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ERNÄHRUNG UND KLEIDUNG

 

Burgen in Trümmern, das Werk von Riesen zerfallen.

Zerstört sind die Dächer, die Türme umgestürzt,

Aufgebrochen das Gittertor: Frost im Mauerwerk,

Decken klaffend, weggerissen, eingestürzt,

Vom Alter zerfressen …

The Ruin, unbekannter angelsächsischer Autor

des 8. Jahrhunderts

 

 

Kochen ist die älteste, einfachste Form der angewandten Chemie – es verändert gezielt die chemische Zusammensetzung von Stoffen. Die knusprige Bräunung auf der Außenseite eines gegrillten Steaks und die Goldkruste eines Brotlaibs sind beide auf eine chemische Veränderung zurückzuführen, die als Maillard-Reaktion bezeichnet wird. Eiweiße und Zucker in der Nahrung reagieren miteinander und erzeugen dabei eine breite Palette neuer, wohlschmeckender Verbindungen. Aber Kochen dient viel grundlegenderen Zwecken, als Nahrungsmitteln bloß einen appetitlicheren Geschmack zu verleihen, und es spielt die entscheidende Rolle, wenn es darum geht, die Überlebenden nach der Apokalypse gesund und wohlgenährt zu erhalten.

Die Kochhitze tötet sämtliche Erreger und Parasiten ab, verhindert also eine Lebensmittelvergiftung durch Mikroben oder auch Infektionen zum Beispiel mit dem Schweinebandwurm. Kochen macht zudem zähe oder faserige Nahrungsmittel weich und zerlegt komplexe Moleküle in einfache Verbindungen, die leichter verdaut und absorbiert werden können. Dies erhöht den Nährstoffgehalt von Nahrungsmitteln und versetzt unseren Körper in die Lage, aus demselben Volumen essbarer Stoffe mehr Energie zu gewinnen. Und in einigen Fällen, wie bei Taro, Maniok und Wildkartoffel, werden durch längere Hitzeeinwirkung pflanzliche Gifte inaktiviert; andernfalls wäre, um den Extremfall Maniok zu nehmen, schon eine einzige Mahlzeit tödlich.

Kochen ist nur eine Art der Weiterverarbeitung, die wir auf Nahrungsmittel anwenden, bevor wir sie verzehren. Die Fähigkeit, Nahrungsmittel nach der Ernte für längere Zeit sicher zu konservieren, ist eine grundlegende Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Zivilisation. Sie erlaubt es, landwirtschaftliche Produkte von den Feldern oder Schlachthäusern in Städte zu transportieren, um eine Vielzahl von Menschen zu ernähren, und sie ermöglicht die Vorratshaltung für karge Zeiten. Nahrungsmittel verderben durch die Einwirkung von Mikroben – Bakterien und Schimmelpilzen –, die sie abbauen und ihre chemische Zusammensetzung verändern beziehungsweise nicht verwertbare Abbauprodukte freisetzen, die übelschmeckend oder für den Menschen sogar unmittelbar giftig sind. Die Konservierung von Nahrungsmitteln soll diese mikrobielle Zersetzung verhindern oder den Prozess zumindest möglichst lange hinauszögern. Dies geschieht durch gezielte Modifizierung der Bedingungen im Essen, und zwar derart, dass diese dem Wachstum der Mikroorganismen so wenig förderlich wie möglich sind. Im Grunde versucht man die Mikrobiologie der Nahrung zu kontrollieren: Man will die Vermehrung von Mikroorganismen verhindern oder setzt gezielt gewisse Mikroben ein, um andere, unerwünschte Stämme daran zu hindern, Fuß zu fassen. In einigen Fällen wird die auf mikrobieller Vermehrung beruhende Fermentation auch gezielt gefördert, um die komplexen Nahrungsmoleküle aufzuspalten, so dass unser Körper die Nährstoffe leichter aufnehmen kann. Die Biotechnologie ist daher keineswegs eine moderne Neuerung: Vielmehr ist sie eine der ältesten Erfindungen der Menschheit.

Die Technologie, die uns mit all diesen Fähigkeiten ausgestattet hat – das sorgfältige Zubereiten von Nahrungsmitteln durch Sieden oder Braten, Fermentation und langfristige Konservierung –, war das Brennen von Ton zu Steingut-Töpfen. Dies hatte weitreichende Auswirkungen für uns als Spezies. Das menschliche Verdauungssystem kann anders als der mehrteilige Magen von Wiederkäuern wie zum Beispiel Kühen zahlreiche Nahrungsmittel nicht besonders gut aufschließen, und daher setzen wir Technologien ein, um die natürlichen Fähigkeiten unseres Körpers zu ergänzen. Irdene Gefäße, die bei der Fermentierung oder beim Kochen als Behälter für Nahrungsmittel verwendet werden, um weitere Nährstoffe freizusetzen, dienen daher als zusätzliche, äußere »Mägen« – ein technologisches Vorverdauungssystem.

Die moderne Küche – der Höhepunkt kultivierter Verfeinerung mit all ihren Marinaden, Confits und Gewürzen – ist nicht mehr als eine oberflächliche Verzierung der grundlegenden Notwendigkeit, sicherzustellen, dass uns Nahrungsmittel nicht vergiften und dass möglichst viele Nährstoffe leicht vom Körper aufgenommen werden können. Dies ist kein Kochbuch, also werden wir uns nicht mit Rezepten oder detaillierten Anweisungen, sondern mit den allgemeinen Prinzipien der Konservierungs- und Verarbeitungsmethoden befassen, die man für den postapokalyptischen Wiederaufbau verstehen muss.

 

Lebensmittelkonservierung

 

Die Konservierung von Lebensmitteln berücksichtigt die Umweltbedingungen, welche Mikroben, ja sämtliche Lebensformen benötigen, um sich gut zu entwickeln und zu vermehren. Doch die traditionellen Techniken, die wir uns genauer ansehen werden, wurden über längere Zeiträume durch Versuch und Irrtum entwickelt, weit vor der Entdeckung der unsichtbaren Mikroorganismen, die die Zersetzung verursachen (selbst die moderne Praktik der Konservendose wurde vor dem Nachweis der Keimtheorie eingeführt). Man stellte fest, dass diese Techniken funktionierten, konnte sich aber nicht erklären, wieso. Die Bewahrung dieses »Wissenskeims« wird nach der Apokalypse äußerst nützlich sein, um eine zuverlässige Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen und die Ansteckung mit Infektionskrankheiten zu verhüten – beides ist von entscheidender Bedeutung, will man nach der Katastrophe langfristig ein Bevölkerungswachstum gewährleisten.

Nicht nur braucht alles Leben auf der Erde flüssiges Wasser, um zu wachsen und sich fortzupflanzen, hinzu kommt, dass Organismen nur eine bestimmte Bandbreite physikalischer oder chemischer Bedingungen tolerieren. Genauer gesagt sind die Enzyme in einer Zelle – jene molekulare Maschinerie, die die biochemischen Reaktionen antreibt und die Lebensprozesse koordiniert – nur innerhalb einer bestimmten Schwankungsbreite der Temperatur, des Salzgehalts und des pH-Werts aktiv (der pH-Wert gibt an, wie sauer oder alkalisch eine Flüssigkeit ist). Die Konservierung lässt sich dadurch erreichen, dass man einen dieser drei Faktoren von dem Optimum für mikrobielles Wachstum wegbewegt.

Die leichteste Methode zur Konservierung von Lebensmitteln besteht darin, sie zu trocknen. Ohne Wasser in ausreichender Menge können sich Mikroben kaum vermehren (aus diesem Grund ist es so wichtig, geerntetes Getreide zu trocknen, ehe man es in Silos einlagert). Die traditionelle Technik ist das Trocknen an der Luft oder in der Sonne, was sich für Früchte wie Tomaten, aber auch für Fleisch eignet, etwa um Dörrfleisch wie Biltong oder Beef Jerky herzustellen, aber es ist auch ein langwieriger Prozess, der für große Mengen an Nahrungsmitteln kaum in Frage kommt.

Ohne für gewöhnlich als getrocknet zu gelten, werden viele andere Nahrungsmittel ebenfalls dadurch konserviert, dass man ihnen Wasser entzieht. Die Verwendung einer großen Menge löslicher Verbindungen wie etwa Zucker macht eine Lösung hoch konzentriert, und diese entzieht den Zellen der Mikroben Wasser, so dass das Wachstum selbst der widerstandsfähigsten Stämme gehemmt wird. Dies ist das einfache Prinzip, das Marmeladen zugrunde liegt – der süße Fruchtaufstrich schmeckt morgens hervorragend auf Toast, aber der eigentliche Grund für die Herstellung von Konserven besteht darin, Früchte durch die antimikrobielle Wirkung der konzentrierten Zuckerlösung vor dem Verderben zu schützen. Zucker wird aus tropischem Zuckerrohr oder aus der Wurzelknolle der in gemäßigtem Klima gedeihenden Zuckerrübe gewonnen, und zwar indem man Wasser durch die zerquetschten Pflanzen sickern lässt, um den Zucker zu lösen, und indem man anschließend durch Trocknen die Zuckerkristalle zurückgewinnt. Aus demselben Grund ist Honig extrem lange haltbar.

Der menschliche Körper benötigt geringe Mengen Salz, damit alle physiologischen Prozesse reibungslos ablaufen – genau deshalb haben wir ein starkes Verlangen danach –, zu Konservierungszwecken ist allerdings eine viel größere Menge erforderlich. Gesalzene Nahrungsmittel werden auf die gleiche Weise gegen Verderbnis geschützt wie Konserven: Konzentrierte Salzlaken entziehen Zellen Wasser und hemmen so das mikrobielle Wachstum. Frisches Fleisch lässt sich ausgezeichnet konservieren, indem man es mehrere Tage in Trockensalz packt oder in einer hochkonzentrierten Salzlake einlegt – etwa 180 Gramm Salz, gelöst in einem Liter Wasser, erzeugen eine Salzlösung, die etwa fünfmal so konzentriert ist wie Meerwasser. Einsalzen war während der gesamten Menschheitsgeschichte eine der wichtigsten Konservierungstechniken, so dass es sich lohnt, sich eingehender damit zu befassen.

Grundsätzlich ist die Salzgewinnung kinderleicht, vorausgesetzt, man lebt in Küstennähe. Meerwasser enthält etwa 3,5 Prozent gelöste Feststoffe, wobei der allergrößte Teil davon auf Kochsalz (Natriumchlorid) entfällt, das sich durch Verdampfen der wässrigen Lösung gewinnen lässt. In sonnigen Klimazonen kann man Meerwasser auch einfach in flache Becken leiten, so dass es in der Tageshitze verdunstet und eine Kruste von auskristallisiertem Salz zurücklässt. Bei sehr kalten Temperaturen kann man Meerwasser in flachen Tümpeln gefrieren lassen, wobei am Boden eine konzentrierte Salzlake zurückbleibt. Unter gemäßigten Klimabedingungen hingegen, wie sie das ganze Jahr über in weiten Teilen Europas und Nordamerikas vorherrschen, muss man salzhaltiges Wasser in großen Bottichen erhitzen, um das Wasser zu verdampfen. Im Fall von Salz ist daher die Verfügbarkeit des wertvollen Gutes nicht auf die Seltenheit der Substanz selbst zurückzuführen – drei Viertel der Erdoberfläche sind von Salzlösung bedeckt –, sondern auf den Energieaufwand zur Gewinnung großer Mengen oder das Auffinden abbauwürdiger Vorkommen.

Das Einsalzen wird oft in Verbindung mit einer anderen Konservierungstechnik verwendet, bei der an sich giftige, antimikrobielle Substanzen erzeugt werden, die das Produkt, oftmals Fleisch oder Fisch, durchsetzen – der Vorgang des Räucherns. Wie wir im nächsten Kapitel sehen werden, entsteht bei der unvollständigen Verbrennung von Holz eine breite Palette von Verbindungen; eine Gruppe davon, Kreosot, ist verantwortlich für den unverwechselbaren Geschmack und die fäulnishemmende Wirkung des Räucherns. Sie können sich sehr leicht eine kleine Räucherkammer bauen. Heben Sie ein Erdloch für ein kleines Feuer aus, über das Sie eine Metallabdeckung legen, sowie einen flachen Graben, der ein oder zwei Meter zur Seite verläuft und ebenfalls mit Brettern und Erdreich abgedeckt wird, um den Rauch zu kanalisieren. Am offenen Ende des gedeckten Grabens, wo der Rauch herauskommt, stellen Sie einen ausgemusterten Kühlschrank mit einem in den Boden geschnittenen Loch auf. Bestücken Sie die Tragroste mit ausgenommenem Fisch, Fleischstücken, Käse und so weiter, und räuchern Sie alles mehrere Stunden lang.

Azidität (Säuregehalt) ist ein weiterer großer Verbündeter, wenn es darum geht, Horden eindringender Mikroben abzuhalten. Essig ist stark mit Wasser verdünnte Essigsäure (auf die wir später in dem Kapitel zurückkommen werden) und eignet sich hervorragend als Konservierungsstoff zum sauren Einlegen (Einsäuern). Die umgekehrte Methode, Nahrungsmittel durch Alkalität zu konservieren, ist viel weniger weit verbreitet, weil Fette dabei seifig werden – vgl. die Seifenherstellung in Kapitel 5 –, was den Geschmack und die Textur von Nahrungsmitteln gravierend verändert.9

Statt Säure von außen zuzuführen, um Lebensmittel durch Einlegen zu konservieren, kann man Nahrungsmittel auch dadurch vor dem Verderben schützen, dass man das Wachstum von Bakterien fördert, die saure Abfallprodukte absondern, wodurch Lebensmittel gewissermaßen ihre eigenen Konservierungsstoffe erzeugen. Bei der Herstellung von Sauerkraut, japanischem Miso und koreanischem Kimchi wird das Gemüse zunächst gesalzen, um ihm Feuchtigkeit zu entziehen, und anschließend von salztoleranten Bakterien fermentiert, um den Säuregehalt auf natürliche Weise zu steigern, was das betreffende Nahrungsmittel in ein extremes Umfeld verwandelt und so die Besiedlung durch andere Mikroben hemmt, die sonst eine Lebensmittelvergiftung verursachen könnten.

Joghurt wird auf ähnliche Weise hergestellt: Man sorgt dafür, dass eine Kultur Milchsäure freisetzender Bakterien die Milch auf eine kontrollierbare Weise säuert. (Im Allgemeinen werden Säuren von der Zunge als säuerlich schmeckend wahrgenommen.) Dies wiederum erzeugt eine innere Umgebung mit erhöhtem Säuregehalt, die sich der Besiedlung durch andere Mikroben widersetzt und so die Verzehrbarkeit der Nährstoffe um mehrere Tage verlängert. Da Milch so eine wertvolle Quelle essentieller Nährstoffe ist, ist ihre Konservierung für Überlebende der Apokalypse von entscheidender Bedeutung.

Vitamin D ist unverzichtbar zur Vorbeugung der Knochenkrankheit Rachitis, da es die Absorption von Calcium aus der Nahrung fördert. Dieses Vitamin wird vom Körper hergestellt, wenn die Haut dem Sonnenlicht ausgesetzt wird, aber in nördlichen Breiten mit ihren langen, dunklen Wintern, wo sich Menschen gegen die Kälte warm einpacken müssen, war Rachitis jahrhundertelang eine Geißel der Menschheit. Milch ist eine hervorragende Quelle von Vitamin D und Calcium, und daher kommt es für ein gesundes Leben in nördlichen Breiten entscheidend darauf an, dass die in der Milch enthaltenen Nährstoffe sorgfältig konserviert werden.10

Butter ist eine gute Methode, um die energiereichen Fette der Milch zu konservieren, indem man ihr einen Großteil des Wassers entzieht. Der erste Schritt bei der Butterherstellung besteht darin, den fettreichen Rahm abzuscheiden; man kann dies entweder dadurch tun, dass man den Rahm in einem kühlen Gefäß etwa einen Tag lang sich von allein an der Oberfläche absetzen lässt oder aber den Prozess mit einer Zentrifuge (ein kleines Schleuderfass genügt) beschleunigt. Das Buttern soll bewirken, dass die Fetttröpfchen miteinander verkleben, während die überschüssige Flüssigkeit – die Buttermilch – abgeschieden wird. Dies lässt sich dadurch bewerkstelligen, dass man ein Gefäß auf dem Fußboden hin- und herrollt oder es schüttelt, aber eine wirksamere Behelfslösung bestünde darin, eine Bohrmaschine mit einer Rührschaufel für Farbkübel zu verwenden. Man siebt die Butter aus der Buttermilch heraus, fügt Salz hinzu, um sie haltbar zu machen, und knetet sie dann so lange, bis alles Wasser herausgepresst und das Salz gründlich untergemischt worden ist.

Joghurt ist für ein paar Tage stabil, Butter für etwa einen Monat, während Käse viele Monate lang die Nährstoffe von Milch zuverlässig konserviert: Er ist die perfekte Anti-Rachitis-Substanz. Die Käseherstellung ist komplizierter, entscheidend aber ist die Konservierung der in der Milch enthaltenen Nährstoffe durch das Entziehen ihrer Wasseranteile. Chymosin (Rennin), ein Enzym aus dem Labmagen eines Kalbs, wird dazu verwendet, die Proteine in Milch aufzuspalten und sie so gerinnen zu lassen. Die geronnene Milch wird ausgefiltert und zu einem festen Klumpen gepresst, den man dann reifen lässt; die Einwirkung unterschiedlicher Pilzkulturen verleiht verschiedenen Käsesorten ihr charakteristisches Aussehen und ihren typischen Geschmack.

 

Die Zubereitung von Getreide

 

Wenden wir unsere Aufmerksamkeit jetzt der Zubereitung von Getreide zu. Die prähistorische Domestikation von Weizen, Reis, Mais, Gerste, Hirse und Roggen stellt eine der Glanzleistungen der Menschheit dar. Die Vermehrungsstrategien dieser Zuchtsorten wurden durch künstliche Selektion so umprogrammiert, dass sie Körner tragen, die sich leicht ernten lassen – sie sind die Lösung, die wir für die Herausforderung gefunden haben, Grasarten ohne den biologischen Vorteil einer Wiederkäuer-Verdauung, wie ihn die von uns gehaltenen Kühe oder Schafe besitzen, zu verzehren.

Mais lässt sich kochen und als Korn am Kolben essen,11 und Reis lässt sich schälen und dann einfach durch Kochen oder Dämpfen zubereiten. Aber anders als die meisten gezüchteten Obst- und Gemüsesorten lassen sich die kleinen, harten Körner der meisten Ährenfrüchte nicht so verzehren, wie sie sind: Sie müssen technologisch für den Verzehr aufbereitet werden.

Die Körner müssen zu einem feinen Pulver zermahlen werden: Mehl. Die einfachste Methode besteht darin, eine Handvoll Körner auf einen glatten, flachen Stein auf dem Boden zu legen, sich dann vorzubeugen und sie unter Einsatz des Körpergewichts unter einem Läuferstein (Reibekugel) zu zerquetschen und zu zermahlen. Aber das ist eine äußerst zeitintensive Knochenarbeit. Eine weitaus bessere Methode besteht darin, sie zwischen zwei abgeflachten walzenförmigen Steinen oder Stahlscheiben zu mahlen, wobei die Körner durch ein Loch in der Mitte zugeführt werden. Das Gewicht des oberen Mahlsteins (Läufer) liefert den Quetschdruck, und seine Drehung verschiebt das Mehl nach außen, wo es gesammelt wird. Auf diese Weise stellt der Mühlstein eine technologische Erweiterung unserer Backenzähne dar; er zerquetscht und zermahlt harte Nahrungsmittel, um sie verdaulicher zu machen. Der Mensch kann sich diese mühselige Arbeit dadurch erleichtern, dass er den Mühlstein durch ein angespanntes Zugtier beziehungsweise, besser noch, durch Wasser- oder Windkraft drehen lässt (wie, das werden wir in Kapitel 8 sehen). Trotzdem stellt das Zermahlen einer ganzen Getreideernte einen enormen Energieaufwand für eine sich erholende Gesellschaft dar.

Die einfachste, aber am wenigsten schmackhafte Methode, um Schrotmehl zu verzehren, besteht darin, es mit ein bisschen Wasser zu einem dicken Brei oder Schleim zu verrühren. Eine andere Methode der Stärkezufuhr erfordert nur etwas mehr Aufwand, liefert dafür aber weitaus wohlschmeckendere Ergebnisse und ist überdies vielseitiger anwendbar. Brot ist im Grunde nichts anderes als gekochte Grütze, aber es hat als eines der wertvollsten Grundnahrungsmittel die Geschichte der Zivilisation von Anfang an gestützt. Das Grundrezept ist unglaublich einfach: Man mahle einige Grassamen zu einem pulverigen Mehl, vermische dieses mit Wasser zu einem klebrigen Teig, rolle diesen dann aus und backe ihn langsam, vielleicht sogar auf einem heißen Stein dicht an einem Feuer. Auf diese Weise erhält man ein ungesäuertes Fladenbrot, das auch heute noch sehr weit verbreitet ist, man denke nur an Chapati, Naan, Tortilla, Chubz und Pitabrot.

Die Art von Brot, mit der wir in der westlichen Welt am vertrautesten sind, ist jedoch das gesäuerte Brot, und dieses erfordert nur eine weitere Zutat. Hefe ist eine Mikrobe, ein einzelliger Pilz, der kein allzu entfernter Verwandter der Giftpilze ist, die aus einem vermoderten Baumstamm sprießen. Wird dieser zur Fermentierung von Mehlteig verwendet, gibt er Kohlendioxid ab, das in Blasen eingeschlossen wird, die einen leichten, lockeren Brotlaib erzeugen. Heutzutage wird für die Herstellung fast des gesamten gesäuerten Brots ein bestimmter Hefestamm, Saccharomyces cerevisiae, verwendet. Tatsächlich sind Sie gut beraten, wenn Sie die Geistesgegenwart besitzen, sich einen gewissen Ausgangsvorrat dieses Organismus zu sichern, der genauso hilfreich und fleißig ist wie ein Ochse oder ein Pferd, bevor er in den Wirren der Apokalypse verlorengeht; man findet ihn in Supermärkten in kleinen Päckchen mit Trockenhefe, die jedoch nicht unbegrenzt haltbar sind. Wie aber gehen Sie notfalls vor, um die für die Herstellung von gesäuertem Brot unverzichtbaren Mikroorganismen selbst zu züchten?

Die zum Auflockern des Brotes benötigte Hefe kommt, wie andere Fermentationsbakterien, von Natur aus auf Getreidekörnern und daher auch in Mehl vor. Die Kunst besteht darin, diese nützlichen Mikroorganismen von all den anderen zu trennen, die womöglich schädlich sind: Sie müssen also mikrobiologische Pionierarbeit leisten und einen Selektionsprozess in Gang setzen, der die erwünschten Mikroben begünstigt. In der nachfolgenden Anleitung erfahren Sie, wie man die für die Herstellung eines Sauerteigbrotes geeigneten Mikroben isoliert; dabei handelt es sich um das erste mit Hilfe eines Triebmittels aufgelockerte Brot, das vor etwa 3500 Jahren im alten Ägypten gebacken wurde und noch heute bei Handwerksbäckern sehr beliebt ist.

Stellen Sie eine Mischung aus einer Tasse Mehl (Vollkornmehl ist für diesen Ausgangsprozess am besten geeignet) und einer halben bis zwei Drittel Tasse Wasser her; decken Sie das Gemisch ab und lassen Sie es an einem warmen Ort ruhen. Sehen Sie nach zwölf Stunden nach, ob sich Anzeichen für Wachstum und Gärung finden, wie etwa Blasenbildung. Zeigt sich nichts davon, rühren Sie die Mischung um und warten Sie weitere zwölf Stunden. Sobald die Fermentierung einsetzt, werfen Sie die Hälfte der Kultur weg und ersetzen Sie sie durch frisches Mehl und Wasser im gleichen Verhältnis. Wiederholen Sie dieses Auffüllen zweimal täglich. Dadurch wird die Kultur mit Nährstoffen angereichert, die die Mikroorganismen zur Vermehrung benötigen, und dies verdoppelt kontinuierlich die Größe der mikrobiellen Wachstumszone. Wenn Sie nach etwa einer Woche eine wohlriechende Kultur besitzen, die stetig wächst und nach jeder Auffüllung schäumt, wie ein mikrobielles Haustier, das sich dank des Futters in seiner Schüssel hervorragend entwickelt, können Sie ein wenig von dem Teig wegnehmen und Brot backen.

Wenn Sie diese Methode mehrfach wiederholen, tun Sie im Grunde nichts anderes, als ein einfaches mikrobiologisches Selektionsprotokoll auf natürlich vorkommende Stämme von Mikroorganismen (Wildstämme) anzuwenden, die sich von den Stärkenährstoffen ernähren und bei einer Temperatur zwischen 20 und 30°C die höchsten Zellteilungsraten haben. Der so entstehende Sauerteig ist keine reine Kultur aus einem einzigen Isolat, sondern eine ausgewogene Gemeinschaft von Lactobacillus-Bakterien, die die komplexen Speichermoleküle des Getreides zerlegen können, und Hefe, die sich von den Nebenprodukten der Lactobacilli ernährt und Kohlendioxidgas freisetzt, um das Brot aufzulockern. Eine solche wechselseitig vorteilhafte Verbindung verschiedener Spezies wird symbiotische Beziehung genannt und ist ein weitverbreitetes biologisches Phänomen: angefangen von stickstoffbindenden Bakterien, die Hülsenfrüchtler in ihren Wurzeln beherbergen, bis hin zu den bakteriellen Verdauungshelfern in unseren Eingeweiden. Außerdem scheiden die Lactobacilli Milchsäure aus (genauso wie bei der Joghurt-Herstellung), die diesem Brot seinen leckeren sauren Geschmack verleiht und zugleich andere Mikroben aus der Kultur verdrängt, was die symbiotische Sauerteig-Gemeinschaft wunderbar stabil hält und widerstandsfähig gegen Eindringlinge macht.

Nicht alle Mehlsorten eignen sich indes für gesäuertes Brot; es bedarf vielmehr der Anwesenheit von Gluten, um einen formbaren Teig herzustellen, der in der Lage ist, die von der wachsenden Hefe ausgeatmeten Kohlendioxidbläschen einzufangen. Weizenkörner enthalten eine Menge Gluten und ergeben daher einen herrlich lockeren Brotlaib, während Gerste fast kein Gluten enthält. Gerste lässt sich jedoch auch für ein Produkt verwenden, das noch weit erfreulicher ist als das tägliche Brot.

Hefen, die in einer sauerstoffreichen Umgebung wachsen, etwa in einem Teig, können ihre Nahrungsmoleküle bis hin zu Kohlendioxid abbauen (genauso wie es der menschliche Stoffwechsel tut). Wenn aber Hefen unter anaeroben Bedingungen gezüchtet werden, so dass Sauerstoff bloß in beschränktem Umfang verfügbar ist, können sie Zucker nur teilweise abbauen und scheiden daher Ethanol (Alkohol) als Abfallprodukt aus: das ist das Grundprinzip des Brauens. Seit seiner Entdeckung hat Alkohol Feiernden geholfen, sich zu amüsieren, aber er hat auch noch unzählige weitere Nutzanwendungen, und für den Wiederaufbau der Zivilisation lohnt sich auf jeden Fall die Mühe, ihn zu reinigen. Konzentriertes Ethanol eignet sich hervorragend als sauberer Brennstoff (etwa in einem Spiritusbrenner oder einem mit Biokraftstoff betriebenen Auto), als Konservierungsmittel und als Antiseptikum. Es ist auch ein vielseitig verwendbares Lösungsmittel, in dem sich eine Vielzahl von in Wasser unlöslichen Verbindungen lösen lassen; so kann man mit Hilfe von Ethanol auch bestimmte Stoffe aus Pflanzen extrahieren, die zur Parfümherstellung verwendet werden, oder aber medizinische Tinkturen zubereiten. Und wenn Alkohol eine Zeitlang der Luft ausgesetzt ist, verwandelt er sich in Essig, wie zweifellos jeder Weintrinker weiß, wenn er einmal eine Flasche versehentlich ein paar Tage lang offen stehen ließ. Neue Bakterien besiedeln die Flüssigkeit und wandeln das Ethanol in Essigsäure um: Speise- oder Tafelessig enthält für gewöhnlich zwischen 5 und 10 Prozent in Wasser gelöste Essigsäure; zum sauren Einlegen von Nahrungsmitteln kann man noch konzentriertere Lösungen verwenden.

Anders als die vielfältige mikrobielle Gemeinschaft eines Sauerteigs kann die reine Hefekultur, die beim Brauen verwendet wird, die komplexen Stärkemoleküle im Getreide nicht selbst zerlegen, weshalb diese zunächst in vergärbare Zucker umgewandelt werden müssen. Biologisch dient Stärke als eine Energiequelle, die die wachsende junge Pflanze so lange am Leben erhält, bis diese Blätter ausgebildet hat; anschließend werden im Getreide bestimmte chemische Prozesse aktiviert, die die Stärke zerlegen. Die Gerstenkörner (beziehungsweise die Körner eines beliebigen anderen Getreides) werden in Wasser eingeweicht und eine Woche lang in einem warmen, feuchten Raum zum Keimen gebracht, um die Stärke in erschließbare Zuckermoleküle zu zerlegen (das Stärke-Molekül ist eine lange Kette aus miteinander verknüpften Zucker-Untereinheiten). Anschließend werden die Körner in einem Darrofen getrocknet oder teilweise geröstet – um die Farbe und den Geschmack des fertigen Gebräus zu beeinflussen. Dieses Malz wird dann mit heißem Wasser zu einer Maische zerstampft, um sämtliche Zucker aufzulösen, und dann gefiltert, um eine süß schmeckende Bierwürze zu erzeugen. Die Würze wird zunächst aufgekocht, damit ein Teil des Wassers verdunstet, um die Zucker zu konzentrieren, und auch um die Würze zu sterilisieren, damit sich die Fermentierungsmikroben, die später zugesetzt werden, frei entfalten können. Schließlich wird die Würze abgekühlt und Hefe von einer früher gebrauten Charge beigegeben. Dann lässt man sie etwa eine Woche lang gären.

Ein äußerst nützlicher Artikel, den man so schnell wie möglich in einem Supermarkt beschaffen sollte, ist eine Flasche Bier, die eine am Boden abgesetzte Schicht lebende Hefe enthält, um diesen vielseitig anwendbaren Mikroorganismus für die Zukunft zu erhalten. Hefen, die sich fürs Brauen eignen, sind aber auch in der Umwelt weit verbreitet und können mit einem ähnlichen Selektionsverfahren wie dem oben beschriebenen erneut isoliert werden. Tatsächlich stammen die Reinkultur-Hefen, die heute für die kommerzielle Brotherstellung verwendet werden, von Zellen ab, die ursprünglich im Schaum von bierbrauenden Bioreaktoren gefunden und mit Hilfe der in Kapitel 7 beschriebenen mikrobiologischen Werkzeuge wie Agarplatten und Mikroskop isoliert wurden. Wenn Sie also das nächste Mal beschwipst sind, sollten Sie sich im Anschluss in Erinnerung rufen, dass Ihr Gehirn durch die Ausscheidungen eines einzelligen Pilzes in seiner Funktionstüchtigkeit beeinträchtigt wurde. Prost!

Praktisch jede Zuckerquelle (oder in Zucker zerlegte Stärke) lässt sich zu einem alkoholhaltigen Produkt vergären: Honig, Weintrauben, Getreide, Äpfel und Reis werden in Met, Wein, Bier, Apfelwein und Sake umgewandelt. Aber unabhängig von der Nährstoffquelle kann durch Gärung erzeugter Alkohol nur eine Konzentration von etwa 12 Prozent erreichen, bevor die Hefezellen sich im Grunde mit ihren Ethanolausscheidungen selbst vergiften. Das Verfahren der Aufreinigung von Alkohol auf höhere Konzentrationen, bei dem Ethanol von Wasser und allen anderen Substanzen in dem Gärstoffgemisch abgetrennt wird, wird Destillation genannt und ist eine weitere sehr alte Technik.

Wie bei der Gewinnung von Salz aus einer Kochsalzlösung macht sich auch die Trennung von Alkohol von der wässrigen Gärsuppe einen Unterschied in den Eigenschaften der beiden Komponenten zunutze – in diesem Fall die Tatsache, dass Ethanol einen niedrigeren Siedepunkt als Wasser hat. Im einfachsten Fall muss ein Destillationsapparat nicht komplizierter sein als derjenige, den mongolische Nomaden benutzten, um ihren Fusel zuzubereiten. Ein Kessel mit der vergorenen Maische wird über ein Feuer gehalten, ein Sammelgefäß an einer Stange darüber aufgehängt und ein drittes, mit kaltem Wasser gefülltes Gefäß mit gewölbtem Boden wird direkt über beiden platziert; anschließend wird die gesamte Anordnung mit einer Haube abgedeckt. Das Feuer erhitzt die Maische, und das Ethanol verdunstet zuerst, der Dampf kondensiert an der kühlen Unterseite des Wassertopfs, läuft an diesem herunter und tropft in die mittlere Schüssel. In modernen Labors wird diese einfache Anordnung mit speziellen Glasgefäßen, einem Thermometer, das sicherstellen soll, dass der aus der Maische aufsteigende Dampf nicht heißer als 78°C ist (der Siedepunkt von Ethanol), und einem Gasbrenner mit steuerbarem Lufteinlass lediglich kopiert. Die Effizienz des Prozesses lässt sich durch Einsatz einer Fraktionierkolonne verbessern; diese besteht aus einem mit Glaskugeln gefüllten vertikalen Zylinder, so dass der aus der Maische aufsteigende Dampf mehrfach kondensiert und wieder verdunstet, was den Alkohol im Verhältnis zu Wasser jedes Mal weiter konzentriert, ehe ein letzter Kondensator mit einem wassergekühlten Mantel das Destillat sammelt.

 

Hitze und Kälte nutzen

 

Zu guter Letzt wollen wir uns ansehen, wie die Beherrschung der Temperatur – die gezielte Nutzung großer Hitze und Kälte – von unschätzbarem Wert für die Konservierung von Lebensmitteln geworden ist.

Die Konservierungstechniken, die die gesamte Menschheitsgeschichte hindurch zum Einsatz kamen – Trocknen, Einsalzen, Einsäuern, Räuchern –, sind recht wirksam, verändern aber oftmals den Geschmack des so behandelten Lebensmittels, und sie sind nicht perfekt, was die Bewahrung des Nährstoffgehalts anlangt. Ein französischer Zuckerbäcker erfand in den Anfangsjahren des 19. Jahrhunderts eine neue Methode: Er verschloss die Nahrungsmittel luftdicht in Glasgefäßen mit einem Korkstopfen und Wachs, um die Gefäße dann mehrere Stunden lang in heißes Wasser zu stellen. Bald darauf begann man, luftdichte metallene Konservenbüchsen zu verwenden (der Grund dafür, dass wir heute Konservendosen aus Zinn beziehungsweise aus zinnbeschichtetem Stahl verwenden, besteht darin, dass Zinn eines der wenigen Metalle ist, das durch die in Lebensmitteln enthaltene Säure nicht korrodiert wird).12 Ein beschleunigter zivilisatorischer Neustart wird durch die Tatsache begünstigt, dass Lebensmittelkonserven im Grunde schon Jahrhunderte früher in unserer Geschichte hätten erfunden werden können, da die technologischen Voraussetzungen auch damals schon vorhanden waren – vielleicht hätten selbst geschickte römische Glasarbeiter Gefäße, die sich zuverlässig luftdicht verschließen lassen, herstellen können –, so dass Überlebende schon bald nach der Apokalypse mit dem Eindosen von Lebensmitteln beginnen können.

Beim Einwecken geht es darum, bereits vorhandene Mikroben mit Hilfe von Hitze zu inaktivieren und durch den luftdichten Verschluss zu verhindern, dass weitere Mikroben die Nahrung erneut kontaminieren und verfaulen lassen. Bei einem ähnlichen Verfahren, der sogenannten Pasteurisierung, werden Nahrungsmittel kurzzeitig auf 65–70°C erhitzt, um lebensmittelverderbende oder pathogene Keime zu deaktivieren. Dies wurde besonders erfolgreich zur Behandlung von Milch (ohne sie dabei zum Gerinnen zu bringen) eingesetzt, um die Übertragung von Tuberkulose oder Magen-Darm-Krankheiten auf Menschen zu unterbinden. Um Nahrungsmittel, die nicht bereits sauer oder eingesäuert sind, sicher zu konservieren, sollte man sie in einem Dampfkochtopf einwecken, indem man sie Temperaturen über dem normalen Siedepunkt aussetzt, da dies den Inhalt vollständig sterilisiert und selbst temperaturbeständige Sporen oder Mikroben wie jene, die für Botulismus (bakterielle Lebensmittelvergiftungen) verantwortlich sind, abtötet.

Auf diese Weise kann man mit Hilfe hoher Temperaturen lebenswichtige Nahrungsmittelvorräte viele Jahre lang konservieren. Und wie steht es mit Kälte?

Mit sinkender Temperatur verlangsamen sich die Aktivität und die Reproduktion von Mikroben, ebenso die chemischen Reaktionen, die Butter ranzig und frisches Obst weich machen. Die konservierende Wirkung niedriger Temperaturen ist seit langem bekannt. Bereits vor mindestens 3000 Jahren sammelten die Chinesen Eis im Winter, um Lebensmittel das ganze Jahr über in Höhlen zu konservieren, und im 19. Jahrhundert war Norwegen einer der wichtigsten Exporteure von Eis nach Westeuropa. Auf künstlichem Weg Kälte erzeugen zu können ist wiederum ein fundamentaler Fortschritt der modernen Zivilisation – und viel schwerer zu bewerkstelligen als die Erzeugung von Wärme. Eine technische Nutzanwendung der Gasgesetze sind Kühlschränke, mit denen sich das Verderben frischer Nahrungsmittel hinauszögern lässt. Außerdem kann man Lebensmittel durch Einfrieren langfristig konservieren. Schließlich lassen sich mit der Kühltechnik auch Blutkonserven in Krankenhäusern sicher aufbewahren, Impfstoffe transportieren, Klimaanlagen bauen oder Luft zur Herstellung von flüssigem Sauerstoff destillieren. Wir werden uns ganz genau ansehen, wie Kühlschränke funktionieren, denn dies veranschaulicht auch einen interessanten Aspekt bezüglich der Einführung neuer Technologien und die Tatsache, dass eine Gesellschaft im Prozess des zivilisatorischen Wiederaufbaus ganz andere Wege als unsere eigene einschlagen könnte.

Der Kühlung liegt das folgende zentrale Funktionsprinzip zugrunde: Wenn eine Flüssigkeit zu einem Gas verdunstet, entfernt sie die für diesen Übergang erforderliche Wärme aus ihrer Umgebung. Aus diesem Grund schwitzt unser Körper, um sich zu kühlen, und eine einfache technische Lösung für die Kühlung ist im Prinzip nichts anderes als eine Art schwitzender Tonkübel. Der in Afrika weitverbreitete Zeer-Topf besteht aus einem Tonkübel mit Deckel, der in einen unglasierten, größeren Kübel eingesetzt wird; der Leerraum zwischen beiden wird mit feuchtem Sand gefüllt. In dem Maße, wie die Feuchtigkeit verdunstet, entzieht sie dem inneren Behälter Wärme und senkt so dessen Temperatur, so dass der Zeer-Topf das Verderben von Früchten oder Gemüse auf einem Markt eine Woche oder länger hinauszögern kann.

Alle mechanischen Kühlschränke funktionieren nach dem gleichen Grundprinzip: durch gezielte Steuerung der Verdampfung und erneuten Kondensierung eines »Kältemittels«. Die Verdampfung (Sieden) erfordert Wärmeenergie, wohingegen diese Wärmeenergie bei der Kondensation freigesetzt wird. Wenn Sie dafür sorgen, dass das Verdampfungsstadium des Kreislaufs in Röhren innerhalb einer isolierten Kiste stattfindet, entziehen Sie diesem geschlossenen Raum Wärme, so dass das Innere gekühlt wird. Auf diese Weise können Sie diese Wärme über schwarze Kühlrippen (Wärmetauscher) auf der Rückseite des Geräts an die Umgebung ableiten.

Praktisch alle modernen Kühlschränke erzwingen die Kondensationsphase – die Rückumwandlung des Kältemittels in eine Flüssigkeit, so dass dieses abermals verdampft werden und weitere Wärme aus dem isolierten Raum ableiten kann – mit Hilfe einer elektrischen Kompressorpumpe. Aber es gibt alternative Methoden: Die einfachste davon wird Absorptionskältemaschine genannt (Albert Einstein selbst gehört zu den Miterfindern einer Version). Bei diesem System wird ein Kältemittel wie Ammoniak kondensiert, allerdings nicht indem man es unter Druck setzt, sondern indem man ihm einfach erlaubt, sich in Wasser zu lösen beziehungsweise von Wasser absorbiert zu werden. Das Kältemittel wird durch Erhitzung des Ammoniak-Wasser-Gemischs in den Kreislauf zurückgeschleust; dabei wird mit Hilfe einer Gasflamme, eines elektrischen Glühfadens oder einfach der Sonnenwärme das Ammoniak abgeschieden, das einen viel niedrigeren Siedepunkt hat (das gleiche Destillationsprinzip, dem wir schon auf Seite 107 begegnet sind). Eine Absorptionskältemaschine nutzt also auf ausgeklügelte Weise Wärme, um Dinge kühl zu halten. Da die Kompressorpumpe keinen elektrischen Motor benötigt, verfügt dieses Design über keine beweglichen Teile, so dass es keiner Wartung bedarf und das Gerät auch nicht ausfallen kann. Außerdem erzeugt sie so gut wie keine Betriebsgeräusche.

Wenn die Geschichte eine Abfolge historischer Ereignisse ist, dann ist die Technikgeschichte eine Abfolge von Erfindungen: eine Serie von Geräten, die jeweils unterlegene – weniger leistungsfähige – Rivalen aus dem Feld schlagen. Oder nicht? Die Wirklichkeit ist nur selten so einfach, und wir müssen uns daran erinnern, dass die Technikgeschichte von den Siegern geschrieben wird: Erfolgreiche Innovationen erwecken den Anschein einer linearen Abfolge von Meilensteinen, während die Verlierer in Vergessenheit geraten. Doch das, was den Erfolg einer Erfindung ausmacht, ist nicht immer ihre funktionale Überlegenheit.

In unserer Geschichte wurden das Kompressor- und das Absorptionsmodell ungefähr gleichzeitig erfunden, kommerziell erfolgreich aber war am Ende die Kompressorvariante, die heute den Markt beherrscht. Dies ist weitgehend auf die Förderung durch die aufkommenden Stromunternehmen zurückzuführen, die unbedingt die Nachfrage nach ihrem Produkt steigern wollten. Insofern ist die geringe Verbreitung von Absorberkühlschränken heute (mit Ausnahme gasbetriebener Modelle für Campingfahrzeuge, bei denen es entscheidend auf die Fähigkeit ankommt, ohne Stromversorgung zu funktionieren) weniger auf die Unterlegenheit der Konstruktion an sich als auf zufällige soziale oder ökonomische Faktoren zurückzuführen. Die Produkte, die am Markt angeboten werden, sind diejenigen, von denen der Hersteller glaubt, sie könnten mit der höchsten Gewinnspanne verkauft werden, und dies wiederum hängt größtenteils von der bereits vorhandenen Infrastruktur ab. Die Tatsache, dass der Kühlschrank in Ihrer Küche brummt – also einen elektrischen Kompressor statt der geräuschlosen Absorptionsvariante verwendet –, hat daher weniger mit der technologischen Überlegenheit dieses Mechanismus als mit Eigentümlichkeiten des sozioökonomischen Umfelds zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu tun, als sich diese Lösung etablierte. Eine sich erholende postapokalyptische Gesellschaft könnte sehr wohl einen anderen Entwicklungspfad einschlagen.

 

Kleidung

 

Wir haben gesehen, dass Töpferwaren, die zum Kochen und zur Vergärung benutzt werden, unsere Verdauung wie ein äußerer Magen unterstützen, und dass der Mahlstein als eine Erweiterung unserer Mahlzähne (Molaren) dient. In der gleichen Weise ist die Kleidung eine weitere technologische Anwendung, welche die natürlichen biologischen Fähigkeiten unseres Körpers verstärkt. Weil Kleidung unsere Fähigkeit, Körperwärme zurückzuhalten, erheblich verbessert hat, konnten wir Menschen uns weit über die ostafrikanische Savanne hinaus ausbreiten.

Bis vor etwa siebzig Jahren – ein Wimpernschlag auf der Zeitskala der Zivilisation – bekleideten wir uns mit natürlichen Tier- und Pflanzenprodukten. Die erste Kunstfaser, Nylon, wurde erst zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erfunden, und der hohe Entwicklungsstand der organischen Chemie, der notwendig ist, um diese Polymere erneut zu synthetisieren, wird für eine Zivilisation, die sich »rebootet«, geraume Zeit unerreichbar bleiben. Es besteht daher ein tiefgreifender Zusammenhang zwischen unserer traditionellen Ernährungsweise und der Art, wie wir uns kleiden – der Anbau domestizierter Pflanzenarten und die Zucht von Nutztieren liefern nicht nur eine verlässliche Nahrungsquelle, sondern auch die Fasern, die zu Seilen verdrillt oder zu Tuch gewebt werden können, sowie Häute, die sich zu Leder verarbeiten lassen. Viele andere grundlegende Funktionen der Zivilisation stützen sich auf die Techniken des Spinnens und Webens: Schnüre zum Binden, Seile für Baukräne oder Leinwand für die Segel eines Schiffs oder die Flügel einer Windmühle.

Sobald die alten Kleidungsstücke der untergegangenen Zivilisation abgetragen sind, muss die sich wieder aufrappelnde Gesellschaft erneut geeignete Fasern aus der Natur sammeln. Zu den pflanzlichen Quellen gehören die markhaltigen Stängel von Hanf, Jute und Flachs (für Leinen), die Blätter von Sisal, Yucca und Agave sowie die flauschigen Fasern, die Baumwoll- oder Kapoksamen umhüllen. Tierische Fasern lassen sich aus dem Haarkleid praktisch jedes pelztragenden Säugetiers gewinnen, auch wenn Schaf- beziehungsweise Alpakawolle am gebräuchlichsten sind, und eine bedeutende Insektenquelle ist der Kokon des Seidenspinners (Bombyx mori), der, wie schon sein Name sagt, Seide liefert. So bestehen ein Wollhut und ein feines Seidenkleid aus Eiweiß, das sich nicht allzu sehr von Steak-Eiweiß unterscheidet, während eine Leinenjacke oder ein Baumwollhemd aus dem gleichen Grundmaterial wie Zeitungen besteht: Zuckermolekülen, die sich zu pflanzlichen Cellulosefasern aneinanderreihen.

Was sind nun die grundlegenden Verarbeitungsschritte, mit denen man aus Naturfaserbüscheln, die von Baumwollpflanzen gepflückt oder von Schafen geschert wurden, Kleidungsstücke herstellen kann? Wir werden mit den einfachen Einstiegstechniken beginnen, ehe wir näher betrachten wollen, wie diese durch die weltverändernde Mechanisierung, die mit der industriellen Revolution im Großbritannien des ausgehenden 18. Jahrhunderts einsetzten, von Grund auf erneuert wurden. Wir werden uns vor allem auf tierische Wolle konzentrieren, die im Falle einer Katastrophe in einem viel größeren geographischen Bereich zur Verfügung stehen wird als Alternativen wie Baumwolle oder Seide.

Nachdem aus der gescherten Wolle Schmutzkrümel und Pflanzenreste herausgezupft worden sind, wird sie in warmem Seifenwasser gewaschen, um einen Großteil des an den Fasern klebenden Fetts zu entfernen. Anschließend muss sie kardiert, also mehrfach zwischen zwei mit kleinen Dornen (Zähnen) besetzten Walzen gekämmt werden, was einen dichten Wollbausch zu einer weichen, flaumigen Rolle aus geglätteten und gerade gerichteten Fasern ausdünnt. Das so hergestellte »Vorgespinst« ist jetzt bereit, gesponnen zu werden.

Der Zweck des Spinnens besteht darin, einen kurzfaserigen Flaumballen in einen langen, festen Faden zu verwandeln. Sie können dies gänzlich ohne Werkzeuge erreichen, indem Sie sanft an dem Vorgespinst zupfen, um ein lockeres Faserknäuel herauszuziehen, das Sie anschließend zwischen den Spitzen von Zeigefinger und Daumen zu einem dünnen Faden drehen. Wenngleich Sie dazu nur Ihre Hände brauchen, so ist das Ganze doch ungemein zeitraubend, weshalb Sie idealerweise eine Maschine einsetzen sollten, die Ihnen die Arbeit erleichtert. Das Spinnrad kann beide wichtigen Funktionen ausführen: das Vorgespinst zu einem dünnen Faden ausziehen und diesen dann zu einem robusten Garn spinnen.

Das Schwungrad wird von Hand oder mit dem Fuß angetrieben, der ein Trittbrett betätigt, und ist über einen Riemen oder ein Seil mit der vorderen Spindelwelle verbunden, damit sich diese schneller dreht. Der Schlüsselmechanismus hier, der Spinnflügel, wurde um 1500 von Leonardo da Vinci erfunden und ist eine der wenigen Erfindungen des Universalgenies, die zu seinen Lebzeiten verwirklicht wurden. Der u-förmige Spinnflügel dreht sich etwas schneller als die Spindel, und die Stränge, die gesponnen werden, werden über eine Reihe von Häkchen auf einem der Arme geführt, ehe sie am Ende herausgleiten und sich um die zentrale Spindel wickeln. Dieses genial einfache Design verdrillt die Fasern und wickelt sie gleichzeitig zu einer Spule Zwirn auf, die später weiterverarbeitet wird. Trotzdem ist die Herstellung einer ausreichenden Menge Zwirn mit einem Spinnrad so zeitaufwendig, dass diese Arbeit früher nur von jungen Mädchen beziehungsweise älteren unverheirateten Frauen erledigt wurde (das englische Wort »spinsters« bedeutet ursprünglich »Frauen, die Garn spinnen«, später »alte Jungfern«).

 

Ein Spinnrad. Man sieht, wie der Faservorrat durch

die rotierenden Flügelarme des Spinnflügels

zugeführt wird, wobei er zu einem Faden

verdreht wird, der sich auf der Spule aufwickelt.

 

Man kann einen einzelnen Faden dadurch verstärken, dass man ihn mit einem zweiten zu einem zweisträhnigen Garn verzwirnt; und, was noch wichtiger ist, wenn man die beiden verflochtenen Spinnfäden entgegen der Richtung verzwirnt, in der sie ursprünglich gesponnen wurden, werden sie auf natürliche Weise miteinander verbunden und zerfasern nicht. Man kann diesen Kombinationsprozess wiederholen, um Seile herzustellen, die dicker sind als Ihr Arm und ein Gewicht von mehreren Tonnen tragen können; sie alle bestehen aus Fasern, die, für sich genommen, sehr schwach und nur wenige Zentimeter lang sind.

Der größte Teil des gesponnenen Garns wird allerdings für die Herstellung von Textilien verwendet werden. Betrachten Sie einmal die Webart der Kleidung, die Sie gerade tragen, näher. Hemden sind oftmals besonders fein gewebt, insofern sehen Sie das Muster deutlicher in einer Wolljacke, einem T-Shirt oder strapazierfähigeren Hosen wie Jeans. Ihnen werden auch unterschiedlichste Muster in Vorhängen und Decken, Bettlaken, Federbetten, Sofaüberzügen oder Teppichen auffallen.

Wir wollen fürs Erste das genaue Muster ignorieren, aber es sollte klar sein, dass jedes Gewebe oder Tuch aus zwei Sätzen von Fäden besteht, die rechtwinklig zueinander verlaufen und über- und untereinander verflochten sind. Der erste Satz, die sogenannten Kettfäden, sind die hauptsächlichen strukturellen Komponenten eines Gewebes und müssen daher stärker sein – versuchen Sie es mit zwei- oder viersträhnigen Garnen – als die Schussfäden, die die parallelen Linien der Webkette queren und sie alle zusammenbinden.

Das Weben erfolgt auf einem Webstuhl, und die zentrale Funktion jedes Webstuhls besteht darin, die Kettfäden in straff gespannten parallelen Linien zu halten und dann verschiedene Gruppen dieser Fäden so zu heben oder zu senken, dass der Schussfaden zwischen ihnen eingefädelt werden kann. Die einfachsten Webstühle bestehen aus lediglich zwei Stäben – einem, der an einen Baum gebunden ist, und einem anderen, der am Boden befestigt ist –, die die Kettfäden straff zwischen sich gespannt halten, aber ein Webstuhl mit einem horizontalen Rahmen, der die Webkette trägt, ist leistungsfähiger.

Um einen Webstuhl aufzubauen, muss man einen kontinuierlichen Faden in seiner Längsrichtung straff hin und her abwickeln und so ein Gitter aus exakt parallelen Kettlinien erzeugen. Das wichtigste Bauteil des Webstuhls ist die Litze, mit deren Hilfe man die Kettfäden voneinander trennen kann, indem man eine Teilmenge von ihnen hebt oder senkt (wir werden gleich darauf zurückkommen). Der Schussfaden wird dann quer durch den Zwischenraum, auch Fach genannt, der zwischen den angehobenen und gesenkten Kettfäden entsteht, geführt, daraufhin wird eine andere Gruppe von Kettfäden gehoben und der Schussfaden quer durch den Zwischenraum zurückgeführt, wodurch die Maschen des Gewebes Reihe für Reihe aufgebaut werden.

Durch Veränderung der Reihenfolge, in der Teilmengen der Kettfäden angehoben werden, ändert sich die Bindungsart des Schussfadens, so dass verschiedene Gewebesorten entstehen. Bei der einfachsten Grundbindung, der Leinwandbindung, wird der Schussfaden jeweils abwechselnd über und unter einen einzelnen Kettfaden geführt, so dass ein gleichmäßiges Gitter miteinander verflochtener Verbindungen entsteht. Eine intelligente Konstruktion einer Litze, die dies zu leisten vermag, ist ein langes Brett mit einer Reihe abwechselnder enger Schlitze und Löcher, in die jeweils ein einzelner Kettfaden eingefädelt ist. Wird diese starre Litze angehoben oder gesenkt, bewegen sich nur die Kettfäden mit ihr, die durch die Löcher gezogen wurden, während diejenigen, die durch einen langen Schlitz verlaufen, sich nicht von der Stelle rühren, da die Litze um sie herumgleitet, so dass der Schussfaden abwechselnd über und unter den Kettfäden geführt werden kann.

 

Ein Webstuhl. Die Litzen heben eine Reihe von Kettfäden,

so dass der Schuss quer durch den Zwischenraum

geführt werden kann.

 

Komplizierte Webmuster erfordern kompliziertere Litzen als das steife Brett. Ein sehr vielseitiges System besteht aus einer Reihe von Schnüren, die von einem horizontalen Schaft herunterhängen, jede mit einer gleich hohen Litze aus einer verknoteten Schlaufe oder einer metallenen Öse versehen, so dass nur jene Kettfäden, die durch die Litzen laufen, angehoben werden, wenn der Schaft gehoben wird. Jede Gruppe von Kettfäden wird von einem je eigenen anhebbaren Schaft kontrolliert, und je komplexer das Webmuster ist, desto mehr gesonderte Schäfte, die die Litzen bewegen, sind notwendig, um die Abfolge der Kettfadenbewegungen zu steuern. So wird der Schussfaden zum Beispiel bei der Köperbindung in einem Durchgang (einer sogenannten Flottierung) über mehrere Kettfäden gezogen, wobei die flottliegenden (nicht eingebundenen) Fäden zwischen den waagrechten Maschenreihen versetzt angeordnet werden und so ein diagonales Muster erzeugen. Die verringerte Anzahl von Fadenkreuzungen verleiht Geweben mit Köperbindung zusätzliche Geschmeidigkeit und Tragekomfort, aber sie erlaubt auch eine dichtere Packung der Fäden, was das Gewebe strapazierfähiger macht. Denim etwa hat eine 3/1-Köperbindung: Kett- und Schussfäden flottieren über jeweils drei Bindepunkte und kreuzen sich dann in einem.

Ganz gleich, ob Ihre Kleidung aus Leder genäht oder aus Stoff hergestellt wurde – das nächste Problem besteht darin, sie sicher an Ihrem Körper zu befestigen. Wenn wir Reiß- und Klettverschlüsse ausklammern, weil ihre komplexe Herstellung eine neustartende Zivilisation überfordern würde, haben Sie keine große Auswahl an Verschlusselementen, die sich wieder leicht öffnen lassen. Keine der älteren oder klassischen Zivilisationen kam auf die beste, technisch einfachste Lösung, doch heute ist diese allgegenwärtig. Erstaunlicherweise verbreitete sich der einfache Knopf erst Mitte des 14. Jahrhunderts in Europa. Die asiatischen Kulturen haben ihn nie erfunden, und die Japaner waren regelrecht hingerissen, als sie an portugiesischen Kaufleuten im 16. Jahrhundert erstmals Knöpfe sahen. Obwohl das Design des Knopfes sehr einfach ist, ist die neue Fähigkeit, die der Knopf vermittelt, einschneidend. Mit einem leicht herzustellenden und leicht zu öffnenden Verschluss müssen Kleidungsstücke nicht länger lockersitzend und formlos sein, damit man sie über den Kopf streifen kann. Stattdessen kann man sie anziehen und dann an der Vorderseite zuknöpfen, so dass sie viel passgenauer und bequemer geschneidert werden können: eine echte Revolution in der Mode.

Wenn die postapokalyptische Bevölkerung im weiteren Verlauf des zivilisatorischen Neustarts wieder zu wachsen beginnt, wird der Druck zunehmen, die repetitiven und zeitraubenden Prozesse, die mit der Herstellung von Textilien verbunden sind, zu automatisieren, um so die Produktivität zu maximieren und den erforderlichen Arbeitseinsatz zu minimieren. Allerdings werden Sie feststellen, dass sowohl die Automatisierung der verschiedenen Phasen – Kardieren, Spinnen und Weben – als auch die Anwendung mechanischer Kraft viel schwieriger sein werden als beispielsweise beim Mahlen von Getreide oder beim Stampfen von Holzstoff bei der Papierherstellung. Viele der Techniken, die bei der Textilherstellung zum Einsatz kommen, sind sehr filigran und auf die menschliche Fingerfertigkeit angewiesen, wie etwa das Spinnen eines feinen Fadens, ohne dass dieser reißt; andere, wie das Weben, verlangen eine komplexe Abfolge von Aktionen, die genau zum richtigen Moment stattfinden müssen. All dies lässt sich mit einfachen Maschinen kaum zufriedenstellend reproduzieren.

Die wichtigste technische Verbesserung des einfachen Webstuhls, den ich beschrieben habe, war die Erfindung des »fliegenden Weberschiffchens«. Die einfachste Methode, um den Schussfaden durch das Fach – den Zwischenraum – zwischen angehobenen und gesenkten Kettfäden zu führen, besteht darin, eine Rolle Garn von einer Hand zur anderen durch den Webstuhl hin- und herzuschieben. Das ist jedoch ein zeitraubender Prozess, der die Breite des Gewebes auf die Spannweite begrenzt, die man bequem mit den ausgestreckten Armen erreichen kann. Das fliegende Weberschiffchen ist eine Garnspule, die in einen schweren, schiffsförmigen Block eingesetzt ist, der von einer Schnur entlang einer glatten Laufschiene quer durch den Webstuhl geschossen wird und dabei den Schussfaden abwickelt. Diese Innovation erlaubt dem Weber nicht nur, einen viel breiteren Streifen von Kettfäden zu bearbeiten, er beschleunigt auch den Webprozess ganz außerordentlich und ermöglicht die vollständige Mechanisierung des Webstuhls; dieser kann jetzt von einem Wasserrad, einer Dampfmaschine oder einem Elektromotor angetrieben werden, so dass ein einzelner Weber viele Maschinen gleichzeitig bedienen kann. Frühe mechanische Webstühle konnten jede Sekunde eine Schussreihe fertigstellen, und moderne Maschinen schießen den Schussfaden mit über 100 Stundenkilometern quer durch den Webstuhl.

Von höchster Priorität neben der Produktion von Nahrungsmitteln und Kleidung für den Eigenbedarf wird es sein, die Versorgung mit all den natürlichen und synthetischen Substanzen, die für die Zivilisation unabdingbar sind, wiederherzustellen. Auch hier geht es für postapokalyptische Überlebende darum zu lernen, wie man Dinge selbst herstellt, statt einfach nur das Gerippe unserer toten Gesellschaft auszuschlachten. Daher wollen wir uns jetzt der Frage zuwenden, wie man eine chemische Industrie neu aufbauen kann.

 

 

9 Eine Ausnahme ist die traditionelle Zubereitungsart von Mais bei den indigenen Kulturen Mittelamerikas. Dabei wird der Mais in einer alkalischen Lösung von entweder gelöschtem Kalk oder Asche, mit denen man das Wasser versetzt, gekocht, um ihn zu »nixtamalisieren« (von den Nahuatl-Wörtern für Asche und Maisteig). Dies verbessert nicht nur den Geschmack, sondern macht auch das in der Pflanze enthaltene Vitamin B3 für den menschlichen Körper absorbierbar. Die Krankheit Pellagra, die durch Vitamin-B3-Mangel verursacht wird, machte Europäern und Nordamerikanern, die zweihundert Jahre lang Mais als Grundnahrungsmittel verwendeten, schwer zu schaffen, weil sie zwar die Feldfrucht in ihren Speiseplan übernahmen, allerdings ohne jenes Zubereitungsverfahren, das Mais für den Verzehr geeignet macht.

 

10 Die Landmassen in der nördlichen Hemisphäre erstrecken sich sehr viel näher zum Pol als die in der südlichen Hemisphäre. Newcastle upon Tyne liegt viel näher am Pol und erhält daher viel weniger Winterlicht als irgendein beliebiger Ort auf den südlichen Kontinenten Afrika, Australien und Südamerika.

 

11 Und vor über 6000 Jahren entdeckten Bewohner Südamerikas, dass man bestimmte Sorten rösten und zum Platzen bringen kann; das bildet heute die Grundlage eines milliardenschweren Popcorn-Geschäfts, das sich vor allem auf Kinos konzentriert.

 

12 Die ersten Dosenöffner kamen in den frühen 1860er Jahren auf – fünfzig Jahre nachdem die französische Armee begonnen hatte, Lebensmittelkonserven zu verteilen. Soldaten sollten ihre Rationen mit einem Meißel oder ihrem Bajonett öffnen, und erst als Konservendosen unter der Zivilbevölkerung weite Verbreitung fanden, wurde der Öffner benötigt.