Mona Lisa Overdrive
- Authors
- Gibson, William
- Publisher
- Heyne, Wilhelm Verlag
- Tags
- roman
- ISBN
- 9783453108325
- Date
- 1996-04-15T00:00:00+00:00
- Size
- 0.35 MB
- Lang
- de
Wie bereits erwartet, tauchen wieder komplett neue
Charaktere auf, doch trifft man auch auf alte Bekannte aus den Vorgängerbänden:
Angie ist mittlerweile zum SimStim-Star geworden und versucht nach einer
Entziehungskur nun wieder den Weg zurück ins Medienbusiness zu finden. Bobby hat
sich von ihr getrennt und benutzt sein ganzes Geld, um Leute zu bezahlen, die
seinen komatösen Körper -- angeschlossen an eine Art privaten Cyberspace --
beschützen und am Leben erhalten. Und auch Molly, eigentlich schon im Ruhestand,
wird erpreßt und soll im Auftrag eines Unbekannten eine Entführung durchführen.
Die Geschichte wird im altbewährten Stil, diesmal jedoch mit sogar vier
Handlungssträngen, vorangetrieben und am Schluß routiniert zusammengeführt.
Gibson versteht es einfach, die einzelnen Teile langsam miteinander in Beziehung
zu setzen und die Geschehnisse durch die Augen der unterschiedlichen
Protagonisten realistisch und spannend zu schildern. Durch die Tochter eines
Yakuza-Bosses , die bei einem Londoner Gefolgsmann in Sicherheit gebracht wird,
schnell aber dessen dubiose Machenschaften durchschaut , wird dem Leser ein
Eindruck der japanischen Hierarchie und des Lebensstils der Tokioter Oberschicht
gegeben; durch Angies Augen erlebt man die zwei Seiten des Lebens eines
Medienstars; und aus der Perspektive eines entlassenen Häftlings kann man die
seelischen Qualen der angewendeten Strafmaßnahmen miterleben ... durch den
Kunstgriff mit den neuen Charakteren , die nur Nebenrollen spielen, gleichzeitig
aber im Zentrum der Erzählung stehen, gelingt es Gibson sein Cyberpunk-Szenario
um weitere Facetten zu bereichern.
Die Handlung ist um einiges komplexer als die der ersten beiden Bände, denn
obwohl schnell klar wird, daß Angie entführt und anschließend von einer
heruntergekommenen Prostituierten ersetzt werden soll, bleibt die Rolle Janes --
die anscheinend im Hintergrund die Fäden zieht -- und die Funktion des an Bobby
angeschlossenen Gerätes für lange Zeit im Unklaren.
Urteil: Gegen Ende hin wird das Ganze etwas kompliziert und
metaphysisch, wozu vor allem der Voodooanteil und die ziemlich abgedrehten
Vorstellungen über die Gestalt bzw. das Wesen des Cyberspace beitragen. Auch
bringt das Geschehen nichts grundlegend Neues und büßt einen Teil der Spannung
des Vorgängerbandes ein ... am Ende kommt dann zwar zum Teil die erhoffte
Aufklärung über die seltsamen Aktivitäten im Cyberspace und die Gründe für die
"Wende" -- doch entstehen dadurch mehr Fragen als beantwortet werden, so daß das
Ende nicht gerade befriedigend ist.
Trotz all dieser kleinen Minuspunkte ist der abschließende Teil der
"Neuromancer-Trilogie" natürlich ein Muß für Leser der anderen zwei Bücher ...
doch hat Gibson gut daran getan, mit diesem Band den Schlußpunkt zu setzen,
ansonsten wäre die Gefahr groß, daß der Leser der immer wiederkehrenden Elemente
überdrüssig wird und sich Attribute wie "geschickt" und "pfiffig" in "ideenlos"
und "ausgepumpt" umkehren könnten. Immer noch ein überdurchschnittlicher
Lesespaß, wenngleich auch eine Klasse schlechter als die ersten beiden Bände.
--Oliver Faulhaber