Lenz · Der Dichter Lenz, im Steintale
- Authors
- Büchner, Georg
- Publisher
- Steidl Gerhard Verlag
- Tags
- weltliteratur
- ISBN
- 9783882439106
- Date
- 2003-10-31T23:00:00+00:00
- Size
- 0.06 MB
- Lang
- de
"Obwohl die Menschen inzwischen viel mehr wissen, als in der Zeit,
als die Religionen entstanden, verlieren diese Religionen ihre Kraft immer noch nicht."
Lenz ist im Jahre 1839 veröffentlicht, posthum und gilt als eines der großen Werke Büchners. Büchner (1813-1837) widmet sich dem Leben des Jakob Michael R. Lenz (1751-1792)
Lenz, der Dichter, war ein kranker Mensch, wie man den Briefen und Stücken Goethes entnehmen kann. Büchner hat sich an dieser Krankheit und inneren Zerrissenheit Lenzes sehr orientiert, nicht zu letzt in der Auswahl des Titels. Vorlage war ein Bericht des Pfarrers Oberlin über den Dichter.
Lenz, Namensgeber und Protagonist dieser Erzählung, wird wandernd in der Natur eingeführt. Er ging durchs Gebirge und Büchners Beschreibung zeigt den offensichtlichen inneren Zustand Lenzes direkt. Oben, sprich äußerlich harmlos, normal wie die schneebedeckten Höhen, das Innere wie die Täler, zerklüftet, graues Gestein, Felsen. Lenz ging gleichgültig, "es lag ihm nichts am Weg [...], nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte." Wie man dem Purzelbaum schlagenden Don Quijote als unsinnig, als ein Narr nun kannte, war für Büchner mit dieser Anspielung Lenz von gleichem Sinn. Wie Lenz so ging, "die Erde wich unter ihm, sie wurde klein" deutet sich der Realitätsverlust Lenzes wiederum an, der sich der Erde in andere Sphären entfernte. Eigentlich ging er ins Alles. Der Begriff Alles spielt bei Büchner in diesem Werk eine herausragende Rolle, da immer als Subjekt gebraucht. Der Wunsch, "Alles mit ein paar Schritten ausmessen zu können" zeigt, dass Lenz die Welt als die Seinige sieht, bzw. seine Welt des Denkens in den Vordergrund nur stellen kann. Für ihn war es so, "als ging ihm etwas nach, als müsse ihn etwas Entsetzliches erreichen, etwas das Menschen nicht ertragen können, als jage der Wahnsinn auf Rossen hinter ihm."
Auf diesem Wege erreichte er den Ort, das Waldhaus und Oberlin, den Pfarrer. Und in der Pfarrstube wurde er aufgenommen und in den Gesprächen wechseln Phantasie und Realität, die Gesichter, die aus den Schatten hervortraten, beruhigten ihn, doch "er war sich selbst ein Traum" und die Gedanken die ihn hielten, hielt er fest, "es war ihm, als müsse er immer Vater unser sagen". Bei Oberlin blieb er, seine Schlafstatt wurde ein großer Raum einer nahe liegenden Schule. Und die Größe erschien ihm, als wenn Schatten vorbeihuschten, Schatten, die wie aus ihm entwichenes Leben waren, so dass er starr wurde. Und so fühlte er Gott eingekehrt in ihm, so als wenn dieser ihm Lose in die Tasche gab, der Text darauf sein Leben zu bestimmen schien, mit einem Glauben eines ewigen Himmels im Leben, als Sein in Gott. Vergnügt, Aufgabe und Ziel zu erkennen als er predigen durfte, wurde Lenz ruhig und gelassen. Seine Schmerzen in einem Starrkrampf nahm er beinahe mit Lust. Verfiel in Angst, ängstliche Träume und las in der Apokalypse.
Als Gegenstück dieser schweren Welt und Zäsur in der Handlung ist das Erscheinen des Herrn Kaufmann, der den Idealismus beschwört, der seine Philosophie zu der umgewandelten Theodizee macht, im Idealismus die beste aller möglichen Welten zu offenbaren. Doch Büchners Kritik am Idealismus wird spätestens da deutlich, wo er diesen als "die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur" bezeichnete. Kaufmann fordert Lenz auf sich ein Ziel zu stecken, so wie Shakespeare Hamlet sagen lässt, dass derjenige der seine Gottesgaben der Vernunft nicht nutzt, einem Tier gleich kommt. Lenz wendet sich angewidert ab. Er wird damit von Büchner als eigenständiger Mensch von Fleisch und Blut dargestellt, nicht nur als Holzpuppe, wie man anfangs glauben mochte.
Büchner verfolgt mit der Erzählung die Begegnung des Innen und Außen. Konzentrierte Innenansichten begegnen den Leser über die Sätze wie "Es ist ihm als ...", "Es war ihm als ..." Hier vermischt sich die Außenwelt in der Umdeutung oder fraglichen Realität mit der im Subjekt bereits veränderten Innenwelt. Büchner beschreibt das Wahre wie das Ganze gem. Hegel, das Hässliche wird nicht dem Schönen erspart, sondern beides ist Teil des Lebens. Damit ist er, obwohl in der Tradition und Zeit des Idealismus und Naturalismus eines Eichendorffs gänzlich anders positioniert. Leben wird im wirklich realen dargestellt, ohne Verklärung wie es vielleicht bei Fontane noch zu finden ist. Seine Kritik an der Kirche lässt er nur indirekt verlauten. Er möchte nicht in den direkten Strudel einer möglichen Feindschaft gezogen werden, sodass der Wahnsinnige sich kritisch äußert, dem man es qua mentaler Beschaffenheit gleichzeitig verzeihen muss. "Und mit dem Lachen griff der Atheismus in ihn und fasste ihn ganz sicher und ruhig fest."
Büchner lebt in der Zeit der Postaufklärung. Das Gottesbild hat sich gewandelt, die Kenntnisse der Naturwissenschaften sind deutlich verbessert. Das Eingangs erwähnte Zitat hätte gut aus dieser Zeit stammen können, letztendlich ist es gültig in jeder Zeit. Es stammt jedoch aus dem Jahre 2004 von Martin Walser. (Die Verwaltung des Nichts)