[Ronco 265] • Die Todesinsel

[Ronco 265] • Die Todesinsel
Authors
Jones, Everett
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.16 MB
Lang
de
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22. Januar 1881

Wir sind so tief in den Süden New Mexicos vorgedrungen, daß wir den Winter praktisch hinter uns gelassen haben. Lobo und ich reiten durch zerklüftetes, karges Land, auf dem anspruchslose Kakteen in weiten Lavagebieten wachsen. Nur ganz vereinzelt haben sich schmutzige Schneereste in schattigen Mulden erhalten. Die Bäche und Flüsse sind erheblich angeschwollen. Sie tragen die Schmelzwasser aus den Bergen herunter, und mit ihnen gewaltige Mengen an Lehm und Sand, die sich überall an den Ufern ablagern. Zudem regnet es oft, so daß der Sandboden jenseits der Lavafelder aufgeweicht und dunkel aussieht und die Overlandstraßen glatt wie Schmierseife sind.

Je weiter wir nach Süden vordringen, um so bekannter erscheint mir alles, was uns umgibt. In dieser Gegend New Mexicos war Andrew Hilton einst der unumschränkte Herr gewesen, der sogar den Gouverneur wie eine Puppe hatte tanzen lassen. Alles, womit hier einmal Geld verdient worden war, hatte ihm entweder gehört oder war zumindest für ihn eine Einnahmequelle gewesen. Alle hatten an ihn zahlen müssen. Dafür hatten seine eiskalten Revolvermänner gesorgt. Und überall saßen seine Spitzel.

Jetzt ist er von der Bildfläche verschwunden und sitzt irgendwo in Mexiko. Aber er soll noch immer stark und mächtig sein und an den Fäden ziehen, mit denen Einfluß und Macht bewegt werden. Er ist so weit weg vom Schuß, daß die Behörden New Mexicos vergebens den Arm nach ihm ausstrecken würden. Ich muß mich nach wie vor vor diesem gefährlichen, durchtriebenen Mann in acht nehmen. Er und seinesgleichen wollen nicht, daß ich Ruhe finde.

Doch auch ich habe ihn nicht vergessen. Mein Schwur, ihn zu töten, erinnert mich ständig daran, daß er noch am Leben ist. Ich suche nach ihm. Eines Tages werde ich ihn finden und ihm gegenüberstehen. An diesem Tage wird er für Lindas Tod und für alles andere, was er mir antat, bezahlen.

Wir nähern uns Cow Springs. In dieser Stadt hoffen wir, Senator Wilson anzutreffen. Er hat mir sehr geholfen. Ohne ihn hätte ich mich nicht vom Makel des Geächteten befreien können.

Seit mich seine Nachricht in Texas erreichte, in der er mich aufforderte, ich sollte ihn aufsuchen, sind Wochen vergangen. Wir haben viele harte Meilen hinter uns gebracht und sind besonders in den letzten Tagen scharf beritten. Denn ich hatte eine Zeitung gefunden und gelesen, daß Senator Wilson schwer erkrankt sein sollte. Ich weiß nicht, was ihm fehlt und habe auch keine Ahnung, warum er mich überhaupt rief. Aber ich nehme an, daß es wichtig ist.

Dort, wo die Paßstraße in die weite Ebene übergeht, haben wir angehalten und sind für eine kurze Rast abgestiegen. Die abgehetzten Pferde brauchen Ruhe. Ich habe mich in eine Spalte an die trockene Felswand gesetzt und mein Tagebuch herausgeholt. Ich schreibe und versuche, meine Sorgen zu verdrängen, wenigstens für eine kurze Zeit.

Wir sind allein. Rund um uns ist das Land leer, als würde es hier keine Menschen außer uns geben. So leer und einsam war ich damals auch – damals, vor sechzehn Jahren, in den letzten Tagen des Bürgerkrieges.

Ich war Zivilkurier bei den Truppen der Unionsarmee, genauer gesagt, bei General Shermans Stab in Georgia. Wir hatten einen langen, blutigen Marsch hinter uns und waren nach South Carolina vorgedrungen, wo wir die Hafenstadt Charleston eingenommen hatten. Mir stand der Krieg bis obenhin, eigentlich sogar noch ein bißchen höher. Den meisten anderen ging es genauso. Aber wir hatten auch, Fanatiker unter uns, vor denen man sich vorsehen mußte.

Ausgerechnet am Ende dieses fürchterlichsten aller seitherigen Kriege stand für mich das bitterste und übelste und sehr makabere Erlebnis, mit dem ich in dieser Zeit konfrontiert wurde …