Ich hatte die Werke geliebt, in denen die Surrealisten der Malerei und der Literatur den Garaus machten. Mit Hochgenuß sah ich zu, wie die Gebrüder Marx jetzt dem Film den Garaus machten. Wütend zerfetzten sie nicht nur die gesellschaftliche Routine, das gesteuerte Denken, die Sprache, sondern sogar den Sinn der Dinge und schufen sie dadurch neu … Zerstörung und Poesie: was für ein schönes Programm!
(Simone de Beauvoir)
Die Marx Brothers: Die Tradition der Commedia dell’arte, die sich im Milieu der Wolkenkratzer angesiedelt hat.
(Marcel Marceau)
Ein spezifisches Merkmal der Sozialpsychologie von W.C. Fields ist sein stets vorhandenes schlechtes Gewissen. Er weiß, daß er unmoralisch handelt, d.h., die Gültigkeit der Moral ist für ihn unterstellt, und jede seiner faulen Touren nährt sein schlechtes Gewissen. Völlig anders ist die Stellung der Marx Brothers zur Moral, sie kennen kein schlechtes Gewissen. Chico, Groucho, Harpo (und Zeppo) Marx vollziehen in verschiedenen Stufen den Übergang zum Amoralischen.
Chico, mit spitzem Hütchen, bauernschlau, hat noch ein gewisses Verhältnis zur Moral; er scheint keine zu haben, aber setzt sie sehr gekonnt als Mittel ein: Erwischt man ihn bei irgend etwas, so tischt er sofort die rührseligsten Geschichten auf über seine arme italienische Großfamilie, die Mama usw. Was ihm nicht gefällt, will er nicht kapieren: Ich bin ein armer Ausländer und verstehe schlecht. Deshalb resümiert Frieda Grafe: »Ihm ist am wenigsten zu trauen, er wirkt am normalsten.« Das scheint auch Groucho zu wissen, als sich Chico in A NIGHT IN CASABLANCA (1946) anbietet, ihm seinen Koffer zu tragen, und Groucho ihn lieber selber tragen will. Auf die Beschwichtigung: »Aber mir kann man doch trauen«, entgegnet Groucho: »Ich traue niemand, nicht einmal mir selbst.« Er gibt damit zu verstehen, daß moralische Kategorien wie Vertrauenswürdigkeit für ihn keine Bedeutung haben.
Groucho arbeitet mit dem Bluff, mit unmittelbarer Überrumpelung und Übervorteilung. Mit gelatinierten Schmalzlocken, angemaltem Schnurrbart, Zigarre und speckigem Frack umzingelt er weit vorgebeugt im Eilmarsch sein Gegenüber und schlägt mit einem Wortschwall, der die größten Unverschämtheiten und interessierten Ungereimtheiten in wohlklingende Laute kleidet, seinen »Gesprächspartner« nieder, noch bevor dieser überhaupt zur Besinnung kommt. Angriff ist die beste Verteidigung. »Groucho redet um sein Leben«, sagt Urs Widmer. Als blinder Passagier dringt er in die Kabine einer ehemüden Dame ein. Im Nu macht er aus dem Eindringling einen Ehemann und aus dem Ehemann einen Eindringling: »Madam, before I get through with you, you will have a clear case for divorce, and so will my wife. Now, the first thing to do is to arrange for a settlement. You take the children, your husband takes the house, Junior burns down the house, you take the insurance, and I take you« (aus MONKEY BUSINESS/1931). Groucho ist immer in die abenteuerlichsten Transaktionen verwickelt, ohne auch nur einen Cent zu besitzen. Reiche Witwen sind sein Spezialgebiet. Mit maximal sechs Dialogeinheiten schafft er es, sein Anliegen klarzumachen: »Oh, hop in here. There’s a few things I’d like to discuss with you. What I’m about to say is intended for your ears alone.«
»Oh, Wolf!«
»Martha, dear, there are many bonds that will hold us together through eternity.«
»Really, Wolf? What are they?«
»Your Government Bonds, your Saving bonds, your Liberty bonds – and maybe in a year or two after we’re married – «
»Yes?«
»Who knows? There may be a little baby bond.«
»Oh, it all seems so wonderful! Tell me, Wolfie, dear, will we have a beautiful home?«
»Of course. You’re not planing on moving, are you?«
»No. But I’m afraid after we’re married a while, a beautiful young girl will come along and – you’ll forget all about me.«
»Don’t be silly. I’ll write you twice a week.«
(aus THE BIG STORE/1941).
Wenn Groucho in Hochform ist, schafft er es auch in zwei Dialogeinheiten. »Did you say your room is three eighteen? You know I am the proprietor of this hotel and I have a passkey for every room in it.« – »Passkey?« – »Passkey – that’s Russian for pass – you know they passkey down the streetskey.« Währenddessen läßt er sich auf einer Chaiselongue nieder in einer metastabilen Position zwischen Sitzen und Liegen, und statt des »Wollen Sie sich setzen?« folgt ganz ungeniert »Won’t you lie down?« (aus COCOANUTS/1929). Einmal schafft es Groucho sogar, mit einer einzigen Dialogeinheit. Er legt sich ins Bett der Dame, die empört ausruft: »What will people say?« – »They’ll probably say you’re a very lucky woman.«
Und schließlich Harpo, die reine Kunstfigur mit Perücke und einem Mantel mit Taschen von unergründlichem Fassungsvermögen, sprachlos, der sich, dem reinen Musikclown ähnlich, durch Laute und Pantomime ausdrückt. Wegen vieler Charakterzüge ist er in der gesamten Filmliteratur als geistig unterentwickeltes Kleinkind abgehandelt. Mit einer Hupe und einer Schere richtet er allerlei Unheil an und ißt alles, was ihm zwischen die Finger kommt (einmal, in HORSE FEATHERS/1932, beschmiert er den Finger eines am Boden Liegenden mit Senf, legt zwei Brötchen drauf und fängt an, genüßlich zuzubeißen). Was partout nicht eßbar ist, verschwindet in den geheimnisvollen Manteltaschen, aus deren Untiefen er bei Bedarf alles und jedes hervorklaubt, wie überhaupt unmittelbare Bedürfnisbefriedigung für Harpo charakteristisch ist. Und so, wie er Dinge kleptoman einsammelt, zeigt auch seine Sexualität Züge von Sammelsucht: Hat er ein Mädchen eingefangen, fällt ihm nichts Besseres ein, als ihm Arme (ANIMAL CRACKERS/1930) oder Beine (HORSE FEATHERS) zu brechen.
Tatsächlich übersieht aber die Betrachtungsweise Harpos als gefräßiges Kleinkind seine Geschicklichkeit und intellektuellen Fähigkeiten; der Infantilismusvorwurf charakterisiert ihn ungenügend, Harpo ist auf den Augenblick reduziert, und wenn ihm danach ist, gibt er ein durchaus virtuoses Harfenkonzert. Bei genauer Betrachtung ist seine Beschränktheit Methode, einzig bedacht auf die Befriedigung seiner »amorphen« Gelüste (Frieda Grafe). Auch seine sexuellen Eskapaden müssen in anderem Licht erscheinen, wenn man bedenkt, mit welchem Geschick er Frauen statt eines Händewechsels sein Bein in die Arme schummelt. Harpo erinnert in mancher Hinsicht an Puck. Wenn er will, kann er sogar sprechen, wobei er mehr leistet als der normale Sprecher, indem er Sprache in seinem lautlichen Code wiedergibt. So etwa in THE BIG STORE und A NIGHT IN CASABLANCA (1946), wenn er mit Lauten Wörter signalisiert, die Chico ausspricht und über eine Homonymienreihe bis zum gewünschten Text transformiert.
Damit klärt sich auch der Unterschied der Wortverdrehungen bei Groucho einerseits bzw. Chico/Harpo andererseits. Bei Groucho handelt es sich um vorgegebene Zwecke, die durch allerlei Worthebel und Phrasenzüge zugleich kaschiert und ausgesprochen werden. Chicos Homonymien (z.B. flash, fish, flush) können nach dem Prinzip der freien Assoziation Sinn konstruieren und destruieren zugleich. In beiden Fällen ein artifizieller Umgang mit Sprache. In Grouchos Fall zynische Gebrauchslyrik, im Fall Chico/Harpo ein freies Spiel mit der lautlichen Basis der Sprachproduktion.[37] Groucho bei einer seiner Erbschleichereien (HORSE FEATHERS): »You could live with your folks and I – I could live with your folks. Living with your folks. Living with your folks. The beginning of the end. Drab dead yesterday shutting out beautiful tomorrows. Hideous, stumbling footsteps creaking along the misty corridors of time. And in those corridors I see figures … (mit tiefer, verhaltener Stimme) … strange figures … weird figures … (jetzt wieder normale Stimme) … Steel 186, Anaconda 74, American Cane 138 …« Chico dagegen reagiert auf das Stichwort »viaduct« mit: »All right. Why a duck?« – »I’m not playing Ask-Me-Another. I say, that’s a viaduct.« – »All right. Why a why a duck? Why-a-no-chicken!« Und so fort (COCOANUTS). Bei Harpo endlich ist oft die Stufe erreicht, wo nur noch das Bild, der direkte Gegenstand, die Assoziation das Wort ersetzt. In eine Flüsterkneipe schafft sich Harpo Eingang, indem er statt des Kennworts wortlos einen Schwertfisch aus seinem Mantel holt (HORSE FEATHERS), und auf Verlangen, seinen »Passport« vorzuzeigen, zeigt er eine Pappe (pasteboard) und dann ein Waschbrett (washboard) vor (MONKEY BUSINESS/1931). Übrigens kann harpo entgegen einem weitverbreiteten Gerücht auch lesen: Einmal lehnt er sich heimtückisch vor ein WOMEN-Schild, so daß nur noch MEN zu lesen ist, und wartet die prompte Wirkung ab (MONKEY BUSINESS).
Der vierte der Marx Brothers ist der etwas blasse Don Juan Zeppo. Er spielt meist den Helden der Soap Opera, auf deren Background die Filme der Marx aufgezogen sind und über die sie sich natürlich lustig machen (ungeachtet dessen, daß sie das Drehbuch gern zu Agenten der Story macht bzw. den Bock zum Gärtner). Er ist manchmal ein Schnösel wie Max Linder: Parker Tyler vergleicht ihn mit den Subway-Scheichs Bob Hope, Red Skelton oder Danny Kaye. Durch die Kumpanei Zeppos mit den übrigen Marx fällt ihm die Rolle dessen zu, der mit dem geringsten Aufwand den größten Erfolg von allen hat, so daß dieses blasse Bürschchen, das zum Schluß die ganzen Lorbeeren erntet, für den Film selbst verzichtbar oder substituierbar wird, was dann auch später geschah.
Schließlich kann man von den Marx Brothers nicht reden, ohne eine Hymne auf Margaret Dumont zu singen. Diese gestrenge und stattliche Dame spielt meist die reiche Witwe, der Groucho nachstellt und die für diesen eine Hausnummer zu groß ist. »Es müßte eine Statue errichtet, eine Kongreß-Medaille gestiftet oder ein nationaler Feiertag proklamiert werden, um jene große Frau Margaret Dumont zu ehren, die Dame, die die Schläge der Marx Brothers einsteckt« (Cecelia Ager/1937). Am besten gibt man Margaret Dumonts Beziehung zu den Marxens mit ihren eigenen Worten wieder: »Man sagte mir, daß sie eine Schauspielerin mit Würde und Seriosität suchten, um ihre Komödie dramatisch auszubalancieren. Nach drei Wochen als Grouchos Partnerin hatte ich beinahe einen Nervenzusammenbruch. Er stieß mich herum, zog Stühle unter mir weg, grillte Steaks im Kamin meines Appartements, legte mir Frösche ins Bad und machte mir auf der Bühne als auch sonst das Leben schwer. Aber ich bereue keine Minute. Ich liebe diese Kerls.«
Daß die Marx Brothers jede Story in bühnenhafte Einzelgags atomisieren, braucht weiter nicht zu stören, ist doch in ihren Figuren – am klarsten in Harpo – eine Reduktion auf den Augenblick angelegt. Oft wird den Filmen aber auch die unfilmische Machart vorgeworfen, d.h., daß lediglich in den Kasten gebracht wird, was die Marxens tun und was sie manchmal genausogut auf der Bühne tun könnten (ROOM SERVICE/1938, COCOANUTS). Dies stimmt nur bedingt, da zwischen dem Film und der Wort/Bild-Dialektik der Marx Brothers, wie Antonin Artaud bei ANIMAL CRACKERS auffällt, eine unmittelbare Kongruenz besteht. In der Nouvelle Revue Française jubelt Artaud, ihre Gags erreichten die Tiefe onirischer Delirien. Viele Bewegungsabläufe, etwa die fantastische Rollschuhszene in THE BIG STORE, sind ohnehin nur im Kino möglich, und einzelne enge räumliche Arrangements sind in Wirklichkeit die Erfüllung der Hitchcockschen Vision eines Films in einer Telefonzelle. Die Marx Brothers in der Miniatur-Wohnung eines Lilliputaners, die Kollision der enfants terribles und des homme enfant (AT THE CIRCUS/1939). Die Kabinenszenen in A NIGHT AT THE OPERA (1933): Groucho öffnet in einer winzigen Kabine seinen Seeschrank, dem Chico und Ricardo Baroni entsteigen, während Harpo sich schlafend in der Schublade findet; dann kommen herein: erst zwei Zimmermädchen, dann ein Installateur, eine Putzfrau, eine Maniküre, eine junge Dame, die ihre Tante sucht (Groucho: »Wenn sie nicht da ist, finden Sie hierherin bestimmt jemand, der genausogut ist«), drei Stewards u.a.m., und als schließlich die zu einem Rendezvous mit Groucho verabredete Margaret Dumont die Tür öffnet, purzeln ihr ein Dutzend Leute wie der Inhalt eines übervollen Schranks entgegen.
Die Marx Brothers in A NIGHT AT THE OPERA/1935. Die Marx Brothers veranstalten in einem kleinen Abstellraum ein Massen-Meeting. Bei ihnen müssen sich die äußeren Umstände nach ihrer augenblicklichen Willkür richten.
Hierher gehören auch die bildlichen Surrealismen, die spezifisch kinematographisch sind und gleichzeitig gut zu den Marx Brothers passen und nicht einfach als Gags der Regie abzutun sind. So etwa, wenn Harpo an einer Mauer lungert, was ein Polizist nicht dulden will; als Harpo von der Mauer weggeht, stürzt sie ein, so als hätte sie nur dank Harpos Stütze Bestand gehabt. Auch der selbstsüchtige Umgang der Marxens mit den Dingen ist sehr filmisch eingesetzt. So etwa Groucho, der einen Telefonhörer als Nußknacker benützt (HORSE FEATHERS), oder Harpo, der in der Unergründlichkeit seiner Manteltasche von Méliès’ Errungenschaften profitiert. Der Vorwurf der Bühnenhaftigkeit kann für die Filme von Norman Mc Leod, Leo Mc Carey und Sam Woods, immerhin alles perfekte Hollywoodprofis, sicher nicht aufrechterhalten werden.
Auf den Zusammenhang der Filme zum Surrealismus befragt, antwortete Groucho vieldeutig: »Surrealisten? Ist das nicht die Gruppe, die gegen de Gaulle kämpft?« Grouchos größte Angst war immer, auf etwas festgenagelt zu werden: »Ich möchte nie einem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt.« Ob Groucho will oder nicht, einige der Arrivierten im Kulturleben sind den Marx Brothers jedenfalls zutiefst verpflichtet, z.B. Arrabal (»Autofriedhof«), Ionesco (»Kahle Sängerin«) und Beckett, der in dem Roman »Molloy« u.a. Harpos Hupe verwertet. Und noch jemand anderes ist den Marxens verpflichtet, wie mir beim Abhören einer Scheibe mit Marx-Originalsound auffiel. Der Zusammenhang mit Musikclowns wurde schon erwähnt (in MONKEY BUSINESS kommt z.B. eine köstliche Maurice-Chevalier-Parodie vor – in vierfacher Ausführung); wie viele Musikclowns sind auch die Marx Brothers echte Virtuosen, Chico am Klavier, Harpo auf der Harfe. Man sollte einmal die Arrangements der Marx Brothers mit Gerald Hoffnung vergleichen!
Dem Ton kommt bei den Marxens eine Sonderrolle zu, wie man sie sonst selten im Kino findet. An anderer Stelle schreibt Antonin Artaud: »Das Bild ist auf der Leinwand, aber der Ton ist im Saal.« Man möchte hinzufügen: Bei den Marxens bedrängt der Ton das Publikum physisch. Wenn man Harpos Hupe nicht sieht, erklingt sie im Zuschauerraum, und wenn Chico spricht, fliegen einem die Fetzen um die Ohren. Groucho, bei dem Quantität vor Qualität steht, sagt in HORSE FEATHERS heimtückisch in die Kamera: »I’ve got to stay here, but there’s no reason why you folks shouldn’t go out into the lobby until this thing blows over.« Dabei weiß er genau, daß der Zuschauer/Zuhörer schon festklebt. To crouch = sich ducken, sich bücken, kriechen. Eine tönende Schlammflut, ein anarchistisches Sensorround ergänzt Grouchos Umzingelungstechnik auf der Leinwand. Fremder Ton wird dagegen konsequent torpediert. Die Troubadour-Aufführung in A NIGHT AT THE OPERA platzt. Die Lohengrin-Ouvertüre in AT THE CIRCUS schwimmt mitsamt Orchester auf einer Plattform aufs offene Meer hinaus. In GO WEST verpaßt Groucho einem Widersacher einen Knebel (= gag) mit dem Kommentar: »That’s the best gag of this film!«
Der Typologie der Marx Brothers habe ich bis hier sehr weiten Umfang eingeräumt, um das Wesen des Anarchismus, den die Filmkritik einhellig den Marx Brothers zuschreibt, genauer zu charakterisieren. Grouchos interessierte Gedankenakrobatik ist die Anarchie der Konkurrenz, das totale Eigeninteresse der Geschäftemacher, deren Einzelinteressen in anarchistischem Gegensatz zueinander stehen, die nur durch die gewaltsame Klammer des Staats zusammengehalten werden. Im Geschäftsleben ist alles erlaubt, solange niemand dagegen einschreitet; auf den Ruf: »Steh auf, die Mörder sind im Laden«, antwortet Groucho ungerührt: »O.k., warum bedient sie niemand?« In COCOANUTS ist der businessman Groucho wieder mal völlig abgebrannt. Sein Personal will den Lohn. Groucho fordert sie auf, keine »wage slaves« zu sein: »I want you to be free! Remember, there’s nothing like liberty – except ›Collier’s‹ and the ›Saturday Evening Post‹. Be free, my friends. One for all and all for me, and me for you and three for five, and six for a quarter.«
Die schärfste Pointierung erhält Grouchos Figur in DUCK SOUP (1933), wo ausgerechnet dieser Agent des kommerziellen Egoismus Staatschef ist. Die Story selbst ist eine Verwurstung der »Lustigen Witwe«. Während in der normalen Operette der Staat in den Himmel kommt, erweist sich hier die Albernheit der Operette als Entsprechung der staatlichen Rituale. Der ganze Staatsapperat wird bei Groucho umfunktioniert für seine eigensten Interessen. Alle selbständigen Formationen, die das Staatswesen ausmachen, werden dadurch – ihres gemeinsinnigen Sinns beraubt – bis auf die Knochen lächerlich gemacht. Groucho kritisiert dabei selbstredend nicht den Staat, sondern nur, daß der Staat für seine Interessen untauglich organisiert ist. Da entspinnt sich z.B. im Staatsrat folgender Dialog: »Lieutenant, why weren’t the original indictment papers placed in my portfolio?« – »Why – uh – I did’nt think those papers were important at this time, your Excellency.« – »You didn’t think they were important? You realise I had my dessert wrapped in those papers? Hee, take this bottle and get two cents for it.« Auch die zum Staat gehörigen Rituale des Respekts, die schon in der äußeren Form die Unterwerfung unter die Gewaltmaschinerie zelebrieren, werden so vollends absurd. Da stehen z.B. Wachmannschaften, Diener und Schranzen in Reih und Glied mit durchgedrückten Knien und ehrfurchtsvollem Blick vor dem respektheischenden roten Teppich in Erwartung des Staatsoberhaupts; Groucho aber, durch die Hintertür kommend, drängelt sich interessiert mit seiner Zigarre durch die Menge und steckt ganz unverhofft plötzlich mitten zwischen den Livrierten, seinem eigenen Empfang entgegenharrend. Ansonsten geschieht freilich alles, was sonst in Staaten auch geschieht, nur in Tempo und Manier von Groucho extensiv überspannt: Es wird geherrscht, Gewalt wird ausgeübt, etwas gevolkstümelt, Steuern werden erhoben, Krieg wird geführt usw., was zu einer ganzen Menge infamster Marxismen Anlaß gibt. Zu Harpo, der im schlimmsten Kriegsgetümmel nach vorne geschickt werden soll, sagt Groucho: »You’re a brave man! Remember, while you’re out there risking life and limb, through shot and shell, we’ll be in here thinking what a sucker you are.« Und damit ja niemand glaubt, daß dies der Staat ebenso um seiner selbst willen als Subjekt tut wie hier Groucho, heißt das Land noch ausdrücklich Freedonia, so daß gleich jeder weiß, daß der ganze Zirkus um der Freiheit willen stattfindet.
Chicos Anarchie dagegen ist die Anarchie dessen, der mit den Konventionen kollidiert, der als italienischer Einwanderer Sprach- und Kulturschwierigkeiten militant gegen die gesellschaftlichen Regeln und Prinzipien wendet. Systeme, die nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktionieren, unterminiert, verwirrt er, läßt er in die Irre laufen, um selbst von dem Durcheinander zu profitieren. Äußerlich ist er durch einen Rest rustikaler Kleidung gekennzeichnet, um glaubwürdig den sizilianischen Bauern zu spielen, der sich nach New York verirrt hat. Chicos Offenbarungseid ist die berühmte Vertragsszene mit Groucho in A NIGHT AT THE OPERA. Groucho hat mit Chico ein Geschäft gemacht und ihn vertraglich für ein Opernunternehmen verpflichtet. Aber Chico paßt der Vertrag nicht, eine Klausel nach der anderen wird zerredet, verfällt seinem Verdikt, wird von dem Vertragswerk abgerissen, bis nur noch ein kleines Fitzelchen Papier zur Unterschrift übrigbleibt. Das einzige, was auf dem Papier noch steht, ist die Klausel über die geistige Gesundheit der Kontrahenten, die »sanity clause«. Chico: »You can’t fool me. There ain’t no Santa Claus.«
Harpos Anarchismus endlich ist die auf spontane Bedürfnisbefriedigung reduzierte Person, die überhaupt durch keine Norm mehr erfaßbar ist; während sich Groucho und Chico noch auf ihre Weise mit der Wirklichkeit abarbeiten, ignoriert sie Harpo glattwegs. Den Sündenfall der Artikulation umschifft er, indem er sich durch Chico artikuliert, durch den, der Artikulationsschwierigkeiten hat, oder gleich das Bild für das Wort setzt. Wo seine Brüder sich abstrampeln, um sich vom Reichtum der Gesellschaft eine Scheibe abzuschneiden, interessiert ihn nur der Genuß. Was er nicht konsumieren kann, läßt er in den endlosen Tiefen und Weiten seines Mantels verschwinden, aus dem er auch alles hervorholen kann, was er benötigt. Er erklärt alles, was er begehrt, zu seinem Eigentum. Er ist damit offen antimoralisch und reiht sich ein in die Tradition des utopischen August.[38] Er ist das Wesen des Anarchismus rein, er ist überhaupt nicht mehr schematisierbar, denn »im Wesen ist alles relativ« (Hegel). Sind Groucho und Chico Überlebenskünstler, so ist bei Harpo hier nur noch die extreme Anpassungsfähigkeit der Marxens übriggeblieben, die sogar noch in Heringsfässer verpackt in aller Ruhe Tee trinken können (MONKEY BUSINESS). Diese Anpassungsfähigkeit ist der Koinzidenzpunkt mit der Commedia dell’arte, die Manier der Subalternen, dem Zugriff der Herrschaft kautschukartigen Widerstand zu leisten, Widerstand, der durchaus in vulkanisierte Tyrannei ausarten kann.
Die Marx Brothers in MONKEY BUSINESS/1931. Die Anpassungsfähigkeit der Marx Brothers geht so weit, daß sie nötigenfalls auch in Heringsfässern kampieren können.
Groucho und Chico wollen im Grunde dasselbe wie Harpo, aber sie kooperieren zum Schein mit einer Gesellschaft, die der Bedürfnisbefriedigung so sehr entgegensteht, daß sie in ihrer anarchischen Fantasie jedes Gemeinwesen vernichtet haben. Sie sind in ihrer Konsequenz dem Verbrecher verwandt, aber sie sind nur in Gedanken Verbrecher, denn zur verbrecherischen Tat sind sie zu korrupt gegenüber ihrer eigenen Konsequenz. Als Leibwächter bei einem Gangster engagiert, meint Groucho, nachdem er die Bezahlung hochgetrieben hat: »Now, we will be very tough«[39] (MONKEY BUSINESS). Bei aller bornierten Selbstsüchtigkeit im Motiv hat die anarchistische Fantasie der Marx Brothers eine ätzende Wirkung. Sie korrodiert alles, was mit dem autoritativen Anspruch auf Erhabenheit auftritt und nur der verhimmelte Ausdruck der bornierten alltäglichen Selbstbescheidung ist, ganz nach dem Motto der Hegelschen Kant-Polemik: »Selbst der verbrecherische Gedanke eines Bösewichts ist großartiger und erhabener als die Wunder des Himmels.«