Wem die Stunde schlägt

Wem die Stunde schlägt
Authors
Hemingway, Ernest
Publisher
Fischer Verlag
Tags
roman
ISBN
9783862310777
Date
2011-05-19T22:00:00+00:00
Size
0.47 MB
Lang
de
Downloaded: 411 times

Für mich war Ernest Hemingway (1899-1961) immer ein Mann

der kurzen Strecken. Short stories wie Die Killer (1927) oder Das

kurze glückliche Leben des Francis Macomber (1936) sind Meisterwerke des

rasanten Sprints und fulminanten Endspurts, und spätestens seit seiner Schulzeit

weiß man, wie sehr es in der deutschen Literaturlandschaft der Nachkriegszeit

als sportlich galt, diesem Weltmeister der amerikanischen Kurzgeschichte

hinterherzuhecheln.

Auch Hemingways Roman Wem die Stunde schlägt (1940) beginnt mit einem

schnellen Glücksstart, der den Helden Robert Jordan im atmosphärischen Stil der

Short story auf die Reise schickt: "Er lag der Länge nach auf dem braunen,

nadelbedeckten Boden des Waldes, das Kinn in die verschränkten Arme gestützt,

und hoch über ihm wehte der Wind durch die Wipfel der Kiefern". Dann genügen

zwei, drei Sätze, und man ist mittendrin im Geschehen um die Brückensprengung

während des Spanischen Bürgerkriegs, erlebt die Liebesgeschichte des

antifaschistischen Protagonisten mit der jungen Partisanin Maria -- und gerät

beim Lesen manchmal selbst ganz außer Atem.

Leider kann Hemingway, einst Reporter im Spanischen Bürgerkrieg, dieses

Erzähltempo nicht immer beibehaltenhalten: Über lange Distanzen gerät er etwas

aus der Puste. Dann wird er allzu langatmig und verliert das Ziel ein wenig aus

den Augen. Und mancher Satz ist einfach schlecht geschrieben. Aber dann gibt es

wieder Passagen von einer derart versöhnlichen Dichte, die jene der Erzählungen

fast noch übertrifft. Der tötliche Spießrutenlauf der Dorffaschisten durch das

Dreschflegelspalier der Partisanen etwa, der wahnwitzige Kampf des

Guerillaführers El Sordo, der sich seine "Reisegesellschaft" ins Jenseits

zusammenschießt, oder die eigentliche Schilderung der Brückensprengung gehören

zum Eindrucksvollsten, was Hemingway geschrieben hat.

Irgendwann im Buch macht sich Jordan als Alter ego des Autors auch Gedanken

darüber, wie das Erlebte zu verarbeiten sei: "ich vermute, du wirst das alles

loswerden, wenn du darüber schreibst", heißt es im Selbstgespräch. "Wenn du es

erst einmal niederschreibst, wird es verschwinden. Es wird ein gutes Buch

werden, falls du dazu kommst, es zu schreiben. Besser als das andere." Wer das

Glück hatte, Hemingways Bürgerkriegsepos mit 14 Jahren zu verschlingen, wird

dieses Urteil über weite Strecken teilen. Wer es nach etwa zwanzig Jahren

wiederliest, der über kurze Strecken auch. --Thomas Köster