Engelgedrängel

Engelgedrängel
Authors
Wilhelm, Ella
Publisher
Phila Verlag bei Mittagsstrolch : Berlin
Tags
roman-heiter
Date
2015-09-14T00:00:00+00:00
Size
0.34 MB
Lang
de
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Die Wiederentdeckung eines Romans

Auf der Suche nach verwertbaren Informationen über Frau Wilhelm durchwühlte ihre Putzfrau eines Tages die alte Weidenkiste auf dem Dachspeicher. Neben zierlichen Lackschuhen und gepressten Ballrosen fand sie dieses Manuskript, verstaubt und in Sütterlin niedergeschrieben. Vorsichtig wischte sie den grauen Staub von dem holzhaltigen Papier, um mit angehaltenen Atem die ersten Seiten zu lesen.

Erst dem kehligen Suchruf ihrer Dienstherrin gelang es, sie von den Zeilen loszureißen. Hastig sammelte sie die Seiten zusammen und presste sie an ihre jungfräuliche Brust.

Schwer atmend trat sie vor Frau Wilhelm hin, die wie üblich misslaunig auf der Ottomane lag und Konfekt nach dem Personal warf. Die Putzfrau kniete sich vor Frau Wilhelm in den Staub und flehte sie stammelnd an, diese Geschichte zu veröffentlichen, damit alle Welt sie lesen könne.

Frau Wilhelm lachte bitter auf und winkte ab. Zu viele Jahre hatte sie schon an der Seite dieses unpoetischen Millionärs gelitten, ihre Tage mit Shoppen und Bungeespringen totgeschlagen und ihre Kreativität an der Restaurierung eines Cranachgemäldes verschleudert.

„Nach zwanzig Jahren Ehe bin ich zu alt für solch ein Abenteuer, gute Magd“, nuschelte Frau Wilhelm und nahm einen kleinen Schluck vom Champagner. „Niemand wartet noch auf das Werk einer Endzwanzigerin.“

Die Putzfrau knickste verlegen und bat inständig: „Aber Hoheit, bitte, versuchen Sie es doch einmal.“

Frau Wilhelm, die ungern Widerworte des Personals zuließ, übersah gnädig diese Anmaßung und angelte nach einer weiteren Praline. Sie traf den Butler.

Dann wandte sich Frau Wilhelm wieder huldvoll ihrer Putzfrau zu: „Brave Magd, du meinst es gut, aber es ist mir lästig. Niemand liest einen Roman über drei widerwillige Schutzengel, die auf drei renitente Schützlinge stoßen. Es ist zu anspruchsvoll. Und altmodisch“ Die nächste Praline flog. „Und nun gehe, Magd, sonst muss ich dich bestrafen.“

Die Putzfrau knickste und verbiss sich mühsam weitere Fürsprachen.

Sie eilte in die Küche und verstaute die zerknitterten Seiten hastig in ihren Fair-Trade-Jutebeutel mit Kroko-Applikationen. Dann stülpte sie sich ihren Kompotthut auf und schwang sich auf ihr Herrenfahrrad.

An dieser Stelle verliert sich die Spur des Manuskripts.

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