Kaiser Wilhelm II · Ein Lebens und Charakterbild

Kaiser Wilhelm II · Ein Lebens und Charakterbild
Authors
Aden, Menno
Tags
biographie & autobiographie
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.18 MB
Lang
de
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Es wird kaum möglich sein, ein zutreffendes Bild von Kaiser Wilhelm II. zu zeichnen. Es

geht ihm, wie Schiller im Prolog zum Wallenstein über den Titelhelden sagt:

Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt

Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte. .

Das Urteil über gefallene Größen ist vorher ein völlig anderes als nach dem Fall. Und

beide Urteile sind verzerrt. Jeder, der einmal in einer Hierarchie gewirkt hat, kennt

den Liebediener und Schmeichler, der oft sehr geschickt den Vorgesetzten mit Lob und

Bewunderung umgarnt, über dessen Scherze am lautesten lacht und sich dadurch

Vorteile erwirkt. Am 18. Juni 1904 notiert Zedlitz-‐Trützschler: Besorgt kann man

manchmal werden, wenn man sieht, welchen Erfolg die Leute haben, die alles bewundern,

. .Die Schmeichler finden günstiges Terrain: unser Kaiser allein hat alles gemacht, er hat es

nicht nur gut, sondern am besten gemacht. usw. Wenn aber der Chef stürzt, begleiten

dieselben Leute dessen Sturz mit Schmähungen und nachträglicher Besserwisserei. Man

habe „es“ ja schon immer gesagt. Das war wohl immer so, jedenfalls trifft es auch auf

Kaiser Wilhelm II. zu.

Beispiel dafür ist folgende Parallele. Der französische Botschafter am Zarenhof vor und

während des Ersten Weltkriegs, M. Paleologue, befindet sich am 24. März 1917, also 10

Tage nach der Abdankung des Zaren Nikolaus II am 15. März 1917, in einer

1

Abendgesellschaft von Personen, welche alle durch ihre Geburt oder ihr Amt im

verschwundenen Regime einen hohen Rang eingenommen hatten. Paleologue notiert in

seinem Tagebuch: Sie reden alle zusammen über Nikolaus II. Trotz seines augenblicklichen

Elends, trotz der schreckensvollen Aussichten seiner nahen Zukunft beurteilt man alle

Handlungen seiner Regierungszeit mit äußerster Strenge; man erdrückt ihn geradezu

unter der Last alter und neuer Vorwürfe.. Harry Graf Kessler befindet sich am 4. Januar

1919, also keine 2 Monate nach der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. in einer ähnlichen

Gesellschaft, und er notiert in seinem Tagebuch : Justi, der ein Protegé des Kaisers war, ist

jetzt ganz modern und revolutionstreu. Er erzählte Anekdoten vom Kaiser, die nicht zu

dessen Vorteil waren . . Man macht immer wieder die Beobachtung, wie vollkommen lieblos

über den Kaiser von denen gesprochen wird, die ihm nahe standen

Ist es psychologisch schwer, ein Lebens – und Charakterbild über den letzten deutschen

Kaiser zu geben, so erst recht aus einem gleichsam historisch -‐ wissenschaftlichen

Grund. Über Alexander den Großen gibt es nur eine einzige zusammenhängende

Primärquelle, Flavius Arrian, welche etwa von 90 – 140 nach Christus, also etwa 400

Jahre nach dem berichteten Geschehen verfasst wurde. Vielleicht noch Plutarch. Aber

weit über 1300 Titel liegen heute über Alexander vor. Demandt schreibt:1 Die meisten

Arbeiten (über Alexander ) schieben das für historisch Erklärte in der breiten Grauzone

zwischen Realität und Legende hin und her. Der Erkenntnisfortschritt verlangsamt sich mit

wachsender Literaturmenge.... Man bewertet einzelne Nachrichten gemäß einem

vorgefassten Charakterbild, das seinerseits auf der bereits vorgenommenen Bewertung

jener Nachrichten beruht. Wenn über Alexander ein solches Literaturgebäude errichtet

werden konnte, welch ein Gebirge muss sich erst auftürmen, wollte man die unzählbar

vielen Berichte über den letzten deutschen Kaiser zusammentragen! Neben der

Selbstbiografie des Kaisers: Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878-‐1918 2 liegt die

dreibändige, 4000 Seite lange Biografie von John Röhl3 vor. Sehr wichtig sind die

Denkwürdigkeiten Bernhard von Bülows (Reichskanzler von 1900 – 09). Detailreich,

freilich oft wenig wohlwollend, sind die Aufzeichnungen Grafen Zedlitz-‐Trützle, welcher

als kaiserlicher Hofmarschall den Kaiser fast täglich sah. Zahllose Bücher und

Lebensberichte von Mitarbeitern und Zeitgenossen des Kaisers liegen vor, Tagebücher

von Zeitgenossen (etwa die der Baronin Spitzemberg Göttingen 1960), Zeitungsberichte

usw. Verschollene Schriften tauchen gelegentlich in Antiquariaten auf, so die Broschüre