir gern wieder zehn Jahre darauf warten. --Stefan
Kellerer