3. Tomaten

Vor einiger Zeit lautete in der ARD -Quizshow Wer weiß denn sowas? eine Frage an das Rateteam so:

Tragen Dosentomaten oder Tomatenmark den Hinweis »hergestellt in Italien«…?

A … dürfen sie keine Säuerungsmittel enthalten.

B … kommen sie immer aus dem Freiland.

C … können die Tomaten aus China stammen.

Es ist kein gutes Zeichen, wenn Verbrauchertäuschung so alltäglich geworden ist, dass sie schon als kurioses Material zur Unterhaltung im Vorabendprogramm herangezogen wird. Denn natürlich ist C die richtige Antwort: In Italien »hergestellte« Dosentomaten oder Tomatenmark sind oft aus chinesischen Tomaten gemacht – ohne dass es der Käufer erfährt. Der Gesetzgeber will es so: Hersteller von verarbeitetem Gemüse und Obst müssen die Herkunft des Rohstoffs nicht angeben, Kundinnen sollen nicht wissen, woher die Tomaten im Mark stammen, aus welchem Land die Äpfel für den Saft kommen, wo die geschnittenen Pilze im Glas geerntet wurden.

Wer hat daran ein Interesse? Ganz sicher nicht wir, die wir sehr wohl wissen wollen, woher kommt, was wir essen. Zum Beispiel weil Lebensmittel aus Deutschland und anderen EU -Mitgliedstaaten in der Regel seltener die Rückstandshöchstmengen für Pestizide überschreiten als Lebensmittel aus Nicht-EU -Staaten. Nur sitzen die Verbraucher am kürzeren Hebel.

Und die am längeren Hebel verwenden sehr viel Lobbyarbeit darauf, dass ihre Kundinnen eben möglichst wenig wissen. Deshalb dürfen italienische, spanische oder auch deutsche Lebensmittelfirmen für verarbeitete Produkte wie Tomatenmark oder gestückelte Tomaten chinesisches Gemüse verwenden, aber »hergestellt in …« Italien/Spanien/Deutschland auf die Tube oder Konservendose schreiben. Stimmt ja auch. Ist halt nur verbraucherunfreundlich. Stört die Hersteller aber gar nicht. Im Gegenteil.

Nur wenn auf der Verpackung zum Beispiel eine italienische (oder spanische oder deutsche …) Flagge abgebildet ist, muss der Hersteller dem falschen Eindruck entgegentreten, wenn das Gemüse oder Obst woanders wuchs. Er kann dann darauf hinweisen, dass die primären Zutaten zum Beispiel aus China stammen – das wäre die ehrliche Variante. Er kann auch »Nicht-EU « angeben. Es reicht aber auch die Anti-Information: »Tomaten stammen nicht aus Italien.« Warum diese Heimlichtuerei? Ist nicht das Verbot der Täuschung und Irreführung der zentrale Grundsatz des europäischen Lebensmittelrechts? [1]

Was sich Lebensmittelhersteller einfallen lassen, um ihren Kundinnen ein X für ein U vorzumachen, zeigt ein Fall, den das Portal »Lebensmittelklarheit« Ende 2020 öffentlich machte. Demnach verkaufte die Unternehmensgruppe Rila aus Nordrhein-Westfalen getrocknete, in Öl eingelegte Tomaten unter der italienisch klingenden Marke Leverno. Auf dem Etikett des Glases war die nächtliche Kulisse eines Städtchens am Wasser mit einer Brücke abgebildet, die an die berühmte Rialtobrücke in Venedig erinnert; außerdem gehörte zum Logo ein dünnes Bändchen in den Farben der italienischen Nationalflagge. So spielte Leverno mit dem gutgläubigen Käufer, der überall Italien assoziierte und dabei das Kleingedruckte auf der Rückseite übersah. Dort stand, dass die Tomaten aus der Türkei stammten und das Produkt in Griechenland hergestellt wurde. [2]

Warum machen Lebensmittelfirmen so etwas? Weil sie es können. Weil es legal ist. Weil sich ein Tomatenprodukt, das so tut, als käme es aus dem Tomaten- und beliebten Urlaubsland Italien, besser verkaufen lässt als eines, von dem die Käuferinnen wissen, dass seine rote Hauptzutat aus China, Griechenland, der Türkei oder sonst woher stammt.