[Ronco 350] • Das Massaker

[Ronco 350] • Das Massaker
Authors
Grey, John
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.18 MB
Lang
de
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10. Februar 1882

Gerade habe ich noch einmal gelesen, was ich zuletzt in mein Tagebuch geschrieben habe. Stichwortartig, mit wenigen Sätzen schreibe ich alles nieder, was mir im Verlauf meines Lebens bislang widerfahren ist. Ich hoffe, daß diejenigen, die diese Aufzeichnungen eines Tages lesen, vor allem natürlich die für die sie bestimmt sind, verstehen werden, was für Empfindungen hinter meinen knappen Beschreibungen stehen.

Ich bin froh, gerade jetzt weiterschreiben zu können, denn nachdem ich meine letzten Eintragungen überflogen habe, fühle ich mich innerlich aufgewühlt und erregt.

Alles steht wieder vor mir, wie es damals war, im Sommer 1866 im südlichen Texas: die hungernden Apachen in der Reservation am Rio Doro, die zynische Erpressungspolitik der Indianerbehörden, der schamlose Betrug und Vertragsbruch durch weiße Beamte und der Mord an dem alten Häuptling Taglio, jenem Mann, der mäßigend gewirkt und trotz aller empörenden Begebenheiten immer zum Frieden und zur Geduld gemahnt hatte.

Der weise Führer war tot, und der Mord an ihm war der letzte Anstoß für die folgenden grauenvollen Ereignisse, die für mich von ganz besonderer schicksalhafter Bedeutung waren.

Die Geschehnisse überstürzten sich. Ich hatte keinen richtigen Überblick mehr. Zuviel geschah zur selben Zeit. Hinzu kam, daß ich damals die Hintergründe nicht alle kannte, die ich im Verlauf von Jahren schließlich herausfand.

Ich habe nichts vergessen, keinen Tag, nichts, dessen Zeuge ich wurde. Am Ende war ich auch der Leidtragende, aber davon ahnte ich am Anfang nichts. Ich war voller Wut über die demütigende Behandlung, die dem Stamm Taglios zuteil geworden war, erbittert und verzweifelt über den Mord an dem alten Häuptling. An mich dachte ich dabei zuletzt. Mich betraf das alles ja nur insoweit, als ich Informationen zusammenzutragen und Schlüsse daraus zu ziehen hatte. Ich dachte nicht daran, daß ich mit meinen Aktivitäten in den zurückliegenden Monaten einigen Leuten ziemlich auf die Nerven gegangen war. Ich hatte in ein Wespennest gestochen. Durch die Ausschaltung eines einflußreichen Beamten des Innenministeriums, der mit den Indianerhändlern zusammengearbeitet hatte, hatte ich mir die Männer, die mit schmutzigen Geschäften an der Grenze ihr Geld verdienten, zu Feinden gemacht. Trotzdem hielt ich es nicht für möglich, zur Zielscheibe eines Komplotts zu werden. Ich hielt mich für zu unbedeutend, für zu klein.

Obwohl ich nach allem, was passiert war, nur wenig Hoffnung hatte, daß sich an der verfahrenen Situation noch etwas ändern ließ, ging ich mit großem Eifer daran, nach dem Mörder von Taglio zu suchen. Ich war dabei sicher, daß es keiner der Farmer aus dem Rio-Doro-Gebiet gewesen war.

Ich lief einer Illusion nach. Heute weiß ich, daß ich die Entwicklung der Dinge auch dann nicht hätte aufhalten können, wenn ich den Mann gefunden hätte und er vor ein Gericht gestellt worden wäre. Es war nichts mehr zu ändern. Alles nahm seinen Lauf …