4. Gemüse

Als kämen sie alle aus dem gleichen 3D-Drucker, der sämtliche Supermärkte Deutschlands belieferte: So austauschbar und scheinbar perfekt liegt Paprika in den Gemüseauslagen der Händler von Garmisch-Partenkirchen bis Flensburg. Zur gleichförmigen Gestalt und Größe kommt eine glänzende Oberfläche hinzu, die so makellos glatt ist und so uniform rot, gelb, grün oder orange, als wären die Lebensmittel abwaschbare Plastikartikel.

Auf ähnliche Gedanken kann man bei Karotten kommen, die vor wenigen Jahrzehnten noch mit Erde behaftet und in allerlei Formen und Größen lose in Kisten angeboten wurden. Heute stecken sie geputzt und gewaschen und in kaum abweichenden Formen und Längen in Plastiktüten.

Ich gebe zu: Auch auf mich macht es im ersten Moment einen einladenden Eindruck, wenn ich in »meinem« Supermarkt von einer reichhaltig bestückten, bunten Theke mit frischem Obst und Gemüse empfangen werde. Genau aus diesem Grund platzieren die Händler diese Lebensmittel fast immer am Eingang. Aber dieser erste positive Eindruck verfliegt schnell, wenn man genauer hinschaut.

Damit meine ich nicht die Geschmacks- und Sortenarmut, die schon im Kapitel über Tomaten thematisiert wurde. Vielmehr verstärken die Supermärkte durch die Betonung optischer Kaufanreize in den Frischetheken die Lebensmittelverschwendung und Vermüllung der Welt. Mit anderen Worten: An den glänzenden Paprika, den orange leuchtenden Möhren und all dem anderen makellosen Obst und Gemüse hängen zusätzliche Preisschilder. Die werden uns im Supermarkt zwar nicht gezeigt, bezahlt werden muss der Preis dennoch – von späteren Generationen, von Menschen in anderen Ländern, aber auch von uns Supermarktkunden über Umwege wie Steuern, Abgaben, Gebühren.

Expertinnen schätzen, dass in Deutschland zwischen zehn und 30 Prozent des jährlich erzeugten Gemüses gar nicht den Weg vom Feld oder vom Gewächshaus in den Supermarkt finden – aber nicht, weil es ausnahmslos ungenießbar oder gar gesundheitsschädlich wäre, sondern weil es in Form, Größe oder Farbe nicht ins schöne Bild der Obst- und Gemüseauslagen passt. Die hohen optischen Anforderungen der Händler, so das Umweltbundesamt, seien ein »wesentlicher Grund« für die Verschwendung wertvoller Lebensmittel. Auch in einer Studie des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen werden die hohen Ansprüche des Handels an die äußere Qualität der Lebensmittel als eine der wichtigen Ursachen für Lebensmittelverluste genannt. [1] Die Supermärkte picken sich bei ihren Lieferantinnen einfach die Rosinen heraus, für den Rest gilt: »Euer Problem.« Bei Bio-Kartoffeln zum Beispiel wurden laut einer Studie 30 bis 35 Prozent der Knollen aussortiert, bei konventionell angebauten Kartoffeln rund 16 Prozent.

Was der Handel nicht nimmt, bleibt auf dem Acker liegen, landet als Biomüll in Biogasanlagen oder wird – im besten Fall – anderweitig verwertet: Aus Äpfeln und Birnen werden Saft, Mus oder Trockenobst, aus Möhren und Kartoffeln Tierfutter. Diese Art der Verwertung sei besser als die Entsorgung der Lebensmittel im Biomüll, so das Bundesumweltamt. Dennoch würden dadurch wertvolle Ressourcen verschwendet, zum Beispiel Wasser, das eingesetzt wurde, um eine besonders hohe Qualität für den Verzehr durch Menschen zu produzieren. Hinzu kommt, dass die Ansprüche der Supermärkte an die Optik, an Mindestgröße und Mindestgewicht oft den Einsatz zusätzlicher Pflanzenschutz- und Düngemittel erfordern. Gerät der Kohlrabi dennoch kleiner als gewünscht, der Brokkoli leichter als geplant, haben die Pestizide und Düngemittel umsonst das Klima und die Böden belastet und die Erlöse der Landwirte gedrückt.

Für die Supermärkte indes sind einheitliche Gewichte und Größen von Vorteil: So können sie Obst und Gemüse nach Stückpreis verkaufen, zudem lässt sich die Ware so besser in genormte Kisten packen. [2]

Dabei hat der Handel jede Menge Spielraum, anders zu agieren. Zwar gibt es gesetzliche Vorgaben wie die EU -Vermarktungsnormen, die allerdings nur gesundheitsschädliche Mängel am Gemüse als Verkaufshindernis benennen. Für das äußere Erscheinungsbild machen sie hingegen keine Vorgaben. Aus freien Stücken unterwerfen sich viele Handelsunternehmen jedoch den strengeren UNECE -Normen der Vereinten Nationen, wonach zum Beispiel Gurken nicht gekrümmt sein dürfen, Möhren nicht rissig und Blumenkohl nicht durch Farbabweichungen auffallen soll. Bei Kartoffeln, so das Umweltbundesamt, machen die Händler den Erzeugerinnen sogar Vorgaben, die über die freiwilligen Regelungen hinausgehen. [3]