Zusammenfassung und Nachbetrachtungen

Gegenwärtig verschieben sich auf der ganzen Welt die Geschlechterverhältnisse. Überall erzeugen diese Veränderungen Spannungen und wecken Widerstand, zurückdrehen lassen sie sich jedoch nicht mehr. Frauen haben größere Entscheidungsfreiheit erlangt und mehr Möglichkeiten, über ihr eigenes Leben zu verfügen. Die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung war und ist die Expansion von Bildung. Frauen haben in der Schule Kompetenzen erworben, mit denen sie besser für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen und besser für ihre eigenen Belange eintreten können. Was Frauen einmal gelernt haben, ist ihnen nicht mehr zu nehmen.

Die Stellung der Frauen unterscheidet sich von Land zu Land. In jedem Land hängt einiges davon ab, welcher Generation diese Frauen angehören – die Jüngsten kommen am weitesten. Es spielt auch eine Rolle, aus welcher gesellschaftlichen Schicht sie stammen – die aus der höchsten kommen am weitesten. Es macht einen Unterschied, ob sie aus einem streng religiösen oder aus einem freisinnigen Milieu stammen – die aus einem liberalen Milieu kommen am weitesten. Von Bedeutung ist auch, ob sie auf dem Land oder in der Stadt leben – die Stadtbewohnerinnen kommen am weitesten.

Vor einigen Jahrhunderten herrschte noch fast überall auf der Welt das klassische Patriarchat. Im Westen ist diese Männerherrschaft zusammengebrochen, und außerhalb der westlichen Welt ächzt und kracht es in allen Fugen. Das Regime männlicher Vormachtstellung wird in diesem Buch als eine Schreckensherrschaft charakterisiert. In einer erdrückenden und in sich geschlossenen Kultur kennt eine Frau den ihr zugewiesenen Platz innerhalb des Hauses, und oft kann sie sich gar nichts Anderes vorstellen. Männer sind gleichermaßen von den patriarchalischen Werten durchdrungen. Frauen, die nicht hören wollen, müssen fühlen. Das funktioniert mithilfe alltäglicher häuslicher Gewalt.

In diesen patriarchalischen Gesellschaften werden auch gravierendere Gewaltmittel eingesetzt, um Frauen kleinzuhalten. Das beginnt bei der Geburt oder sogar schon davor. In einer ganzen Reihe von Gesellschaften entledigt man sich der Mädchen schon bei der Geburt. Heute lässt sich das Geschlecht Ungeborener schon früh mittels Ultraschall feststellen, und so kann man sich der Mädchen noch häufiger bereits vor der Geburt entledigen. Ein klares Zeichen dafür, dass Mädchen als minderwertig oder sogar wertlos gelten.

Noch im Kindesalter müssen Mädchen in etlichen Gesellschaften eine Genitalverstümmelung ertragen. Diese Inzisionen haben oft dauerhafte und gravierende gesundheitsschädliche Folgen. Offenbar werden junge Frauen als von Grund auf unrein und mit einer unbeherrschbaren Sexualität behaftet angesehen, was solche blutigen Eingriffe als erforderlich erscheinen lässt.

Schon in der Pubertät werden Mädchen zur Heirat gezwungen – nicht selten mit ihrem Vergewaltiger –, und häufig werden sie schon sehr jung schwanger. Diese völlig naiven Kindsbräute sind ihren erwachsenen Ehemännern nicht ebenbürtig. Das macht sie in einer Verbindung, die nichts anderes ist als eine legalisierte Form von Pädophilie, umso wehrloser. Solche Kinderehen werden auch im Westen geschlossen, in den USA sogar regelmäßig.

Junge Mädchen, die mit Jungs flirten und ihnen schöne Augen machen, werden bestraft, indem ihnen ihr Augenlicht geraubt und ihr Gesicht verätzt wird. Nach einer solchen Attacke können sie selbst nicht mehr sehen, und sie sind auch nicht mehr »ansehnlich«. Derartige Säureattacken gehen oft auf das Konto junger Männer, die sich, meistens im Auftrag der Familie, zu Sittenwächtern und Strafvollstreckern aufschwingen. Sehr oft kommen die Täter ungestraft davon; das Signal wird jedoch allerorts gehört: Mädchen müssen sich züchtig und zurückhaltend verhalten, sonst werden sie mit Blendung und Verstümmelung bestraft.

Von frühester Jugend bis ins fortgeschrittene Alter sehen sich Frauen dem Risiko einer Vergewaltigung ausgesetzt. Diese Gewalttat ist nicht selten die Strafe für eine rebellische Frau, die sich nicht an die herrschenden Moralvorstellungen gehalten hat. Die Vergewaltigung ist oft ein Akt, der vor allem ihren Vater oder Ehemann treffen soll: Er kann nicht einmal seine eigene Tochter, seine eigene Frau beschützen, er ist also ebenso macht- und wertlos wie sie. Vergewaltiger kommen nur allzu oft davon, ohne belangt zu werden. Es kommt sogar regelmäßig vor, dass nicht der Täter, sondern das Opfer, also die Frau, für unsittliches Verhalten oder Ehebruch bestraft wird. In größerem Maßstab haben Massenvergewaltigungen durch die siegreichen Truppen in Kriegszeiten eine ähnliche Funktion, sie dienen dazu, die besiegte Bevölkerung zu demütigen und zu paralysieren, indem man sich ihre Frauen »nimmt«.

Die theatralischste Strafe für eine Frau, die gegen den Zwang des Patriarchats aufbegehrt, ist der Ehrenmord. Eine Frau, die sich weigert, einen Mann, der für sie ausgewählt wurde, zu heiraten, die ihrem Mann wegläuft, die ein Verhältnis mit einem anderen hat, die von ihrem Glauben abfällt, oder die einfach nur arbeiten oder studieren will, riskiert in einigen Gesellschaften ihr Leben. Oft ist es die Familie der Frau, die den Stab über sie bricht, weil ihr Fehlverhalten ihrer Familie und ihren Verwandten Schande bereitet hat. Ehrenmorde kommen regelmäßig vor, auch in Immigrantenmilieus westlicher Gesellschaften. Hier gilt ebenfalls: Alle Frauen im weiteren Umkreis werden diese Warnsignale nur allzu gut verstehen.

Die westliche Variante, die darüber hinaus auch in Lateinamerika noch häufiger vorkommt, ist das crime passionnel, das Verbrechen aus Leidenschaft durch den eifersüchtigen Ehemann, der seine Frau in einem Anflug blinder Raserei tötet. Hier handelt es sich nicht um einen gemeinsamen vorsätzlichen Racheakt wie beim wohl bedachten Ehrenmord. Es geht um den betrogenen Mann selbst, der aus einem Impuls heraus Rache nimmt. Bis vor Kurzem galt im Strafrecht der eifersüchtige Furor als mildernder Umstand. Auch heute noch kommen in vielen Ländern die Täter bei den Gerichtsherren gnädig davon.

 

Das ist die gewalttätige Kehrseite des Patriarchats. Auf diese Weise werden Frauen, wenn es darauf ankommt, auf ihren Platz verwiesen. Dennoch bröckelt die Männerherrschaft allerorten. Durch die Mechanisierung und Automatisierung der Produktion spielt physische Kraft eine immer geringere Rolle, und entsprechend verliert diese angeborene Überlegenheit der Männer gegenüber den Frauen an Bedeutung. Stattdessen ist die Schulbildung auf dem Arbeitsmarkt und auf dem Heiratsmarkt viel bedeutsamer geworden. Im 20. Jahrhundert sind immer mehr Kinder immer länger zur Schule gegangen; zuerst die Jungen, doch mittlerweile haben die Mädchen sie auf allen Niveaus eingeholt. Im Westen war diese Entwicklung schon seit anderthalb Jahrhunderten im Gange. In der außerwestlichen Welt, in den Ländern, die sich vom westlichen Kolonialismus befreit haben, setzte sie vor einem halben Jahrhundert ein. Zunehmender Wohlstand trug dazu bei, dass sich Bildung weiter verbreitete und sich die Bildungszeit verlängerte. Die Schule ist der große Gleichmacher der Geschlechter.

Heute nehmen nahezu überall auf der Welt fast ebenso viele Frauen wie Männer Bildungsangebote – von der Grundschule bis zur Universität – wahr. Hier ist der Gender-Gap, die Kluft zwischen den Geschlechtern, weitgehend geschlossen. Auch was die Gesundheitsversorgung betrifft, unterscheiden sich die Indexzahlen für beide Geschlechter nur wenig (Frauen haben allerdings eine um einige Jahre höhere Lebenserwartung). Gekämpft wird heute vor allem um das Recht der Frau, selbst zu entscheiden, ob sie schwanger werden will und ob sie eine Schwangerschaft austragen will: um den Zugang zu Verhütungsmitteln und einen sicheren Schwangerschaftsabbruch.

In der Arbeitswelt stehen Frauen heute zwar so gut wie alle Berufe offen. Gleichwohl erhalten sie immer noch nicht den gleichen Lohn für gleiche Arbeit: Selbst unter Berücksichtigung aller Faktoren bleibt eine Differenz, die sich allein aus der Geschlechterdifferenz herleiten lässt. Frauen steigen auch nicht so leicht in höhere Positionen auf. Trotz großer nationaler Unterschiede lässt sich dieses Muster weltweit erkennen. Es wird besser, aber diese Verbesserung geht nur sehr langsam vonstatten.

Frauen ist es in den vergangenen 50 Jahren fast überall gelungen, Machtpositionen in Regierungen und staatlichen Behörden einzunehmen. Doch allzu oft stießen sie dabei auf überraschend heftige Widerstände. Das Streben nach Macht in der Politik und Verwaltung wird Frauen allerorts und immer wieder – von Männern wie von Frauen – übelgenommen, während die gleichen Ambitionen einem Mann zum Vorteil ausgelegt werden. Alle Menschen, aber vor allem Männer, tun sich noch immer schwer mit Frauen als Führungspersönlichkeiten.

Wir leben unverkennbar im Zeitalter der Frauenemanzipation. Im Verhältnis zwischen den Geschlechtern vollzieht sich ein zwar langsamer, aber tiefgreifender und weltweiter Umbruch zu mehr Gleichheit. Das ruft Widerstand hervor. Dieser ist in linken und nichtreligiösen Kreisen etwas geringer. Doch auch dort gärt die Ablehnung – in aller Regel unterschwellig. In extrem rechten und orthodox-religiösen Milieus hingegen wütet der Widerstand gegen den Siegeszug der Frauen viel heftiger. Das extremste Beispiel für den Kampf gegen die Frauen bietet der gewaltsame Dschihadismus des Islamischen Staates und anderer militanter Islamisten. Der IS kämpft für ein Weltkalifat, das alle Muslime unter einer Herrschaft vereint. In diesem Kalifat soll die Scharia, die Gesamtheit der islamischen Verhaltensregeln, uneingeschränkt gelten. Die Dschihadisten verwenden sie als eine Art Gesetzbuch, in ihrer strengsten und reaktionärsten Auslegung. In ihrer Interpretation der islamischen Traditionen kommen die Frauen schlecht weg. Gegen weibliche Kriegsgefangene gehen die Kämpfer des IS mit äußerster und obszöner Gewalt vor. Die Dschihadisten degradieren den Islam zu einer Art religiöser Pornographie. Hier wütet der Krieg gegen die Frauen um die Wiedergewinnung des Patriachats in seiner reinsten Form.

Ähnliche patriarchalische Züge sind unverkennbar auch in den orthodoxen Ausprägungen anderer Religionen zu beobachten, wenn auch in etwas weniger extremer und gewalttätiger Form. Wo sie Gelegenheit dazu erhält, führt die katholische Kirche in Lateinamerika – und nicht nur dort – den Kampf gegen Verhütung und Schwangerschaftsabbruch, gegen Ehescheidungen und Homosexualität. Der Macho-Marianimus der Kirche erlegt den Frauen eine extreme Duldsamkeit und Keuschheit auf, den Männern hingegen gesteht sie alle Eskapaden zu.

Die evangelikalen Kirchen in den USA erleben seit den 1950er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Blütezeit. Dank ihrer intensiven Missionstätigkeit wächst ihre Anhängerschaft in Lateinamerika und Afrika. Ihre Auffassungen über Sexualität und Fortpflanzung, die früher vergleichsweise liberal waren, haben sich inzwischen sehr verengt. Gegen Schwangerschaftsabbruch und Homosexualität wettern die evangelikalen Prediger noch vehementer als die katholischen Priester. Auch in den evangelikalen Kirchen geht es unverkennbar um den Erhalt oder die Wiederherstellung patriarchalischer Verhältnisse.

 

Der Kampf gegen Frauen ist zwar ohne Religion möglich, aber nicht mehr ohne das Internet. In ihm tummelt sich heute die Rechte. In der neuen Welt des Rechtsextremismus ist der höchste Wert das Volk: Dieses Volk wird vor allem über die Personengruppen definiert, die nicht dazu zählen: Schwarze, Indigene, Latinos, Juden, Muslime, Immigranten oder wer sonst dieser oder jener Splittergruppe nicht passt. Auf dem extrem rechten Flügel finden sich alte und neue Nazis sowie weiße Suprematisten, die allesamt zu strikter Rassentrennung und weißer Vorherrschaft zurückwollen. Eine Reihe kleiner gewaltbereiter Schlägertrupps sucht die gewalttätige Auseinandersetzung auch tatsächlich auf der Straße, bei Demonstrationen und Zusammenkünften. Weniger gewalttätig und etwas verhohlener in ihrem Rassismus und Antisemitismus ist die weiße identitäre Bewegung, die sich mit dem Argument, den westlichen Ländern drohe eine »Umvolkung«, um das Überleben der weißen Rasse sorgt.

Direkt unter dem Rassismus und der Verherrlichung der weißen Nation liegt der Widerstand gegen die Emanzipation der Frauen, schließlich setzt sich das Volk aus weißen Kernfamilien zusammen, in denen der Mann den Lebensunterhalt verdient. Er muss seine Familie und sein Volk gegen Bedrohungen von außen beschützen. Sie bleibt im Haus und sorgt für Mann und Kinder. Zum Fortbestand des Volkes gebiert sie weiße Babys. Es ist ihre Berufung, ihren Mann im Kampf zu unterstützen, indem sie für ihn sorgt und ihm gehorcht.[247]

Freiheraus und unverhohlen gegen Frauen gerichtet ist die virtuelle Mannosphäre, in der sich junge Männer gegenseitig darin überbieten, Frauen zu verhöhnen, zu beleidigen und wie den letzten Dreck zu behandeln. Auf diesen Websites können sie von Verführungsexperten lernen, wie sie eine Frau ins Bett bekommen. Ein Mann muss knallhart sein, sie immer wieder demütigen und sich niemals an eine einzige Frau binden. Das kommt – wenn überhaupt – viel später, wenn die Zeit für eine anständige, traditionelle Familie gekommen ist, in der eine keusche Ehefrau ihren Platz kennt.

Im weltweiten Netz sind auch die Incels unterwegs, unfreiwillige Singles, denen es ihren eigenen Aussagen zufolge nicht gelingt, eine Frau zu kriegen, zumindest nicht die »heißen Bräute«, auf die sie ein Anrecht zu haben glauben. Darüber sind sie sehr entrüstet, schließlich steht es ihnen zu, dass eine Frau, eine attraktive Frau, auf ihre Annäherungsversuche eingeht. Einer dieser Incels hat aus Wut über seine Zurückweisung ein Blutbad unter zufälligen Passanten angerichtet. Seine Tat wurde auf diesen Sites verherrlicht, was wiederum andere zu ähnlichen Gemetzeln inspiriert hat. Geschiedene Männer finden sich auf speziellen Websites in ihrem Groll über Scheidungen zusammen, die für sie sehr unglücklich verlaufen sind. Sie wollen es fortan ohne Frauen schaffen, als »Männer, die ihren eigenen Weg gehen«.

Diese bunte Unterwelt der Frauenhasser, die sich nach willigen und gefügigen Frauen zurücksehnen, existiert fast ausschließlich virtuell, auf Websites und in Chatrooms. Der harte Kern ist oft nicht groß, er umfasst ein paar Tausende, vielleicht Zehntausende. Kurzfristige oder einmalige Besucher dieser Seiten kommen und gehen zu Hunderttausenden. Diese Flaneure sind wahrscheinlich nur zu einem geringen Teil Anhänger. Die meisten surfen als Voyeure oder Gaffer munter weiter zu anderen obszönen oder völlig überdrehten Treffpunkten.

Doch es existiert auch noch die wirkliche Welt, in der echte Menschen leben und Worte manchmal reale Folgen haben können. Von Zeit zu Zeit ziehen rechtsextreme Milizen auf der Straße gegen die »Antifas« in den Kampf. Dann fließt Blut, und manchmal gibt es sogar Tote. Ein einzelner Wirrkopf nimmt das konfuse Zeug im Internet wörtlich, zieht los und richtet ein Gemetzel unter real existierenden Menschen an.

Extreme Auffassungen, die noch vor fünf oder zehn Jahren lediglich Randerscheinungen waren, auf Websites, die regelmäßig blockiert wurden, sind in den vergangenen Jahren im Mainstream der öffentlichen Meinungsbildung angekommen. Auch dank Politikern, die am rechten Rand mit dem Rechtextremismus im Internet kokettieren, ohne diesen rundheraus zu unterstützen: Politiker wie Donald Trump in den USA oder Thierry Baudet in den Niederlanden sind Beispiele für solche unverbindlichen Flirts mit Sexisten, Rassisten und Faschisten, die sich dadurch zunehmend im politischen Mainstream repräsentiert sehen.[248]

 

Warum ruft die Frauenemanzipation so viel Widerstand hervor? Woher kommt der Hass auf Frauen? Um die Psychodynamik des Frauenhasses zu verstehen, bedarf es mehr als nur ein paar Ergüsse im Netz. Auffassungen und Verhaltensweisen von politischen Gegnern zu erklären, ist an sich schon bedenklich. Linke Intellektuelle verspüren selten die Neigung, tiefenpsychologische Erklärungen für ihre eigenen Überzeugungen und ihr eigenes Auftreten zu suchen. Was sie denken, bedarf aus ihrer Sicht keiner Erklärung, schließlich steht ihre Gedankenwelt in Einklang mit der Realität, ist »wirklichkeitsadäquat«.[249] Dass ihren progressiven Ideen und Praktiken vielleicht ein narzisstischer Größenwahn zugrunde liegen könnte, würden sie als pseudopsychologische Spinnerei entrüstet von sich weisen. Und das in den meisten Fällen wahrscheinlich sogar zu Recht. Das Deuten des politisch »Anderen« stellt also schon per se einen Akt subtiler verbaler Aggression dar. Es ist eine überhebliche Art und Weise, die Meinungen eines Anderen nicht ernst zu nehmen.

Manche Äußerungen sind allerdings so extrem, so fanatisch, so bar jeglichen Realitätssinns, dass sie tatsächlich nicht ernst zu nehmen sind. Der Verdacht, dass dabei noch etwas anderes eine Rolle spielt, drängt sich förmlich auf. Es ist der extreme Charakter dieser Äußerungen, der eine Erklärung erfordert. Eine solche Erklärung verweist häufig auf soziale Bedingungen und psychische Beweggründe, die der Fanatiker selbst nicht durchschaut, wohl aber derjenige, der ihn erklärt. Das ist eine prekäre und prätentiöse Stellungnahme, aber eine, die für den Versuch besseren Verständnisses unvermeidlich ist.

 

Der Widerstand gegen die Frauenemanzipation fügt sich nahtlos in ein »Allgemein Menschliches Muster«. Keine herrschende Gruppierung gibt ihre überlegene Position widerstandslos auf. Die Sklaverei wurde in den USA erst nach einem verheerenden Bürgerkrieg abgeschafft. Die Arbeiterbewegung führte einen Klassenkampf, der immer wieder zu tödlichen Konfrontationen und sogar regelrechten Revolutionen führte. Kolonialisierte Völker erlangten ihre Unabhängigkeit in der Regel erst nach einem blutigen Befreiungskampf. Im Vergleich verläuft die Emanzipation der Frauen noch ziemlich friedlich, Gleiches gilt für die Emanzipation der Homosexuellen. In den Ländern, in denen das Patriarchat noch besteht, fallen jedoch jährlich viele Tausende, wenn nicht gar Zehntausende Frauen der Unterdrückung zum Opfer, und auch viele Homosexuelle müssen dort ihre sexuelle Orientierung mit ihrem Leben bezahlen.

Männer, die ihre Herrschaft über Frauen allmählich schwinden sehen, erleben das als herben Ehrverlust, ganz abgesehen von all den praktischen Vorteilen und Privilegien, die sie damit aufgeben müssen. Wer seine Überlegenheit einbüßt, sieht sich, auch und vor allem gegenüber anderen Männern, in seiner Ehre verletzt. Es ist beschämend, nicht länger die Oberhand über seine Frau zu haben, umso mehr in Familien, in denen Väter und Onkel dazu durchaus in der Lage waren, und in denen das bis vor Kurzem noch selbstverständlich erschien. Dieser Statusverlust erklärt schon zu einem guten Teil, warum es viele Männer als Kränkung erleben, wenn Frauen ihre Position in der Gesellschaft verbessern.

Es gibt noch andere, tiefer gehende Erklärungen, die vor allem auf psychoanalytische Vorstellungen zurückgehen. Dabei geht es um unbewusste Ängste. Wenn ein Mann eine Frau nicht zu zähmen weiß oder sie nicht auf Distanz halten kann, wenn sie ihm also zu nahe kommt, wird sie ihn weich, schwach, weibisch machen. Sie wird ihn seiner Männlichkeit berauben. Oder, in der Symbolsprache der Psychoanalyse gesprochen: Sie wird ihn kastrieren.[250] Diese Erkenntnis erscheint mir plausibel zu sein.

Aber wenn sich dieser Mann seiner Ängste schon selbst nicht bewusst ist, wie sollte dann ein Beobachter von außen dieser gewahr werden? Die mannistischen Websites, auf denen sich Männer in der Gewissheit ihrer Anonymität so hemmungslos gehen lassen, geben einen gewissen Einblick in Männerfantasien und -ängste. Die Warnungen vor One-itis offenbaren eine Angst, einer Frau zu nahe zu kommen: eine Bindungsangst. Es ist die Furcht davor, dass eine Frau diesem Mann alles nehmen wird: sein Geld, sein Ansehen, seine Kinder. Kurzum, sie wird ihn entmannen. Solange man darüber in Gesellschaft anderer Männer gehässig herzieht, beruhigt man sich selbst, dass es noch nicht so weit gekommen ist. Man ist noch ein Mann, sicher unter Männern.

 

Mögen viele Männer auch noch so ängstlich und wütend darüber sein, dass Frauen ihnen gleichberechtigt sein sollen, dieser Aufstieg ist auf Dauer nicht aufzuhalten. Frauen werden immer häufiger auf Spitzenpositionen in Wirtschaft und Machtpositionen in Politik und Verwaltung vordringen. Die meisten Frauen werden wie die Männer den Großteil ihres Lebens außer Haus arbeiten. Damit wird es für Männer und Frauen unvermeidlich, eine Lösung für die Aufgabenverteilung innerhalb der Familie zu finden. Das ist viel verlangt und fordert vielleicht die größte Anpassungsleistung. Die Rollenverteilung in der traditionellen bürgerlichen Familie hatte den Vorteil einer klaren Zuschreibung: Männer wirkten außer Haus, Frauen im Haus. Männer waren die Überlegenen, Frauen die Unterlegenen, die Kinder galten am wenigsten. Für das Familienleben lag ein vollständig durchgeschriebenes gesellschaftliches Drehbuch bereit, mit Regieanweisungen für jede denkbare häusliche Szene. Im Gegensatz zu diesem »Befehlshaushalt« hat sich in westlichen Gesellschaften, wie oben ausgeführt, ein »Verhandlungshaushalt« entwickelt, in dem die Rollenverteilung weniger festgefügt ist.[251] Es gibt eine große Bandbreite möglicher Aufgaben- und Positionsverteilungen. Doch jede Regelung bedarf der Zustimmung aller Parteien. In heutigen westlichen Gesellschaften hat sich dieses Prinzip eines mutual consent überall als Grundregel für die Gestaltung intimer Beziehungen durchgesetzt, ob es sich nun um homosexuelle Beziehungen oder erotische Annäherungsversuche, sadomasochistische Inszenierungen (in denen einander vorgespielt wird, dass es diese Zustimmung nicht gibt) oder alltägliche Absprachen zwischen Ehepaaren handelt.

Die Verschiebung vom Befehlshaushalt zum Verhandlungshaushalt zeigt sich auch in anderen Kontexten, zum Beispiel zwischen Vorgesetzen und Untergebenen in Organisationen oder zwischen Amtsinhabern und Bürgern in der örtlichen Politik. Das Spektrum sozial akzeptabler Lösungen nimmt zu. Aber diese gesteigerte Akzeptanz geht auch immer mit einer Begrenzung einher: Um zu beidseitiger Zustimmung zu gelangen, muss den Wünschen des Anderen Rechnung getragen werden. Für Männer, die früher die Überlegenen waren, überwiegt in diesen Beziehungen die Einschränkung, die ihnen die Verhandlungseinstellung auferlegt. Für Frauen, die früher die Unterlegenen waren, überwiegt der Gewinn an Freiheit.

 

In den meisten westlichen Ländern dürfen und können Frauen heute deutlich mehr als früher – und auch viel mehr als Frauen in vielen außerwestlichen Gesellschaften. Das bleibt bei Frauen, die in traditionellen Verhältnissen leben, nicht unbemerkt. Jedes Mal, wenn diese Frauen im Internet oder im Fernsehen sehen, dass Frauen anderswo unbegleitet auf die Straße, zur Schule oder zur Arbeit gehen können, ein Café oder Kino besuchen, Motorradfahren oder Judo lernen oder gemischte Schwimmbäder besuchen, ist damit der Beweis erbracht, dass all dies möglich ist. Wenn eine Frau Astronautin wird, als bildende Künstlerin Weltruhm erwirbt, den Nobelpreis für Wirtschaft verliehen bekommt, einen Weltkonzern leitet oder als einzige den 200-Meilen-Lauf absolviert, dann hören junge Frauen überall auf der Welt in den sozialen Medien und den Nachrichten davon. Und jedes Mal ist damit das Narrativ vom Unvermögen der Frauen widerlegt und ein neuer Beweis dafür erbracht, zu welchen Leistungen Frauen fähig sind. Doch wenn Frauen in Island und Nicaragua das können, dann können Frauen in Mali und Saudi-Arabien das auch. Und dann werden sie es versuchen. Daher ist die Emanzipation der Frauen, davon bin ich überzeugt, weltweit nirgendwo mehr aufzuhalten.