Bioabfall: ins Meer und aufs Feld

Eine andere wichtige Frage ist, was eigentlich mit verpacktem Obst und Gemüse passiert, wenn es schon im Supermarkt zu schimmeln begonnen hat? Und mit Joghurtbechern, Tiefkühlpizzen, Käse- oder Wurstwaren, die ihr Haltbarkeitsdatum überschritten haben? Viele Supermärkte warfen solche verpackten Lebensmittel jahrelang einfach als Bioabfall zum unverpackten Biomüll in ihre gewerbliche Biotonne. Welche Folgen diese Praxis haben kann, zeigte ein Umweltskandal, der vor wenigen Jahren bundesweit Schlagzeilen machte und in dem die Staatsanwaltschaft Flensburg im März 2022 Anklage gegen drei Manager einer Kläranlage erhob: Die Schlei, ein Meeresarm an der Ostsee, war Anfang 2018 plötzlich mit einer Fracht von Milliarden fingernagelgroßer Plastikteilchen belastet, Strände und Ufer sahen aus wie mit Konfetti beregnet. Die Teilchen, die bis heute von Umweltschützerinnen zu Tausenden mit der Pinzette aufgesammelt werden, stammten von Supermärkten, Restaurants und Lebensmittelherstellern, deren Abfälle samt Verpackungen in Entsorgungsanlagen zerkleinert worden waren und dann zur Energiegewinnung im Faulturm des Klärwerks landeten. Von dort gelangten sie später tonnenweise in die Schlei.

Plastikteilchen aus geschredderten und zermalmten Lebensmittelabfällen finden sich aber auch immer wieder in deutlich sichtbaren Mengen auf Äckern und Feldern, bei Gärtnereien und selbst in Blumenerde. Auch sie lassen sich zurückverfolgen zu Kompost- und Düngerlieferanten, in deren Ausgangsmaterial zu viele nicht entpackte Lebensmittel auch aus Supermärkten und Produktionsbetrieben steckten. [1]

Bund und Länder reagierten und erließen im Frühjahr 2022 neue Regeln. [2] Mit erstmaligen Obergrenzen für den erlaubten Kunststoffanteil in Bioabfällen aus Handel und Gewerbe. Mit neuen Pflichten für die Handelsunternehmen zum getrennten Sammeln und Befördern von verpacktem und unverpacktem Biomüll. Ob das wirkt, wird sich noch zeigen müssen, denn auch bislang waren die Supermärkte grundsätzlich zur getrennten Sammlung verpflichtet. Nur kontrollierte und sanktionierte das niemand, weshalb es gängige Praxis in den Supermärkten war, das verdorbene Nackensteak in Plastikfolie, den abgelaufenen Speisequark und die angeschimmelten Orangen samt Netz einfach in die Biotonne zu werfen.

Als die Entsorgerbranche die Supermärkte und Discounter 2021 aufforderte, ihre Bioabfälle in zwei verschiedenen Tonnen für verpackte und unverpackte Bioabfälle zur Abholung bereitzustellen, damit nicht später in den Sortieranlagen aufwendig und teuer getrennt werden muss, konterte der Handelsverband Deutschland (HDE ) umgehend, dies führe bei vielen Händlerinnen zu Platz- und Logistikproblemen. [3] Den eigenen Bioabfall in den Filialen selber zu entpacken, wie das die Spitzenverbände der Städte, Landkreise und Gemeinden mit Verweis auf das Verursacherprinzip forderten, hält der Handelsverband gar für »generell technisch unmöglich«. [4]

Wenn man verfolgt, wie die großen Handelskonzerne mit kassiererlosen Märkten experimentieren, mit Backrobotern und automatisierten »Mini-Stores«, und überhaupt, welche Organisations- und Finanzkraft sie besitzen, dann wird klar, dass es keineswegs »technisch unmöglich« wäre, den eigenen Biomüll auch selbst zu entpacken. Was sie selbst nicht leisten mögen, fordern die Händler freilich ungeniert von ihren Kundinnen ein: Seit Jahren unterstützt der Handelsverband die bundesweite »Aktion Biotonne«, die Verbraucher für das Sammeln von Bioabfällen begeistern will. »Die Verpackung muss leider draußen bleiben und wird über den Gelben Sack getrennt entsorgt«, wird die Verbraucherin dort belehrt. »Kein angenehmer Handgriff, aber eben auch kein Hexenwerk.«

Wie andere Beispiele in diesem Buch zeigt auch dieses Kapitel, dass Appelle an den einzelnen Verbraucher oder auch an den einzelnen Supermarkt nichts nützen: So schön es sein mag, wenn der eine oder andere sich dazu bewegen lässt, weniger Müll zu erzeugen und den unvermeidlichen Abfall besser zu trennen, so klar ist auch, dass sich viele andere eben nicht darum scheren und dadurch einen wirtschaftlichen Vorteil haben. Wer die gutgemeinte, aber wirkungsarme Appellebene verlassen und das Problem wirklich angehen will, muss den Staat als Regulierer ins Spiel bringen, der Verpackungsabgaben, Pfandsysteme, Obst und Gemüse der Klasse II und andere zielführende Maßnahmen zum verbindlichen Standard für alle macht. Weil der Schutz kollektiver Güter wie saubere Luft, saubere Böden und saubere Gewässer niemals die Sache privater Freiwilligkeit sein kann.

 

Auf den folgenden Seiten findet sich eine Infobox zu Tiefkühlwaren, weil Gemüse das umsatzstärkste Segment im Tiefkühlbereich ist; außerdem eine Infobox zu Fisch, der als Tiefkühlprodukt ebenfalls eine wichtige Rolle spielt.