[Ronco 200] • Pony-Express

[Ronco 200] • Pony-Express
Authors
Grey, John
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.18 MB
Lang
de
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6. August 1879

Ich bin gefangen und sitze in einer Arrestzelle von Fort Bent, Colorado. Die Zelle ist zwei Yards lang und zwei Yards breit. Da sind eine eiserne Tür mit einer schmalen Klappe, durch die das jämmerliche Essen geschoben wird, und ein Fenster, durch das nicht mal eine fette Ratte passen würde, das aber dennoch vergittert ist. Es gibt eine Pritsche in diesem schäbigen Loch und einen stinkenden Kotkübel, der dringend mal gereinigt werden müßte. Sie nennen die Zelle den Affenkäfig.

Andere an meiner Stelle würden vermutlich Tobsuchtsanfälle kriegen. Ich nicht. Ich habe mich daran gewöhnt, mit schlimmen Situationen fertig zu werden.

Jetzt habe ich eins der Schulhefte auf den Knien. Ich hatte zuletzt darin geschrieben und es unter mein Hemd gesteckt. Man hat es mir nicht abgenommen, und so kann ich meine Geschichte weiterschreiben.

Ich schreibe mit dem bleiernen Geschoßkopf einer 45er Patrone, die ich in einer Tasche gefunden habe. Anfangs war das nicht ganz einfach, jetzt habe ich mich daran gewöhnt, und es geht ganz gut.

Zuletzt habe ich meine Erlebnisse geschildert, die ich auf meiner ersten Fahrt als Kutschenbegleitmann hatte. Danach passierte nicht viel. Das Leben ging weiter. Ich fuhr ab und zu auf dem Kutschbock mit, wenn Geldtransporte durchgeführt wurden, aber Aufregendes erlebte ich nicht.

Als das Jahr 1860 anbrach, wußte bald jeder in St. Joseph, daß die »Russell, Majors and Waddell Company« etwas plante, und als der Schnee schmolz, war es heraus: Die Gesellschaft richtete eine Postreiterlinie ein. Die größte, die es bis dahin je gegeben hatte. Sie sollte bis nach Sacramento in Kalifornien führen, was für mich so weit entfernt lag wie etwa der Mond.

Es gab nicht wenige Leute, die Mr. Majors, der das alles eingefädelt hatte, für verrückt erklärten und die meinten, daß es ihm nicht gelingen werde, auch nur einen einzigen Brief sicher durchzubringen. Aber es war alles gut geplant, und so schien die ganze Sache trotz der unbekannten Wildnis, die weiter westlich wartete, trotz der Indianer, die überall gegen die weißen Eindringlinge kämpften, und trotz der Banditen, die es im ganzen Land gab, ein sicheres Unternehmen zu sein.

Überall hingen Plakate aus, auf denen Reiter gesucht wurden. Um die vierzehn Jahre sollten sie sein und reiten und schießen können. Waisen bevorzugt.

Das traf alles auf mich zu, und ich sprach mit Cargo Flatt, dem Sicherheitsagenten der Company. Er meinte, was andere könnten, könnte ich auch, und wollte sich für mich verwenden.

Hunderte von Jungen in meinem Alter tauchten in diesen Tagen in St. Joseph auf und standen Schlange vor dem Patee House, dem Hauptquartier der Company. Die meisten wurden wieder nach Hause geschickt, aber über hundert durften bleiben und wurden bald mit großen Pferdeherden nach Westen geschickt und auf die vielen Raststationen verteilt, die Mr. Majors am Rande des Trails nach Kalifornien hatte errichten lassen. Es sollten über hundertfünfzig Stationen sein, wurde gesagt, und es wurde überall gemunkelt, daß die Company vor dem Bankrott stehe, wenn das Unternehmen scheitern würde.

Am 3. April 1860 sprengte der erste Pony-Expreß-Reiter, ein Junge, nicht älter als ich, dessen Namen ich vergessen habe, über die Main Street von St. Joseph, schwenkte seinen Hut und wurde von Tausenden von Menschen, die sich rechts und links der Straße gesammelt hatten, bejubelt. Eine Fähre brachte ihn über den Missouri ans andere Ufer, von wo er im höllischen Tempo westwärts jagte. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Nachricht erhalten, ob ich ebenfalls als Expreß-Reiter akzeptiert worden war. Ich hoffte inbrünstig, das es klappen würde, ich wünschte es mir mehr als alles andere.

Die ersten Reiter wurden wie Helden gefeiert. Sie brachten ihre Post glatt nach Sacramento durch. Ab und zu gab es Zwischenfälle auf der langen Strecke, aber sie konnten dem Unternehmen keinen Abbruch tun. Tagtäglich verließen Reiter St. Joseph und trafen andere von Westen kommend ein.

Aber erst einen Monat später wußte ich, daß ich bald zu ihnen gehören würde …