[Ronco 330] • Der letzte Wagen

[Ronco 330] • Der letzte Wagen
Authors
Grey, John
Publisher
Pabel/Möwig Verlag
Tags
heft-ronco
Date
0101-01-01T00:00:00+00:00
Size
0.17 MB
Lang
de
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26. Oktober 1881

Als ich anfing, dieses Tagebuch zu schreiben, war ich ein Mann, der vom Gesetz nichts zu erwarten hatte. Ich wollte Gerechtigkeit, und Gesetz und Gerechtigkeit sind zwei Paar Stiefel, die sich sehr voneinander unterscheiden. Das Gesetz ist nur Papier, und Papier ist geduldig. Es kann gekauft und zurechtgebogen werden, heute so und morgen so, wie es denen gerade paßt, die die Macht dazu haben. Die Gerechtigkeit aber ist unteilbar.

Ich habe mir niemals vorstellen können, daß ich einmal jenes Gesetz vertreten würde, das für mich damals gleichbedeutend war mit Ungerechtigkeit, Falschheit und Korruption.

Und doch ist es so. Meine Meinung darüber hat sich in den Wochen, die ich den Ranger-Stern trage, nicht geändert. Aber ich habe gelernt, daß Gerechtigkeit eine Sache der Menschen ist, die das Gesetz vertreten. Bei den Rangers habe ich bis heute schon viele Männer kennengelernt, die denken wie ich.

Aber es gibt noch immer Männer, die reich und mächtig sind und daher meinen, sich nicht an Regeln halten zu müssen. Sie schaffen ihre Gesetze selber, so wie Samuel Hollister. Ein Geschäftsmann, ein gewiefter Mann, reich, gerissen, skrupellos, mächtig. Ein erbärmlicher Schuft, der über Gerechtigkeit lacht, der über mich und die anderen Ranger lacht, die versuchen, ihm das üble Machwerk zu legen.

Ich habe mein Tagebuch damals begonnen, um ein Dokument meiner Unschuld zu hinterlassen, denn ich war ein gejagter Mann. Inzwischen habe ich längst begriffen, daß es falsch wäre, jetzt damit aufzuhören, jetzt, da ich selbst den Stern trage und rehabilitiert bin.

Ein Mann wie ich wird niemals völlig rehabilitiert sein. Die Hoffnung, einmal Ruhe zu haben, habe ich aufgegeben. Es wird immer wieder Leute geben, die mir etwas am Zeuge flicken wollen, weil ich ihnen auf die Füße trete. Ich kann einfach nicht anders. Wer jahrelang unschuldig verfolgt wurde und gegen eine ganze Welt kämpfen mußte, um sein Recht zu erhalten, der verlernt es wohl, gegenüber wirklich großen Schuften den Mund zu halten, sich vor ihnen zu ducken.

Die meisten tun das. Auch die, die den Stern tragen. Ich gehöre nicht dazu. Für mich ist der Stern eine Verpflichtung, die ich ernst nehme. Denn genauso, wie ich schließlich meine Unschuld beweisen konnte, konnte ich die Schuld und die Verstrickungen all jener beweisen, die mich in die Gesetzlosigkeit gestoßen hatten. Alles hat seine Stunde, jeder stößt einmal an seine Grenzen.

Das gilt auch für Hollister, dem ich gerade jetzt, in meinem zweiten Fall als Ranger, wieder eine Niederlage zu verdanken habe. Aber ich bin sicher: Auch sein Tag wird kommen.

Mein Tagebuch verhindert, daß ich die Vergangenheit vergesse, und hilft mir, die Gegenwart schärfer zu sehen. Und ich habe begriffen: Die Geschichte gleicht sich, auch die Menschen, die einem begegnen, gleichen sich. Es sind immer dieselben. Schon als Junge habe ich Männer wie Hollister getroffen, auch als Scout in Fort Calhoun, damals, 1865. Während ich hier schreibe, denke ich daran, denn die Erinnerung beweist mir, daß man nie aufhören darf, gegen sie zu kämpfen. Sie sind alle zu besiegen, die Hollisters dieser Welt. Aber man muß auf der Hut sein. Wer gegen sie ist, wird von ihnen verfolgt, manchmal über den Tod hinaus. Deshalb höre ich nicht auf, meine Geschichte weiter zu schreiben, und ich höre nicht auf, weiter zu kämpfen …