Kafka · Die Jahre der Erkenntnis

Kafka · Die Jahre der Erkenntnis
Authors
Stach, Reiner
Publisher
Fischer E-Books
Tags
weltliteratur
ISBN
9783104010212
Date
2010-10-05T00:00:00+00:00
Size
0.87 MB
Lang
de
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Franz Kafka hat es niemandem leicht gemacht. Seinen Lesern nicht, seinen Verlegern und Biografen nicht, und sich selbst am allerwenigsten. Er war nach eigenen Maßstäben ein Gescheiterter -- nur eine Hand voll Erzählungen betrachtete er als abgeschlossen, alles andere blieb Fragment. Trotzdem ist er zweifellos einer der wichtigsten und einflussreichsten Autoren der literarischen Moderne. Und insofern gibt es unzählige Aufsätze und Studien über den Prager Versicherungsbeamten und sein hauptsächlich in einsamen Nachtstunden entstandenes Werk. Was bisher jedoch fehlte: eine fundierte deutschsprachige Biografie. An dieser versucht sich nun der Literaturwissenschaftler Reiner Stach, dessen Interesse schon lange Kafka gehört (z. B. *Kafkas erotischer Mythos* von 1987). *Die Jahre der Entscheidung* ist der als erstes erscheinende mittlere Teil einer auf drei Bände angelegten Biografie.

*Die Jahre der Entscheidung*, das sind diejenigen von 1910 bis 1915. In ihnen erlebt Kafka einen ersten schöpferischen Durchbruch, als er in einer Nacht in einem Rutsch seine erste große Erzählung *Das Urteil* verfasst. Zwei der drei großen Romanfragmente stammen aus dieser Zeit, außerdem begann die "Hölle der Selbsterforschung" in Tagebüchern und Briefen. Prägend außerdem: das "schreckliche Doppelleben" zwischen Büro und Schreibtisch, die jahrelange, aber letztlich aufgelöste Verlobung mit Felice Bauer, sowie der Schrecken des ersten Weltkrieges. Und aus allen Fakten und Dokumenten heraus leuchtet die Aura der Fremdheit, des Andersseins, die diesen großen Gescheiterten umgibt.

Reiner Stach wagt viel mit seinem Projekt -- und siegt auf ganzer Linie. Weder verliert er sich, wie viele andere, in den Tiefen der Textanalyse. Noch erliegt er der Versuchung, die weißen Flecken von Kafkas Leben mit schriftstellerischem Eifer auszumalen. Trift dieser etwa nach langen Monaten intensiver Korrespondenz zum ersten Mal seine Verlobte Felice Bauer im Grunewald, hat der Biograf Mut zur Feststellung, dass wir darüber einfach so gut wie nichts wissen. Auch von der Detailversessenheit vieler Biografen, die trockene, schwer lesbare Abhandlungen zur Folge hat, ist bei Stach nichts zu spüren. Sein Schreibstil und seine geschickte Hand beim Zusammensetzen der vielen Mosaiksteinchen machen die 600 Seiten Text zu einem überraschend spannenden und angenehmen Leseerlebnis.

An dieser Stelle muss man auch den Verlag loben: Jahrelang unterstützte er die aufwändigen Recherchen Reiner Stachs (unter anderem spürte er Teile des Nachlasses Felice Bauers in den USA auf). Auch wenn Kafka einer der wichtigsten Autoren des S. Fischer Verlages ist, ist so etwas in Zeiten des Rotstifts nicht selbstverständlich. Umso schöner, dass sich das verlegerische Wagnis gelohnt hat. *--Christian Stahl*

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Buchnotiz zu : Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.11.2002

Obwohl Rezensent Friedmar Apel das Buch Kafka-Liebhabern durchaus empfehlen kann, rät er zu einer distanzierten Lektüre. Doch letztlich ist er enttäuscht, dass der von ihm als kenntnisreicher Forscher geschätzte Reiner Stach sich mit seiner Kafka-Biografie "verzettelt und verschwatzt" hat. Zunächst wundert Apel sich über die Ankündigung des Verlags, in der von der "ersten großen Kafka-Biografie in deutscher Sprache" die Rede ist. Dies scheint dem Rezensenten nicht nur angesichts der bereits 1958 erschienenen Jugendbiografie von Klaus Wagenbach, sondern auch der Tatsache, dass Stach sich auf die Jahre 1910-1915 beschränkt, unangemessen. Zwar erläutert der Rezensent gute Gründe des Autors für dieses Vorgehen, bemängelt insgesamt aber recht bald eine "sonderbare Mischung aus Kleinmut und Großspurigkeit" am Biografie-Projekt. Einerseits stelle Stach beispielsweise der Forschung "ein verheerendes Zeugnis" aus, andererseits jedoch verzage er angesichts einer Wissensbasis, die er selbst als "in absehbarer Zeit wiederum revisionsbedürftig" beschreibe. Auch findet Apel die Metaphern, mit denen Stach Kafkas Lebensstationen gelegentlich auf dem Punkt zu bringen versucht, meist nicht sehr passend. Die herbste Kritik besteht in der Feststellung, dass Stach "der Schalk in Kafkas Schreiben" verschlossen bleibt. Erstaunt zeigt sich der Rezensent auch, dass Stach nicht auf Camus' Blick auf Kafka eingegangen ist. Schließlich begebe sich der Biograf sogar in die "Sphäre der Spekulation", die er angeblich verabscheue, tatsächlich aber betätige er sich in "peinliche Überwindung von Distanz" gelegentlich sogar als "Partnerschaftsberater", wenn er etwa die Beziehung Kafkas zu Felice Bauer untersuche. Doch bei aller Kritik hofft Apel, irgendwann doch noch die "erste große Kafka-Biografie in deutscher Sprache" von Stach lesen zu können.

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Buchnotiz zu : Süddeutsche Zeitung, 23.11.2002

Reiner Stachs Kafka-Biografie hat Rezensent Lothar Müller nicht hundertprozent überzeugt. Im Zentrum von Stachs Arbeit steht für Müller der "Fusions- und Umschlagpunkt" von Literatur und Leben bei Kafka. Wie er ausführt, sei nicht das historische Panorama Stachs Modell, sondern die Mikroskopie. Unter dem mikroskopischen Blick werden auch kleine Ereignisse groß - so verwundert es den Rezensenten nicht, dass das knapp 700 Seiten umfassende Buch nicht das gesamte Leben Kafkas unterbringt, sondern "nur" die fünf "Jahre der Entscheidungen", von 1910 bis 1915, die Zeit von Kafkas Durchbruch als Autor. Dass Stach nicht mit Geburt, Kindheit und Heranwachsen beginnt, ist nach Müller einerseits wohlbegründet, da der hierfür unverzichtbare Nachlass Max Brods noch nicht in angemessener Weise zur Verfügung steht. Andererseits entsteht so beim Rezensenten das "Gefühl des Fragmentarischen", denn: "Das mikroskopische Modell macht auch kleine Lücken groß." Dennoch habe Stach nach Jahren der Recherche auch Pfunde, mit denen er wuchern könne. Die Beziehung Kafkas zu Felice Bauer beispielsweise, die Stach detailliert und äußerst dicht beschreibe, findet Müller sehr erhellend. Gegen die herkömmlichen Deutungen, die in Kafka den Vampir sehen, der sich an Felice Bauer festsaugt, zeigt Stach für Müller, dass beide aneinander gescheitert sind. Generell problematisch findet Müller bei Stach allerdings, dass er die Form der Biografie nutze, "um Kafka in einen Romanhelden zu verwandeln." Stach träume davon, die Biografie zur Kunstform aufzuwerten. "Die Koketterie mit dem biografischen Roman", kritisiert Müller dieses Unterfangen, "wird ihn diesem Ziel nicht näher bringen."

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Buchnotiz zu : Frankfurter Rundschau, 27.11.2002

Großes Lob zollt Manfred Schneider der neuen Kafka-Biografie von Reiner Stach, die erfolgreich das Wagnis unternimmt, das Leben Kafkas zu erzählen und dadurch zu einer Neulektüre seiner Bücher verhilft. Kafkas Leben wurde bereits mehrfach aufbereitet, und es existiert eine ganze "Familie von Kafkabildern", Kafkalegenden, Kafkalektüren, weiß Schneider und staunt um so mehr, dass es dem Verfasser gelungen ist, ein wirklich neues Kafkabild entstehen zu lassen. Auch wenn der Autor einiges neues Material offenbare, seien es weniger neue Erkenntnisse, meint Schneider, die Stach zu Tage fördere und die nachhaltig beeindruckten, als vielmehr Stachs Fähigkeit, den Stoff - konzentriert auf die Jahre 1910 bis 1915 beziehungsweise auf die Beziehung mit Felice Bauer - zu dramatisieren und "mit seltener literarischer Animationskraft" lebendig zu machen. Es handele sich wohl eher um einen biografischen Roman als um eine Biografie, stellt Schneider fest. Dazu gehört, berichtet der Rezensent, eine sichtbare Distanz zur akademischen Interpretation, die von einer "gewissen Herablassung" gegenüber den universitären Anstrengungen zeuge. Wunderbarerweise, schwärmt der Rezensent, würde Kafka auf diese Weise nicht wie sonst üblich verrätselt, sondern "Kafka an Kafka zurückgegeben".

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Buchnotiz zu : Die Zeit, 12.12.2002

Diese "überzeugende" Biografie ist "streng genommen" die "erste authentische, ihrem Gegenstand gewachsene Kafka-Biografie", schickt der beeindruckte Reinhard Baumgart in seiner Rezension vorweg. Gerade, weil sie eigentlich keine sei. Ihre Überzeugungskraft liege gerade in der "vertikalen Dimension" des Textes, in dem Versuch, sich nicht über biografische Flächenarbeit an Kafka heranzutasten, sondern seine ganze Aufmerksamkeit auf die "entscheidenden" Jahre um die Entstehung des "Urteils" zu richten, und in die von Kafka beschworene "Tiefe" hinabzutauchen, in der "keine Chronologie zählt, keine Jahreszahlen gelten". Dass Stach es sich dabei nicht einfach mache, sich vielmehr immer im Hintertreffen empfinde und doch in stetigem "pathetischem" und "problembewussten" Zweifel seine Suche vorantreibe, mache die Qualität und die "sogartige" Faszination seiner Biografie aus. Auch Felice Bauer, freut sich der Rezensent, erhalte den ihr so oft versagten Stellenwert, und werde zum Bestandteil des "psychischen Sturmtiefs", anstatt zur bloßen "Projektionsfläche". "Weit weg und tief drin in Kafkas Leben", so schildert der Rezensent abschließend sein Leseerlebnis, in dem er "entscheidend mehr" erfahren habe, "als nur etwas über Kafka".

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