Fräulein Stark

Fräulein Stark
Authors
Hürlimann, Thomas
Publisher
Ammann Verlag
Tags
roman
ISBN
9783250600756
Date
2006-10-15T00:00:00+00:00
Size
0.23 MB
Lang
de
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Exakt zwanzig Jahre nach seinem Erstling unter dem Titel

Die Tessinerin legt Thomas Hürlimann im Ammann Verlag einen Roman vor,

der das Zeug zu einem Bestseller besitzt. Es ist die launische Sommergeschichte

eines Heranwachsenden, eines aus katholischem Holz geschnitzten Jungen, der beim

Onkel Monsignore, dem Biblitohekar des Stifts St.Gallen, dazu benötigt wird, den

Besuchern der weltberühmten Klosterbibiliothek Filzpantinen zu verpassen, bevor

sie den barocken Aufbewahrungsort alter Handschriften, Folianten und gebundenen

Büchern betreten. Aus der Rückblende beschreibt Hürlimann diesen Sommer, der im

Jungen das Interesse für das weibliche Geschlecht aus einer denkbar erregenden

Perspektive weckt. Er sieht Waden, Beine, sein Kopf wird von Röcken umweht,

seine Sinne werden vom Geruch wollener Socken genauso benebelt wie vom Parfüm

Seidenstrümpfe tragender Damen. Und dieser Junge wagt, kecker und dreister

werdend, bisweilen einen Blick unter die faltenreichen Zelte an den Ursprung der

Welt. Dazu bedient er sich schliesslich eines Handteller grossen Spiegels --

aber, oh Weh! Seine Erkundungen in den weiblichen Schritt fliegen auf, und der

Junge erleidet zwischen dem Monsignore und dem Fräulein Stark, der Haushälterin

des Stiftsbibliothekars, die dem Roman den Titel gab, regelrechte Höllenqualen.

Er wird gemaßregelt, weil er gegen das sechste Gebot versündigt.

Hürlimann hat eine federleichte Prosa geschrieben, an der bald weniger das

sexuelle Erwachen des Halbwüchsigen interessiert als die Schrullen der beiden

Hauptfiguren -- beide überdies heute noch hochbetagt in St.Gallen lebend. So

erzählt Hürlimann von einer verstockten Welt in der Schweizer Provinz der

anbrechenden 60er-Jahre, in denen Sitte und Strenge über die allzu menschlichen

Regungen eines Pubertierenden wachen. In denen die zehn Gebote Gottes über allem

stehen -- und fleißig von denen gebrochen werden, die sie mit Verve predigen.

Immer wieder berichtet Hürlimann von ausschweifenden Kneipenbesuchen des

Monsignore und von heimlichen Sehnsüchten des Fräulein Stark, das an der Pforte

zur Bibliothek am liebsten einen Kiosk betriebe (und ihn am Ende auch bekommt).

Hürlimann verwendet viel augenzwinkernde Zuneigung für die beiden Figuren. Darum

auch bleibt unverständlich, weshalb die noch lebenden Porträtierten gegen das

Buch in der lokalen Presse wetterten. Unnötig ist diese Begleitmusik schon

deshalb, weil man sich mit Hürlimann zwei gute Stunden lang blendend unterhält.

Seine Prosa ist geschliffen, seine Sprache witzig -- und am Ende nimmt der Autor

sich selbst so wenig wichtig wie die beiden Figuren. --Carlo

Bernasconi