Einleitung

Das ist, noch immer, das Zeitalter der Emanzipation. Dieses Zeitalter währt schon anderthalb Jahrhunderte. Es begann im Westen mit der Abschaffung der Sklaverei, Mitte des 19. Jahrhunderts. Nicht viel später kam in den westlichen Ländern die Arbeiterbewegung auf, der es nach vielen Kämpfen gelang, für die Lohnabhängigen eine menschenwürdige Existenz zu erringen. Gegen Ende dieses Jahrhunderts kündigte sich die Frauenbewegung mit Kampagnen für das Frauenwahlrecht an. Mitte des vergangenen Jahrhunderts kam es nahezu überall in Asien und Afrika zur Befreiung von der westlichen Kolonialherrschaft. Und vor etwa 50 Jahren manifestierte sich eine neue Welle von Emanzipationsbestrebungen: Frauen, aber auch Schwarze und Homosexuelle nahmen den Kampf für gleiche Rechte und gleiche Würde auf. Das vollzog sich nicht nur im Westen, sondern auch in der außerwestlichen Welt. Natürlich sind Gleichberechtigung und Autonomie noch längst nicht verwirklicht, nicht überall, nicht für alle und nicht in allen Hinsichten.

Das vergangene Jahrhundert war auch eine Epoche der Weltkriege, der Genozide und der Tyrannei. Auch heute noch leiden hunderte Millionen von Menschen unter Kriegen, Massenmorden und Diktaturen. Und dennoch ist die Emanzipation von Milliarden von Menschen weiter vorangeschritten. Ein Jahrhundert, anderthalb Jahrhunderte sind in der Geschichte der Menschheit eine sehr kurze Zeitspanne, gemessen an einem Menschenleben aber eine sehr lange Zeit. Die Einführung des Frauenwahlrechts, in den meisten westlichen Ländern ungefähr vor einem Jahrhundert, ist für die Jugend von heute eine Wegmarke, die ihre Ururgroßmutter wohl in jungen Jahren passiert hat.

In der zweiten feministischen Welle ging es um Gleichbehandlung am Arbeitsplatz und vor dem Gesetz, um das Recht auf Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Das ist ein halbes Jahrhundert her und liegt somit unserer heutigen Realität schon ein gutes Stück näher. Dafür kämpften die Großmütter jener Menschen, die heute studieren oder ihren ersten Job angetreten haben. Diese aufeinander folgenden Emanzipationswellen bilden also einen Teil der Familiengeschichte der jungen Leute von heute.

Die Frauenemanzipation fügt sich in die breitere Emanzipationsgeschichte der vergangenen anderthalb Jahrhunderte ein. Es war keineswegs so, dass diese kämpferischen Frauen auch immer für andere Benachteiligte – für Arbeiter, Kolonialisierte, Schwarze oder Homosexuelle – Partei ergriffen hätten. Und umgekehrt verhielten sich diese anderen Gruppen gewiss nicht immer solidarisch mit den kämpferischen Frauen. Und doch ist all diesen Emanzipationsbewegungen etwas gemeinsam. Sie haben sich allesamt an demselben Funken entfacht: dem revolutionären Gedanken, dass alle Menschen im Prinzip gleichwertig sind. Alle Menschen können demnach auf die gleichen Grundrechte Anspruch erheben; jeder und jede kann – so weit wie möglich – über das eigene Leben verfügen.

All diese Emanzipationsbewegungen weisen noch weitere gemeinsame Züge auf. Sie beginnen stets mit einer Phase allgemeiner Unterdrückung. Schließlich beginnt sich eine kleine Vorhut zu widersetzen. Mit der Zeit gewinnen sie Anhänger und Einfluss, bis sich die Gruppe nach und nach zu einer breiten Bewegung ausweitet. Dieser Vormarsch der Emanzipationsbewegung stößt sodann in der Regel auf den Widerstand all jener, die ihre ererbten Privilegien plötzlich angegriffen sehen. Das wird selten widerstandslos akzeptiert.

Von dieser unnachgiebigen Gegenwehr gegen die Frauenemanzipation, die vorrangig von fundamentalistischen Gläubigen ausgeht,[1] handelt dieses Buch. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, um welchen Glauben es sich handelt. Die zweite Widerstandsfront bilden die Rechtsextremen in der Politik.

Das gesellschaftliche System zur Unterdrückung der Frauen wird meistens als Patriarchat bezeichnet, eine Gesellschaft unter der Herrschaft – vor allem älterer – wohlwollender Männer mit grauen Bärten, die mit füg- und sorgsamen Frauen (ohne Bärte) nur das Beste im Sinn hatten. Aber dem war beileibe nicht so. Mit einem Wort ausgedrückt handelte es sich, schlimmstenfalls, um ein Terrorregime: eine Schreckensherrschaft, in der Frauen von einer despotischen Religion, einer alles erstickenden Kultur und notfalls mit brutaler Gewalt geknechtet wurden. Um diese gewaltsame Unterdrückung geht es im ersten Teil dieses Buches.

Im zweiten Teil geht es um die großen Errungenschaften der Frauen in dieser Zeit. Sie verdanken sich größtenteils der weltweiten Frauenbewegung. Frauen engagieren sich für Selbstbestimmung und Gleichheit im Bildungsbereich, am Arbeitsplatz und in der Politik. Das geschieht heute überall. Der dritte Teil widmet sich einem Thema, das überall dort aufkommt, wo Frauen auf dem Vormarsch sind. Orthodoxe Gläubige, Dschihadisten oder Rechtsextreme: Sie alle wollen die Frauen als Hausfrauen und Mütter im Haus sehen und ihnen ihre Rechte außerhalb des Hauses vorenthalten.

Gegenwärtig geht es dabei nur noch selten um das Frauenwahlrecht, aber immer noch, wie schon seit einem Dreivierteljahrhundert, ist das Recht auf Schwangerschaftsabbruch umstritten. Auch dieses Recht ist eine Form der Selbstbestimmung – über den eigenen Körper: »Mein Bauch gehört mir«, lautete die Losung der niederländischen Gruppe Dolle Mina in den siebziger Jahren, die sich für den Zugang zu Möglichkeiten der Geburtenregelung und zur Beendigung einer Schwangerschaft sowie um Gleichbehandlung und Chancengleichheit für Frauen, die arbeiten und studieren wollten, einsetzte. Eine dritte feministische Bewegung schlägt heute hohe Wellen. Die #MeToo-Kampagnen proklamieren den Anspruch auf Schutz vor unerwünschten Annäherungsversuchen, vor Übergriffen, Vergewaltigungen und allen anderen Formen sexuellen Missbrauchs. Dabei geht es nicht an erster Stelle um Sitte und Moral, sondern um die Möglichkeit für Frauen, sich frei und sicher an all jenen Orten zu bewegen, die bis vor kurzem noch zur Männerwelt gehörten.

Je mehr Frauen den Männern gleichgestellt werden, desto weniger gleichen sie sich untereinander. Wenn Frauen gleichwertig sind und daher dieselben Rechte genießen wie Männer, können sie selbst freier über ihr Leben verfügen. Wenn sie selbst besser entscheiden können, wie sie leben wollen, wird jede von ihnen für sich andere Entscheidungen treffen. Größere Gleichheit zwischen den Geschlechtern bedeutet daher eine größere Verschiedenheit zwischen den Frauen; und sie bedeutet auch größere Verschiedenheit zwischen den Männern.

Noch vor zwei oder drei Generationen war man fest davon überzeugt, zu wissen, was das Wesen einer Frau ausmache, was weiblich und was unweiblich sei, was Frauen konnten und wozu sie niemals in der Lage sein würden. Weil diejenigen, die das Sagen hatten, und das waren fast ausschließlich Männer, sich dessen so sicher waren, sorgten sie auch dafür, dass Frauen keine unweiblichen Dinge taten, die dem Wesen einer Frau zuwiderliefen. Daher durften sie in ihrem Leben nichts tun, was ihrer weiblichen »Natur« entgegenstand. In der Folge entsprach der größte Teil der Frauen tatsächlich den Vorstellungen, die man sich von ihnen gemacht hatte. Das herrschende Vorurteil erwirkt so seine eigene Bestätigung. Darüber ist man sich in der Soziologie und im Feminismus völlig einig.

Um seine Vormachtstellung aufrechtzuerhalten, bedarf das Vorurteil über die Frau eines Vorurteils über den Mann, das einen ebenso starken Zugriff auf die Wirklichkeit hat. Männer und Frauen, die sich ein festes Bild von »der Frau« gemacht haben, müssen dem ein Gegenbild des Mannes gegenüberstellen. Auch dieses männliche Gegenbild formt die Männer nach seinem Ebenbild. Das gefestigte Vorurteil erwirkt auch hier seine eigene Bestätigung: Der Mann ist darin in jeder Hinsicht das Gegenteil der Frau, er ist nicht weibisch, nicht mädchenhaft, nicht schwach oder ängstlich – sondern stark und mutig. Und so wünscht sich die Frau den Mann auch. Also muss dieser Mann genau so sein, in seiner eigenen Wahrnehmung und in der aller anderen.

Eine erstaunliche Konsequenz ungleicher Machtverhältnisse besteht darin, dass diejenigen, die Macht über andere ausüben können, gerade dadurch gezwungen sind, sich auch selbst diesen ungleichen Verhältnissen zu fügen, zumindest in der Öffentlichkeit. Gerade sie müssen sich unzählige Restriktionen auferlegen, die mit ihrer Machtposition verbunden sind und die bestätigen sollen, dass sie tatsächlich und zu Recht die Machthaber sind. Mit anderen Worten, auch Männer sind unter ungleichen Verhältnissen zwischen den Geschlechtern Einschränkungen unterworfen. Sie müssen »Männer« sein und den damit einhergehenden Mustern entsprechen. Schon daraus folgt, dass sich die Befreiung der Frauen auch für Männer befreiend auswirken kann. Sie dürfen dann die Art Mann sein, die am besten zu ihnen passt.

Ich fasse hier in meinen eigenen Worten den Kern eines knappen Jahrhunderts feministischer Theoriebildung zusammen. Das ist im Grunde gar nicht so schwer, denn dieser Kern stimmt größtenteils mit den Grundgedanken der Sozialwissenschaft überein. Gleichwohl handelt es sich, noch immer, um eine radikale Idee.

Vor ein paar Jahren fragte mich eine Studentin, was nun eigentlich der Unterschied zwischen Männern und Frauen sei. Ich bin der Letzte, den man das fragen sollte. Fast alles, was ich vor 60 Jahren über die Natur von Männern und Frauen zu wissen glaubte, ist seither von den Fakten widerlegt worden. Immer wieder zeigt sich, dass Frauen sehr wohl zu Dingen in der Lage sind, von denen wir – Männer wie Frauen – damals sicher zu wissen glaubten, dass sie keiner Frau je gelingen würden. Kurzum, wir wissen immer weniger über die Frau, und daher auch immer weniger über den Mann. Auf der Habenseite lässt sich jedoch verbuchen, dass wir einen immer schärferen Blick für das Besondere bestimmter Menschen – Männern wie Frauen – bekommen, denen wir begegnen. Das hoffe ich zumindest.

Und das freut mich. Ich lebe lieber in einer Welt, in der ich die Menschen, denen ich begegne, wegen ihrer eigenen Verdienste, ihrer besonderen Eigenschaften, ihrer komplizierten, nie völlig ergründbaren, nie völlig vorhersehbaren, innerlich widersprüchlichen, einzigartigen Persönlichkeit wertschätzen kann. Das ist mir lieber, als in einer Welt zu leben, in der von vorneherein feststeht, was für eine Art von Mensch man vor sich hat, sobald man weiß, welcher Gruppe er angehört. Ich will Menschen wertschätzen, weil sie sind, wer sie sind, und nicht aufgrund dessen, was sie sind. Das ist nicht nur eine Frage der Ethik, sondern auch der Freude an meinen Mitmenschen. Ich werde einer Frau viel eher gerecht, wenn ich sie ganz individuell, wenn es einen Grund dafür gibt, als »dumme Nuss« oder Sprücheklopferin bezeichne, als wenn ich sie lapidar mit der Bemerkung »so sind Frauen nun einmal« als »Frau« abtue.

Damit habe ich gleich das ehrenwerteste Motiv angeführt, um ein Buch über die Emanzipation der Frau und den Widerstand dagegen zu schreiben. Ich freue mich über die Emanzipation der Frau, weil Frauen dadurch mehr Raum bekommen, ihr besonderes Ich zu sein. Und das Gleiche gilt für die Männer. So habe ich Gelegenheit, mehr ungewöhnlichen, individuellen Menschen zu begegnen, die darüber hinaus eben auch noch Frauen (oder Männer) sind. Und ich selbst bin auch etwas freier, in dem Labyrinth der Geschlechter meinen eigenen Weg zu finden. Kurzum, die Emanzipation macht mir Freude, auch die Emanzipation der Kolonialisierten, der Schwarzen, der Homosexuellen. Sie befreit mich vom Gruppendenken, verringert den Gruppendruck und versetzt mich in die Lage, mehr Menschen unter ihren eigenen, individuellen Bedingungen begegnen zu können.

Und schon erhebt sich ein skeptischer Einwand: »Schön gesagt. Aber es gibt doch sicher noch andere Gründe, warum du als Mann ein Buch über die Emanzipation der Frau und den Widerstand dagegen schreibst.« Zunächst einmal: Ich schreibe dieses Buch nicht als »Mann«, sondern als »ich«. Darum ging es ja gerade in dem zuvor Gesagten. Dasselbe »Ich« ist unter anderem auch ein Mann, was das in diesem Kontext auch immer genau besagen mag. Und ja, diese Person hat noch alle möglichen anderen Motive, dieses Buch zu schreiben, manche weniger ehrenwert und manche auch ihr selbst unbekannt; manche wurden einst einem berufsmäßigen Zuhörer anvertraut, der sie unter dem Eid professioneller Verschwiegenheit mit ins Grab genommen hat (hier ein Gruß zu seinem Gedenken).

Es hat unbestreitbar etwas Demonstratives, wenn ein Mann für Frauen in die Bresche springt. Oft führt das zur schlimmsten Form von mansplaining: Ein Mann, der den Frauen nicht nur erklärt, wie die Welt aussieht, sondern es dabei auch noch gut mit ihnen meint. Auf der anderen Seite: Wenn man’s drauf anlegt, gibt es immer etwas zu bekritteln.[2]

Diesen Worten von Marja Pruis habe ich nicht viel hinzuzufügen. Jede Befreiungsbewegung kann Unterstützung aus dem anderen Lager gebrauchen. Solange die Überläufer nicht den Ton angeben wollen und die Macht übernehmen, tragen sie zur guten Sache bei. Aber Pruis hat natürlich recht: Man sollte nicht herumkritteln, aber man sollte sie im Auge behalten.

2005 hielt ich einen Vortrag über den Siegeszug der Frauen und den Widerstand, den er in fundamentalistischen Kreisen hervorrief. Dieser Text wurde zu einem leichten Essay über ein gewichtiges Thema.[3] Danach wollte ich mich weiter mit dem Thema auseinandersetzen, und daraus ist dieses Buch entstanden. Ich habe einige Passagen aus dem früheren Essay hier wörtlich oder in überarbeiteter Form übernommen, aber der überwiegende Teil ist neu.

Es gibt Menschen, von denen ich vieles gelernt habe, was mir beim Schreiben dieses Buches hilfreich war, auch wenn ich nicht immer benennen kann, was es genau war. Die erste und wichtigste Person war sicher meine Mutter, Hennie de Swaan-Roos, Tochter der Suffragette Sophie Roos-Vos und selbst schon in jungen Jahren Feministin. In fortgeschrittenem Alter entwickelte sich Hennie in der Aktionsgruppe Dolle Mina zu einer kämpferischen Feministin und setzte sich auch später für die Emanzipation der Frauen ein. Das macht mich also in direkter weiblicher Linie zu einem Nachkommen bedeutender Kämpferinnen für die Frauenrechte. Sollte es also jemals dazu kommen, kann ich mich mit Fug und Recht als Mitglied des niederländischen Matriziats bezeichnen. Als junger Mann war ich über den Aktivismus meiner Mutter für die Sache der Frauen nicht wirklich begeistert. Ich begriff die Notwendigkeit nicht. Dennoch konnte sie mich unerwartet anrühren. Einer Mitstreiterin, die etwas an meinem Lebenswandel auszusetzen hatte, fuhr sie sofort über den Mund: »Das ist mein Sohn, das ist etwas ganz anderes.« Meine Mutter Hennie war eine glühende Aktivistin, aber sie war nicht dogmatisch. Ihr ging es mehr um die Menschen, um Frauen und Männer, als um politische Prinzipien oder theoretische Grundsätze. Sie hatte ein intuitives und treffsicheres Gespür für Unrecht. Wenn ihr ein solches begegnete, konnte sie sich darüber leidenschaftlich – und mitunter auch etwas maßlos – entrüsten.

Ich widme dieses Buch meiner verstorbenen Frau Cindy Kerseborn, die vier Emanzipationskämpfe gleichzeitig ausgefochten hat: als Schwarze, als Immigrantin aus der früheren Kolonie Suriname, als Arbeiterkind und in der Tat als Frau. Eigenwillig, freimütig, kämpferisch und loyal stand sie im Leben.

 

Die Schriftstellerin, Direktorin und Agronomin Louise Fresco kommentierte den ersten Vortrag, den ich zum Thema dieses Buches gehalten habe. Ihr verdanke ich den Hinweis auf die Bedeutung der Klassenverhältnisse, auch in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen.

Job Lisman, Lektor bei Prometheus, war der erste Leser des Manuskripts. Ich habe eine Reihe von Frauen gebeten, die vorletzte Fassung dieses Buches zu lesen und zu kommentieren: Sarah van der Lely, eine angehende Ärztin, Ronit Palache, Autorin und Lektorin, und die Kulturanalytikerin und Videokünstlerin Mieke Bal, die das Manuskript mit sehr feinem Bleistift durchging. Der Theologe und Religionssoziologe David Bos hat den Abschnitt über evangelikale Bewegungen gelesen. Sie alle haben mich genötigt, etliches umzuschreiben. Wofür ich ihnen auch noch dankbar sein soll. Und das bin ich.