[Ronco 360] • Die Jagd auf Ronco

[Ronco 360] • Die Jagd auf Ronco
Authors
Elliot, Jim
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.19 MB
Lang
de
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März 1882

In meinen letzten Tagebuchaufzeichnungen berichtete ich von meinem Prozeß, in dem ich schuldig gesprochen wurde, zweihundert Frauen und Kinder absichtlich in den Tod geführt zu haben. Ich erzählte von der schwersten Krise meines Lebens. Über Nacht war ich aus einem Armeescout zu einem Ausgestoßenen geworden, auf dessen Kopf eine Belohnung ausgesetzt war. Ich war kein Mann mehr, dessen Fähigkeiten von der Armee geschätzt und anerkannt wurden. Ich war als Verräter und Verbrecher gebrandmarkt und war tot mehr wert als lebendig, weil ich meinem Jäger einen Gewinn von fünftausend Dollar einbrachte, falls er meine Leiche bei irgendeinem Marshal ablieferte.

Ich war unschuldig, aber ich konnte es nicht beweisen. Ich war dem wahren Verräter auf der Spur, aber ich konnte ihn nicht überführen, weil ich offiziell für das Verbrechen verurteilt war, das andere begangen hatten.

Ich war erst zweiundzwanzig Jahre alt, hatte aber nach meinem Schuldspruch keine Daseinsberechtigung mehr. Nachdem ich mich die ersten Tage nach dem Massaker im Halcon Canyon als Versager selbst verdammt und am liebsten umgebracht hätte, weckte die Ungerechtigkeit des Verfahrens gegen mich neue Kräfte in mir. Ich versuchte, mich als Außenseiter im Leben wieder zurechtzufinden. Meine neue Aufgabe war mir aufgezwungen wie ein Brandstempel. Ich mußte die wahren Schuldigen des Massakers finden, um einen neuen Prozeß anstrengen zu können, der meine Unschuld bestätigte.

Ich rechnete damals mit großen Schwierigkeiten. Ich war selbst ein Gejagter und mußte mich vor der Armee, Kopfgeldjägern und Sternträgern verstecken. Gleichzeitig mußte ich denjenigen jagen, für dessen Verbrechen ich mit meinem Leben büßen sollte. Ich rechnete damit, daß es Monate dauern könnte, bis ich mein Ziel erreichte, von den Menschen wieder als unbescholtener Mann akzeptiert zu werden.

Ich ahnte nicht, daß es über ein Jahrzehnt dauern würde, bis ich rehabilitiert war. Hätte ich das gewußt, wäre ich schon am ersten Tag an meiner Aufgabe verzweifelt.

Doch in jenem ersten Jahr meiner Verbannung lernte ich auch den unbändigen Willen kennen, der Menschen ergreifen kann, wenn sie für eine gerechte Sache kämpfen müssen. Es ging ja nicht allein darum, meine Unschuld zu beweisen. Ich mußte auch der Gesellschaft und der Nation einen Dienst erweisen. Denn die wahren Schuldigen an dem Massaker von Halcon Canyon glaubten sich jetzt sicher vor einer Verfolgung oder Entdeckung ihrer schändlichen Tat. Sie würden von neuem Verrat begehen an ihren Mitmenschen und vielleicht noch einmal zweihundert Frauen und Kinder in den Tod schicken.

Ich wußte, daß meine neue Aufgabe eine Verpflichtung für die Gemeinschaft bedeutete. Und von diesem Tag an war bereits der Grundstein gelegt für eine Tätigkeit, die ich jetzt erfülle: Schaden abwenden von der menschlichen Gesellschaft, die ihr von Verrätern und Schädlingen des Gemeinwohls drohen. Das Verlangen nach Gerechtigkeit im Menschen ist keine Selbstbestätigung oder eine selbstsüchtige Sache. Es ist der Wunsch, dem anderen das gleiche Recht auf Glück, Erfüllung und Respekt einzuräumen wie sich selbst. Es ging mir nicht nur um mein Recht.

Aus meinem Willen damals, zu überleben, wurde eine Aufgabe, der ich mich heute verpflichtet fühle. Es war der Sommer des Jahres 1866, und ich war nach Arizona ausgewichen, weil ich glaubte, mein Steckbrief gelte nur in Texas. Ich sollte bald erfahren, daß das eine Illusion war. Aber ich wich nicht nur aus, sondern setzte mich gleichzeitig auf die Fährte jener Männer, die mich eines Tages zu dem wahren Schuldigen des Massakers führen mußten …