[Ronco 375] • Gewehre für Juarez
- Authors
- Grey, John
- Publisher
- Pabel/Möwig Verlag
- Tags
- heft-ronco
- Date
- 0101-01-01T00:00:00+00:00
- Size
- 0.18 MB
- Lang
- de
4. Juni 1882
Es ist mein Schicksal, mir Feinde zu schaffen. Immer neue, immer mehr – mehr als für einen einzelnen Mann gut sein kann.
Ich habe oft darüber nachgedacht: Manche Menschen leben in Frieden mit ihrer Umwelt, werden alt und grau und treten niemals jemanden auf die Füße. Sie haben nur Freunde, niemand haßt sie, niemand trachtet ihnen nach dem Leben.
Ich habe ein solches Leben immer für erstrebenswert gehalten und häufig versucht, es zu führen. Aber jeder Mensch hat sein Schicksal.
Mein Schicksal bestand meistens darin, Unfrieden ertragen zu müssen, Ungerechtigkeit – in jedem Fall aber Unruhe und Kampf.
Das war so, seit ich denken kann. Von Kindesbeinen an hatte ich Schwierigkeiten, und ich mußte immer kräftig strampeln, um den Kopf oben zu behalten. Ich wurde in ein gewalttätiges Land hineingeboren, aber das allein war nicht der Grund. Vielleicht hätte ich Eltern haben müssen, um ein anderes Leben zu führen. Aber ich hatte keine, obwohl ich mir manchmal den Kopf darüber zerbrochen habe, ob nicht doch meine Mutter oder mein Vater den Indianer-Überfall auf den Treck in Nordtexas überlebt hatten, in dessen Trümmern ich später von Mönchen gefunden wurde. Doch der einzige Hinweis auf meine Eltern ist das alte, schwarzangelaufene, silberne Medaillon, das ich am Hals trage. Eine schwache Spur. Und ich hatte auch nie Zeit, mich weiter darum zu kümmern.
Ich wollte leben, dafür mußte ich kämpfen. In den Jahren in denen ich unschuldig gejagt wurde, und jetzt, da ich das Gesetz vertrete.
Damals, als ich meine Unschuld zu beweisen hatte, habe ich mir Feinde geschaffen, jetzt schaffe ich mir wieder welche. Es gibt zu viele Leute, die meinen, daß für sie andere Gesetze gelten, weil sie ein Vermögen als Polster im Rücken haben. Das sind die Gefährlichsten.
Einen Mörder kann man stellen und ihn wegen seiner Untaten bestrafen. Diese Leute aber schicken mit einem Wort eine ganze Horde Mörder auf den Weg. Sie löschen mit einem Federstrich Menschenleben aus und vernichten Existenzen, ohne sich die Finger zu beschmutzen. Aber sie sind nur sehr schwer zu packen.
Das Schlimme ist: Manchmal sind sie wirklich stärker als das Gesetz. Wenn ich nicht an eine ausgleichende Gerechtigkeit glauben würde, wäre ich in solchen Fällen manchmal verzweifelt.
Ich habe manchen mächtigen Männern gegenübergestanden, und manche habe ich nicht überführen können. Aber ich habe an ihrer Fassade gekratzt, und das werden sie mir nie vergessen. Diese Leute haben leider ein gutes Gedächtnis. Vor ihnen muß ich mich am meisten in acht nehmen.
Manchmal befällt mich ein ungutes Gefühl, wenn ich daran denke. Ich bin vielleicht zu eifrig gewesen, ich habe mich zu weit vorgewagt. Ein Mann wie ich, selbst jahrelang geächtet. Auch wenn man unschuldig war und diese Unschuld beweisen konnte – so eine Vergangenheit hängt einem nach. Andere, die tatsächlich Dreck am Stecken haben, fühlen sich durch mich und meine Arbeit provoziert.
Ich darf nicht zu oft daran denken, denn dann habe ich das Gefühl, daß ich nicht mehr lange den Stern tragen werde. Meine Gegner schlafen nicht. Ich spüre, daß mein Weg noch lange nicht zu Ende ist, daß die Beständigkeit, die ich immer gesucht habe, noch sehr weit ist. Fortlaufen aber werde ich nicht. Ein Mann muß sein Schicksal annehmen und das Beste daraus machen. Das bin ich auch meinem Sohn schuldig – und Manuela.
Es hat schlimmere Zeiten für mich gegeben als heute zum Beispiel, die ersten Monate, in denen ich unschuldig gejagt wurde. Damals taumelte ich von einem Schock in den anderen, weil ich lange Zeit nicht begreifen wollte, daß es möglich war, unschuldig zu sein und ausgerechnet von Leuten gejagt zu werden, die selbst auf eine Anklagebank gehörten.
Es dauerte eine Zeit, bis mir klar wurde, welche Macht meine Gegner, deren Namen ich damals noch nicht kannte, tatsächlich hatten.
Es war im Frühjahr 1867. In Mexiko tobte der Todeskampf der Regierung des Kaisers Maximilian. Ich wußte davon nur, was allgemein an der Grenze nach Mexiko geredet wurde, denn ich hatte anderes im Kopf. Ich war auf der Spur meiner Feinde, sonst gab es nichts, was mich bewegte …