Raffael in Urbino, Perugia, Siena

Die Stadt Urbino und die Dynastie der Montefeltro

Das kleine Herzogtum Urbino, das in dem kleinen Zeitraum von nur ein paar Jahren nicht nur Schauplatz der Geburt des größten Architekten, sondern auch der des größten Malers der Moderne – Bramante und Raffael – wurde, liegt im Zentralappenin, dort, wo sich Umbrien und die Toskana treffen. Nur wenige italienische Provinzen weisen eine abwechslungsreichere Landschaft auf: Fruchtbare, sanfte Hügel gehen plötzlich in steiles Gebirge über, und während der Horizont zur einen Seite von fantastischen Gipfeln umschlossen ist, kann das Auge zur anderen Seite das weite Panaroma der Adria durchdringen.

In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde Urbino von der kühnen und aufgeklärten Dynastie der Montefeltro regiert. Herzog Federico, der 1482, ein Jahr vor der Geburt Raffaels, starb, faszinierte ganz Italien mit seinen Großtaten und seiner Herrlichkeit. Er war ein Kommandant von höchstem Rang, der würdige Schüler Piccininos und der fast ausnahmslos erfolgreiche Gegenspieler Sigismondo Malatestas, eines gottlosen Menschenfeindes. Die Montefeltros schämten sich nicht, Söldnerführer, Condottieri, zu sein, und der Titel Gonfaloniere der Kirche, der in späteren Jahren dem Sohn des Herzogs von Papst Julius II. verliehen wurde, war ein schmeichelhafter. Niemand hätte seinen Verpflichtungen mit mehr ritterlicher Treue und Würde ausführen können als Federico, dessen Hof von jungen italienischen Adligen frequentiert wurde, die den Wunsch hegten, mit allem, was die Berufung eines Soldaten betrifft, vertraut gemacht zu werden, und sich den Pflichten der Staatskunst anzupassen.

Federico von Urbinos Hauptanspruch war jedoch nach Ansicht seiner Zeitgenossen und der Nachwelt der Schutz der Kunst und der Literatur. Sein Zeitalter war das der Renaissance, und die Ernsthaftigkeit seines Eifers und die großen Opfer, die er bereit war, für sie zu geben, haben Federico da Montefeltro einen Platz neben den beiden ihrer edelsten Vorstreiter – Papst Nikolaus V. und König Alfons I. von Neapel – eingebracht. Alexis-François Rio stellt den Fürsten von Urbino in seiner Arbeit über christliche Kunst sogar über die Medici, da es schwerfällt zu glauben, dass die Förderung neuer Ideen durch diese Geldgeber, die ihrem Land so bereitwillig das Joch der Despotie auferlegten, frei von egoistischer Berechnung gewesen sein soll, während der Herzog von Urbino keine Hilfsmittel nötig hatte, um sich die Zuneigung seiner Untertanen zu sichern, deren Ruf „Gott schütze unseren gütigen Herzog“ aus tiefstem Herzen kam.

Federicos Sohn, Guidobaldo, der 1472 geboren wurde, setzte die Traditionen seines Vaters fort. Der von dem Gelehrten Martinengo Aufgezogene entfaltete schon früh eine Vorliebe für die Lehre; Kunst und Literatur fanden in ihm einen innigen Gönner. Sein Mut und sein gesunder Menschenverstand machten ihn bei seinen Untertanen beliebt, während seine Frau, Elisabetta Gonzaga, Tochter des Markgrafen von Mantua, half, durch ihre Schönheit und ihre Anmut seinen Rückhalt bei ihnen zu festigen. Die Einwohner Urbinos bezeugten ihre ausgeprägte Treue ihm gegenüber, als sie 1503 einen Aufstand gegen die Tyrannei des Cesare Borgia anführten und Guidobaldos Rückkehr ermöglichten.

Piero della Francesca, Porträt des Herzogs Federico da Montefeltro (rechte Tafel eines Diptychons), um 1465. Öl auf Leinwand, 47 x 33 cm. Galleria degli Uffizi, Florenz.

Die Familie Santi

Die beharrlichen Untersuchungen eines Gelehrten von Urbino, Padre Luigi Pungileoni, vermitteln uns eine sehr ausführliche Kenntnis der Familiengeschichte Raffaels. Seine Familie gehörte einem großen, nur einige Meilen von der Hauptstadt entfernt liegenden Dorf namens Colbordolo an, und man weiß von einer Person namens Santi, die dort im 14. Jahrhundert gelebt haben soll. Einer seiner Nachfahren, der Urgroßvater Raffaels, Pietro oder Peruzzolo, lebte ein Jahrhundert später als Händler in Colbordolo, und nach der Brandschatzung seines Hauses und seiner Ländereien, die von Sigismondo Malatesta im Jahre 1446 angeordnet worden war, beschloss er 1450, aus Angst vor einem weiteren Angriff, nach Urbino zu ziehen. Dort starb er sieben Jahre später, woraufhin sein Sohn seine Geschäfte fortführte und einen Gemischtwarenladen eröffnete. Die Geschäfte schienen gut zu laufen, da er 1463 genug Geld gespart hatte, um sich für 200 Dukaten ein Haus, beziehungsweise zwei nahe beieinanderliegende Häuser, zu kaufen, in einer dieser steilen Straßen, von denen es so viele in Urbino gibt, der Contrada del Monte.[1] Diese bescheidene Unterkunft sollte Berühmtheit erlangen, da Raffael dort zur Welt kam.

In einem an den Herzog Guidobaldo adressierten Brief geht Giovanni Santi, Sohn des genannten Santi und Vater Raffaels, genauer auf die Schwierigkeiten seines jungen Lebens ein, angefangen bei der Zerstörung seines Zuhauses durch Sigismondo Malatesta und fortfahrend mit der harten Arbeit, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Letztendlich wählte er den nobelsten aller Berufe, den eines Künstlers und er gerät ins Schwärmen, wenn er von der wunderbaren und sehr bedeutenden Kunst der Malerei spricht (la mirabile, la clarissima arte de pictura). Ungeachtet der daraus entstehenden Ängste um die Versorgung seiner Familie, bereute er niemals seine Entscheidung, obgleich er sie oft als Bürde empfand, die, in seinen eigenen Worten, Atlas selbst erschreckt hätte. Zu welcher Zeit genau Giovanni Santi seine Arbeit begann, ist nicht bekannt, aber man weiß, dass er im Jahr 1469 sein eigenes Atelier in Urbino besaß und dass er im selben Jahr mit der Pflicht betraut wurde, Piero della Francesca, einen der berühmtesten Vertreter der Florentinischen Schule, zu empfangen, der von der Bruderschaft Corpus Domini den Auftrag erhalten hatte, ein Altarbild anzufertigen. Da sie dachten, er würde sich im Haus eines Künstlerkollegen wohler fühlen als in einem Gasthaus, baten sie Santi, ihn zu beherbergen, und obwohl dieser sich, aufgrund der Tatsache, dass ein Fremder ihm bevorzugt und auserwählt worden war, in der Stadt zu malen, in seinem Stolz gekränkt gefühlt haben muss, empfing er den Florentiner bereitwillig und lobte anschließend sein Talent in seiner Chronik Urbinos in Versform. Giovanni Santi war aller Wahrscheinlichkeit seinen Jugendjahren bereits entwachsen, als er Maria Ciarla, die Tochter eines vermögenden Kaufmanns aus Urbino, heiratete. Aus dieser Ehe ging am 6. April 1483 ein Junge hervor, der dazu bestimmt war, dem Namen der Familie Santi Glanz zu verleihen.

Das erste Bild, das Giovanni Santi nach der Geburt seines Sohnes malte, war ein Altarblid für die Kirche von Gradara, und in dieser Arbeit, die am 10. April 1484 fertiggestellt wurde, als Raffael gerade ein Jahr alt war, sieht man das sehr schöne Gesicht Jesu, der auf dem Schoß seiner Mutter sitzend dargestellt ist. Sein Gesicht, Figur und Haltung erinnern stark an die Putten, die in so vielen Kompositionen Raffaels vorzufinden und der perfekte Ausdruck von Kindheit sind. Ein anderes Gemälde, ein Fresko, das noch immer im Hause der Santis aufbewahrt wird, zeigt eine junge an einem Tisch sitzende Frau, ein schlafendes Kind auf ihrem Schoß, dessen Kopf von ihrem linken Arm gestützt wird. Trotz großer Beschädigungen zeigt es noch immer die Spuren seiner primitiven Schönheit, und die markanten Eigenheiten der Gesichtszüge zusammen mit der Abwesenheit eines Heiligenscheins lassen den Schluss zu, dass es sich hierbei nicht um eine Darstellung der Jungfrau und ihres Kindes handelt, sondern um die Frau und den Sohn des Künstlers.[2] 1485 verlor Giovanni Santi in dem kurzen Zeitraum von nur wenigen Wochen seinen Vater und einen seiner Söhne, vermutlich älter als Raffael. Die Archive Urbinos geben Aufschluss über die finanzielle Lage der Familie zu dieser Zeit. Der Vater Giovannis hinterließ seinen beiden Töchtern je hundert Dukaten, seinem Sohn Bartolommeo, der Priester war, siebzig Dukaten und den Rest seines Besitzes, einschließlich seines Hauses, Giovanni selbst. Seine Witwe, Elisabetta lebte von nun an bei ihrem Sohn Giovanni, der außerdem seine Schwester Santa aufnahm, nachdem ihr Ehemann verstorben war, der von Beruf Schneider war. Santa verfügte selbst über eine geringe Summe und da Giovanni einen gewissen Betrag verdiente, war ihre Situation relativ gut. Doch das Schicksal schlug erneut zu, als seine Mutter am 3. Oktober 1491 starb, gefolgt vom Tod seiner geliebten Ehefrau nur vier Tage später und dem Tod seiner kleinen Tochter am 25. desselben Monats. Raffael war zu diesem Zeitpunkt gerade einmal acht Jahre alt.

Giovanni Santi, Die Jungfrau und das Kind, um 1488. Tempera und Öl auf Holz, 68 x 49,8 cm. National Gallery, London.

Giovanni Santi, Sacra Conversazione mit der Auferstehung Christi, 1481. Fresko, 420 x 295 cm. Kapelle Tiranni, Kirche San Domenico, Cagli.

Giovanni Santi, Hieronymus (Detail), 15. Jahrhundert. Tempera auf Holztafel, 189 x 168 cm. Pinacoteca Vaticana, Musei Vaticani, Vatikanstadt.

Giovanni Santi, Christus im Grabe mit zwei Engeln, um 1490. Öl auf Leinwand, von Tafel übertragen, 67 x 55 cm. Szépmu’’vészeti Múzeum, Budapest.

Giovanni fand es unerträglich, allein zu leben und heiratete ein paar Monate später, am 25. Mai 1492, seine zweite Frau, Bernardina Parte, Tochter eines Goldschmieds aus Urbino, die eine Mitgift von über 200 Florins in die Ehe brachte. Aus den sich später ergebenden Streitigkeiten zwischen Bernardina und der Familie ihres Mannes lässt sich schließen, dass sie von nicht so edler Herkunft war wie Maria, und für Raffael war sie kaum eine Mutter. Die Verbindung war indes nicht von langer Dauer, da Giovanni zwei Jahre nach seiner zweiten Hochzeit, am 1. August 1494 starb. In seinem Testament, das zwei Tage vor seinem Tod aufgesetzt wurde, bestimmte er seinen Bruder Bartolommeo zum Vormund Raffaels und des Kindes, das seine Frau von ihm erwartete, er erteilte ihr lebenslanges Wohnrecht in seinem Haus, sofern sie Witwe bleiben würde. Sein Gesamtbesitz belief sich auf über 860 Florins.

Einige von dem Marchese Campori von Modena entdeckte Dokumente, die belegen, dass Raffaels Vater in Kontakt mit der fürstlichen Familie stand[3], und dass Herzogin Elisabetta ihn beauftragt hatte, ein Porträt von ihr und einem Mitglied des Gonzaga-Hofes, vermutlich Bischof Luigi von Mantua, zu malen, werfen neues Licht auf seine letzten Lebensjahre. Sein Tod hinderte ihn jedoch daran, die beiden Gemälde fertigzustellen, und der Brief (19. August 1494), in dem die Herzogin ihrer Schwägerin, der Marchesa di Mantova, die traurige Nachricht mitteilte, belegt, dass er kein Unbekannter für diese war, da sie schreibt: „Giovanni de‘ Santi, Maler, verstarb vor drei Wochen, er starb im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte und in Frieden mit seinen Mitmenschen. Möge Gott Gnade mit seiner Seele haben!“ Ein sieben Wochen später aufgesetzter Brief (13. Oktober 1494) liefert weitere Details. In dem von der Herzogin verfassten, an ihren Bruder, den Marchese di Mantova, gerichteten Brief heißt es:

Als Antwort auf das Schreiben Eurer Exzellenz schreibe ich Euch, um Euch darüber zu informieren, dass Giovanni Santi, als er sich in eurer Anwesenheit befand, zu krank war, um das Porträt zu beenden, und selbiger Grund hinderte ihn auch daran, die Arbeit an dem meinigen fortzusetzen. Falls Eure Exzellenz mir eine Bildtafel ähnlich der anderen zuschicken könnte, würde ich einen erfahrenen Künstler, den ich bereits erwarte, beauftragen, ein Porträt von mir darauf anzufertigen, das ich Euch, so bald es fertig ist, zukommen lassen würde.

Als die Schwägerin von Herzogin Elisabetta, Jeanne di Montefeltro, zehn Jahre später in einem Empfehlungsschreiben, das sie Raffael, gerichtet an den Gonfalonier Piero Soderini von Florenz, übergab, von ihrer Hochachtung für seinen Vater sprach, handelte es sich um keine bloße Formalität, sondern um einen Ausdruck ihrer tatsächlichen Gefühle. Das, wie im Anschluss gezeigt werden soll, erklärt zu einem Großteil, was bisher unklar in Raffaels Geschichte war.

Die Gemeinde Urbino und die umliegenden Städte besitzen ebenso wie einige öffentliche Galerien, etwa im Lateran in Rom, die Pinacoteca di Brera in Mailand, die National Gallery in London und die Gemäldegalerie in Berlin, noch immer Bilder von Giovanni Santi. Die meisten darunter sind Verkündigungen, Madonnen, Heilige Familien oder Konterfeis von Aposteln oder Heiligen. Es gibt auch ein paar Porträts, aber die Originale sind in der Regel unbekannt. Santis Kunst bewegte sich in eher engen Bahnen, aber der Geist seines Werks und die von ihm dargestellten Qualitäten verdienen Respekt. Er zeigte auch, dass er mit den Methoden Paolo Uccellos, der 1468 in Urbino malte, und Piero della Francescas, Andrea Mantegnas, Melozzo da Forlìs und Peruginos vertraut war. Der Einfluss der beiden letzteren lässt sich in fast all seinen Gemälden feststellen. Seine Werke sind fein abgestimmt und voller Körperlichkeit; wessen sie hauptsächlich entbehren, ist eine warme Farbgebung. Seine Gesichter zeugen von Würde, nur selten von großer Energie, und seine Konzipierung hat einen Zug von Ernsthaftigkeit, während hier und da Berührungspunkte wahrgenommen werden können, die an seinen Sohn erinnern – der Teil eines Kopfes oder eine Haltung, welche er einige Jahre später unbewusst wiedergegeben haben mag. Um den Charakter und die Talente Giovanni Santis hinreichend zu beschreiben, muss auch auf sein Schaffen als Dichter hingewiesen werden. Die Chronik Urbinos in Versform, die in der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek aufbewahrt wird, wurde auszugsweise von Passavant übersetzt und zeugt von seiner Belesenheit und seinem Eklektizismus.

Zu dem Zeitpunkt des Todes seines Vaters war Raffael nicht einmal zwölf Jahre alt. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den Werken des Vaters und denen des Sohnes. Die Verkündigung im Brera Museum in Cagli, Hieronymus in den Vatikanischen Museen, um nur die bekanntesten Werke Giovanni Santis zu nennen, bestechen durch ihre Reinheit und Harmonie der Linienführung, die vage den unsterblichen Maler des Vatikans erahnen lassen. Es ist zudem wahrscheinlich, dass Raffael Lehrstunden von seinem Vater erhielt. Indem er drei oder vier Jahre in die reguläre Ausbildung investierte, und ebenso viele für die Wanderjahre, konnte ein junger Mann im Alter von sechzehn Jahren seine Ausbildung abgeschlossen haben. Es ist anzunehmen, dass Raffael in dieser Hinsicht keine Ausnahme darstellte und dass er sehr wahrscheinlich zu zeichnen begann und Unterricht von seinem Vater erhielt, noch bevor dieser starb. Es ist allerdings unmöglich, Vasaris Vermutung zu unterstützen, dass der Sohn seinem Vater bei der Ausführung seiner späten Arbeiten geholfen habe, da er zu diesem Zeitpunkt erst elf Jahre alt war, und so schnell sich sein Talent auch entwickelt haben mag, wäre dies doch schlicht einem Wunder gleichgekommen.

Das Wunder des heiligen Eusebius von Cremona (Predellatafel der Mond-Kreuzigung), 1502-1503. Öl auf Holz, 26 x 44 cm. Museu Nacional de Arte Antiga, Lissabon.

Giovanni Antonio Boltraffio und Marco d’Oggioni, Auferstehung mit den Heiligen Lucia und Leonhard, um 1491. Öl auf Holztafel, 234,5 x 185,5 cm. Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin.

Es ist wahrscheinlich, dass die bemerkenswerte Zeichnung in der Accademia in Venedig, Das Massaker der Unschuldigen, von Raffael unter der Aufsicht seines Vaters ausgeführt wurde. Zwischen vielem, das in seiner Unerfahrenheit kindlich erscheint, findet man eine Inspirationskraft und eine Reinheit des Geschmacks, die von Raffaels vielversprechender Zukunft von seinen frühesten Jahren an zeugen, und davon, wieviel er den Lehrstunden seines Vaters verdankte. Was über den Geschmack Giovanni Santis gesagt wurde, versichert, dass sein Sohn neben einer ausführlichen künstlerischen Ausbildung auch eine gut fundierte literarische Bildung erhielt.

Die italienischen Künstler des 15. Jahrhunderts waren in der Regel weniger ungebildet als häufig angenommen wird, und es ließe sich kaum einer unter ihnen finden, der nicht lesen und schreiben konnte. Bramante selbst, dessen Bildung vernachlässigt und der von seinen Zeitgenossen als des Lesens und Schreibens unkundig bezeichnet wurde, verfasste bezaubernde Sonette, was auf das umfassende Wissen jener schließen lässt, die in der Lage waren, ihr Studium zu beenden. Betrachtet man die von Gaetano Milanesi und Carol Pini veröffentlichte Unterschriftensammlung italienischer Künstler des Mittelalters und der Renaissance, sieht man, dass die Schrift in einigen Fällen ungeschickt wirkt und dass die Schreibung inkorrekt ist, aber es besteht ein großer Unterschied zwischen Ungeschicklichkeit und Ungebildetheit. Im Vergleich zu der seiner Zeitgenossen zeichnet sich Raffaels Handschrift durch ihre Eleganz und Korrektheit aus. Man sieht, dass das Schreiben ihm nicht fremd war. Er verfügte zudem über bruchstückhafte Kenntnisse des Lateinischen. Man mag einwenden, dass er seinen Freund Fabio Calvo aus Ravenna dazu brachte, Vitruv für ihn zu übersetzen; doch auch hier besteht ein großer Unterschied zwischen allgemeinen Kenntnissen einer Sprache und einem Sprachvermögen, das das Werk Zehn Bücher über Architektur voraussetzt.

Durch den Tod seines Vaters verlor Raffael nicht nur einen Ausbilder und Führer, sondern war von nun an auch von ständigen Streitereien um Geld umgeben. Dom Bartolommeo, sein Onkel und Vormund, und seine Stiefmutter, die eine Tochter namens Elisabetta geboren hatte, stritten so regelmäßig über Geld, dass sogar das Gesetz einschreiten musste, und ohne die ganze Schuld der Witwe Giovanni Santis zuzuweisen, muss beachtet werden, dass Raffael, sobald er sein Zuhause verlassen hatte, keinen engen Kontakt mehr zu ihr oder zu ihrer Tochter unterhielt und in seinen Briefen nie auf sie zu sprechen kommt. Glücklicherweise wurde er von der Familie seiner Mutter sehr gemocht, und sein Onkel Simone Ciarla zeigte ihm gegenüber Güte, wofür er stets seine Dankbarkeit äußerte. Wenn er seinen Onkel in seinen Briefen als so gütig wie ein Vater bezeichnet („carissimo in loco di padre“) war dies mehr als eine dieser Formulierungen, die zu dieser Zeit häufig gebraucht wurden, und seine Tante Santa, die Schwester seines Vaters, die nach dessen Tod noch immer in seinem Haus wohnte, kümmerte sich ebenso um sein Wohlergehen. Nach Jahren gab Raffael einem seiner treuesten Freunde, dem Florentiner Taddeo Taddei, der ihm anbot, eine Reise nach Urbino zu bezahlen, ein Empfehlungsschreiben an sie, und es ist erfreulich zu sehen, dass der große Maler seine armen Verwandten nie vergaß.

Wenn die Geldstreitigkeiten im Zuge des Tode seines Vaters auch eine schmerzliche Erfahrung in seiner frühen Jugend hinterließen, so war er doch frei von jeglichem Mangel. Es stimmt, dass sein Erbe nicht sehr hoch war und dass er sich seine Selbstständigkeit und seinen Wohlstand hart erkämpfen musste. Trotzdem gestattete es ihm, seine Studien fortzuführen, ohne sorgenvoll an den nächsten Tag denken zu müssen, so wie im Fall seines zukünftigen Lehrers Perugino, der, laut Vasari, so arm war, dass er für mehrere Monate nur eine Holztruhe als Bett hatte.

Piero della Francesca, Auferstehung Christi, um 1460. Fresko und Tempera, 225 x 200 cm. Museo Civico di Sansepolcro, Sansepolcro.

Auferstehung Christi, 1499-1502. Öl auf Holz, 52 x 44 cm. Museu de Arte, São Paulo.

Raffaels Abreise nach Perugia

Bis vor einiger Zeit war man der Ansicht, dass Raffael im Jahre 1495 in das Atelier Peruginos eintrat, doch dieses Datum ist inkorrekt, da Perugino zwischen 1493 und 1499 für kurze Zeit in Florenz und nicht in Perugia lebte. Auch wenn er hin und wieder in die letztgenannte Stadt gekommen sein mag, so doch nie für einen längeren Zeitraum; erst Ende 1499 verlegte er seinen Wohnsitz dorthin, als er die Fresken in der berühmten Sala delle Udienze del Collegio del Cambio begann. Andererseits wurde Raffael in den Registern der Stadt Urbino als am 5. Juni 1499 in seiner Geburtsstadt ansässig gelistet, und im darauffolgenden Jahr vermerkte der verantwortliche Beamte seinen Namen mit „abwesend“. Seine Aufnahme in das Atelier Peruginos muss daher vier oder fünf Jahre später als bisher angenommen erteilt worden sein, was wiederum heißt, das er zu diesem Zeitpunkt sechzehn Jahre alt gewesen sein muss. Wenn bisherige Annahmen diesbezüglich fehlerhaft sind, gibt es eine weite Übereinstimmung bezüglich seines Débuts in Perugia, der Stadt, in der er die ersten Unterrichtsstunden erhielt und die Methoden der Umbrischen Schule studierte. Es ist nicht sicher, womit Raffael die Zeit zwischen dem Tod seines Vaters und seiner Abreise nach Perugia verbrachte, aber vielleicht unterrichtete ihn Timoteo Viti, der 1495 nach Urbino zurückkehrte, nachdem er einige Zeit in Bologna im Atelier Francias studiert hatte.

Auf dem Weg zur eigenen Größe vergaß Raffael seinen Jugendfreund nicht, sondern schickte nach ihm, um ihm in Rom bei seiner Arbeit an den Vier Sibyllen (Bd. 2, S. 133) in der Kirche Santa Maria della Pace zu assistieren. Nach Vitis Rückkehr nach Urbino fragte Raffael ihn mehr als einmal – wie Vasari schreibt, der Einsicht in die Briefe hatte, die Raffael an Viti schrieb – ihn erneut zu besuchen. Viti, der Raffaels Stil sehr gut imitierte, besaß eine feine Sammlung an Zeichnungen, die er von Raffael erhalten hatte, und die feinsten Werke Raffaels aus der Sammlung Crozat entstammen den Ansammlungen, die bis ins Jahre 1714 von Vitis Nachkommen intakt gehalten wurden.

Wenn Raffaels neuer Wohnsitz auch weniger erstrebenswert war als Urbino, so glich dies die Schönheit der ihn umgebenden Landschaft und die vielseitige Natur der von ihr ausgehenden Eindrücke mehr als aus. Er war auch hier in der Lage, die belebende Bergluft einzuatmen und Orte voller poetischer Schönheit zu betrachten. Mitten im Herzen Umbriens, umgeben von weiten Ebenen, ähnelt Perugia, das alte Augusta Perusia, einem riesigen Amphitheater. Es gibt nur wenige großartigere Panoramen in ganz Italien, als das, das sich in einer kurzen Entfernung der mit dicken, immergrünen Eichen bepflanzten Piazza di San Pietro außerhalb der Mauern vor dem Betrachter ausbreitet.

Hügellandschaft, Perugia, Datum unbekannt.

Hauptplatz, Perugia, Datum unbekannt.

Der Blick erstreckt sich ungehindert nach drei Seiten und wird nur in Richtung der Stadt begrenzt. In der Ferne sieht man sanfte Berge, die hintereinander zu einem riesigen Wall am Horizont ansteigen. Wenn die Sonne diese gewaltigen Massen erleuchtet, kann das Auge die kleinste Unebenheit des Bodens erkennen und die wenigen grünen Flecken auf dem felsigen Grund ausmachen. Am Abend jedoch wird diese Ebene von eben jenen zarten Nebelschleiern verhüllt, die den Charme der Gemälde Peruginos – besonders der Fresken des Cambio – und der frühen Arbeiten Raffaels ausmachen. Dem Betrachter zu Füßen erstrecken sich mit Feigen- und Olivenbäumen bewachsene Hügel, auf denen sich Weinlaub an Ulmenstämmen emporrankt und weiße, staubige Straßen zwischen tiefgrünem, stahlgrauem Laubwerk verlaufen. Der Blick in Richtung Perugia ist nicht weniger pittoresk. Häuser, Schlösser und Kirchen zeichnen sich vor dem steilen Anstieg der den Hintergrund bildenden Berge ab.

Im 15. Jahrhundert fand der Handel fast ausschließlich auf dem kleinen Platz vor dem Stadtschloss, dem Corso, statt, auf dem die Hauptgebäude gedrängt nebeneinander stehen. Zuerst kommt der Cambio, die alte Halle der Geldwechsler, die ihre Berühmheit der Fresken Peruginos verdankt. Zur einen Seite findet sich in einem bescheidenen Größenverhältnis der feudalherrschaftliche Palast mit seinen Zinnen, seinen langen Reihen gotischer, von Mittelpfosten aus rotem Granit geteilter und von Mauerkronen aus weißem Marmor abgeschlossener Fenster. Trotz seiner unregelmäßigen Fassade gibt es nur wenige italienische Gebäude, die beeindruckender sind. Zu der bemerkenswerten Innenausstattung zählt das große Treppenhaus mit seinen beiden Löwen aus weißem Marmor am unteren Ende, symbolische Wächter der bürgerlichen Rechte, und am oberen Ende der Greif und die Wölfin aus Bronze, die die Erinnerung an den Sieg Perugias über Siena wachhalten sollen. An den Triumph erinnert auch die Kaufmannsloggia, die im Jahr 1423 von einem der mutigsten Söhne der Stadt, dem berühmten Condottiere Andrea Fortebraccio, genannt Braccio da Montone, erbaut wurde. Dazu kommt der 1277 von Giovanni Pisano gemeißelte Brunnen, während man an der Kathedrale, die das westliche Ende des Platzes bildet, noch immer den Balkon sehen kann, von dem herab der heilige Bernhardin von Siena predigte und unter dem sich die Menschen, die den Gebäudeinnenraum als zu klein vorfanden, aus ganz Umbrien in Scharen versammelt hatten, um wie zur Zeit der Kreuzzüge draußen stehend dem Prediger zuzuhören. Diese Erinnerungen waren noch frisch, als Raffael nach Perugia kam und sie müssen sich in seinem Kopf festgesetzt haben. Berücksichtigt man die rauen Sitten des Adels und die Verbundenheit des mittleren Standes mit den Sitten aus einer längst vergangenen Zeit, müssen dem Maler die intellektuellen Mittel denen Urbinos, wo Literatur, Wissenschaft und Kunst so hoch geachtet wurden, unterlegen erschienen sein. Es wäre dennoch ein Fehler, die alte umbrische Stadt getrennt von den Ideen zu betrachten, die ganz Italien aufrührten. Ihre Universität hatte einen wohlverdienten guten Ruf und zählte im 15. Jahrhundert unter ihren Professoren einen Papst, Sixtus IV., und zwei weitere unter ihren Studenten, Pius III. und Julius II.

Aus der Sicht der Kunst betrachtet, war der Unterschied zwischen den Städten Urbino und Perugia ebenso groß, denn erstere wurde von hochgeistigen Fürsten regiert, die einen unwiderstehlichen Einfluss auf die gesamte Bevölkerung ausübten, während letztere von unruhigen und blutdürstigen Adligen und einem mittleren Stand bewohnt wurde, der zugleich arbeitsam und streng war. Die Montefeltros waren zudem in ihrer Sicht der Kunst sehr tolerant, sie stellten abwechselnd Maler unterschiedlicher Schulen an wie Paolo Uccello, Piero della Francesca, Justus van Gent, Giovanni Santi, Luca Signorelli und Timoteo Viti, während in Perugia Künstler arbeiteten, die alle derselben Schule angehörten. Trotz seines langen Aufenthaltes in Rom und Florenz war Pietro Perugino der umbrischen Schule tief verbunden, in die er aber auch neue Elemente einführte. Die Wissenschaft des Kolorits und der Perspektive wurden von ihm zu einer bisher ungekannten Perfektion getrieben. Umbrische Kunst hatte einen sehr exklusiven und fesselnden Charakter, da ihren Anhängern Ausflüge in Themen der säkularen Welt, vor allem der antiken Klassik, aufgrund religiöser Bedenken verboten waren. Porträts und rein historische Kompositionen scheinen als Motive ebenso ausgeschlossen gewesen zu sein.

Jedoch konnte sich ein Maler, dessen Werk im rechten Glauben ausgeführt worden war, sicher sein, dass es von einer Gesellschaft, die ihrem religiösen Glauben so fest verbunden war, wohlwollend aufgenommen werden würde. Man wusste, dass die wertloseste Madonna und das wertloseste Gemälde, das Christus am Kreuz darstellte, so viele tief in ihrem Herzen berühren würde, dass selbst die ärmsten Dörfer und Klöster Geld für eines dieser heiligen Symbole auftreiben würden.

Demütige Bauern sahen es als Belohnung für ein Leben der Arbeit und Entbehrung an, ihre Dorfkirche mit einem Bild auszustatten, das für Frömmigkeit stand. Davon soll die folgende Anekdote ein gutes Beispiel geben: Im Jahre 1507 gab ein demütiger Schuster aus Perugia Perugino den Auftrag das Bild einer zwischen dem heiligen Franziskus und dem heiligen Hieronymus stehenden Madonna zu malen. Die Kriege und Unruhen des ausgehenden 15. Jahrhunderts behinderten nicht die Entwicklung der Kunst, sondern begünstigte sie sogar, da sie die religiösen Gefühle der Bevölkerung anregten. Wieder und wieder kam Perugino nach Florenz, um ein neues Meisterwerk für seinen Geburtsort zu schaffen.

Die Lehrbedingungen zur Zeit, als Raffael in das Atelier Peruginos eintrat, sind bekannt. Die Eltern der Lehrlinge nahmen hohe Verpflichtungen auf sich. So musste der Vater Sodomas, als er seinen 10-jährigen Sohn 1490 in die Lehre bei einem wenig erfolgreichen Maler gab, die Summe von fünfzig Dukaten für eine Lehrzeit von sieben Jahren zahlen. Besagter Maler übernahm seinerseits die Pflichten, den Jungen zu logieren, auszubilden und ihm, was in der damaligen Zeit üblich war, Kleidung zu stellen. Die Bedingungen der Wanderschaft waren für Maler, die am Anfang ihrer Ausbildung standen, günstiger, und als Raffaels Mitstreiter, Timoteo Viti, in Bologna bei dem berühmten Maler und Goldschmied, Francesco Francia, eine Anstellung fand, traf man die Übereinkunft, dass er im ersten Jahr ohne Entlohnung, im zweiten Jahr für einen Lohn von sechzehn Florins pro Vierteljahr und anschließend stückweise arbeiten solle mit der Möglichkeit seine Stelle zu verlassen, wann er wolle. Man weiß außerdem, dass Francia zwei Ateliers unterhielt, eines für die Goldschmiedelehrlinge, das andere für die Maler. Über Timoteo Vitis Abreise schreibt er: „4. April 1495. Abreise meines werten Timoteo. Möge Gott ihn mit den besten Dingen überschütten.“ Timoteo Viti war zwanzig Jahre alt, als er in Francias Atelier eintrat; Raffael siebzehn Jahre alt, als sich Perugino seiner annahm. Beide kannten die Grundlagen der Kunst, was sie sich von ihren Lehrern erhofften, war eher Rat und die Vorgabe einer Richtung als eine Grundausbildung. Aufgrund ihres Alters waren sie wohl eher Kameraden (garzoni) als Schüler (discepoli).

Der heilige Sebastian, 1503. Öl auf Holz, 45 x 36 cm. Accademia Carrara di belle Arti, Bergamo.

Madonna Solly, um 1502. Öl auf Holz, 52 x 38 cm. Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin, Berlin.

Madonna mit Kind und Buch, um 1502-1503. Öl auf Holz, 55,2 x 40 cm. Norton Simon Museum, Pasadena (Kalifornien).

Die Heilige Familie oder Madonna mit dem bartlosen Joseph, 1505-1507. Öl und Tempera auf Holz, auf Leinwand übertragen, 72,5 x 56,5 cm. Eremitage, Sankt Petersburg.

Perugino und seine Frau befanden sich in einer komfortablen Lage, da sie ihr Vater mit einer Mitgift von 500 Golddukaten ausgestattet hatte und Perugino selbst Häuser und Ländereien in Florenz, Perugia und Città della Pieve besaß. Er verfügte weder über die Kultur noch die Intelligenz eines Bramante, Leonardo da Vinci oder Michelangelo. Seine Briefe zeigen, dass seine Rechtschreibkenntnisse mangelhaft waren und ein Bericht, den er 1492 in Florenz verfasste, ist voller Fehler. Selbst aus einer künstlerischen Sicht waren seine Fähigkeiten nicht herausragend. Er war Maler und nichts weiter. während die meisten seiner Zeitgenossen mehr oder weniger bewandert in der Goldschmiedekunst, der Architektur und der Bildhauerei waren. Er war allerdings viel gereist und hatte sich in Gesellschaft der bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Zeit befunden, sodass er den jungen Männern, die ihn umgaben, ein angenehmer Gefährte war. Vasari stellt fest, dass Raffael von Beginn an zu seinen Lieblingsschülern zählte, während Raffael seinerseits eine beinahe kindliche Zuneigung für Perugino empfand. Als Raffael nach Perugia kam, war Peruginos Frau, die schöne Clara Fancelli, Tochter des berühmten Architekten im Dienste des Marchese di Mantova, noch am Leben. Ihr Konterfei mag in den Augen geübter Kritiker in der großartigen Madonna von Pavia gesehen werden, einer der Schätze der National Gallery. Zu diesem Zeitpunkt traf Raffael vermutlich auch den aus Perugia stammenden Goldschmied Francesco Rossetti, für den er in der Folge, während er in Rom war, Zeichnungen für Teller anfertigte, die für Agostino Chigi bestimmt waren. In einem Brief an Domenico Alfani aus dem Jahr 1508 spricht der Maler in sehr freundlichen Worten über ihn. Aus dem Feld der Maler, von denen man weiß, dass sie in Perugia waren als Raffael dort studierte, sprich zwischen 1499 und 1502, müssen die Schüler genannt werden, die von dem Ort aufgrund des Ruhmes Peruginos angezogen worden waren, und jenen, deren Bekanntschaft Raffael später sowohl in Perugia als auch in der nahen Umgebung machte. Dazu zählen Giovanni di Pietro, genannt Lo Spagna, dessen Werke den Einfluss Peruginos und seiner Mitstreiter andeuten und der später nach Rom kam, um sich in die Phalanx der Assistenten Raffaels einzureihen, des Weiteren Girolamo Genga da Urbino, der auch gemeinsam mit Raffael in Rom war, und Domenico di Paride Alfani.

Besonders nahe standen sich Raffael und Pinturicchio, dessen Anwesenheit in Perugia von glaubwürdigen Dokumenten bestätigt wird. Später folgte er ihm nach Siena. Wenn Pinturicchio Perugino in Kolorit und Ausdruck auch unterlegen war, so verfügte er doch über die größere Vorstellungskraft, und sein Einfluss trug in keinem geringen Maße dazu bei, Raffael neue Horizonte zu eröffnen. Das, was ihm Raffael für seinen Rat schuldete, zahlte er ihm durch Interesse zurück. Die Kritik übte sich lange darin, in den zwischen 1499 und 1502 im Atelier Peruginos entstandenen Arbeiten zwischen der Hand des Meisters und der des Schülers zu unterscheiden. Selbst der vorzüglichste Kenner gerät vor einigen Gemälden ins Zweifeln, während die Zeichnungen des Meisters hingegen nicht mit denen des Schülers verwechselt werden. Erstere sind unendlich archaischer und viel nachlässiger.

Als Raffael 1502 Perugino verließ, hatte er alles gelernt, was die Umbrische Schule zu lehren hatte. Er hatte sowohl der Öl- als auch der Freskenmalerei alle Geheimnisse entlockt. In späteren Jahren erlangte seine Pinselführung mehr Freiheit und Kraft, dafür verlor sie manche ihrer feinen Qualitäten der frühen Jahre. Sein Kolorit wurde weniger warm und leuchtend und verlor den zarten Bernsteinton, den es zunächst gehabt hatte. War die Meisterschaft Peruginos in Farbe und Technik im Allgemeinen für Raffael von Nutzen, so war sein Einfluss bezüglich des Zeichnens, des Entwerfens und der Vorstellungskraft eher schädlich. Kein anderer Maler hatte je weniger Ideen als er. Sein Genie war im Wesentlichen kontemplativ; eine Tatsche, der der Schüler die Größe, Zartheit und Liebe zur Natur verdankt. Der Erfolg Pinturicchios wurde lange Zeit von dem seines erfolgreicheren Landsmannes überschattet. Doch wenn Perugino auch der größere Maler war, so hatte Bernardino di Betto, um ihn bei seinem richtigen Namen zu nennen, die lebendigere Vorstellungskraft und den wissbegierigeren Geist. Hauptsächlich durch die Erkenntnisse des Commendatore Morelli wurde bekannt, dass Raffael Pinturicchio fast in demselben Maße wie Perugino studierte. Einigen Bewunderern Pinturicchio zufolge sind Die Jungfrau mit dem Kind und den Heiligen Hieronymus und Franziskus in London und Die Krönung der Maria im Vatikan bloße Skizzen Pinturicchios, die von dem jungen Meister in Farbe übersetzt wurden. Als Perugino in die Toskana zurückging, war Raffael neunzehn Jahre alt und damit alt genug, um selbstständig zu arbeiten. Sein Meister, der zu dieser Zeit mit Aufträgen überhäuft wurde, empfahl ihn wärmstens seinen eigenen Freunden und Mäzenen in Umbrien, und es ist ihrem Gemüt allgemeiner Frömmigkeit zu verdanken, dass er in der Lage war, einige seiner meistbewunderten Arbeiten auszuführen.

Ungeachtet seiner Intelligenz und seiner ausgezeichneten Umgangsformen, führte Raffael das bescheidene und bürgerliche Leben seines Meisters und seiner Kameraden. Bis zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts standen die gefeiertsten Künstler stets auf der gleichen Stufe wie Handwerker. Genauer gesagt, es wurde kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen gemacht. Es bedurfte erst des Genius eines Bramante, Leonardo da Vinci, Michelangelo und Raffael, dazu des hartnäckigen Willens eines Julius II. und Leo X., um die tief verwurzelten Vorurteile zu überwinden und diese Gruppe von Männern in denselben Rang zu erheben, der bereits von anderen Vertretern der Geisteswelt belegt wurde.

Raffael begann natürlich mit Bildern kleinen Formats und Motiven, die kein sehr hohes Wissen voraussetzten. Seine frühesten Werke waren eine Reihe von halbfigürlichen Madonnen, von denen die meisten eine Jungfrau zeigen, die stehend und en face gezeichnet, auf ihr Kind herabblickt. Worauf in diesen Werken hingewiesen werden muss, ist die Ernsthaftigkeit, mit der der junge Künstler sie ausgeführt hat. Der Einfluss seines Lehrers, wie auch der seines Vaters, nahm von Jahr zu Jahr ab, manch einer mag sagen, von Monat zu Monat, bis er schließlich seinen eigenen Stil gefunden hatte. In der gesamten frühen Phase sah sich Raffael jedoch gezwungen, die Erwartungen der umbrischen Öffentlichkeit zu berücksichtigen. Um bei dem einfachen Volk mit einer Madonna oder einer Heiligen Familie Gefühle der Zuneigung zu erwecken, war es notwendig, dass weder die Bräuche, die Eigenheiten, noch die Haltungen der abgebildeten Figuren von dem abwichen, woran sie gewöhnt waren. Schon bald wurde Raffael eine wichtigere Arbeit anvertraut. Kurz nach der Abreise seines Meisters wies ihn eine Dame der mächtigsten Familien Perugias, Maddalena degli Oddi, an, die Krönung Mariä (Bd. 2, S. 19) für die Kirche des heiligen Franziskus zu malen. Da die Oddis nach dem Sturz Cesare Borgias im August 1503 verbannt worden waren, muss diese Arbeit enormen Ausmaßes zu Beginn des Jahres ausgeführt worden sein.

Pietro Perugino, Die Jungfrau mit dem Kind und den Heiligen Hieronymus und Franziskus, um 1507-1515. Öl auf Holz, 185,5 x 152,5 cm. National Gallery, London.

Pinturicchio und Werkstatt, Die Jungfrau mit dem Kind und dem Johannesknaben, 1490-1500. Öl auf Tafel, 79 x 80,6 cm. Museo Poldi Pezzoli, Mailand.

Madonna mit Kind oder Madonna Conestabile, um 1504. Tempera auf Holz, auf Leinwand übertragen, 17,5 x 18 cm. Eremitage, Sankt Petersburg.

Die kleine Madonna Cowper, um 1505. Öl auf Tafel, 59,5 x 44 cm. Sammlung Widener, National Gallery of Art, Washington, D.C.

Der tiefe Respekt gegenüber der Natur ist, es kann nicht oft genug wiederholt werden, einer der entscheidensten Züge im Genius Raffaels. Es ist das Band, das ihn mit den primitiven Künstlern des 14. Jahrhunderts verbindet, während er sich in so vielen anderen Aspekten keinem Gesetz unterwirft und nur seinem eigenen Geschmack folgt. Er steckt sein ganzes Herzblut in das Zeichnen eines Blattes oder einer Blume, und kein anderer Künstler trat der Schönheit der Schöpfung je enthusiastischer entgegen. Für die Pala vom seligen Nikolaus von Tolentino (Bd. 2, S. 12) und für die Krönung Mariä zeichnete er zunächst Figuren nach der Natur, mit eng anliegenden Gewändern, Hüten und kurzgeschnittenen Haaren. Erst danach fügte er die Draperien und die geforderten Gesichtsausdrücke hinzu – kurz gesagt, er komponierte das Bild.

Raffaels Reise nach Siena

Der Abschnitt zwischen 1504 und 1508 ist zweifellos der ereignisreichste in Raffaels Leben. Er geht nach Perugia, Città di Castello, Siena, Urbino, Florenz und vielleicht Bologna, wobei die genauen Daten dieser Reisen nicht ermittelt werden können. Während seiner Zeit in Urbino nimmt er an all den Feierlichkeiten eines glanzvollen und aufgeklärten Hofes teil. Er versucht sich an Motiven aus religiöser und weltlicher Geschichte, malt Porträts, Leinwandgemälde und Fresken. Er wird von Masaccio, Signorelli, Leonardo da Vinci und Fra Bartolommeo beeinflusst, als er plötzlich zur Malweise Perugios zurückfindet, sodass man ob der offensichtlichen Widersprüche in der fortwährenden Entwicklung dieses Genies verblüfft ist. Das Datum von Raffaels Aufenthalt in Siena ist nicht bekannt, da Pinturicchio, der ihn eingeladen hatte, um ihm bei der Arbeit an den Fresken, die Kardinal Francesco Piccolomini für die Bibliothek in Auftrag gegeben hatte, zu beraten, bei seiner mehrjährigen Arbeit immer wieder unterbrochen wurde. Er begann die Ausgestaltung der Decke 1503 und brachte sie noch im gleichen Jahr zum Abschluss, aber es scheint, als habe er die Seitenwände nicht vor 1504 begonnen; und es war im Laufe desselben Jahres, dass er eine Geburtsszene für Filippo Sergardis (der erste Besitzer Der Schönen Gärtnerin, Bd. 2, S. 61) Altar in der Kirche San Francesco malte, worüber es heißt, Raffael habe eine Predella angefertigt. Es ist daher nicht übereilt, anzunehmen, Raffael sei 1504 nach Siena gekommen, gerade als als sein Freund dabei war, die Arbeit in der Bibliothek wieder aufzunehmen.

Kardinal Piccolomini, der spätere Pius III., hatte Pinturicchio beauftragt, in Siena die Leistungen des größten aus der Familie der Piccolomini, der, nachdem er in der Welt der Geisteswissenschaften und der Diplomatie unter dem Namen Aeneas Sylvius Berühmtheit erlangt hatte, Papst Pius II. wurde, abzubilden. In Siena wimmelte es nur so von Reminiszenzen an den illustren Papst, der so viele glanzvolle Denkmäler in der Stadt selbst, in Pienza und in anderen umliegenden Orten hatte errichten lassen. Den einzigen Fehler, dem ihn ein unabhängiger Historiker attestieren würde – nämlich, dass er seiner Familie und seiner Heimatstadt zum Nachteil der Kirche und Roms zu viel Zuneigung zukommen ließ – war in den Augen der Sieneser Bevölkerung ein weiteres Verdienst. Es gab keine beliebtere Persönlichkeit in der Republik.

Das Leben Pius II. bot dem zeichnerischen Können Bernardino Pinturricchios einen weiten Spielraum. Als Sohn armer, aber adliger Eltern 1405 in Siena geboren, nahm Aeneas Sylvius als Verteidiger am Basler Konzil teil, wo seine Angriffe auf den legitimen Papst Aufsehen erregten. Später wurde er Sekretär am Hofe Königs Friedrichs III., Poeta laureatus, Amanuensis und Botschafter. Während seines langen Aufenthalts in Deutschland machte er sich daran, sich mit einem Land zu befassen, über das seinen Landsleuten nur wenig bekannt war, und seine Briefe, geografischen und historischen Schriften gaben lange ein äußerst korrektes und lebhaftes Bild des Heiligen Römischen Reiches des 15. Jahrhunderts. Nachdem er Deutschland verlassen und sich mit der Kirche ausgesöhnt hatte, erreichte er bald höchste Ehren und wurde 1548 zum Papst gewählt, nachdem er zunächst Bischof von Siena und später Kardinal gewesen war. Seine Amtszeit war kurz aber glanzvoll, er arbeitete gleichzeitig daran, die Autorität der Kirche wiederherzustellen, einen Kreuzzug gegen die Türken auszurufen, im Namen von Kommentatoren eine Geschichte seiner Zeit zu schreiben und sich selbst durch die Errichtung gewaltiger Bauten zu verewigen. Das Konzil von Mantua, die Gründung der Stadt Pienza, die Überführung der Reliquien des heiligen Andreas nach Rom unter Anzeichen unbeschreiblichem Enthusiasmus‘, seine Abreise, um einen neuen Kreuzzug anzuführen – er kam nur bis nach Ancona, wo er in Folge der Trauer über das Scheitern seines Unternehmens, in das er die Anstrengungen eines Vierteljahrhunderts investiert hatte, starb – waren alles Episoden, die die Vorstellungskraft eines Künstlers anregen sollten.

Für die Wandfresken der Bibliothek wurden insgesamt zehn Motive ausgewählt. Begonnen 1504, wurde die große Serie nicht vor 1506 beendet. Die besten Kritiker sind der Meinung, dass Raffael nichts mit der Ausführung der genannten Fresken zu tun hatte, und dass er stattdessen Pinturicchio nur Skizzen übergab, derer dieser sich später bediente. Manche Kenner haben zuletzt sogar den Zweifel geäußert, Raffael habe Pinturricchio überhaupt in irgendeiner Weise geholfen. Aber eine Reihe an Entwürfen unzweifelbarer Authentizität bestätigen die Aussagen Vasaris, auf den die Kenntnisse über Pinturicchios geleistete Hilfe Raffaels zurückgehen. Ein Vergleich der Zeichnungen mit den Fresken räumt alle Zweifel aus und zeugt von der überwältigenden Überlegenheit des Jüngeren.

Während seines Aufenthalts in Siena schien Raffael zum ersten Mal ein Meisterwerk antiker Bildhauerkunst gesehen zu haben. Getroffen von der Schönheit der Drei Grazien, die Kardinal Piccolomini von Rom in die Bibliothek zu Siena hatte bringen lassen, machte er eine Kopie von ihnen, die noch immer in der Akademie der schönen Künste in Venedig aufbewahrt wird, und die, wie anzunehmen war, aufgrund der Unerfahrenheit des Künstlers voller Fehler war. Seine Bemühungen, in Siena mit dem Original konkurrieren zu können, blieben fruchtlos, da er daran scheiterte, die runden und harmonischen Formen des Marmors zu reproduzieren. In Raffaels Zeichnung findet sich eine Dürftigkeit und Armut des Kopfes und Halses der Figur auf der linken Seite.

Das Studium der Antike wurde Raffael förmlich aufgezwungen, und wenn er es auch eher spät in seinem Leben begann, lag der Fehler doch in seiner frühen Ausbildung, da Perugino im Gegensatz zu Filippo Brunelleschi, Donatello und Mantegna kein Anhänger der Renaissance und nie der Auffassung war, zwischen dem Mittelalter und der Antike finde ein Kampf statt, aus der letztere als Siegerin hervorgehen würde. Sein Schüler, obgleich er die Skulpturen und die römischen Bauwerke in Urbino und Perugia bewunderte, dachte daher nicht daran, sie sich zum Vorbild zu nehmen; und da er ganz unter umbrischem Einfluss stand, verspürte er erst später den Drang, seinen Stil durch das Studium der Antike zu verbessern. Es ist in gewisser Weise eigentümlich, dass es Siena, das letzte Bollwerk der Byzantinischen Schule, gewesen sein soll, wo Raffaels Augen für die erdrückende Überlegenheit der antiken Kunst geöffnet wurden, da er in dieser alten Stadt, die so voll von Erinnerungen an das Mittelalter war und ist, auch gut eine andere Lektion hätte lernen können. Dort, wo man ein Wiedererwachen des Mystizismus erwartet hätte, wurde seine Vorstellungskraft Beute der heidnischen Antike.

Porträt des Pietro Bembo, 1503-1505. Öl auf Holz, 54 x 39 cm. Szépmu’’vészeti Múzeum, Budapest.

Frauenporträt oder La Muta, um 1505-1507. Öl auf Holz, 64 x 48 cm. Galleria Nazionale delle Marche, Palazzo Ducale, Urbino.

Frauenporträt oder La Gravida, 1505-1506. Öl auf Tafel, 68,8 x 52,7 cm. Palazzo Pitti, Florenz.

Il Sodoma (Giovanni Antonio Bazzi), Die Frauen aus der Familie des Darius vor Alexander dem Großen (Detail), um 1516.

Fresko. Villa Farnesina, Rom.

Siena teilte mit Perugia die Vorstellungen des Mittelalters, was neben vielen Unterschieden der einzige Berührungspunkt war. Italienische Städte verfügen über die Eigenheit, beinahe alle Hauptstädte und Zentren großer intellektueller Bewegungen gewesen zu sein und sind nicht von der monotonen Einförmigkeit betroffen, die den Rest Europas durchdringt. Um wieviel größer müssen die noch heute anzutreffenden Unterschiede lokalen Charakters zu Zeiten der Renaissance gewesen sein, als politische Auseinandersetzungen literarische und künstlerische Rivalitäten verstärkten, und als grausame Kriege den Graben zwischen benachbarten Städten stetig vergrößerten. So hatte jede von ihnen, obwohl Siena und Perugia nur wenige Meilen voneinander entfernt lagen, eine eigene Zivilisation mit der dazugehörigen Kunst. Die Einwohner Sienas waren ein feingeistiges und intelligentes Volk, für das künstlerische Tätigkeit eine lebenswichtige Funktion erfüllte, während die etwas abgestumpften Umbrier die Erregung religiöser Gefühle benötigten, um Kunst überhaupt wertzuschätzen. Es heißt, dass jede Straße und jedes Haus von dem herausragenden Geist der Sienesen zeugt, und dass es eine Zeit gab, zu der die kleine Republik ihre Architekten, Maler, Bildhauer und Goldschmiede nicht nur in die angrenzenden Provinzen, sondern auch nach Rom, Neapel und sogar Avignon entsandte.

Hätte Raffael seine Karriere in Siena statt in Perugia begonnen, hätte sich vielleicht die Zukunft der gesamten Malerei verändert. Aber als er die Einladung Pinturicchios annahm, hatten sich seine frühen Eindrücke und Tendenzen sehr verändert. Obwohl er nicht endgültig mit seiner Vergangenheit gebrochen hatte, sah er einen weiter reichenden Horizont vor sich, und die majestätischen Bilder der Jungfrau auf goldenem Grund von Duccio di Buoninsegna und die gewaltige Allegorie von Ambrogio Lorenzetti beeindruckten ihn nur gering. Seiner Ansicht nach stellte die Gruppe Die drei Grazien all diese Überreste einer untergegangenen Zivilisation in den Schatten, und hinderte ihn daran, dem Werk Niccolò Pisanos gerecht zu werden, dessen einziger Fehler es war, seiner Zeit zu weit voraus gewesen zu sein.

Der Einfluss des griechischen Marmors fand nur dadurch Konkurrenz, was ein junger Fremder, dessen Eskapaden und erstaunliches Talent schon bald Stadtgespräch wurden, in Anlehnung an Raffael ausführte.

Es handelte sich um Giovanni Antonio Bazzi, genannt Sodoma, ein Schüler Leonardo da Vincis, und für ein paar Jahre Schüler Raffaels. Er wurde im Jahr 1500 von den Spanocchi, einer reichen Bankiersfamilie, nach Siena eingeladen, wo ihn seine Kreuzabnahme, seine Fresken im Refektorium von Santa-Anna in Creta nahe Pienza und die Fresken in Monte Oliverto schon bald berühmt machten. Sein Kolorit war sogar noch freundlicher als das Peruginos, während sein einfacher und sinnlicher Kompositionsstil mit seiner Eleganz und Vornehmheit Raffael geblendet und ihm einen Eindruck der mit Pinsel und Palette von Leonardo persönlich vollbrachten Wunder vermittelt zu haben scheinen.

Er dachte nicht, dass er Sodoma innerhalb weniger Jahre erneut in einer anderen Arena antreffen, und sich dort an seinem Herausforderer wirkungsvoll revanchieren würde, indem er das von ihm für den Papst angefertigte Bild übermalen und durch sein eigenes ersetzen würde.

Es gab noch einen anderen Maler, von dem Raffael zu diesem Zeitpunkt bereits einiges gehört haben musste und den er später häufiger traf, wenngleich die beiden sich nie sehr nahe standen. Dieser Maler war Baldassare Peruzzi, der, in Siena als Sohn eines Ehepaares aus Volterra geboren, sowohl in der Linie Sodomas als auch Pinturicchios arbeitete. In seiner Heimatstadt war er bereits bekannt, als er sich um das Jahr 1503 dazu entschloss, sein Glück in Rom zu versuchen. Dort erlangte er die Gunst des wohlhabenden Sieneser Bankiers, Agostino Chigi, der später einer der größten Förderer Raffaels und Sodomas wurde. Ein weiterer Künstler aus Siena, der Holzschnitzer Giovanni Barile, gesellte sich letzten Endes zu dem Kreis, der sich um Raffael in Rom bildete, und er war es, der die Intarsien für die Türen der Vatikan-Stanzen nach den Entwürfen Raffaels schnitzte.

Raffaels Rückkehr nach Urbino im Jahre 1504

Raffael hatte seine Heimatstadt während seines langen Aufenthalts in Umbrien nicht vergessen und beschloss, sobald er seine Verpflichtungen in Perugia und Città di Castello erfüllt hatte, seinen Onkel Simone und die Familie Montefeltro, der sein Vater mehr Freund als Untertan war, zu besuchen. Er unternahm die Reise 1504. Das kleine Herzogtum war in seiner Abwesenheit mehreren heftigen Gerichtsverhandlungen ausgesetzt gewesen. Die Ambitionen Alexanders VI. und dessen Sohnes hatten Italien erschüttert. Guidobaldo, der zunächst aus seinem Fürstentum vertrieben, später aber siegreich zurückgekehrt war, wurde erneut gezwungen, sich dem Angriff eines Widersachers, der genauso grausam und aufsässig wie er waghalsig war, zu stellen. Dies geschah im November 1502. Der Eifer der Bevölkerung kannte keine Grenzen, und die Damen Urbinos kamen zu ihrem Fürsten und warfen ihm Ringe, Halsketten und Armreifen, Perlen und Diamanten zu Füßen und flehten ihn an, ihre Gaben zur Erlösung des Landes anzunehmen. Aber welche Chance hätten ein paar tausend Einwohner gegen eine kämpferische Streitmacht gehabt, die von einem Mann angeführt wurde, der die Verkörperung des Bösen zu sein schien? Der junge Herzog sah früh ein, dass Widerstand zwecklos war und beschloss, sich selbst zu opfern anstatt erneutes Unheil über sein Land zu bringen. Bevor er ein zweites Mal ins Exil ging, riss er alle Befestigungsanlagen seines Herzogtums nieder. „Wozu“, so sprach er, „all diese Bollwerke? Wenn ich mein Herzogtum behalte, brauche ich sie nicht, um meine Untertanen gehorsam zu halten. Wenn sie jedoch in Feindeshände geraten, ermöglichen sie diesen, die Eroberung noch länger zu sichern.“ Die Menschen Urbinos verstanden den Patriotismus in seiner Entscheidung und gingen mit einer solchen Entschlossenheit ans Werk, dass Türme, Schanzen und Pfeiler schon bald dem Erdboden gleich waren. Seine Schätze in Sicherheit, machte sich Guidobaldo in Begleitung von etwa zweitausend Mann auf den Weg nach Città di Castello.

Andrea Mantegna, Triumphzug des Caesar II: Triumphwagen, Trophäen, Kriegsmaschinen, um 1490. Tempera auf Leinwand, 266 x 278 cm. Royal Collection, Hampton Court Palace, Surrey.

Pietro Perugino, Verklärung Christi, 1498. Fresko, 226 x 229 cm. Sala delle Udienze del Collegio del Cambio, Perugia.

In Urbino eignete sich Cesare Borgia, der so gerissen wie ehrgeizig war, derweil neue Taktiken an. Während er in der Romagna Schrecken verbreitete, nahm er im Herzogtum eine moderatere Haltung an, aber seine Herrschaft lastete nichtsdestotrotz auf den treuen Untertanen der Montefeltros, und für die Magistraten Urbinos war es ein schmerzlicher Prozess, gezwungen zu werden, einer allseits dermaßen verhassten Person zu huldigen. Der Tod Alexanders VI. (18. August 1503) beendete die Herrschaft der Borgia. Es ist kein weiterer Aufstand der Bewohner des Herzogtums bekannt, und die Rückkehr Guidobaldos war der erste Erfolg in einer Serie von Triumphen.

Seit Guidobaldos Regierungsantritt hatte die intellektuelle Richtung am Hofe von Urbino eine große Veränderung erlebt. Seine Hauptstadt war immer ein Refugium der Musen gewesen, aber auf den Enthusiasmus, der die Frührenaissance kennzeichnete, folgte eine ruhigere, kultiviertere Zeit.

Die zwischen 1504 und 1508 am fürstlichen Palast versammelte Gesellschaft war zahlreich und von ausgewähltem Charakter. Unter ihnen befanden sich 1506, als Raffael zum zweiten Mal in seine Geburtsstadt zurückkehrte, Giuliano de‘ Medici, Sohn Lorenzos I. (des Prächtigen) und Bruder Leos X.; die beiden Fregoso-Brüder aus Genua; der Dichter Pietro Bembo; Caesar Gonzaga und Graf Luigi di Canossa; Bernardo Dovizi da Bibbiena; Bernardo Accolti, genannt Unico Aretino, ein berühmter Sänger; der römische Bildhauer Giovanni Cristoforo; und Raffaels Freund, der Krieger, Diplomat und Dichter, auf den diese Angaben zurückgehen, Baldassare Castiglione, der Autor des Cortegiano.

Der Großteil dieser Männer war dazu bestimmt, die höchsten Ränge als Kommandeure, Diplomaten oder Prälaten zu erhalten. Einer unter ihnen, Giuliano de‘ Medici, war für kurze Zeit Kopf der Florentinischen Regierung, und anschließend machte ihn sein Bruder zum Kapitän-General der Kirche. Frà Giovanni Giocondo widmete ihm 1513 die zweite Ausgabe seines Vitruv; Leonardo da Vinci begleitete ihn auf seiner Reise nach Rom im Jahre 1513; Raffael malte seine Porträts, und Michelangelo meißelte seinen Grabstein. Ottaviano Fregoso wurde Herzog von Genua, während sein Bruder Federico sowie Bibbiena und Bembo zu Kardinälen berufen wurden. Luigi di Canossa, nacheinander päpstlicher Nuntius am Hofe Louis XII. und Franz I., Bischof von Bayeux und Botschafter Franz I. in der Republik Venedig, bestellte bei Raffael das berühmte Gemälde im Madrider Prado, Die Heilige Familie oder La Perla (Bd. 2, S. 185).

Die Prozession nach Golgota (Predella der Pala Colonna), um 1504-1505. Öl auf Pappelholz, 24,4 x 85,5 cm. National Gallery, London.

Wahrscheinlich bereitete die herzogliche Familie Raffael um des Vaters Willen einen freundlichen Empfang. Er kehrte, wenn auch nicht gefeiert, so doch zumindest unter großer Wertschätzung seitens derer, die seinen Fortschritt verfolgt hatten, in seinen Geburtsort zurück. Laut einer Aussage des Architekten Sebastiano Serlio war neben Julius II. und Leo X. die Herzogin Elisabetta die größte Gönnerin Raffaels:

Hätte die tugendhafte Herzogin Isabella [sic] von Urbino Raffael nicht von jungen Jahren an gefördert, und hätten Julius II. und Leo X. ihn anschließend nicht vorzüglich belohnt, hätte er weder die Malerei in solche Höhen führen können, noch hätte er so viele Meisterwerke der Malerei und der Architekteur hinterlassen.

Ungeachtet ihres Interesses an den schönen Künsten, unterstützten Guidobaldo und seine Höflinge Künstler nur geringfügig, und es fällt nicht leicht, mit Ausnahme von Timoteo Viti und dem Bildhauer Giovanni Cristoforo einen einzigen eindrucksvollen Künstler zu nennen, der diesem Haus verbunden war. So fand Raffael in seiner Heimatstadt nicht die Unterstützung, die er in Siena und Florenz fand. Nichtsdestotrotz erhielt er eine andere, höchst wertvolle Art der Bildung, indem er mit der intellektuellen Kultiviertheit des glanzvollsten Hofes in Europa in Berührung kam, und dort seine Gedanken eine Qualität erreichten, die sie in Umbrien nie erreicht hätten.

Er beschäftigte sich schon bald mit den wichtigsten Fragen aus Philosophie und Moral, während er gleichzeitig begann, an klassischer Literatur Gefallen zu finden und sich Kenntnisse der Geisteswissenschaften anzueignen. Letztlich wurde er – und zwar im positiven Sinne – ein ausgezeichneter Höfling. Was die Malerei angeht, so versorgte der Hof Urbinos Raffael mit mehreren Kompositionsmotiven, die zugleich variierend und pittoresk waren.

Er malte Apollo, der auf dem Parnass über den Tanz der Musen waltet; Der Kampf der Liebe und der Keuschheit; und kombinierte Allegorien mit zeitgenössischer Geschichte, indem er die Herzogin umgeben von Musikanten, Dichtern und Kriegern und gekrönt von der Liebe darstellte. Aber die Herzen der Menschen Urbinos waren nach den grausamen Prozessen von tieferen Gefühlen bestimmt, und Raffael gelang es erfolgreich, ihren Patriotismus darzustellen. In seinen für Guidobaldo angefertigten Gemälden Der heilige Michael besiegt den Drachen (Bd. 2, S. 25) und Der heilige Georg im Kampf mit dem Drachen (Bd. 2, S. 26) hatte er zweifelsfrei die Absicht, die Niederlage Cesares und den Triumph der Montefeltri zu veranschaulichen. Diese freien und gewagten Allegorien entsprachen seinem Wesen.

Raffael hatte bis dahin noch nicht mit derart aufwühlenden Themen gearbeitet. Zum ersten Mal versuchte sich der Maler der Madonnen an der Komposition von Schlachtenszenen. Aber er entscheidet sich für den christlichen anstatt für den heidnischen Krieger; seine Soldaten sind Heilige: Der Erzengel Michael, der heilige Georg, der kappadokische Prinz, der unter Diokletian den Märtyrertod starb, nachdem er wie ein erneuter Perseus eine Prinzessin aus den Fängen eines Drachen gerettet hatte.

Das Leiden Jesu im Garten Gethsemane (Predella der Pala Colonna), um 1504-1505. Öl auf Holz, 24,1 x 28,9 cm. The Metropolitan Museum of Art, New York.