Ja, damals...

Wunderbare Geschichten von altmodischem Charme sind sie, die Erzählungen "Taft zum Kragen" und "Tante Tüttchen". Liebenswürdig sind sie und dermaßen unschuldig, gewissermaßen in feinen Stichen umhäkelt, dass man sie auch einem Tante Tüttchen (sofern vorhanden) anvertrauen könnte, ohne dass man für der lieben Tante Befinden fürchten müsste. Aber Obacht -- so tantenverträglich sie auch sein mögen: Kitschig sind Else Hueck-Dehios Geschichten nicht!Sie erzählen vom "alten Estland" -- zur Zeit der Handlung noch eine der russischen Ostseeprovinzen zu Zarenzeiten. Ein leiser, melancholischer Humor durchzieht diese Geschichten, die sich nicht durch raffinierte Erzähltechniken auszeichnen und auch die Reflexion über die bewegte Zeit, in der sie angesiedelt sind, anderen überlassen. Die Welt, in der sie spielen, ist idyllisch, aber nicht paradiesisch -- und schon gar nicht süßlich. Die "Heldinnen" der beiden Geschichten sind nicht aufrührerisch, was nicht heißen soll, sie seien unterwürfig oder geistlos; sie wissen sich durchaus durchzusetzen, aber eben auf die sanfte Art. Und die kleinen Erzählungen strotzen vor Charme, wenn z.B. der zarten Pastorengattin Seelenheil wegen des eitlen Tands gefährdet scheint, und wenn der gestrenge Herr Pastor die versammelte Gemeinde mit einer ungewöhnlichen Fürbittenvariation beeindruckt...Diese sympathisch unspektakulären Heldinnen fühlen sich ganz einfach als Teil einer Welt, die wir nur noch aus solchen Geschichten kennenlernen können.Man kann diese Erzählungen gut an einem halben Abend lesen, aber man sollte sich Zeit nehmen, sie genau zu lesen. In ihrem einfachen, klar strukturierten Aufbau und im unprätentiösen Erzählton lassen sie eine vergangene Welt wiederauferstehen, zumindest für eine halbe Stunde.