Eine Frau

Eine Frau
Authors
Esterházy, Péter
Publisher
Bloomsbury Verlag
Tags
roman
ISBN
9783701709625
Date
2010-12-06T00:00:00+00:00
Size
0.26 MB
Lang
de
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### Neue Zürcher Zeitung

Der Dichter als bestohlener Dieb

Péter Esterházy tanzt graziös an den Rändern der Leere

Péter Esterházy erzählt eine kurze Geschichte, die er in Berlin erlebt hat: In einem Bus beobachtete er einen Dieb und sah sich von der Bestohlenen, einer Schönheit, doch fast genötigt, ihn zu verfolgen. Die Jagd ging in den Osten. Es gelang ihm auch, den Dieb, einen Ossi wohl, einzuholen. Dieser bot ihm sogleich die Teilung der Beute an. Esterházy, perplex, entriss ihm die ganze. Nun aber war er der Dieb und wurde seinerseits vom Dieb verfolgt. Nun war er der Ossi, schlimmer noch: mit seinem gebrochenen Deutsch mussten ihn alle für einen Türken halten, ausgerechnet ihn, einen Ungarn! Es gelang ihm, sich vor der wütenden Menge in ein Taxi zu retten: «Vorsichtig habe ich mich dann zum Kurfürstendamm zurückgestohlen», steht am Schluss der Geschichte. Sie heisst der «Ostwestdieb», und mehr gibt es eigentlich zur Situation eines Ungarn in Europa nicht zu sagen. Die 240 Mark aus der gestohlenen Geldbörse hat er noch immer in der Hand.

Geboren wurde Péter Esterházy in Budapest im April 1950 mitten in die täglichen Widersprüche des real existierenden Sozialismus hinein. «A Hard Day's Night» nennt er diesen Text. Jede Frau war damals schön, weil die Arbeit sie schön machte. Zur Arbeit gehörte auch das Gebären – wehe den Unfruchtbaren. Dem frisch Geborenen allerdings wurde, als er zurückblickte, woher er soeben gekommen war, schon zum erstenmal schwindlig: «Die Bäuche waren ausgeweitet und nun leer! – leer, leer, leer, leer.»

Der Horror vacui hat Esterházy seither nicht mehr losgelassen. Aber er als Poet hat die Fähigkeit entwickelt, an den Rändern der Leere graziös zu tanzen. Esterházy ist ein witziger Mensch, der sich diebisch freut an allen Widersprüchen, in die das Wörtchen «nicht» uns verwickeln kann. Aber er ist auch Melancholiker genug, um zu wissen, dass der Tanz auf seine Kosten geht. In der Kurzform des Witzes: «Mein Herr, man sollte Ihre Zähne in Ordnung bringen. FÜR DIE DA?!» Das ist liebenswürdig böse. Und hochpolitisch: passiver Widerstand made in Ungarn. Esterházy rechnet ihn zu den Spielarten der Faulheit, die er in seinem «Traktat» ins Visier nimmt. Ein fulminanter, subversiver Text, ein «Lob der Faulheit» in bester humanistischer Tradition. Dem Sein, das sich überall breitgemacht und jedes Anderssein in den Bereich des Nichtseins verbannt hat, schleudert der Faule sein «Mit mir nicht!» entgegen. Er ist der einzig freie Mensch, er ist «das Nein und dadurch glücklich, ist also das Ja».

Nur: wie anstrengend, derart faul zu sein. Am 31. Mai notiert Esterházy in sein Tagebuch: «Die Tage, an denen nichts geschieht, liebe ich am meisten. Ich sitze an meinem Schreibtisch und: nichts, nichts, nichts.» Und am 32. Mai, den er sich gottgleich erschafft, um sich von allen Anstrengungen des Nichtseins zu erholen, notiert er daseinsverliebt: «Endlich arbeite ich richtig. Ich gehe, wohin die Sonne geht.» – Péter Esterházy ist ein ungarischer Schriftsteller, das lässt sich nicht leugnen. Aber eine Aussage, die man nicht leugnen kann, kann ihm gestohlen bleiben. Schliesslich geht es ihm seit dem fatalen Tag der Geburt nicht darum zu werden, was er ist. Auch nicht ein Esterházy. Mit dem Geld der Haydn-Feste würde er Esterházy-Tage veranstalten, heisst es im Tagebuch, wo er kurzzeitig zu seiner eigenen Witwe mutiert, um sich schriftstellerwitwengemäss um seinen Nachruhm zu kümmern. Soviel zur Geschichte seines Stammbaums, gewiss gäbe es mehr zu sagen – oder auch nicht (Lieblingsformulierung P. E.s).

Péter Esterházy ist ein Partisan der Leichtigkeit des Schreibens. «Gleitet nur und lastet nicht», zitiert er Sartres Grossmutter. Für den Leser gilt zwangsläufig die Kehrseite der Medaille: unerbittlich hat er zu schuften im Dickicht des Textes, «als würde man in der Todeszelle sein letztes Buch lesen». Das muss so sein. Zu jedem Satz in Esterházys Buch schreibt man die Fussnote selber. Von ihm jedenfalls erfahren wir nicht, was er wo gestohlen hat (nur wo er «sich zurückgestohlen» hat, wissen wir ja jetzt). Hermes, der Schutzpatron der Redner und Diebe, ist schliesslich ein Gott, und einem geschenkten Gott schaut man nicht ins Maul. Er ist halt doch ein Esterházy mit einem Schloss mit vielen Zimmern, die man nicht betreten darf. Vielleicht ist er gar Blaubart selber, über dessen «wundersames Leben» er schreibt. Jedenfalls ist er ein Liebhaber ungelüfteter Geheimnisse, das macht ihn auch noch charmant.

Wenn er die Dinge nicht beim Namen nennt, dann nicht aus Prüderie, sondern weil er weiss, dass Namen Namen und Dinge Dinge sind (nicht einmal «mein Knie schmerzt» ist ihm ein möglicher Satz, was für einen Fussballspieler wie P. E. doch ziemlich bedenklich ist). «Die beste Definition der Heimat ist die Bibliothek», zitiert er (vielleicht) sich selber. Und die Wirklichkeit ist das, was der Dichter, die Wirklichkeit betrachtend, erfindet: die Stadt Lübeck (in der Titelgeschichte) beispielsweise, ohne Thomas Mann vorzugsweise. Ungarn, Europa, Unglücklichsein: Leerstellen, Wörter. So ist es allein dem Schriftsteller vergönnt, unentschieden und alles gleichzeitig zu sein – Esterházy und die Identität von beidem.

Samuel Moser

### Perlentaucher.de

Pressenotiz zu : Süddeutsche Zeitung, 13.10.1999

In einer Doppelrezension bespricht Herbert Wiesner neben diesem Band auch Péter Esterházys "Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors". Wiesner macht allerdings nicht in jedem Satz deutlich, auf welches der beiden Bücher er sich mit seinen Äusserungen bezieht.

1) "Was für ein Péter!":

Wiesner hebt die Beiträge des Verlegers Jochen Jung und der Dichterin Ilma Rakusa hervor, die "am schönsten und sinnlichsten" über Péter Esterházys Aussehen geschrieben haben. Um dies zu unterstreichen, fügt Wiesner einige Textbeispiele an.

2) "Thomas Mann mampft Kebab am Fuße des Holstentors" (Residenz Verlag):

Wir erfahren, dass Wiesner Esterházy per saldo für einen sehr grossen und bedeutenden Autoren hält, der "über Herkunft, Ort und Orte der Literatur" nachdenkt.

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