[Ronco 390] • Todesgrenze Rio Grande

[Ronco 390] • Todesgrenze Rio Grande
Authors
Jones, Everett
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.17 MB
Lang
de
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30. Juli 1882

Was ich gerade auf die Seiten meines Tagebuchs schreibe, sind Gedanken, die ich keinem Menschen anvertrauen könnte. Nur in diesem Heft kann ich sie festhalten. Würde ich über das sprechen, was mich bewegt, wäre meine Frau Manuela sehr beunruhigt. Und sicher auch mein Sohn Jellico.

Ich will aber, daß Manuela, die nun schon so lange zu mir hält, und Jellico zufrieden und glücklich sind. Denn vor allem Jellico hat in seinen Kinderjahren so viel Schreckliches erleben müssen, daß er ein Recht darauf hat, in Frieden zu leben. Was in meiner Kraft liegt, will ich tun, daß er kein so gehetztes Leben wie ich führen muß.

Dennoch fühle ich immer deutlicher, daß eine Entscheidung ansteht und näherrückt. Ich werde ihr bald nicht mehr ausweichen können. Auch im Interesse von Jellico und Manuela werde ich mich ihr stellen müssen. Seit Wochen bedrücken mich Sorgen. Während ich meiner Arbeit nachgehe und für den Stern der Texas Rangers an meinem Hemd mein Leben riskiere, gewinne ich mehr Abstand zu dem, was ich tue.

Wenn ich in meinem Tagebuch zurückblättere, fällt mir auf, daß mich schon früher ähnliche Gedanken belasteten. Doch sie werden immer stärker. Ich bin überzeugt, daß sich etwas über mir zusammenbraut, das einer schwarzen, gefährlichen Wolke ähnelt und nach Entladung wie ein Gewitter sucht. Es ist mehr als nur das Gefühl. Es ist auch die Erkenntnis, daß mich noch immer viele Menschen wegen meiner Vergangenheit schneiden. Sie ignorieren es, daß es mir gelang, meine Unschuld damals im vollen Umfang zu beweisen.

Aber es ist noch mehr. Man will mich loswerden. Natürlich habe ich dafür keinen konkreten Beweis. Dennoch ist es mir immer öfter auf gefallen. Sie sind gegen mich. Nur der Captain meiner Kompanie steht hinter mir, und mit ihm das Gesetz. Aber es gibt noch andere Kräfte, die sich vielleicht als stärker erweisen könnten, auch stärker als das Gesetz.

Ich muß mich von dieser Belastung befreien – vor allem im Interesse jener Menschen, die mir etwas bedeuten. Das ist es auch, was mich im Moment ähnlich wie damals in den ersten Monaten nach meiner Flucht fühlen läßt. Und das ist nicht gut. Denn ich bin kein Gejagter mehr. Nur wollen das in Texas offenbar viele nicht begreifen.

Vielleicht hätte ich nicht ausgerechnet in diesen Staat zurückkehren sollen, wo all das Schlimme damals seinen Anfang nahm. Besser wäre ein anderer Staat, in dem nicht dauernd die Zeugen der Vergangenheit andere und mich an früher erinnern. Wo manch einer noch einen alten, vergilbten Steckbrief aufbewahrt, auf dem mein Name zu finden ist, der viel Geld für meine Ergreifung verspricht. Unschuldig gejagt. Texas hat mir nie Glück gebracht.

Es muß mir gelingen, das alles abzuschütteln, um dem drohenden Unheil zu entgehen. Ich spiele mit dem Gedanken, mich zu lösen und Texas zu verlassen. Vielleicht läßt sich das schon bald realisieren. Ich werde darum kämpfen. So bald als möglich will ich aufgeben, was mich zwingt, hier zu sein. Und ich hoffe sehr, daß es dann nicht schon zu spät ist.

Wenn alles gelingt, werden auch die Erinnerungen an frühere, böse Zeiten verblassen, Erinnerungen an den Frühsommer 1867 in Mexiko …