[Ronco 250] • Colorado-Mann

[Ronco 250] • Colorado-Mann
Authors
Grey, John
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.17 MB
Lang
de
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24. Oktober 1880

In den letzten Wochen habe ich mehrfach gedacht, es geht nicht weiter. Es war eine schlimme Zeit, in der ich häufig das Gefühl hatte, der Tod Lindas habe auch mein Leben beendet. Aber da ist noch immer Jellico, mein Sohn. Ich habe mich entschlossen, ihn zu einem Ort zu bringen, wo er sich in Sicherheit befindet und alle Fürsorge erhält, die nötig ist, um ihn zu einem aufrechten Kerl heranreifen zu lassen.

Ich weiß, daß meine Entscheidung richtig ist. Ich weiß, daß der Ort gut gewählt ist.

Wir sind in Texas, Lobo und ich. Jellico sitzt vor mir im Sattel. Nur noch wenige Meilen, dann sind wir dort, wo meine Geschichte begann: in der Mission der spanischen Padres am Pease River. Dort bin ich aufgewachsen, dort habe ich glückliche Jahre verbracht, bis ein verräterischer Armeescout mich verschleppte und an die Apachen verkaufte, wo ich zeitweise als weißer Indianer aufwuchs und zum Mann wurde.

Ich will, daß auch Jellico bei den Padres aufwächst, die mir einst das Leben retteten und alles taten, mich nicht spüren zu lassen, daß ich allein auf der Welt stand. Nur ihnen kann ich Jellico anvertrauen. Ich weiß, daß mein Sohn gut bei ihnen aufgehoben ist.

Ein eigenartiges Gefühl hat mich erfaßt, seit ich mich wieder in dem Land befinde, das einmal meine Heimat war. Mehr als zwei Jahrzehnte sind seitdem vergangen. Meine Vergangenheit steht vor mir, klar und deutlich, jede Einzelheit. In diesem Land nahm alles seinen Anfang. Damals ahnte ich noch nicht, was das Leben mir alles bringen würde. Ich war ein Kind und wußte nichts.

Ich wuchs auf, erst bei Mönchen, dann bei Apachen, dann mußte ich meinen eigenen Weg finden. Ich war ein Tramp, ritt im Pony Expreß, sah den Goldrausch von Montana.

Während ich mich in den Territorien des weiten Westens herumgetrieben hatte, war der Bürgerkrieg zwischen dem Norden und dem Süden ausgebrochen. Als ich Mississippi erreichte, beschloß ich, um das Kriegsgeschehen einen weiten Bogen zu machen. Es dauerte eine Weile, bis ich merkte, daß ich bereits mittendrin steckte und niemand sich in diesen Tagen den Ereignissen entziehen konnte.

Wie viele andere mußte ich mich entscheiden. Ich blieb im Norden. Ich haßte die Sklaverei in jeglicher Form. Meine Freiheit ging mir über alles. Mehr als woanders hatte ich ihren Wert bei den Indianern kennengelernt. Daher gab es für mich keinen Zweifel, daß ich an die Seite des Nordens gehörte, gegen die Sklavenhalter im Süden. Auch wenn ich später begriff, daß das Freiheitsgeschrei im Norden auch nicht viel wert war.

Als ich Mitte Juli 1864 Mississippi als ziviler Kurierreiter der Unionsarmee verließ, lagen einige Ereignisse hinter mir, die mich direkt mit dem Kriegsgeschehen konfrontiert hatten. Ich ritt nach Georgia, in der Satteltasche meines häßlichen braunen Hengstes eine versiegelte Nachricht für General Sherman, dessen Truppen vor der Hauptstadt des Staates, Atlanta, aufmarschiert waren. Ihr Fall stand unmittelbar bevor, und General Sherman hatte große Pläne, die er mit den übrigen Truppenkommandeuren abstimmen wollte. Das war der Inhalt der Depesche, die ich zu befördern hatte. Mehr wußte ich nicht darüber. Aber es wurde viel gemunkelt. Gerüchte gingen um. Doch ich hatte schon gelernt, darauf nichts weiter zu geben.

Als ich das Heerlager Shermans am 21. Juli 1864 erreichte und die Botschaft ablieferte, lag ein anstrengender Ritt hinter mir. Alles war glattgegangen. Ich konnte zufrieden sein. Ich war noch nie in Georgia gewesen und gedachte auch nicht, lange zu bleiben. Ich ahnte nicht, daß es anders kommen würde.