Zonenkinder

Zonenkinder
Authors
Hensel, Jana
Publisher
Rowohlt E-Book
Tags
belletristik , gegenwartsliteratur (ab 1945)
ISBN
9783499235320
Date
2002
Size
4.79 MB
Lang
de
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"Ich such die DDR / und keiner weiß, wo sie ist", schrammelten die Anarcho-Punks von "Feeling B", nachdem ein gewisser Hans Modrow das, wie es damals hieß, "marode" Staatswesen besenrein an Helmut Kohl übergeben hatte. Seit dem Fall der Mauer war kaum ein Jahr vergangen, und wer damals an der Schwelle von Kindheit und Erwachsensein stand, hatte es wirklich nicht leicht: In den Klassenräumen erinnerten nur mehr helle Flecken an die Bilder von Erich Honecker und Lenin, die Bravo ersetzte Trommel und ABC-Zeitung , die Kaufhalle wurde zum Supermarkt. "Die Dinge hießen einfach nicht mehr danach, was sie waren. Vielleicht waren sie auch nicht mehr dieselben." Im Sauseschritt der neuen Zeit, die schon manch Ältere ins Stolpern brachte, geriet die Kindheit der in den Siebzigern geborenen zu einem "Museum ohne Namen". Den Schlüssel dazu muss dann irgendwann jemand verlegt haben. Fortan hielt man sich besser fern: Betreten verboten! Jana Hensel, 1989 gerade 13 Jahre alt, hat sich fast zehn Jahre später auf die Suche gemacht: Nach längst verschütteten Erinnerungen, nach einer verlorenen Zeit. Sie betritt damit vermintes Gelände, denn noch immer gilt: Wer die DDR anders denn als Unrechtsstaat mit Mauer, Stacheldraht und Stasi in den Blick nimmt, wird als Ignorant oder Ostalgiker gescholten und mit Missachtung nicht unter fünf Jahren bestraft. Doch anders als ihre Eltern oder die letzte "echte" DDR-Generation der heute 35- bis 40-Jährigen starteten die "zwittrigen Ostwestkinder" ohne moralischen Ballast ins Leben. Dank einer anderen "Gnade der späten Geburt" kann Hensel über Fahnenappell und Ferienlager ebenso unbefangen sprechen wie über den langen, steinigen Weg, den ihre Altersgenossen zu den feinen Unterschieden der westlichen Warenwelt, zu den Dresscodes und Floskeln des bundesdeutschen Alltags zurückgelegt haben. Gelebtes Leben geht weder in Anekdoten noch in Spiegel -Stories auf; es will erzählt werden. Genau das tut Hensel, gleichsam naiv, und doch genau, voller Witz und Selbstironie. Ihre Geschichten um Heimat, Erziehung, Liebe und Freundschaft geben jenen, die sich auf Dauer in einer fremden Welt einzurichten hatten, einen verdrängten Teil ihrer Biografie zurück -- weit entfernt von dumpfen "Es-war-doch-nicht-alles-schlecht"-Reflexen. Entstanden ist so das Porträt einer Generation zwischen allen Stühlen: Die "ersten Wessis aus Ostdeutschland", denen ihre wenigen DDR-Jahre im Rückblick immer märchenhafter scheinen, sind längst im Hier und Heute angekommen. "Teil einer Jugendbewegung" wollen sie nicht mehr sein -- das hatten sie schon. Dass die Zonenkinder -- Ballack und Schneider, Gold-Franzi und Ullrich-Jan lassen grüßen -- bislang hauptsächlich auf dem Feld der Leibesübungen zu medialem Ruhm gekommen sind, soll uns nicht wundern. Hier sind die berühmten deutschen Sekundärtugenden, Ausdauer und eiserne Selbstdisziplin, besonders gefragt, die in langen Jahren der Anpassung trainiert wurden. Doch Vorsicht! Die Generation Golf (Florian Illies) sollte sich nicht zu früh freuen: Auch wenn die Zonenkinder in der öffentlichen Wahrnehmung bislang merkwürdig profillos geblieben sind, könnten sie es sein, die die Geschicke des Landes in den nächsten Jahrzehnten entscheidend mitgestalten. --Niklas Feldtkamp