2. Brot + Brötchen

Seltsame Handwerker sind sie, diese Supermarktbäcker. Sind sie überhaupt noch Handwerker? Und was verkaufen sie uns da eigentlich? Eine ebenso kurze wie sarkastische Antwort darauf hat der Twitterstar El Hotzo gegeben: »Man kann der Menschheit viel vorwerfen, aber aus der Kombination aus Wasser und Mehl hat sie echt absolut alles rausgeholt.«

An der »Vorkassenbäckerei« eines Edeka-Supermarkts, in dem ich gelegentlich einkaufe, hängt ein rundes Pappschild von der Decke. Darauf stehen die Jahreszahl 1919 und die Wörter »Leidenschaft« und »Tradition«. Schaut man auf der Website der »Markt-Bäckerei« – so heißt die Edeka-Tochter mit ihren Hunderten von Filialen – nach, wie sie sich selbst beschreibt, stößt man auf ein Selbstlob, das selbst unter Marketinggesichtspunkten nur schwer erträglich ist. »Wir sind nicht irgendein Bäcker und auch kein Industriebetrieb, der Industrieware produziert«, heißt es dort. »Backkultur, das ist die pure Freude am Handwerk, das ist Leidenschaft bis ins Detail, das ist Stolz auf die wunderbare Welt des Backens (…). Backen heißt vor allen Dingen: Arbeiten mit den Erzeugnissen, die uns die Natur zu Verfügung stellt, echte Handarbeit mit den Elementen.« In einem begleitenden minutenlangen Imagefilm, der kein Klischee und kein Schlagwort auslässt, sagt eine sonore Erzählerstimme – untermalt von reichlich Klaviermusik – Sätze, für die man sich fremdschämt: »Bäcker machen die Nacht zum Tage, bevor der erste Hahn kräht (….) Kaum jemand bekommt sie je wirklich zu Gesicht, aber ihre Arbeit, ihre Arbeit verbreitet jeden Morgen jenen herrlichen Duft in der Bäckerei, der uns ein Leben lang begleitet: der Duft unserer Kindheit, der Erinnerungen weckt an Heimat, der uns zurückkehren lässt ans offene Feuer, zu Gemeinsamkeit, zu natürlichen Rohstoffen, zurück zum Geschmack (…). Brot reflektiert Kulturen, Brauchtum, Traditionen, Geschichte, (…) wir teilen es seit Hunderten von Jahren (…). Ohne Brot ist der Tisch nur ein Brett. Füllen wir die Tische mit Leben.«

Man sieht Kinderzeichnungen von Traktoren, knisterndes Feuer, lachende Menschen beim Brotessen am Tisch, eine Hand, die in Zeitlupe in Erde greift, ein Getreidefeld vor untergehender Sonne. Es ist die Rede von Nachhaltigkeit, zukünftigen Generationen, von Bodenständigkeit, Verlässlichkeit, Wertschätzung, von der Vielfalt des heimischen Obsts und dem Reichtum der Region. »Liebe, die durch den Magen geht.« »Weil Brot für uns mehr ist als nur Mehl und Wasser.« Und als großes Finale der Satz: »Die Nacht weiß viel zu erzählen, vor allem wenn man Bäcker ist.«

Gut möglich, dass es auch derlei Prosa war, mit der die Unesco dazu gebracht wurde, das deutsche Bäckerhandwerk als »immaterielles Kulturerbe« anzuerkennen: Es habe die Vielfalt – mehr als 3000 (!) eingetragene Brotsorten – und Qualität des deutschen Brotes über die Jahrhunderte entwickelt und bewahrt, so die Unesco; im Brot lebten die alten Traditionen fort, »wobei neueste Erkenntnisse der Wissenschaft stets in die Herstellung der Backwaren einfließen«.

 

So kann man es sehen. Aber auch ganz anders – vor allem bezüglich der »neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft«, die in die Backwarenproduktion einfließen. Man kann es nämlich so sehen wie der Lebensmittelchemiker Udo Pollmer in seinem Buch Zusatzstoffe von A bis Z . Den reichlichen und den meisten Kundinnen unbekannten Gebrauch von Zusatzstoffen und anderen Zugaben in allerlei Backwaren verdichtet Pollmer zu der These: »Fabrikbrot vom Bäcker: Ein Handwerk gibt sich auf.« [1]