Dämmerung
- Authors
- Salter, James
- Publisher
- Bloomsbury Verlag
- Tags
- roman
- ISBN
- 9783827072061
- Date
- 2010-10-09T00:00:00+00:00
- Size
- 0.25 MB
- Lang
- de
### Neue Zürcher Zeitung
Die Stunde, da alles vorbei ist
«Dämmerung»: James Salters Erzählungen
Dusk. Barcelona im Morgenglanz, die New York Bay im Mittagsflirren oder Basel «in jener einen sterbenden Stunde, die den Tag beschliesst»: Selbst wenn die Sonne scheint, herrscht allezeit und überall Dämmerung in James Salters Geschichten. Und das schon seit 1967. Seit jener Frankreich-Phantasie «A Sport and a Pastime», mit der sich der ehemalige Air-Force-Major James Horowitz – nach den himmelstürmerischen Flieger-Romanen «The Hunters» (1956) und «The Arm of Flesh» (1961) – endgültig von seiner Vergangenheit verabschiedete und als Schriftsteller James Salter einen ganz anderen, einen siebten Himmel skizzierte, in den sich das Dämmergrau von Anfang an eingeschlichen hatte. Schön und schmerzlich und manchmal ein wenig schmalzig sind Salters Elegien auf das Verlangen und die Vergänglichkeit. Zart und zerbrechlich sind sie wie die «Light Years» (1975), die lichten, allzu leichten Jahre eines eben noch glücklichen Paars, die sich auch in diesem Roman im Dunkel verlieren. «Dusk»: Kein Wunder, dass das sechste Buch des heimlichen – und lange unheimlich umstrittenen – modernen Klassikers der amerikanischen Literatur diesen Titel trägt. Nun ist der Erzählungsband, der in seinem Erscheinungsjahr, 1988, mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet wurde, auf deutsch erschienen.
«Es war die Stunde der Ruhe, eine Stunde, die sie fürchtete. Manchmal, wenn sie zum Meer hinaussah, dachte sie an ihren Sohn, obwohl es im Sund geschehen war und vor langer Zeit.» Vor Ewigkeiten ist sie im Leben der Heldin aus der Titelgeschichte angebrochen, die Dämmerung. Verblassen wird sie nicht mehr. Da sitzt die Frau mit ihrem erstklassigen Brie in der Tasche, den sie in einem erstklassigen Laden gekauft und in ihr erstklassiges Landhaus gefahren hat. Ihr Mann hat eine Jüngere und das Apartment in der Zweiundachtzigsten, ihr Sohn ist tot, und ihr kleiner Trost, eine freundschaftliche Liebelei mit einem Nachbarn, findet an diesem Abend sein bitteres Ende. Die Titelgeschichte «Dämmerung»: Das ist James Salter at his best und at his worst. Das ist Leere, Einsamkeit, Verzweiflung in ein paar wenigen Worten, in ein paar kurzen, harten Sätzen ohne Mutmassungen und ohne Seelenmassage greifbar gemacht wie eine Mauer aus Stein; Vera, die ihre aprikosenfarbene Bluse am Treppenhausfenster vorbeigehen sieht: unfreundliche Spiegelungen, aber immerhin das einzige, was bleibt, wenn sonst keiner mehr hinschaut. Das ist aber auch – Kitsch und Klischee; Veras nächtliche Vorstellung von einer Gans beispielsweise, die, den Hals ausgestreckt, im nassen Gras verblutet: «Eine Kameradin lag tot in der wirbelnden Dunkelheit.» Der noch maskulinere Ernest Hemingway, Meister der Short story, ist doch feiner, wenn er eine seiner Protagonistinnen von kurzem Haar und einer Katze träumen lässt.
Er erzähle in «A Sport and a Pastime» von der Unmöglichkeit einer Freundschaft zwischen Männern und Frauen, sagt Salter, der 1925 als Kind jüdischer Eltern geboren wurde, in der Militärakademie West Point den Ehrgeiz seines Vaters befriedigte und sich nicht ohne Lust den männerbündischen Ritualen unterwarf; der in den Sechzigern als – preisgekrönter – Drehbuchautor gern als Schwerenöter posierte und sich erst 1980 mit seiner zweiten Frau aus dem Partyleben zurückzog, um nur noch zu schreiben. (Über seine wilden Jahre, seine Bekanntschaft mit Jack Kerouac, Andy Warhol und Robert Redford verrät der Mittsiebziger einiges, aber bei weitem nicht alles in seiner Biographie «Burning the Days», die 1997 erschienen ist.) Auch die Geschöpfe aus dem Prosaband «Dämmerung» scheinen einer Freundschaft zwischen den Geschlechtern kaum fähig – selbst wenn sie nicht einem Lifestyle-Magazin entsprungen sind wie Vera, die «wusste, wie man Dinnerparties gab, mit Hunden umging, Restaurants betrat», aber sonst nicht viel. Ob in der Neuen Welt oder in der Alten, fremd bleibt man einander allemal.
Da harrt ein schüchterner Schreiner mit Hochschulstudium in der Erzählung «Akhnilo» noch immer der grossen Dinge, für die er sich bestimmt hält. Alles schläft, nur ihn ruft die Nacht. In der geisterhaften Dämmerung angelt er zwischen Käuzchenschrei und Grillenzirpen nach den Zauberworten, die ihn erlösen würden; und für seine Tochter «war wieder die Zeit gekommen, als das Haus mit Unglück erfüllt war und Türen schlugen und ihr Vater mit unbeholfener Zärtlichkeit abends in ihr Zimmer kam, um ihnen Geschichten zu erzählen und am Fuss ihres Bettes einschlief». Dieser Schlusssatz entfaltet den ganzen Roman, der hinter dem karg-poetischen Neunseiter steckt.
Genauso unerlöst muss Reemstma wieder heimfahren («Verlorene Söhne»): Beim Treffen der old boys in West Point säuft, lacht und redet es sich leicht, aber trotzdem wird der komische Kerl mit den vollen Lippen nie richtig dazugehören. Auch für die junge Nico nähert sich «die Stunde der Melancholie, die Stunde, wenn alles vorbei ist» («Am Strande von Tanger»). James Salter zitiert sie alle, die verlorenen Wesen der amerikanischen Short story: die gescheiterten Künstler, die geschiedenen Frauen, die abgestumpften Lebens(abschnitts)partner. Selbst wenn sie da sind, sind sie nicht da. «Er trat hinaus, halb erwartete er, sie dort zu sehen. Es war niemand da. Er blätterte die Seiten der Zürcher Zeitung durch, ein Auge auf die Tür gerichtet» («Die Zerstörung des Goetheanums»). Doch wenn in den elf Erzählungen des meist behutsam übersetzten Bandes James Salters Menschendämmerungen anbrechen, hilft kein Blättern in der NZZ: Seine flüchtigen Stunden zwischen Licht und Schatten sind sentimental wie ein Poesiealbum, streng wie ein Brevier, und sie machen trunken.
Alexandra M. Kedveš
Der Autor liest am Sonntag um 11 Uhr im Theater am Hechtplatz in Zürich aus «Ein Spiel und ein Zeitvertreib», «Lichtjahre» und «Dämmerung».
### Pressestimmen
Nachdem dem Amerikaner James Salter mit seinen Romanen *Lichtjahre* und *Ein Spiel und ein Zeitvertreib* endlich der verdiente Durchbruch auf dem deutschen Buchmarkt gelang, liegen nun seine 1976 erschienenen Erzählungen vor.
Da erwacht in "Die Küste von Tanger" ein Paar in Barcelona an einem ruhigen Sonntagmorgen. Ihre Harmonie wird empfindlich durch den Anruf einer Freundin gestört, die sich mit ihnen zum Baden verabredet. Am Abend ist die Beziehung des Paares aufs Äußerste gespannt und die beiden wissen nicht mehr, was ihnen an Barcelona, eine Stadt, die sie bis vor kurzem geliebt haben, jemals gefallen hat.
James Salter schreibt eine makellose Prosa aus luftig-leichten Sätzen, die wie Seifenblasen in der Luft schweben und je nach Betrachtungsweise in zarten Farben schillern. Und mit Genuß träufelt er Tropfen für Tropfen Gift in sie, füllt sie mit einer Pipette, bis sie vor den Augen des Lesers zerplatzen.
So ergeht es auch Mrs. Chandler, aus der Titelgeschichte "Dämmerung", übrigens eine der besten Erzählungen des Bandes. "Sie war eine Frau, die Bücher gelesen, Golf gespielt, Hochzeiten besucht hatte, die schöne Beine besaß, die Stürme überstanden hatte, eine gute Frau, die jetzt niemand mehr wollte." Ihr Mann hat sie verlassen, ihren Sohn hat sie bei einem Unfall verloren und die winzige Hoffnung, daß sich mit Bill, der ihr bei Reparaturen am Haus hilft, eine neue Beziehung entwickelt, wird zerstört, als er ihr eröffnet, daß er wieder mit seiner Frau zusammenlebt. Melancholie, ergreifend schön. *--Manuela Haselberger* -- *carpe.com*
Die Stunde, da alles vorbei ist
«Dämmerung»: James Salters Erzählungen
Dusk. Barcelona im Morgenglanz, die New York Bay im Mittagsflirren oder Basel «in jener einen sterbenden Stunde, die den Tag beschliesst»: Selbst wenn die Sonne scheint, herrscht allezeit und überall Dämmerung in James Salters Geschichten. Und das schon seit 1967. Seit jener Frankreich-Phantasie «A Sport and a Pastime», mit der sich der ehemalige Air-Force-Major James Horowitz – nach den himmelstürmerischen Flieger-Romanen «The Hunters» (1956) und «The Arm of Flesh» (1961) – endgültig von seiner Vergangenheit verabschiedete und als Schriftsteller James Salter einen ganz anderen, einen siebten Himmel skizzierte, in den sich das Dämmergrau von Anfang an eingeschlichen hatte. Schön und schmerzlich und manchmal ein wenig schmalzig sind Salters Elegien auf das Verlangen und die Vergänglichkeit. Zart und zerbrechlich sind sie wie die «Light Years» (1975), die lichten, allzu leichten Jahre eines eben noch glücklichen Paars, die sich auch in diesem Roman im Dunkel verlieren. «Dusk»: Kein Wunder, dass das sechste Buch des heimlichen – und lange unheimlich umstrittenen – modernen Klassikers der amerikanischen Literatur diesen Titel trägt. Nun ist der Erzählungsband, der in seinem Erscheinungsjahr, 1988, mit dem PEN/Faulkner Award ausgezeichnet wurde, auf deutsch erschienen.
«Es war die Stunde der Ruhe, eine Stunde, die sie fürchtete. Manchmal, wenn sie zum Meer hinaussah, dachte sie an ihren Sohn, obwohl es im Sund geschehen war und vor langer Zeit.» Vor Ewigkeiten ist sie im Leben der Heldin aus der Titelgeschichte angebrochen, die Dämmerung. Verblassen wird sie nicht mehr. Da sitzt die Frau mit ihrem erstklassigen Brie in der Tasche, den sie in einem erstklassigen Laden gekauft und in ihr erstklassiges Landhaus gefahren hat. Ihr Mann hat eine Jüngere und das Apartment in der Zweiundachtzigsten, ihr Sohn ist tot, und ihr kleiner Trost, eine freundschaftliche Liebelei mit einem Nachbarn, findet an diesem Abend sein bitteres Ende. Die Titelgeschichte «Dämmerung»: Das ist James Salter at his best und at his worst. Das ist Leere, Einsamkeit, Verzweiflung in ein paar wenigen Worten, in ein paar kurzen, harten Sätzen ohne Mutmassungen und ohne Seelenmassage greifbar gemacht wie eine Mauer aus Stein; Vera, die ihre aprikosenfarbene Bluse am Treppenhausfenster vorbeigehen sieht: unfreundliche Spiegelungen, aber immerhin das einzige, was bleibt, wenn sonst keiner mehr hinschaut. Das ist aber auch – Kitsch und Klischee; Veras nächtliche Vorstellung von einer Gans beispielsweise, die, den Hals ausgestreckt, im nassen Gras verblutet: «Eine Kameradin lag tot in der wirbelnden Dunkelheit.» Der noch maskulinere Ernest Hemingway, Meister der Short story, ist doch feiner, wenn er eine seiner Protagonistinnen von kurzem Haar und einer Katze träumen lässt.
Er erzähle in «A Sport and a Pastime» von der Unmöglichkeit einer Freundschaft zwischen Männern und Frauen, sagt Salter, der 1925 als Kind jüdischer Eltern geboren wurde, in der Militärakademie West Point den Ehrgeiz seines Vaters befriedigte und sich nicht ohne Lust den männerbündischen Ritualen unterwarf; der in den Sechzigern als – preisgekrönter – Drehbuchautor gern als Schwerenöter posierte und sich erst 1980 mit seiner zweiten Frau aus dem Partyleben zurückzog, um nur noch zu schreiben. (Über seine wilden Jahre, seine Bekanntschaft mit Jack Kerouac, Andy Warhol und Robert Redford verrät der Mittsiebziger einiges, aber bei weitem nicht alles in seiner Biographie «Burning the Days», die 1997 erschienen ist.) Auch die Geschöpfe aus dem Prosaband «Dämmerung» scheinen einer Freundschaft zwischen den Geschlechtern kaum fähig – selbst wenn sie nicht einem Lifestyle-Magazin entsprungen sind wie Vera, die «wusste, wie man Dinnerparties gab, mit Hunden umging, Restaurants betrat», aber sonst nicht viel. Ob in der Neuen Welt oder in der Alten, fremd bleibt man einander allemal.
Da harrt ein schüchterner Schreiner mit Hochschulstudium in der Erzählung «Akhnilo» noch immer der grossen Dinge, für die er sich bestimmt hält. Alles schläft, nur ihn ruft die Nacht. In der geisterhaften Dämmerung angelt er zwischen Käuzchenschrei und Grillenzirpen nach den Zauberworten, die ihn erlösen würden; und für seine Tochter «war wieder die Zeit gekommen, als das Haus mit Unglück erfüllt war und Türen schlugen und ihr Vater mit unbeholfener Zärtlichkeit abends in ihr Zimmer kam, um ihnen Geschichten zu erzählen und am Fuss ihres Bettes einschlief». Dieser Schlusssatz entfaltet den ganzen Roman, der hinter dem karg-poetischen Neunseiter steckt.
Genauso unerlöst muss Reemstma wieder heimfahren («Verlorene Söhne»): Beim Treffen der old boys in West Point säuft, lacht und redet es sich leicht, aber trotzdem wird der komische Kerl mit den vollen Lippen nie richtig dazugehören. Auch für die junge Nico nähert sich «die Stunde der Melancholie, die Stunde, wenn alles vorbei ist» («Am Strande von Tanger»). James Salter zitiert sie alle, die verlorenen Wesen der amerikanischen Short story: die gescheiterten Künstler, die geschiedenen Frauen, die abgestumpften Lebens(abschnitts)partner. Selbst wenn sie da sind, sind sie nicht da. «Er trat hinaus, halb erwartete er, sie dort zu sehen. Es war niemand da. Er blätterte die Seiten der Zürcher Zeitung durch, ein Auge auf die Tür gerichtet» («Die Zerstörung des Goetheanums»). Doch wenn in den elf Erzählungen des meist behutsam übersetzten Bandes James Salters Menschendämmerungen anbrechen, hilft kein Blättern in der NZZ: Seine flüchtigen Stunden zwischen Licht und Schatten sind sentimental wie ein Poesiealbum, streng wie ein Brevier, und sie machen trunken.
Alexandra M. Kedveš
Der Autor liest am Sonntag um 11 Uhr im Theater am Hechtplatz in Zürich aus «Ein Spiel und ein Zeitvertreib», «Lichtjahre» und «Dämmerung». -- *Neue Zürcher Zeitung*