Die Kathedrale des Meeres
- Authors
- Falcones, Ildefonso
- Publisher
- Weltbild Verlag
- Tags
- roman
- ISBN
- 9783866108431
- Date
- 2012-01-09T00:00:00+00:00
- Size
- 0.73 MB
- Lang
- de
Langsam wird der Vergleich müßig. Kaum tauchen auf dem
Buchcover irgendwelche sakralen Bauelemente auf, wandert der Blick durch
düsteren Kreuzgang -, gibt’s Unruhe unter den Kathedralenliebhabern. Aha, ein
neuerlicher Versuch, Die Säulen der Erde, diesen Everest unter den
historischen Romanen, zu toppen. Der katalanische Anwalt Ildefonso Falcones kann
einem schon Leid tun. An solch gnadenlosem Maßstab gemessen zu werden, erinnert
schon eher an sportliche, denn literarische Kategorien. Und verstellt den Blick
aufs Schöne und Wesentlliche. Fünf Jahre ließ der Mann sein Herzblut in die
Entstehung von Barcelonas imposantestem Sakralbau fließen. Heraus kam ein dicht
und streng erzähltes Werk, das Kataloniens dunkelste Zeit förmlich mit Licht
durchflutet - und dabei sehr gut auf eigenen Säulen ruhen kann!
Dachten auch die Käuferscharen, die den mühevollen Weg eines Vaters und
seines Sohnes in die Freiheit wie ein katalanisches Heldenepos bejubelten. Man
versteht, warum. Die Bedeutung des Wortes ‚Leibeigenschaft’ wird im beklemmendem
Eingangskapitel brutal bebildert. Mitten in die schlichte Hochzeitsfeier des
Gutsherren Bernat Estanyol mit Francesca platzen der Lehnsherr Llorenç de
Bellera und seine Ritter. Das nun eingeforderte „Recht der ersten Nacht“ war im
katalanischen Rechtswesen des 14. Jahrhunderts fest verankert. Als der
Feudalherr und seine feixenden Spießgesellen die Brautleute und das Gehöft
johlend verlassen, ist eine gerade geschlossene Ehe in ihren Grundfesten
zerstört. Ein Jahr später entflieht Bernat mit Arnau, seinem neugeborenen Sohn,
dem Joch des furchtbaren Adligen. Barcelona heißt das Ziel. Hier, in der
aufstrebenden Metropole, winkt die Freiheit. Und ihr mächtiges Symbol ist gerade
im Werden!
In dem ehrfurchtgebietenden Gotteshaus Santa María del Mar, erbaut in der
Rekordzeit von 55 Jahren und 1384 vollendet, manifestiert Falcones seinen
Freiheitsbegriff. In diesem „vom Volk für das Volk“ errichteten Monument, wächst
Arnau vom schlichten „Bastaixos“, dem Lastenträger, der die Steine aus den
Bergen zur Kathedrale heranschleppt, zu einem der hochrangigsten Bürger
Barcelonas empor. Es irrt nun, wer glaubt, das Leid habe damit ein Ende. Auf ein
Leid anderer Art verweist der Klappentext: Der praktizierende Anwalt Falcones
sei ausgewiesener Fachmann in der Rechtsgeschichte des mittelalterlichen
Kataloniens. Vielleicht eine Erklärung für die zuweilen quälend liebevolle
Akribie, mit der Falcones die wahrhaftig nicht unkomplizierte politische
Gemengelage der katalanisch-aragonesischen Historie ausbreitet, während sein
Figurentableau ein durchaus kräftigeres Farbenspiel vertragen hätte. Was das
Buch dennoch auszeichnet, kennzeichnet auch seinen Hauptschauplatz. Gleich
diesem Meisterwerk katalanischer Gotik, ist es von unaufdringlicher und spröder
Schönheit. -- Ravi Unger