Das Technopol · Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft
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- Authors
- Postman, Neil
- Publisher
- Fischer
- Tags
- sachbuch
- ISBN
- 9783100624130
- Date
- 1992-08-15T19:26:41+00:00
- Size
- 0.31 MB
- Lang
- de
Im Jahre 1959 veröffentlichte Sir Charles Snow seinen Essay The Two Cultures and the Scientific Revolution. Unter diesem Titel und diesem Thema hatte auch die »Rede-Lecture« gestanden, die er zuvor an der Cambridge University gehalten hatte. In dieser Vorlesung beschäftigte sich Sir Charles mit einer Frage, die er für eines der großen Probleme unserer Zeit hielt - mit dem Gegensatz von Kunst und Wissenschaft oder, genauer gesagt, mit der unversöhnlichen Feindseligkeit zwischen literarisch gebildeten Intellektuellen (die man zuweilen auch Geisteswissenschaftler oder »Humanisten« nennt) und Naturwissenschaftlern. Unter Universitätsleuten löste das Erscheinen dieses Buches ein kleineres Erdbeben aus (sagen wir, von der Stärke 2,3 auf der Richter-Skala), nicht zuletzt deshalb, weil sich Snow entschieden auf die Seite der Naturwissenschaftler schlug und den Geisteswissenschaftlern reichlich Grund und Anlaß zu witzigen und boshaften Erwiderungen bot. Aber die Kontroverse währte nicht lange, und das Buch verschwand bald von der Bildfläche. Aus gutem Grund. Sir Charles hatte die falsche Frage gestellt, er hatte die falsche Argumentation entwickelt und war deshalb zu einer belanglosen Antwort gelangt. Zwischen Geisteswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern gibt es keinen Streit, jedenfalls keinen, der für ein breiteres Publikum von Interesse wäre.
Dennoch gebührt Snow beträchtlicher Respekt für die Beobachtung, daß es tatsächlich zwei Kulturen gibt, daß sie in einem scharfen Gegensatz zueinander stehen und daß über diesen Sachverhalt eine ausführliche Debatte in Gang kommen muß. Hätte er sich weniger mit den Querelen der Leute befaßt, die sich in irgendwelchen Fakultäts-Clubs bewegen, und mehr mit dem
Leben derer, die solche Räume noch nie betreten haben, dann hätte er sicherlich erkannt, daß es Streit nicht zwischen Geisteswissenschaftlern und Naturwissenschaftlern gibt, sondern zwischen der Technik und allen anderen. Damit ist nicht gesagt, daß »alle anderen« dies auch erkennen. Die meisten Menschen halten die Technik sogar für einen zuverlässigen Freund. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens: die Technik ist tatsächlich ein Freund. Sie macht das Leben leichter, sauberer und länger. Kann man von einem Freund mehr verlangen? Zweitens: wegen der seit langem bestehenden, engen und unausweichlichen Beziehung, die die Technik mit der Kultur unterhält, legt sie es von sich aus nicht nahe, ihre Konsequenzen für die Kultur einer genauen Prüfung zu unterziehen. Sie ist einer von jenen Freunden, die uns Zutrauen und Gehorsam abverlangen, und weil die Technik so reiche Gaben gewährt, sind die meisten Menschen bereit, auf dieses Verlangen einzugehen. Aber dieser Freund hat auch eine dunkle Seite. Seine Geschenke sind mit hohen Kosten verbunden. Um es dramatisch zu formulieren: man kann gegen die Technik den Vorwurf erheben, daß ihr unkontrolliertes Wachstum die Lebensquellen der Menschheit zerstört. Sie schafft eine Kultur ohne moralische Grundlage. Sie untergräbt bestimmte geistige Prozesse und gesellschaftliche Beziehungen, die das menschliche Leben lebenswert machen. Kurz, die Technik ist beides - Freund und Feind.
Dieses Buch versucht zu beschreiben, wann, wie und warum die Technik zu einem besonders gefährlichen Feind wurde. Mit dieser Frage haben sich schon viele andere Autoren kenntnisreich und engagiert auseinandergesetzt - in unserer Zeit Lewis Mumford, Jacques Ellul, Herbert Read, Arnold Gehlen, Ivan Illich, um nur einige zu nennen. Diese Debatten wurden durch die irrelevanten Überlegungen von Snow nur kurz unterbrochen und dann mit einer Dringlichkeit fortgeführt, die durch die spektakuläre Demonstration der technologischen Überlegenheit der Vereinigten Staaten im Krieg gegen den Irak noch unabweisbarer geworden ist. Ich behaupte nicht, daß dieser Krieg ungerechtfertigt war oder daß die Technik hier mißbraucht wurde, sondern nur, daß der amerikanische Erfolg womöglich der katastrophalen Vorstellung Vorschub leisten könnte, im Frieden wie im Krieg sei die Technik unsere Erlösung.