KAPITEL VIERUNDVIERZIG

Declan

Um acht Uhr morgens stehe ich mit einem Kaffee in der Hand vor Cals Tür, bereit, mit Iris zu reden. Nachdem ich mich die halbe Nacht nur herumgewälzt und kaum geschlafen habe, brauchte ich Koffein.

Mein Bruder öffnet mir mit Anzug und Krawatte die Tür, was ungewöhnlich ist, denn immerhin hat er nicht mal einen Job.

»Wo willst du hin?«

»Zur Arbeit.« Er zieht die Wohnungstür hinter sich zu und schließt ab.

»Seit wann hast du einen Job?«

»Seit du einen Assistenten brauchst.«

Mir bleibt der Mund offen stehen. »Was?«

»Iris kommt heute nicht zur Arbeit.«

»O doch. Sie hat zwei Wochen Kündigungsfrist.«

Er lacht. »Vielleicht solltest du mal deine E-Mails checken.«

Stirnrunzelnd hole ich mein Handy heraus. »Du machst Witze.«

»Nein. Sie nimmt ab heute zwei Wochen Urlaub.«

»Nein, das tut sie nicht.«

Er grinst tatsächlich. »Nimmst du mich zur Arbeit mit oder nicht?«

»Warum genießt du es so?«

»Weil es schön ist, zu sehen, dass dich jemand endlich in deine Schranken verweist. Hast du wirklich gedacht, sie würde noch zwei Wochen zur Arbeit kommen, nachdem du so mit ihr geredet hast?«

Ich knirsche mit den Zähnen. »Ich will mit ihr sprechen.«

»Sie wird mit dir sprechen, wenn sie bereit dazu ist.«

»Dann muss ich wohl das Reden übernehmen.« Ich nehme ihm den Schlüsselbund aus der Hand und öffne die Tür, bevor er ihn mir wieder abnehmen kann.

»Dec…«

Ich schlage meinem Bruder die Tür vor der Nase zu und verriegele sie von innen.

»Mach die verdammte Tür auf!« Er hämmert mit der Faust gegen das Holz.

Ich werfe seine Schlüssel auf das Sideboard und folge dem Klang der Musik in die Küche.

Iris’ Blick fällt direkt auf mich. »Was machst du hier?«

»Ich hab dir Kaffee mitgebracht.« Ich trete so nahe an sie heran, dass ich ihr den Becher reichen kann.

Sie starrt darauf, als könnte es Gift sein. »Du bist gekommen, um mir Kaffee zu bringen?«

»Nein. Ich bin gekommen, um mit dir zu reden. Der Kaffee ist nur mein Bestechungsmittel, damit du dir Zeit für mich nimmst.«

»Ich lasse mich nicht von dir bestechen. Nicht mehr.«

»Na schön. Dann vielleicht später.« Ich stelle den Becher auf die Arbeitsplatte.

»Will ich überhaupt wissen, wie du reingekommen bist?«

»Ich habe Cals Schlüssel geklaut und ihn ausgesperrt.«

»Declan …«

»Ich vermisse dich.«

»Du hast mich vor weniger als vierundzwanzig Stunden gesehen.«

»Sucht ist in meiner Familie erblich bedingt. Hab Mitleid mit deinem Mann.«

Sie runzelt angesichts meines Witzes nur die Stirn.

Ich weigere mich, die Hoffnung aufzugeben, obwohl ich kurz davor bin, als ich sehe, wie sie mich anschaut.

»Ich vermisse dich so sehr, dass ich nichts mit mir anzufangen weiß. Das Haus ist still und das Badezimmer viel zu ordentlich. Selbst Pasta schmeckt nicht so, wie wenn du sie kochst.«

»Ich koche doch gar nicht. Ich setze Wasser auf. Das ist laut dir ein großer Unterschied.«

»Komm nach Hause. Ich koche jeden Tag für den Rest unseres Lebens für dich, solange du mich nur nie wieder verlässt.«

Sie schließt die Augen. »Nein.«

Ich nutze den Moment aus, indem ich zu ihr gehe. Ihr Kinn passt perfekt in meine Hand, und mit dem Daumen streiche ich über ihre Wange. »Bitte. Ich bin unglücklich ohne dich.«

Sie sieht blinzelnd zu mir auf. »Ich bin noch nicht bereit.«

»Was soll das heißen, du bist noch nicht bereit?« Die Übelkeit in meinem Magen kehrt stärker als jemals zuvor zurück, als sie sich von mir löst. Ich halte sie nicht auf, auch wenn jede Zelle meines Körpers sich zu ihr hingezogen fühlt wie ein Magnet.

»Ich brauche Zeit, um nachzudenken.«

»Worüber musst du nachdenken?«

»Über dich. Mich. Uns. «

»Was ist mit uns?«

»Ich muss mir überlegen, ob es überhaupt jemals ein Uns gab.«

Meine Brust zieht sich angesichts dieses Geständnisses zusammen. Statt mich auf den Schmerz zu konzentrieren, der sich in meinem Körper ausbreitet, beschließe ich, ihn zu ignorieren. »Du hast einen Vertrag unterschrieben.«

»Aber es stand nichts davon drin, dass wir eine echte Beziehung führen müssen. Du hast es selbst als Spiel bezeichnet.«

»Es ist kein Spiel, verdammt noch mal, und das weißt du auch.« Dass sie so denken könnte, macht mich wütend, aber ich reiße mich zusammen. Ich habe ohnehin schon genügend Schaden angerichtet.

Sie schüttelt den Kopf. »Ich weiß nicht mehr, was ich noch glauben soll.«

»Na und? Willst du einfach so weitermachen wie früher, als wir noch nicht ineinander verliebt waren?«

Sie wendet den Blick ab, und die Antwort steht ihr klar ins Gesicht geschrieben. Das ist genau das, was sie vorhatte.

Ich stoße ein verbittertes Lachen aus. »Tu, was du willst. Nimm dir Zeit. Aber nichts wird die Tatsache ändern, dass du und ich füreinander bestimmt sind.«

Es kostet mich ungeheuer viel Selbstbeherrschung, um von ihr wegzutreten, aber es bringt nichts, sie weiter zu bedrängen. Sie braucht Zeit, und die werde ich ihr geben. Solange sie sich an meine Regeln hält.

* * *

Cal bringt Iris’ offizielles Kündigungsschreiben um neun Uhr vorbei, genau wie sie angekündigt hat. Obwohl ich alles dafür getan habe, dass sie es nicht tut, geht sie doch.

Alles nur wegen dir.

Cal steht vor mir.

Ich schaue von ihrem Brief auf. »Ja?«

»Unterschreibst du?«

Ich umklammere ihr Kündigungsschreiben mit beiden Händen. »Das habe ich vor.«

Er hebt eine Augenbraue und deutet auf den Brief.

»Du kannst jetzt wieder an deinen Schreibtisch gehen.«

»Ich soll deinen inneren Konflikt und deine Angst verpassen? Für wen hältst du mich?«

»Für einen Mann, der gleich tot ist.«

Er grinst. »Dich so aufgewühlt zu sehen, ist viel zu unterhaltsam, um es mir entgehen zu lassen, besonders wenn man bedenkt, wie unglücklich du Iris gemacht hast.«

»Kannst du mich bitte allein lassen? Ich bin nicht in Stimmung.«

Er zieht die Augenbrauen hoch, und mir wird bewusst, wie untypisch ich mich gerade verhalten habe. Ich habe ihn gebeten zu gehen.

Seit ich das Büro betreten habe, habe ich dauerhaft Sodbrennen. Kein Meeting und keine Aufgabe können mich von meinem Gespräch heute Morgen mit Iris ablenken.

Instinktiv gehe ich an Cals Schreibtisch vorbei, als würde ich erwarten, dass Iris dort sitzt, nur um mich zu erinnern, dass sie nicht mehr zurückkommen wird. Ich bin so daran gewöhnt, dass sie hier ist, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich mit ihrer Abwesenheit klarkomme.

»Es ist besser so.« Mein Bruder zieht Iris’ Stuhl zurück, aber ich deute auf den anderen.

Er wirft mir einen Blick zu, als er sich auf dem Stuhl gegenüber von Iris’ gewöhnlichem Platz niederlässt. »Sie kommt nicht zurück. Ihren Stuhl frei zu halten, ändert nichts daran.«

»Sie ist immer noch meine Frau. Der Stuhl gehört ihr, ganz egal, ob sie noch hier arbeitet oder nicht. Also setz dich auf den anderen.«

»Ist sie noch deine Frau?«

»Raus hier«, zische ich.

Er zuckt mit den Schultern. »Ich frage ja nur.«

»Nein, du suchst Streit.«

»Vielleicht. Aber dann können wir vielleicht wenigstens alles klären. Ich arbeite nicht gern in dieser angespannten Atmosphäre.«

»Es gibt nichts zu klären. Die Sache geht nur sie und mich etwas an, auch wenn du dir vielleicht was anderes einbildest.«

»Sie ist weinend bei mir aufgekreuzt, Declan. Ich werde das nicht unter den Teppich kehren, weil dir ein bisschen zu spät einfällt, dass du die falsche Entscheidung getroffen hast und sie zurückwillst.«

Ich balle die Fäuste im Schoß. »Ich will nicht mit dir darüber reden.«

»Dann unterschreibe, und ich bin weg.«

Ich greife nach einem Füller, doch halte dann inne. Meine Hand schwebt über der freien Linie für die Unterschrift.

Cal räuspert sich. »Wenn du sie wirklich liebst, musst du es tun.«

»Auch wenn es sich falsch anfühlt?«

»Natürlich fühlt es sich falsch an. Ihr beide wart zu lange voneinander abhängig.«

»Zumindest hast du aus dem Entzug, für den ich bezahlt habe, etwas mitgenommen.«

Auch wenn es ihn nicht vom Trinken abgehalten hat.

Er zeigt mir den Mittelfinger. »Dieser Job sollte nicht das sein, was euch zusammenhält, und er sollte auch nicht das sein, was euch auseinanderbringt. Wenn du also die Chance auf eine funktionierende Ehe willst, musst du sie kündigen lassen.«

Ich drücke den Füller auf das Papier und unterschreibe mit meinem Namen neben ihrem. »Hier.« Ich schiebe es von mir weg, ehe ich es zerreißen kann.

»Das wird schon wieder.«

»So fühlt es sich aber verdammt noch mal nicht an. Es fühlt sich eher so an, als ob ich sie verliere, bevor ich sie richtig hatte«, versetze ich.

Seine Miene wird weicher. »Es ist noch nicht zu spät, um sie zurückzubekommen.«

»Woher weißt du das?«

»Weil sie dich aus irgendeinem gottverdammten Grund liebt, trotz allem, was dagegenspricht.«

»Das hat sie mir nie gesagt.«

»Was?«

»Sie hat mir nie gesagt, dass sie mich liebt.« Meine Stimme wird leiser.

»Das heißt aber nicht, dass sie es nicht noch tun wird.« Er verlässt mein Büro mit Iris’ Kündigungsschreiben.

Ich hole mein Handy hervor, ehe ich mich davon abhalten kann. Ich werde mein Versprechen halten, Iris Zeit zu geben, aber das heißt nicht, dass ich schweigen muss, solange ich das tue.

Ich öffne unseren Chat und schreibe ein einziges Wort, um meine Gefühle auszudrücken.

Ich: Litost ******** .

Dazu sende ich ihr ein Foto von ihrem leeren Stuhl, um zu verdeutlichen, wie sehr ich darunter leide, stets daran erinnert zu werden, wie einsam ich ohne sie bin.

Sie antwortet nicht. Das habe ich auch nicht erwartet, aber dennoch lässt es meine Brust schmerzen.

Ich versuche, mich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren, aber immer wieder denke ich an unsere Beziehung, ganz egal, wie sehr ich mich bemühe. Statt mich zu zwingen, fahre ich meinen Computer herunter und verbringe den Rest meines Arbeitstages damit, darüber nachzugrübeln, wie ich Iris zurückgewinnen kann.

Cals Worte von vorhin hallen in meinem Kopf nach.

Sie liebt dich aus irgendeinem gottverdammten Grund, trotz allem, was dagegenspricht.

Aber was, wenn ich ihr alle Gründe gebe, die dafürsprechen?

********   Litost: Substantiv, Tschechisch: Zustand der Qual