Der Klang der Zeit

- Authors
- Powers, Richard
- Publisher
- Fischer Verlag
- Tags
- roman
- ISBN
- 9783100590213
- Date
- 2009-02-12T00:00:00+00:00
- Size
- 0.83 MB
- Lang
- de
Marian Anderson war eine der eindruckvollsten Sängerinnen
ihrer Zeit. In den 30er-Jahren wurde die amerikanische Künstlerin in vielen
europäischen Konzertsälen gefeiert, Dirigenten und Komponisten wie Sibelius oder
Toscanini priesen ihre Stimme als Jahrhundertbegabung. In ihrer Heimat jedoch
war die Bewunderung nicht so einhellig, denn Marian Anderson war schwarz. Als
man ihr 1939 den Auftritt in einer der besten Konzerthallen Washingtons, der
Constitution Hall, versagte, intervenierte Amerikas First Lady Eleanor
Roosevelt. Mit ihrer Unterstützung arrangierte man ein Freiluftkonzert der
Sängerin vor dem Lincoln Memorial, das von 75.000 Zuschauern besucht wurde --
ein Ereignis von hohem symbolischem Wert, das allerdings wenig am bestehenden
Rassismus des weißen gegenüber dem schwarzen Amerika änderte.
In Richard Powers grandiosem Roman Der Klang der Zeit ist das
legendäre Konzert eine wichtige Schlüsselszene. Nicht nur treffen sich hier die
Eltern der Hauptfiguren zum ersten Mal und finden über ihre Liebe zur Musik
zueinander, der Gegensatz zwischen trennendem Rassismus und versöhnender Kunst,
unter der Marian Anderson zu leiden hatte, wirft von Beginn an auch einen
bedrohlichen Schatten auf die Beziehung zwischen dem deutsch-jüdischen
Emigranten David Strom und der Afroamerikanerin Delia Daley. Auch wenn David und
Delia alles tun, um ihre drei Kinder vor dieser Bedrohung zu schützen, erweist
sich die destruktive Kraft rassistischer Vorurteile letztlich stärker als die
Kraft der Musik, aus unterschiedlichen Stimmen harmonische Kompositionen zu
formen. Am Ende zerbricht die Familie und die Musik, die durch die Geschichte
weht, wird zum Abgesang auf eine Utopie: die Überwindung des Rassismus durch den
Einklang von Schwarz und Weiß.
Der Klang der Zeit ist selbst durch den Versuch bestimmt, aus
Gegensätzen Harmonie zu erzeugen, wenn auch eine fragile. Der Roman verwebt die
Geschichte der Musikerfamilie Strom mit der Entwicklung der amerikanischen
Gesellschaft zwischen den 20er-Jahren und den Rassenunruhen im Los Angeles der
90er, zugleich aber verbindet der Roman auch die Denkwelten der Physik mit den
Kunstwelten der Musik. Wie auch in seinen anderen Romanen, z.B.
Schattenflucht und Galathea 2.2 betrachtet Powers Kunst und
Wissenschaft nicht als Widersprüche, sondern als gegenseitig erhellende Versuche
des Menschen, sich selbst und seine Welt zu verstehen und zu verändern. Die
Melancholie des Abgesangs, die deutlich im Roman zu spüren ist, mag gerade darin
liegen, dass weder Wissenschaft noch Kunst den Rassismus aus der Welt schaffen
konnten. Das kann natürlich auch Powers nicht, und doch ist Der Klang der
Zeit gerade deshalb ein sehr mutiges Buch, das ein Ideal zu verteidigen
versucht, ohne die Realität leugnen zu wollen. --Peter
Schneck