Weil ich ein positiver Mensch bin und in meinen Backsendungen oft so lustig im Fernsehen herumspringe, könnte fast der Eindruck entstehen, mein Leben wäre ein einziges Feuerwerk. Das war es aber nicht – zumindest nicht immer …
Gern nehme ich euch mit hinter die Kulissen, in meine ganz persönliche Backwelt, in die ich quasi hineingeboren wurde. Und zwar Anfang der 1980er-Jahre in Frankenwinheim, einem kleinen Dorf in Unterfranken, in dem ich bis heute lebe. Meine Eltern besaßen in dritter Generation eine Bäckerei – meine Wurzeln liegen also seit jeher im Bäckerhandwerk. Nur einfach waren die Zeiten damals nicht. Das 100 Jahre alte Haus war mehr als marode, und das Geld reichte hinten und vorn nicht. Es musste viel und hart gearbeitet werden, das meiste dabei wurde von Hand erledigt. Die einzige Maschine, die es in der Backstube gab, war ein uralter Teigkneter. Selbst der Ofen wurde noch mit Kohle beheizt. Meine Eltern standen hinten in der Backstube und meine Großmutter vorn im Geschäft hinter der Verkaufstheke.
Nachdem meine ganze Familie Tag und Nacht arbeitete, blieb natürlich wenig Zeit, um sich mit mir zu beschäftigen und mir die große, weite Welt zu zeigen. Und so wurde die Backstube zu meinem Spielplatz, hier wurde ich groß: Schon als kleines Kind schälte ich Mandeln, mahlte Semmelmehl und rupfte Holzstücke aus den Obstkisten, damit später der Ofen damit angefeuert werden konnte. Während andere Kinder im Sand spielten, mischte ich mit einer Holzschaufel den Sauerteig. Nicht immer zu meinem Vergnügen, denn als ich älter wurde, musste ich extra vom Fußballtraining nach Hause sausen, um den Sauerteig mit einem großen Paddel umzurühren. Täglich um 17 Uhr. Ab und an übernahm mein Vater für mich den »Sauerteigdienst«. Spätestens da hatte ich eine ungefähre Ahnung, woher die Redewendung »sauer verdientes Geld« im wahrsten Sinne des Wortes »rührt«, denn meine Eltern entlohnten mich natürlich dafür. Und gegen ein bisschen Taschengeld aufbessern hatte ich nichts einzuwenden, selbst wenn ich dafür zwei bis drei Stunden mit der Drahtbürste die Bleche schrubben musste. Immerhin bekam ich dafür wöchentlich 20 DM und konnte mir mit meinem hart verdienten Geld meine heiß geliebten Heavy-Metal-Kassetten kaufen – aber dazu gleich mehr …
Der besondere Kindergarten schulte auf alle Fälle meine Sinne bis aufs Feinste! Bis heute rieche, fühle und schmecke ich kleinste Unterschiede in Rohstoffen, Teigen und Gebäcken. Backen besteht einfach aus viel Gefühl, noch mehr Geduld und einer riesengroßen Portion Erfahrung.
Meinen Ausgleich dazu fand ich schon früh in der Musik. In sehr, sehr lauter Musik. So, wie mein großer Cousin sie hörte – und so wie er wollte ich unbedingt werden –, er liebte nämlich Heavy Metal. Also probierte ich verschiedenste Instrumente aus und entschied mich schließlich (wen wundert’s?) dafür, das lauteste von allen zu lernen: Schlagzeug! Endlich würde ich gehört werden … Mein erstes Taschengeld gab ich dann gleich für eine Kassette von Iron Maiden aus. Es dauerte auch nicht lange, und meine Eltern wurden von meiner Erstklasslehrerin einbestellt: wegen der »ganz und gar abscheulichen Musik und Texte«. Ich hatte im Klassenzimmer wohl doch zu laut – nichts ahnend, was die Wörter wohl bedeuten – »Hey motherfucker« vor mich hingesungen und eifrig versucht, meine Mitschüler für die wahnsinnig geile Musik zu missionieren.
In meiner Jugend lebte ich weiterhin in diesen zwei Welten: in der Bäckerei und der Musik. Ich erlernte den Beruf des Bäckers, wurde danach auch Konditor – beides mit Auszeichnung. Mein knappes Lehrlingsgehalt besserte ich als Schlagzeuger in verschiedenen Combos auf. Oft ging es nahtlos von der Bühne in die Backstube, selbst an freien Tagen half ich zu Hause mit. Schlaf war Mangelware. Und so ging es weiter, weiter mit meinem Wehrdienst, den ich im nahen Veitshöchheim absolvierte – natürlich im Heeresmusikcorps. So konnte ich nachts nach wie vor meine Eltern unterstützen. Auch hier: Mehl und Sound im steten Wechsel.
Nach und nach wuchs meine Passion für gutes Brot, und die Musik wurde zu einem Hobby: An der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim, die weltweit renommierte Kaderschmiede unserer Zunft, absolvierte ich meine Meisterausbildung. Ich war einer der Jüngsten und schaffte selbst hier die Bestnote. Nach der Meisterprüfung bin ich direkt in den elterlichen Betrieb eingestiegen. Doch ich wollte mehr: mehr wissen, mehr lernen, mich fachlich weiterentwickeln.
Mit der Zeit expandierte auch die Bäckerei, und neue Filialen brachten zusätzliche Kundschaft. Ich arbeitete im Familienbetrieb, die Eltern hielten weiterhin die Zügel in der Hand, verbargen aber, dass die Zahlen immer noch alles andere als rosig waren … Und dann: stirbt völlig unerwartet mein Vater, und 30 Mitarbeiter sind ohne Führung! Nach diesem schweren Schicksalsschlag übernehme ich mit meiner Frau Eva – meiner Jugendliebe, mit der ich bereits eine Familie gegründet hatte – die Verantwortung und damit den Betrieb. Unser Credo: »Altes bewahren, aber keine Denkmalpflege betreiben.« Und dabei jeden Tag Spaß haben. Das gelingt uns, bis zum heutigen Tag.
Um weiterzukommen, ließ ich mich zum Brotsommelier ausbilden: Als einer der Ersten überhaupt absolvierte ich 480 Stunden dieser hochkarätigen Qualifikation und kann mich seither »geprüfter Brotsommelier« nennen. Davon, dass in dieser Weiterbildung als Prüfungsleistung eine Projektarbeit gefordert wurde, die mich später »weltberühmt« machen sollte, hatte ich anfangs keine Ahnung. Zum damaligen Zeitpunkt wollte ich lediglich meine beiden Welten zusammenbringen und untersuchen, welchen Einfluss die Beschallung von Sauerteig auf das Brotaroma hat. Welche Musik besonders gut ankommt. Die Ergebnisse waren schließlich so spektakulär, dass ich weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde. Und es mein Musikbrot Sonic Sourdough inzwischen sogar in China zu kaufen gibt.
Mit meinem neuen Brotsommelier-Wissen und meiner ganzen bisherigen Erfahrung setzte ich anschließend neue Impulse im Sortiment und in der Qualität unserer Backwaren. Das sprach sich herum. Johann Lafer kam vorbei und brachte die kleine Landbäckerei groß ins ZDF. Plötzlich wurde bundesweit über meine innovativen Ansätze gesprochen, etwa die Sauerteigreifung durch Musik positiv zu beeinflussen. Auch die Macher eines riesigen Musikfestivals fanden das super und ernannten mich kurzerhand zum »Wacken-Bäcker«. Und da ist sie wieder: die Verbindung von Musik und Backen.
Auf einmal wurde und werde ich durch die Erfolge in meinem Handwerk bundesweit wahrgenommen, gelte als Mutmacher, gebe Vorträge und gewinne viele renommierte Preise, darunter den Branchen-Oscar Marktkieker sowie den Staatsehrenpreis für das bayerische Bäckerhandwerk. Die Bäckerei lief immer besser. Das Geld reichte für eine neue Backstube nebst einem Raum für Kundenevents, in dem ich inzwischen für verschiedene TV-Sender vor der Kamera stehe. Und eine der größten Brauereien weltweit, die Tsingtao-Brauerei in China, bäckt auf ihrem Gelände nach meinem Rezept ein Bierbrot mit beschalltem Sauerteig. Meine Backwaren sind inzwischen ausgezogen: aus der Kinderstube in die große, weite Welt. Axels Brot in China – das ist doch völlig verrückt, oder?
Der steigende Bekanntheitsgrad, die gute Qualität unserer Produkte und Investitionen in Backstube und Bildung lassen meine Familie, unser Bäckereiteam und mich optimistisch in die Zukunft blicken. Doch ich will noch mehr. Ich will einfach viel mehr Menschen fürs Backen begeistern – darunter EUCH, liebe Leserinnen, liebe Leser. Außerdem möchte ich junge Menschen vom Bäckerhandwerk überzeugen. Vielleicht auch meine Söhne, falls sie später Interesse daran zeigen. Und: Ich will als Bäcker in die großen TV-Sendungen, den großen Starköchen nacheifern. Backen verdient in den Medien nämlich die ganz große Bühne – genauso wie das Kochen. Denn Backen hat Musik.
Apropos Musik: Ich mag viele Heavy-Metal-Bands, doch keine war mir während des Schreibens so nah wie Hämatom. Daher verrate ich euch zu Ehren auf > das Lieblingsrezept der Band.