Wenn Verbraucherinnen und Verbraucher die Qualität von Lebensmitteln nicht erkennen können, ist es nur rational, dass sie zu den billigeren Produkten greifen. Zwar ist der Preis kein Indikator für Qualität, aber er ist der letzte verbliebene Parameter, der das Bedürfnis nach Orientierung bedient: Man weiß wenigstens, dass man günstig einkauft, der Rest ist so oder so Lotterie. Jeder hat die Erfahrung schon oft gemacht: Billig ist nicht automatisch schlecht, und teuer längst nicht immer gut. Die Produkte bei Discountern wie Aldi oder Penny sind qualitativ nicht minderwertiger als die Lebensmittel bei Vollsortimentern wie Edeka oder Rewe, in manchen Bereichen sind die Discounter sogar besser, weil sie mit ihrem hohen Anteil an Eigenmarken aus Angst vor Reputationsverlust strenge interne Sicherheitssysteme installiert haben. Was nichts daran ändert, dass man auch im Discounter in Sachen Qualität meist blind zu den Waren greifen muss – nur eben günstiger.
Angesichts hoher Inflationsraten ist das unbestreitbar ein großer Vorteil. Erschwingliche Lebensmittel für jeden sind eine große soziale Errungenschaft. Jeder wird hierzulande satt; ein Schnitzel oder eine Papaya aus Thailand sind keine Luxusprodukte mehr. Gemüse und Obst sind zwar im Vergleich zu Fleisch relativ teuer, aber noch können sich die meisten Menschen bei uns eine ausgewogene Ernährung leisten (auch wenn erste Anzeichen einer »Ernährungsarmut« schon zu beobachten sind – mehr als zwei Millionen Kunden bei den Tafeln sprechen Bände).
Inakzeptabel ist allerdings, das niedrige Preisniveau als Rechtfertigung für Täuschung und Gesundheitsrisiken zu instrumentalisieren, nach dem Motto: Wer so wenig fürs Essen auszugeben bereit ist, darf sich nicht wundern und schon gar nicht beklagen, wenn die Lasagne eben mal Pferdefleisch statt Rindfleisch enthält oder dass Pestizide in Obst und Gemüse allgegenwärtig sind. Wer so argumentiert, verhöhnt fundamentale Verbraucherrechte.
Ähnlich schräg ist die gerne von der Lebensmittelwirtschaft vorgebrachte Erklärung, die Verbraucherinnen wollten es nun mal gerne billig, ihre Schnäppchenmentalität bei Lebensmitteln ließe den Produzenten ja gar keine andere Wahl, als billige Produkte auf den Markt zu bringen. Als Beleg für die besonders ausgeprägte Sparsamkeit gerade deutscher Haushalte hört man oft, dass hierzulande im Vergleich mit anderen europäischen Ländern weniger für Lebensmittel ausgegeben würde. [1] Doch diese Statistik ist keineswegs so eindeutig wie sie erscheint, weil sie zum Beispiel nicht die sehr hohe Supermarktdichte in Deutschland berücksichtigt, die das Preisniveau automatisch drückt; auch variieren die Steuersätze auf Lebensmittel europaweit sehr stark. Auffällig an der Statistik ist jedenfalls, dass die Menschen in Ländern wie Rumänien, Litauen, Estland oder Bulgarien mit 20 und mehr Prozent ihrer gesamten Konsumausgaben am meisten für Lebensmittel berappen, während Haushalte in Deutschland, den Niederlanden oder Dänemark im Bereich von zehn bis zwölf Prozent relativ nah beieinanderliegen. Und niemand würde daraus den Schluss ziehen, dass Rumänen, Bulgarinnen und Esten wegen ihrer viel größeren Wertschätzung für hochwertiges Essen anteilig doppelt so viel für Lebensmittel ausgeben wie Deutsche, Österreicherinnen oder Niederländer.
Ganz abgesehen davon: Die Forderung nach Transparenz und Gesundheitsschutz im Lebensmittelmarkt darf nicht gegen die Forderung nach bezahlbaren Lebensmitteln ausgespielt werden. Niemand soll niedrige Preise gegen das Recht eintauschen müssen, einwandfreie Lebensmittel und transparente Informationen über deren Qualität, Herkunft und sonstige Eigenschaften erwarten zu können. Grundrechte wie Gesundheitsschutz sind keine Verhandlungsmasse. Vielmehr muss gelten: Gerade im reichen Europa müssen sich alle Menschen gesunde Lebensmittel leisten können, die nicht auf Kosten von anderen Menschen, der Natur und Tieren hergestellt worden sind. Das ist bedauerlicherweise nicht der Fall, weder in der Welt noch in Europa.