[Ronco 215] • Die Todgeweihten
![[Ronco 215] • Die Todgeweihten](/cover/Va7XiGvVZ7oNcjOC/big/[Ronco%20215]%20%e2%80%a2%20Die%20Todgeweihten.jpg)
- Authors
- Grey, John
- Publisher
- Pabel/Möwig Verlag
- Tags
- heft-ronco
- Date
- 0101-01-01T00:00:00+00:00
- Size
- 0.17 MB
- Lang
- de
4. März 1880
Selten war meine Lage so übel wie in diesem Augenblick. Dabei habe ich mich so verdammt sicher gefühlt. Binnen weniger Sekunden hat sich alles wieder geändert. Ich habe keine Ahnung, wie es weitergehen soll.
Vielleicht ist bald alles vorbei.
Ich bin in einem eingestürzten Stollen eines Bleibergwerks eingeschlossen. Mein Lebensraum – oder besser – mein Überlebensraum ist nur eine kleine Höhle, die wie durch ein Wunder verschont geblieben ist. Zwei Yards im Durchmesser und so niedrig, daß ich nicht einmal richtig stehen kann. Dazu ist es kalt wie in einem Grab. Und vielleicht ist das diese Höhle bald wirklich – mein Grab.
Ich habe hier gearbeitet, um für Linda und meinen Sohn Geld zu verdienen und uns über Wasser zu halten. Was aus den beiden werden soll, weiß ich nicht.
Neben mir liegt ein Toter. Keine zwei Schritte entfernt ragt unter den Gesteinstrümmern der Körper einer zweiten Leiche hervor. Wahrscheinlich liegen unter dem zusammengestürzten Fels weitere Tote.
Unmittelbar vor mir liegt der Mann, der den Stolleneinbruch ausgelöst hat. Er ist einer der Jäger, die ich abgeschüttelt zu haben glaubte. Aber das war ein Irrtum. Sie sind noch immer hinter mir her, und sie haben meine Fährte nicht verloren. Bis in das Bergwerk ist mir dieser Mann gefolgt. Er hatte wohl gehofft, daß ich bei dem Gangeinbruch sterben würde. Jetzt ist er mit mir zusammen eingeschlossen. Er lebt, und er ist gefesselt. Ich habe ihn überwältigt.
Jetzt warten wir zusammen. Auf den Tod …
Neben mir brennt eine kleine Fackel. Solange die Flamme nicht erlischt, gibt es Luft in der Höhle. Solange gibt es auch noch Hoffnung. Aber ab und zu flackert sie schon.
Wenn sie ausgeht, bleiben uns nur noch ein paar Minuten. Dann ist alles vorbei.
Ich hatte eins meiner Tagebuchhefte unter dem Hemd stecken. Während ich schreibe, beginne ich tatsächlich, für kurze Zeit zu vergessen, wie trostlos meine Situation ist.
Ich habe gelesen, was ich zuletzt geschrieben habe. Mein Abschied vom Pony Expreß. Ich hatte richtig gehandelt. Nur ein paar Wochen, nachdem ich ihn verlassen hatte, gab es den Pony Expreß nicht mehr. Die »Russell, Majors und Waddell Company« war bankrott gegangen. Der neue Besitzer der Firma, ein Mr. Ben Holladay, stellte die Reiterlinie sofort ein. Trotz der hohen Gebühren war sie ein Verlustgeschäft gewesen.
Aber das war nicht mehr mein Bier. Während ich westwärts ritt, brach hinter mir die Hölle aus. Ein kleines Fort in South Carolina, tief im Süden, dessen Besatzung treu zur Unionsfahne stand, wurde in Brand geschossen. Es hieß Fort Sumter, und selbst hier draußen im Westen wurde davon gesprochen, denn der Angriff auf Sumter war der Beginn des Bürgerkrieges.
Einige junge Männer sattelten auch im weiten Westen, fernab vom Kriegsschauplatz, ihre Pferde und ritten nach Norden – oder in den Süden –, um die Uniform anzuziehen und für das zu kämpfen, was sie für richtig hielten. Die meisten Leute aber wollten von dem Krieg nichts wissen. Ich gehörte dazu. Ich ritt nach Westen, um von dem verdammten Krieg möglichst wenig zu hören und zusehen.
Als ich Salt Lake City verlassen hatte, hatte noch Schnee gelegen. Wochenlang war ich unterwegs gewesen und kreuz und quer durch das Land geritten. Inzwischen war es warm geworden. Wir schrieben Anfang Juni 1861. Ich befand mich in Nevada, jenem bergigen, von Wüsten durchzogenen Land zwischen Arizona und Kalifornien.
Dort war Silber gefunden worden, und ich dachte, daß es dort sicher Arbeit für mich gab.