Die Pension Eva

Die Pension Eva
Authors
Camilleri, Andrea
Publisher
Rowohlt Verlag
Tags
roman
ISBN
9783499244728
Date
2009-09-02T00:00:00+00:00
Size
0.15 MB
Lang
de
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Eigentlich ist die Pension Eva für den heranwachsenden

Nenè gar kein Bordell. Nicht nur, dass sich der Junge, der schon früh von seiner

Cousine in die Geheimnisse der Liebe eingewiesen worden ist, als Zwölfjähriger

vorgestellt hatte, dass in der dreistöckigen Villa im italienischen Vigàta

bezaubernde Feen wohnten. Auch ist die „Pension“ auf den Überresten eines

Tempels und einer Kirche errichtet worden. Und tatsächlich erscheint das Haus im

Roman vor allem ein heiliger Ort, in dem die Männer in den Armen des

zweiwöchentlich wechselnden Personals für eine halbe Stunde auch den Krieg und

die Lieblosigkeit ihrer Umgebung vergessen können. So verwundert es Nenè nicht,

dass er nach der Zerbombung des Bordells am Ende des Romans eine Statue von

griechischer Schönheit in den Trümmern findet, die die Hände zum Gebet gefaltet

hat -- und die die Illusion des wahren Ortes im falschen Leben gleich wieder

entlarvt: „Er berührte sie. Und da bemerkte er, dass sie nicht aus Marmor war,

sondern aus Fleisch und Blut. Die Totenstarre hatte längst eingesetzt, und so

hatte die Leiche wie eine Statue ausgesehen. Der Staub bedeckte ihren ganzen

Körper, und wahrscheinlich war sie daran qualvoll erstickt.“

Der Lektüre des Kurzromans Die Pension Eva aus der Feder des

inzwischen 82-jährigen italienischen Bestsellerautors Andrea Camilleri ist

zunächst befremdlich. Das hat weniger damit zu tun, dass man vom Autor, der

hierzulande nicht zuletzt durch seine spannenden Geschichten rund um den

Commissario Montalban bekannt geworden ist, eher einen Krimi als eine leise

Erzählung über das Heranwachsen in Zeiten des Krieges erwartet hätte. Vielmehr

ist es der etwas altertümelnde Erzählton, der überrascht. Denn bei der Lektüre

von Die Pension Eva hat man über weite Strecken das Gefühl, man halte die

-- unbedingt notwendige, da ungemein faszinierende -- Wiederentdeckung eines

wundervoll schreibenden Autors aus den zwanziger Jahren in den Händen, die die

Lektoren des Kindler-Verlags da der Vergessenheit entrissen haben, und nicht

eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2008.

Wenn man sich aber auf den zwar nostalgischen, aber stringent durchgehaltenen

und irgendwie ja auch passenden Erzählton Camilleris eingelassen hat, wird man

Die Pension Eva die gegen Ende immer mehr zu einer Sammlung kleiner

Geschichten und Anekdoten wird, mit Hochgenuss verschlingen. Da gibt es

eigentlich nur eine kurze Passage, in der der allwissende Erzähler seine Leser,

den vermeintlichen Tod eines liebestollen Barons im Bombenhagel betreffend, an

der Nase herumführt. Da hätte man sich eine weniger effektvolle, dafür aber

gelungenere Schreiblösung gewünscht. Aber das ist in dem Roman, der auf

kleinstem Raum ein kluges Panorama der faschistischen italienischen Gesellschaft

unter Mussolini entfaltet, nun wirklich ein verschmerzbarer Einzelfall. --

Thomas Köster, Literaturanzeiger.de