DER BARON UND DER PRIESTER

Der Baron Carlo Coriolano di Santafusca glaubte nicht an Gott, geschweige denn an den Teufel, ja, obschon Neapolitaner, wie er im Buche steht, glaubte er nicht einmal an Hexen oder den bösen Blick.

Mit zwanzig Jahren hatte er noch mit dem Mönchsleben geliebäugelt, war dann aber einem hochgelehrten Wissenschaftler aus Frankreich über den Weg gelaufen, einem gewissen Doktor Panterre, der unter Napoleon III. wegen seiner materialistischen und anarchistischen Reden verfolgt worden war, worauf der Baron mit der beherzten Sprunghaftigkeit aller Südländer sofort Feuer gefangen hatte für die Lehren des seltsamen Konspirateurs, der zudem ein höchst eigenwilliges Haupt zur Schau trug, einen wahren Knochenschädel mit zwei Falkenaugen, kurzum, der eine schrecklich faszinierende Erscheinung war.

Ein paar Jahre lang las der Baron daraufhin Bücher und beschäftigte sich ernsthaft mit der Wissenschaft, doch wäre er nicht er selbst gewesen, hätte er um der Liebe zur Wissenschaft willen jener zum schönen Geschlecht, zum Spiel, zum guten Vesuvwein oder zu seinen teuren Freunden abgeschworen. Der Libertin nahm den Mönch und den Nihilisten bei der Hand, und aus der Vereinigung dieser drei Männer erwuchs ein neuer Baron, der ganz einmalig in seiner Art war, ein leidenschaftlicher Spieler, Raucher und Gotteslästerer im Angesicht des ewigen Nichts, zugleich aber auch ein liebenswerter Kamerad und Schwarm aller Frauen, mutig wie kein Zweiter und je nach Mond überspannt wie kein Dritter.

Wir sprechen hier vom Baron in seiner frühen Phase, als er noch keine dreißig Jahre zählte. Ganz Neapel trug damals ein garibaldinisches Festkleid in Weiß, Rot und Grün. Die Frauen fielen den schmucken Soldaten auf offener Straße um den Hals und hielten Garibaldi ihre Kinder entgegen, damit er sie im Namen des heiligen Italien segnete. Man zündete Kerzen vor dem Bild des Helden an und hängte Blumen daran, geradeso wie bei Darstellungen des San Gennaro oder der Madonna Santissima.

Santafusca spielte damals in den letzten Gefechten eine kurze, aber schillernde Rolle und zog sich sogar eine Stirnwunde zu. Von ihr behielt er eine Narbe über der Augenbraue zurück, die herrlichen Zeiten indes gehörten nun der Vergangenheit an.

Heute hatte er fünfundvierzig Jahre auf dem Buckel, einen dichten schwarzen Vollbart, ein von Sonne und Spirituosen gerötetes Gesicht, eine enorme Lebenslust und keine einzige Lira in der Tasche. Niemand gewährte ihm noch Kredit, weder seine Freunde noch seine Verwandten, die er mit seinem ausschweifenden Leben und seiner ungezügelten Gottlosigkeit längst vor den Kopf gestoßen hatte.

Dem Mönch, dem Nihilisten und dem Libertin gesellte sich daher der verzweifelte Schnorrer hinzu, der sich mit fünfundvierzig Jahren gezwungen sah, zehn Lire von seiner Haushälterin zu erbetteln, wollte er einmal anständig essen und dazu einen Cognac trinken.

In seinem Club fand sich sein Name nun in der Kartei mit den zahlungsunfähigen Gästen, und da er seine Spielschulden nicht mehr zu begleichen vermochte, mied ihn ein jeder wie die Pest.

Und an jenem Tag, als ihm der Verwalter des Waisenhauses für Mädchen Sacro Monte klipp und klar zu verstehen gab, dass er binnen einer Woche seinen Schuldschein über fünfzehntausend Lire einzulösen habe, andernfalls würde der Verwaltungsrat den Fall an den königlichen Staatsanwalt weiterleiten, da meinte Baron Carlo Coriolano di Santafusca sogar selbst, die Pest zu haben.

Nach althergebrachtem Recht stand den Santafuscas eine Stimme im Verwaltungsrat des Waisenhauses zu, und in seiner Eigenschaft als Schirmherr und Berater hatte der Baron, wenn die Schulden ihm über den Kopf wuchsen, Geld aus der Kasse der Einrichtung entnommen, dabei jedoch falsche oder recht wackelige Garantien gegeben. Das war nun aufgeflogen.

»Wenn Euer Exzellenz diesem frommen Haus nicht besagte fünfzehntausend Lire erstattet«, hatte der Verwalter unmissverständlich erklärt, »sehen wir uns in der schmerzlichen Pflicht, diesen Fall vor Gericht zu bringen.«

Vor Gericht würde sich der Baron freilich nie stellen lassen, das war sicher. Man schrieb den Heiligen Montag, alles in allem blieben ihm damit knapp zwei Wochen. In dieser Zeit müsste ein Mann von Verstand, der nicht die geringste Absicht hatte, sich eine Kugel durchs Hirn zu jagen, doch wohl einen Weg finden, dem Gefängnis zu entgehen.

Bevor er diesen Gang antrat, da müssten schon sämtliche Wälder in Kalabrien abgeholzt und das Ende aller Briganten gekommen sein!

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Santafusca sich auf diese Weise aus dem Staub machte, bereits sein Großvater, Don Nicolò, hatte seinerzeit zusammen mit Fra Diavolo sechs Monate in den Bergen der Majella zugebracht.* Allerdings, das ahnte der Baron wohl, dürften vierzehn Tage recht knapp sein, um sich in einen Briganten zu verwandeln.

Nein, er brauchte einen Ausweg, der ihn schneller und weniger dramatisch zum Ziel führte. Fliehen? Daran war nicht einmal zu denken, denn wenn man arm ist, reist es sich schlecht. Geld leihen? Aber von wem? Kein Hund gab ihm doch nur einen Quattrino! Spielen? Das Schicksal herausfordern? Nur wollte sich ja auch niemand mehr mit ihm an den Kartentisch setzen, und außerdem: Nicht immer gewinnt, wer spielt.

Ihm war nichts als das Anwesen in Santafusca geblieben, fünf Kilometer vor Neapel, das ihm womöglich noch ein paar Tausend Lire einbrachte, vorausgesetzt, er würde es unwiderruflich bis auf den letzten Nagel verkaufen, denn ein Drittel hatte er ja bereits an den Marchese di Vico Spiano verpfändet, das zweite Drittel war eine Ruine und das verbliebene Drittel stellte seine letzte Zuflucht, sein Heim und Dach über dem Kopf dar.

Und selbst wenn er wirklich alles verkaufte, was ihm noch gehörte: Er würde niemals fünfzehntausend Lire zusammenbringen, dafür aber anschließend ein echter Vagabund sein, ohne Hemd am Leibe, ja selbst ohne ein Kopfkissen, auf das er sein Haupt betten könnte.

Wenn ein Baron di Santafusca aber noch etwas galt in dieser Welt und wenn er gelegentlich darauf hoffen durfte, wenigstens lächerliche hundert Lire aufzutreiben, um Hunger und Durst zu stillen, dann einzig, weil er dieses alte Haus besaß, das nach wie vor allen einen gewissen Respekt abrang und das mithin, als Inbegriff von Tradition, verhinderte, dass ein bereits vom Schicksal geschlagener Mann vollends zum Gespött der Menge wurde.

Er musste diese fünfzehntausend Lire also irgendwie auftreiben, nur war inzwischen bereits der Gründonnerstag erreicht, ohne dass er irgendeinen Erfolg vorweisen konnte.

Da endlich fiel ihm der Priester Don Cirillo ein.

Was war nun dieser Priester für ein Mann?

In den Vierteln Pendino und Mercato gab es niemanden, kein Frauenzimmer, keine Fischfrau und keinen Ganoven, der den Priester nicht gekannt hätte, welcher unter den Ärmsten der Armen lebte, in einer Dachstube, umringt von den Schornsteinen anderer Häuser, in einer Kammer, in die das gebenedeite Auge der Sonne niemals lugte und wo rundum einzig Laster und der Gestank jener Fische herrschten, die das Volk gleich vor der eigenen Tür oder gar auf offener Straße brutzelte.

Wer ihn die Straße hinunterspazieren sah, hätte nicht einmal die Schale einer Orange für dieses Priestermännchen hergegeben, das nur aus Hut bestand, eine staubstarrende Soutane trug, darüber einen spinnwebhaften grünlichen Mantel, durch den der Wind fuhr wie durch ein Sieb, und das ein Gesicht von der gleichen Farbe zeigte wie das der gebrutzelten Fische.

Seine langen, mageren Hände glänzten wie Spindeln aus Olivenholz, und die Fingernägel waren massiver als die Widerhaken, mit denen im Hafen die Fässer und Säcke voller Dorsche in die Luft gezogen wurden.

Die Beine, über die gesamte Länge hager wie die Waden aller Heiligen, endeten in ausgetretenen Schuhen von der Größe jener Kähne, welche die Küste zwischen Neapel und Messina befuhren.

Dabei schwamm Don Cirillo im Geld. Dieses hatte er zum geringen Teil mit Wucher – er lieh Wurstverkäufern, Fischhändlern und nimmersatten Galanen im Viertel gewisse Summen –, zum weitaus größeren aber durch Gewinne in der Lotterie zusammengerafft. Es hieß, der Priester verstünde etwas von Zahlen und würde vermittels kabbalistischer Berechnungen, die er in einem alten Buch entdeckt hatte, in der Lotterie gewinnen, wann immer er dies wünschte. Zuweilen nannte er jemandem die richtigen Zahlen, doch im Allgemeinen schenkte der Zeichendeuter nichts her und ließ sich von niemandem etwas aus den Rippen leiern.

Wohlan also, in die Dachkammer Don Cirillos, denn ungeachtet der Osterfeierlichkeiten hat der Baron die Hände nicht in den Schoß gelegt.

Gerade bot der Priester ihm einen Holzstuhl an, dessen stroherne Sitzfläche schon ganz zerfranst war, riegelte die Eingangstür sorgsam ab und nahm an einem Tisch voller Papiere und alter Bücher Platz.

»Haben Sie sich die Sache durch den Kopf gehen lassen, Don Cirillo?«, eröffnete der Baron das Gespräch.

»Das habe ich.«

»Und haben Sie sich das Anwesen angeschaut?«

»Auch das habe ich, Exzellenz.«

»Gefällt es Ihnen?«

»Das kaum, aber dennoch bin ich geneigt, es zu kaufen. Ich würde Ihnen zwanzigtausend Lire dafür geben, Exzellenz.«

»Don Cirillo! Diese Worte würden ja selbst einen Eremiten dazu bringen, Gott zu lästern! Anfangs hieß es vierzigtausend, dann dreißigtausend, und nun kommen Sie mir mit zwanzigtausend! Beim elenden Blut der …«, setzte der Baron zu einem seiner Flüche an.

»Nun gut, dann biete ich Ihnen dreißigtausend an«, unterbrach ihn der Priester, der blasphemische Reden nicht ertrug. »In dem Fall müssten Sie mir allerdings beweisen, dass keine Hypothek auf dem Haus lastet.«

»Ich habe Ihnen bereits einmal geschworen, dass das Haus rein wie meine Weste ist, und ein Mann von Ehre schwört nie zweimal.«

»Ein Mann von Ehre hat es überhaupt nicht nötig zu schwören. Im Übrigen genügt mir ein entsprechender Beleg völlig.«

»Dann bringen Sie beim nächsten Mal nur Ihren Notar mit.«

»Das Landgut möchte ich ja nicht für mich kaufen und schon gar nicht von meinem eigenen Geld. Was sollte ich, ein armer Diener Gottes, auch mit einem Anwesen anfangen?«

»Das ist nicht Ihr Ernst! Nach allem, was ich gehört habe, schlafen Sie auf einem Strohsack voller Gold!«

»Im Namen Gottes, schauen Sie sich doch bloß einmal um! Ist dies etwa das Heim eines reichen Prassers?«

»Angeblich kennen Sie die richtigen Zahlen für die Lotterie …«

»Auch das ist eine Verleumdung von dummen und gemeinen Menschen. Wenn ich diese Zahlen wüsste, wäre ich ein reicher Mann, und wenn ich ein reicher Mann wäre, dann müsste ich nicht von meinem bescheidenen Amt und meinen armen Toten leben, noch dazu unter Menschen, die mir übel wollen.«

»Ja stimmt es denn nicht, dass Sie jede Woche einen famosen Terno, wenn nicht gar einen Quaterno in der Lotterie ergattern?«

»Gott schenke mir Langmut! Wie können Sie diese Märchen bloß glauben, Euer Exzellenz?! Sie? Ein Mann von Welt! Ein einziges Mal habe ich, um mich dem Würgegriff meiner Feinde zu entziehen, einige Zahlen genannt, die dann tatsächlich gewonnen haben, und seit diesem Tag kenne ich keine Ruhe mehr, nicht einmal beim Gottesdienst. O ja, selbst in der Kirche erheben die Frauen ihre Stimme, sodass ich ständig dieselben Worte höre: ›Um der Liebe Gottes willen, geben Sie uns drei Zahlen! Tun Sie es für unseren heiligen Gennaro!‹«

Der Priester Cirillo sprach voller Harm, Sorge und Aufrichtigkeit, unter Zuhilfenahme seiner zehn stockdürren Finger, die gespreizt durch die Luft fuhren.

»Ich könnte wohl dafür sorgen, dass Sie nicht mehr verfolgt werden«, behauptete der Baron.

»Damals, im Januar, hat mich eine ganze Bande von Ganoven entführt und in einem Keller eingeschlossen, mir mit dem Tode gedroht und mich mit Ketten geschlagen, nur damit ich ihnen Zahlen nenne.«

»Und haben Sie das getan?«

»Ich habe voller Inbrunst die Madonna del Carmine und den Heiligen Geist angefleht, mich zu erleuchten und zu erretten. Deshalb konnte ich Zahlen nennen.«

»Die dann auch gekommen sind …?«

»Ausnahmslos.«

Der Baron hob den Kopf, und maßloses Erstaunen ließ seine Augen fast aus den Höhlen treten. Als er den Raum nun betrachtete, meinte er, sich tatsächlich im Heim eines Zauberkünstlers zu befinden.

»Es war Gott in seiner Güte, der mich hatte retten wollen, ganz gewiss kein kabbalistischer Hokuspokus, wie die Leute behaupten: Aber seit jenem Tag ist mein Frieden hin. Meine Treppe wird von Habenichtsen belagert, die aus mir die richtigen Zahlen herausbringen wollen, weshalb ich mich oft genug in meiner geweihten Stätte verkriechen muss, um nicht ein weiteres Mal entführt, angekettet und gefoltert zu werden.«

»Nun denn, da vermag ich Ihnen zu helfen, Don Cirillo, doch dürfen Sie dann nicht länger wankelmütig sein und müssen mir die vierzigtausend fest zusichern.«

»Wenn Sie mir helfen, dann helfe ich Ihnen, Exzellenz. Wenn Sie mich vor diesem Lumpenpack retten, dann rette ich Sie … vor dem Gefängnis.«

Der Baron sprang von seinem Stuhl auf, schaute sich mit schreckgeweiteten Augen um und riss seinen Spazierstock, auf dessen Silbergriff er so gern die Lippen presste, ein wenig in die Höhe.

»Stimmt es etwa nicht, dass Sie am Weißen Sonntag eine gewisse Summe zurückzahlen müssen, die Sie aber nicht auftreiben werden, selbst wenn Sie Himmel und Hölle in Bewegung setzen?«

»Sie sind der reinste Inquisitor«, murmelte der Baron aufgewühlt.

»Ich musste doch wohl einige Erkundigungen einholen, oder etwa nicht? Dennoch will ich Ihnen meine Hilfe nicht verweigern. Mehr noch, meiner Ansicht nach sollten wir uns gegenseitig helfen. Sie benötigen fünfzehntausend Lire, aber ich gebe Ihnen dreißigtausend. Ich hätte mich auch zu vierzigtausend durchgerungen, wäre ich nicht darauf gestoßen, dass der Marchese di Vico Spiano eine Hypothek hält.«

»Es stimmt schon, was die Leute sagen«, erwiderte der Baron lachend und hob seinen Stock noch etwas höher. »Sie sind ein gewiefter Astrologe und ein ebenso gewiefter Kabbalist.«

»Ich musste lediglich gewisse Vorsichtsmaßnahmen treffen, mein Guter. Im Übrigen habe ich ja schon gesagt, dass ich Ihnen in Ihrer Not helfe. Das Anwesen will ich nicht für mich erwerben, und wer es einst bewohnen wird, muss noch Unsummen ausgeben, um es wieder auf Vordermann zu bringen. Sicher, einen kleinen Gewinn bei dem Geschäft muss ich mir schon allein um jener Armen willen sichern, die mich eines Tages beerben werden. Nein, worauf es mir ankommt, ist, und das werde ich mir ausbedingen, die Möglichkeit, auf dem Land zu leben, an einem sicheren Ort, an dem niemand mich verfolgt, sodass auch ich endlich an die Bedürfnisse meiner sündigen Seele denken kann.«

»Und ich bin mir ganz sicher, dass Sie nichts unversucht lassen, auch meine Seele zu retten«, sagte der Baron mit sanfter Stimme, nunmehr von Reumut durchdrungen. »Da Sie ohnehin wissen, dass ich ruiniert bin und mir nichts geblieben ist außer Santafusca, gewissermaßen als letzter Halt eines Schiffbrüchigen. Helfen Sie mir nicht, kann ich mir nur noch eine Kugel durch den Kopf jagen …«

Der Baron zog sein Taschentuch heraus und tupfte sich damit dreimal über die Augen, dies zur unsagbaren Verwunderung von Don Cirillo, der nie zuvor in seinem Leben jemanden hatte weinen sehen. Und nun bat ein derartiger Frevler und Sünder, ein verfluchter Gotteslästerer und elender Libertin im Angesicht jenes verhängnisvollen Abgrunds, vor dem er stand, ausgerechnet ihn, den armen Diener Gottes, Mitleid mit seiner Seele zu zeigen.

Warum auch immer, doch es rührte sich hinter der eisernen Verschalung dieser raffgierigen Seele tatsächlich etwas Weiches und Mitfühlendes.

»Ich werde Ihren Körper und Ihren Geist retten, Baron di Santafusca«, versicherte er mit ebenfalls sanfter Stimme, »und wenn ich das Anwesen mit Gewinn verkaufen kann, dann werde ich Ihre Nöte nicht vergessen. Jetzt aber sollten Sie sich auf der Stelle aus Neapel fortbegeben und es mir überlassen, morgen dem Verwalter die fünfzehntausend Lire zu übergeben. Donnerstag, also am 4. des Monats, werde ich Sie in Ihrem Landhaus aufsuchen, Ihnen den Rest des Geldes aushändigen und anschließend dieser vermaledeiten Stadt, die mir zur Hölle geworden ist, endlich Lebewohl sagen. Die paar Tage brauche ich aber noch, um alle Angelegenheiten zu regeln, doch vertraue ich fest auf Gott, der mir helfen wird, sowohl Sie als auch mich zu retten.«

»Wahrlich, der gebenedeite Gott selbst muss dafür gesorgt haben, dass sich unsere Wege kreuzen«, beteuerte der Baron, nach wie vor die Reue in Person und von Schmerz schier zerfressen. »Dann erwarte ich Sie auf dem Anwesen. Achten Sie darauf, dass niemand Ihre Abfahrt beobachtet! Die Menschen würden Ihnen ja bis ins Paradies folgen, um an die richtigen Zahlen zu gelangen.«

»Das weiß ich nur zu genau, deshalb habe ich schon einige Möglichkeiten erprobt, dies neugierige Volk zu täuschen.«

»Und um der Liebe Gottes willen bringen Sie mir Geld, denn ich sterbe vor Hunger!«

»Abgemacht! Sie aber kümmern sich um den Notar!«

»Kennen Sie Don Nunziante?«

»Sehr gut sogar, er ist ein Ehrenmann.«

»Dann werde ich ihn bitten, sodass wir den Vertrag gleich vor Ort aufsetzen können. Addio, Don Cirillo!«

»Möge der Herr Ihnen beistehen, Exzellenz. Bis Donnerstag.«

Don Cirillo schloss in aller Eile die Tür hinter dem Baron, damit niemand etwas von seinem weiteren Tun mitbekam, und rieb sich die Hände so gut gelaunt wie jemand, der ein höchst vorteilhaftes Geschäft unter Dach und Fach gebracht hatte. Und in der Tat hatte der schlaue Alte voller Heimtücke des Teufels Garten bestellt.

Der Baron braucht Geld und darf es sich nicht erlauben, lange zu verhandeln, überlegte er. Der Erzbischof hat ein Auge auf dieses Anwesen geworfen, um darin ein Seminar und theologisches Kollegium einzurichten. Der Vikar ist bereits beauftragt worden, mit dem Baron Verhandlungen aufzunehmen, und wäre dieser Pflicht wohl längst nachgekommen, hätten die Gottesdienste der Heiligen Woche ihn nicht davon abgehalten.

Die Kirche ist bereit, bis zu einhunderttausend Lire auszugeben, denn die Lage ist ganz einmalig, nicht zu weit von der Stadt, aber auch nicht zu nah dran, sodass Seine Eminenz dieses Anwesen bestens für die Sommerfrische nutzen könnte.

Sollte es mir gelingen, den Vertrag mit dem Baron noch vor dem Weißen Sonntag abzuschließen, wäre ich Besitzer des Gutes und müsste als solcher nur noch die Schulden beim Marchese di Spiano begleichen, um, wie es so schön heißt, das Heft endgültig in der Hand zu haben. Dreißigtausend und zehntausend macht vierzigtausend Lire, die ich in nur wenigen Tagen in einhunderttausend verwandeln könnte. Selbst wenn ich fünfzigtausend einsetzen müsste, wäre der Gewinn immer noch splendid …

Verschanzt in seiner Kammer, inmitten dieser Ödnis schäbigsten Geizes, sprühte die verrostete Seele des alten Priesters plötzlich Funken. Immer wieder rieb und quetschte er sich die Hände, während seine Gedanken bereits bei einhundertundzwanzigtausend Lire angelangt waren, die er dem Erzbischof abverlangen könnte, abgesehen natürlich von dem Recht auf ein Zimmer im Kollegium und auf einen täglichen Gottesdienst, der Teilnahme am gemeinsamen Essen und auf frische Bettwäsche.

Vielleicht, so überlegte er weiter, ließe der Marchese auch mit sich handeln, wenn er ihm darlegte, dass der Baron am Ende war, ja womöglich könnte er auch den Verwalter vom Sacro Monte unter dem Vorwand, die Seele Santafuscas zu retten, davon überzeugen, sich mit der Hälfte der Summe zu begnügen, jedoch Stillschweigen über dieses Entgegenkommen zu wahren.

Don Cirillo sah sein Säckelchen schon immer praller werden, und sein Gesicht, dieser sonst so verbrutzelte Fisch, leuchtete im gelblichen, durch das Fenster hereinfallenden Licht stärker und stärker wie eine alte Goldmünze. Der Baron musste sich auf sein Spielchen einlassen, ob er wollte oder nicht, andernfalls würde er untergehen …

Don Cirillo zog einen gewaltigen Folianten zu sich heran, die Summa theologica des Thomas von Aquin, die ihm als Register und Kassette diente, und begann, mit seinen gelben Fingernägeln die langen Listen seiner Außenstände abzufahren, um sich darüber klar zu werden, welche er sofort eintreiben und welche er zum Pfänden dem alten Cruschello überlassen würde, mit dem ihn seit langem geschäftliche Beziehungen verbanden.

Gierig wanderte sein Blick über die Spalten mit den Beträgen der Anleihen und den dazugehörigen Hinweisen: Bank von Neapel, Staatsrente, Bodenrente, Südbahn, neapolitanische Tramways und so weiter und so fort. In der Mitte des Folianten ersetzten etliche Belege und Pfandbriefe, Garantien, kleinere Schuldscheine, Wechsel und Bürgschaften nunmehr jenes Kapitel, in dem der Doctor Angelicus vom habitus operativus spricht. Don Cirillo nahm den Inhalt an sich, schnürte diesen Schatz aus fettbefleckten Papieren mit einem Band zusammen, klappte das Buch zu, verschnürte auch dieses und verstaute es in einer eisenbeschlagenen Truhe, die er unter seinem Bett aufbewahrte und die mit einer Kette an der Wand befestigt war.

Nachdem er sich den Mantel übergezogen und sein altes Birett aufgesetzt hatte, riegelte er die Tür wie stets sorgsam ab, um sich zu Cruschello zu begeben.

An seinen Belagerern in der Gasse wollte er sich diesmal allerdings nicht vorbeistehlen, im Gegenteil, den alten Kabbalisten verlangte es danach, sie endlich einmal von Herzen zu verhöhnen.

»O Don Cirillo, o heiliger Priester«, jaulte eine zerzauste Greisin, die vor ihrer Tür Wolle spann, »nenn mir drei Zahlen, und die Madonna del Carmine wird dir beistehen.«

»Heh! Priester!«, rief ein Wasserträger und Vater von sieben Kindern. »Wann verrätst du mir die Zahlen?«

»Ach, wenn ich sie nur mit Gewissheit wüsste«, antwortete der Priester, »aber noch bin ich mir nicht ganz …«

»Gib sie mir trotzdem! Alle!«

»Diese Woche wollte es mir einfach nicht glücken, ein Horoskop zu erstellen. Der Saturn am Himmel nimmt die Sicht auf den Steinbock.« Innerlich lachte Don Cirillo schallend, als er sich diesen Ulk mit all den Zauselweibern und anmaßenden Kerlen der Gasse erlaubte. »Versucht halt die 12 und die 77, aber setzt keine hohen Summen, denn die Zahlen sind, wie gesagt, nur ganz schwach zu erkennen.«

»Gott segne dich, du heiliger Mann!«

Daraufhin machte sich dieser heilige Mann lachend durch die Straße davon, wobei sein Mantel im Wind flatterte und ihm der Hut auf dem Kopf tanzte.

Wenn die Zahlen gezogen werden, dachte er bei sich, dann bin ich längst an einem Ort, der eine Stunde von Neapel entfernt ist, noch dazu mit einem echten Terno in der Tasche.

Der arme Priester ahnte nicht einmal, wie falsch er lag.