Jesus von Texas

- Authors
- Pierre, D.B.C.
- Publisher
- Aufbau Verlag
- Tags
- roman
- ISBN
- 9783746621500
- Date
- 2005-05-20T00:00:00+00:00
- Size
- 0.31 MB
- Lang
- de
Woher kennen wir Amerika? Durch die Medien, Die
Simpsons, Ally McBeal oder Bowling for Columbine. Was der
Australier D.B.C. Pierre in seinem Debütroman über das Land erzählt, lässt nur
einen Schluss zu: Es ist alles noch viel schlimmer!
"Shit Happened" heißt der erste Akt dieser Tragikomödie und benennt damit ein
Leitmotiv. Vernon Little ist knapp 16, als Jesus, sein einziger Freund,
durchdreht und 16 Mitschüler erschießt. Während der eine schießt -- auch Pierre
lässt keinen Kalauer aus --, muss der andere scheißen. Das rettet ihm das Leben
und versaut es. Weil Vernon das peinliche Alibi für sich behält und der
"Mexikaner-Bengel2 Jesus tot ist, bekommt er die volle Wucht des Volkszorns zu
spüren. Und die manipulative Macht der Medienmeute, die für die Karriere
sprichwörtlich über Leichen geht und die eigene Mutter verleugnet.
In diese Versuchung gerät auch Vernon, denn Doris Little, die schon mal
Selbstmordversuche mittels Elektroherd unternimmt, macht ihn "abwechselnd wütend
und traurig". Wie Doris mit ihren Freundinnen kurz nach dem Massaker über Diäten
diskutiert oder ihrer neuen Kücheneinrichtung entgegenfiebert, das wäre zum
weinen, wenn es nicht so komisch wäre. Dann wirft sie sich dem TV-Journalisten
Lally an den Hals und als dessen Intrigen ihren Sohn in die Todeszelle bringen,
stellt sie liebevoll eine Henkersmahlzeit zusammen, mit Krautsalat, "wegen der
Gesundheit".
Wer einen Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen -- nach diesem
Motto werden wir über einen Jahrmarkt der Eitelkeiten geführt. Dort
taumelt ein rundherum unschuldiger Held durch medial inszenierte Geisterbahnen
und Spiegelkabinette und glaubt bis zum Schluss daran, dass "die gute alte
Wahrheit im Anmarsch ist". Keine Institution, ob Schule, Justiz oder Fernsehen,
bleibt ungeschoren. Vernons Leben gerät zur ultimativen Reality-Show: Kameras im
Todestrakt, per TED werden Kandidaten für die Giftspritze ermittelt.
Die Politik hat abgedankt, Richter und Reporter haben das Sagen -- fiese
Figuren, überzeichnet, aber beängstigend real. Lally und die anderen "Bösen"
sind nur Teil des allgemeinen "menschlichen Schleimgulaschs", einer
pervers-bigott-materialistischen Gesellschaft, für die die Diagnose lauten muss:
unheilbar krank.
Was so sozialkritisch klingt, ist über weite Strecken ein Heidenspaß. Wegen
der saftigen Sprache, weil die Moral von der Geschicht fehlt und Vernon mit
seinen Verbalattacken schnell unser Herz gewinnt. Für einige ist es "das erste
Buch des Jahres", eventuell die Übersetzung des Jahres. Huckleberry Finn, Holden
Caulfield, bitte aufrücken! --Patrick Fischer