[Ronco 370] • Todeswasser
- Authors
- Jones, Everett
- Publisher
- Pabel/Möwig Verlag
- Tags
- heft-ronco
- Date
- 0101-01-01T00:00:00+00:00
- Size
- 0.18 MB
- Lang
- de
12. Mai 1882
Ich bin immer unterwegs. Manchmal glaube ich, daß ich heute, da ich den Ranger-Stern trage, mehr im Sattel sitze als zu jener Zeit, als ich gejagt wurde, als es zu Unrecht einen Steckbrief von mir gab und ich nirgends lange bleiben konnte.
Heute jage ich selbst Männer, von denen es Steckbriefe gibt. Aber ich bin kein Bluthund: Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß ein Steckbrief wenig aussagt und eine Anklage nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Eine Beschuldigung ist schnell fertig. In meinem Fall war sie falsch. Und Behörden sind schwerfällig. Selbst als klar war, daß ich unschuldig war, weigerten sie sich, es zu glauben oder ihr Unrecht einzugestehen.
Ich weiß deshalb, daß ich Menschen vor mir habe, wenn ich auf die Jagd nach Outlaws gehe. Ich suche nicht nur die Schuld, wenn ich auf der Fährte eines Gesetzlosen reite, sondern auch nach Dingen, die seine Schuldlosigkeit beweisen. Das gehört dazu, wenn man das Gesetz vertritt. Viele, allzu viele vergessen das. Es gibt einen Unterschied zwischen dem geschriebenen Gesetz und der Gerechtigkeit. Es liegt an den Beamten, diesen Unterschied gering zu halten.
Ich hatte in meinem Leben nicht das Glück, oft mit solchen Beamten zu tun zu haben. Die meisten glaubten blind dem bedruckten Papier, manche hielten sich selbst für das Gesetz, und für andere war Gerechtigkeit eine Ware, die man verkaufen konnte.
Ich habe sie alle kennengelernt: die sturen Männer mit dem Stern genauso wie die korrupten. Am schlimmsten aber waren jene, die auf eigene Faust ritten, um Rache zu üben und Selbstjustiz zu betreiben. Und die Kopfgeldjäger.
Ich kann darüber urteilen. Wenn ich an jene Jahre zurückdenke, ist das für mich jedesmal eine Mahnung, nicht in die Fehler jener zu verfallen, deren Praktiken ich erleiden mußte.
Mir wurde nichts geschenkt, nicht mal die Rehabilitierung. Ich mußte alles selbst erkämpfen. Es war ein Kampf an vielen Fronten: Während die Häscher hinter mir her waren, suchte ich nach Beweisen für meine Unschuld, und jene Jäger, die unbeirrt an meine Schuld glaubten, zerschlugen mir in ihrem Fanatismus viele Fährten, die für mich lebenswichtig waren. Besonders schlimm war das für mich in den ersten Wochen meiner Flucht – damals, im Spätherbst 1866. Es war die Zeit, in der ich Glauben und Hoffen beinahe verlernte …