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S. Boblest et al.Spezielle und allgemeine Relativitätstheoriehttps://doi.org/10.1007/978-3-662-63352-6_13

13. Schwarzschild-Metrik

Sebastian Boblest1  , Thomas Müller2   und Günter Wunner3  
(1)
Dürnau, Deutschland
(2)
Max-Planck-Institut für Astronomie, Haus der Astronomie, Heidelberg, Deutschland
(3)
Universität Stuttgart, 1. Institut für Theoretische Physik, Stuttgart, Deutschland
 
 
Sebastian Boblest (Korrespondenzautor)
 
Thomas Müller (Korrespondenzautor)
 
Günter Wunner (Korrespondenzautor)

Einer der wichtigsten Spezialfälle in der Newton'schen Mechanik ist das Gravitationsfeld einer kugelsymmetrischen Massenverteilung, denn damit lassen sich in sehr guter Näherung z. B. die Himmelskörper im Sonnensystem beschreiben. Dieser Fall ist einer der wenigen, für den auch die Einstein'schen Feldgleichungen analytisch gelöst werden können. Dabei betrachten wir aber nur den Außenraum, d. h. Regionen innerhalb der Massenverteilung sind im Folgenden ausgenommen. In Abschn. 21.​4.​1 kommen wir auf den Innenraum im Rahmen der Behandlung von Neutronensternen zu sprechen.

13.1 Herleitung der Schwarzschild-Metrik

Die Herleitung der entsprechenden Metrik für eine kugelsymmetrische Massenverteilung gelang Schwarzschild bereits 1916 [1], weshalb sie heute seinen Namen trägt.

Das Gravitationsfeld im Außenraum einer sphärisch-symmetrischen Massenverteilung mit der Gesamtmasse M ist in der Newton'schen Theorie gegeben durch das Potential
$$ {\phi}_{\mathrm{m}}(r)=-G\frac{M}{r}. $$
(13.1)
Wir suchen nun eine sphärisch-symmetrische Lösung der Einstein’schen Feldgleichungen (12.​40) mit verschwindender kosmologischer Konstante der Art, dass sie im Grenzfall kleiner Massen bzw. großer Distanzen die Newton’sche Theorie widerspiegelt. Da wir uns auf den Außenraum der Massenverteilung konzentrieren, wo keinerlei Materie oder Energie vorhanden sein soll, ist der Energie-Impuls-Tensor Tμν identisch Null. Die Feldgleichungen (12.​40) vereinfachen sich für den Vakuum-Außenraum daher zu
$$ {R}_{\mu \nu}=0\,  \forall \mu, \nu \in \left\{0,1,2,3\right\}. $$
(13.2)
Dabei haben wir berücksichtigt, dass wegen Tμν = 0 auch T = 0 und über R = −κT aus (12.​27) für Λ = 0 auch R = 0 ist. Diese Bedingung bedeutet aber nicht, dass der Raum flach ist, wie man vielleicht im ersten Moment annehmen könnte.
Für unsere gesuchte sphärisch-symmetrische Metrik in der ART machen wir nun den Ansatz
$$ \mathrm{d}{s}^2=-{\mathrm{e}}^{2\varPhi (r)}{c}^2\mathrm{d}{t}^2+{\mathrm{e}}^{2\varPsi (r)}\mathrm{d}{r}^2+{r}^2\mathrm{d}{\varOmega}^2. $$
(13.3)
Dabei sind Φ(r) und Ψ(r) unbekannte Funktionen, die nur von der Radialkoordinate r ≥ 0 abhängen und die wir im Folgenden bestimmen müssen. Der Ansatz mit den Ausdrücken e2Φ(r) und e2Ψ(r) statt etwa direkt Φ(r) ist willkürlich, wird aber in der Literatur oft verwendet und wir folgen dieser Konvention. Das Differential hängt von den sphärischen Winkelkoordinaten 𝜗 ∈ [0, π] und φ ∈ [0, 2π) ab und beschreibt das gewohnte Flächenelement einer Einheitskugel.
Vergleichen wir den Ansatz (13.3) mit der Metrik des flachen euklidischen Raumes
$$ \mathrm{d}{l}^2=\mathrm{d}{r}^2+{r}^2\mathrm{d}{\varOmega}^2, $$
(13.4)
so sehen wir, dass die Radialkoordinate r in beiden Fällen nicht dasselbe bedeutet. Auf den Unterschied kommen wir in Abschn. 13.2 noch genauer zu sprechen.

Da wir uns im Folgenden zunächst nur auf statische Metriken beschränken wollen, gibt es in (13.3) keine explizite Abhängigkeit von der Zeitkoordinate t (s. Abschn. 11.​3.​3).

Der Ansatz (13.3) für unsere Metrik führt auf die zugehörigen nichtverschwindenden Christoffel-Symbole
$$ {\varGamma^t}_{tr}\,  ={\varPhi}_{,r},\,  $$
(13.5a)
$$ {\varGamma^r}_{tt}\,  ={c}^2{\varPhi}_{,r}\,  {\mathrm{e}}^{2\left(\varPhi -\varPsi \right)},\,  {\varGamma^r}_{rr}={\varPsi}_{,r},\,  $$
(13.5b)
(13.5c)
(13.5d)
(13.5e)
mit Φ,r = dΦ∕dr und analog Ψ,r = dΨ∕dr. Aus den Christoffel-Symbolen können wir den Ricci-Tensor berechnen. Dessen nichtverschwindende Komponenten lauten
$$ {R}_{tt}\,  ={c}^2\frac{{\mathrm{e}}^{2\left(\varPhi -\varPsi \right)}}{r}\left({\varPhi}_{,r}^2r-{\varPsi}_{,r}{\varPhi}_{,r}r+{\varPhi}_{, rr}r+2{\varPhi}_{,r}\right),\,  $$
(13.6a)
$$ {R}_{rr}\,  =\frac{1}{r}\left(2{\varPsi}_{,r}-{\varPhi}_{, rr}r+{\varPsi}_{,r}{\varPhi}_{,r}r-{\varPhi}_{,r}^2r\right),\,  $$
(13.6b)
(13.6c)
(13.6d)
Wir multiplizieren (13.6a) mit re2(ΨΦ)c2 und (13.6b) mit r und bilden dann die Summe (13.6b) +(13.6a) unter Verwendung von (13.2):
$$ {\varPhi}_{,r}+{\varPsi}_{,r}=0. $$
(13.7)
Einsetzen dieses Ergebnisses in e2ΨR𝜗𝜗 = 0 führt auf die gewöhnliche Differentialgleichung
$$ 2r{\varPsi}_{,r}+{\mathrm{e}}^{2\varPsi }-1=0. $$
(13.8)
Wir separieren die Variablen und gelangen zu
$$ \int \frac{\mathrm{d}\varPsi }{1-{\mathrm{e}}^{2\varPsi }}=\int \frac{\mathrm{d}r}{2r}. $$
(13.9)
Für das rechte Integral finden wir sofort eine Stammfunktion. Unter Verwendung der Substitution x = e2Ψ und einer Partialbruchzerlegung können wir das linke Integral leicht lösen und finden schließlich
$$ \mathcal{A}+\varPsi -\frac{1}{2}\ln \left(1-{\mathrm{e}}^{2\varPsi}\right)=\frac{1}{2}\ln (r), $$
(13.10)
wobei wir sämtliche Integrationskonstanten in $$ \mathcal{A} $$ verpackt haben. Nach Exponentieren und mit der Abkürzung $$ \mathcal{B} := {\mathrm{e}}^{2\mathcal{A}} $$ gelangen wir zu
$$ \mathcal{B} \frac{{\mathrm{e}}^{2\varPsi }}{1-{\mathrm{e}}^{2\varPsi }}=r\,  \mathrm{bzw}.\,  {\mathrm{e}}^{2\varPsi }=\frac{r}{\mathcal{B} +r}=\frac{1}{1+\mathcal{B} / r}. $$
(13.11)
Das führt weiter auf
$$ {\varPsi}_{,r}=\frac{\mathcal{B}}{2r\left(\mathcal{B} +r\right)}. $$
(13.12)
Setzen wir (13.12) in (13.7) ein, so erhalten wir nach erneuter Partialbruchzerlegung und Integration
$$ {\mathrm{e}}^{2\varPhi }=\mathcal{C}\left(1+\frac{\mathcal{B}}{r}\right). $$
(13.13)
Die Bestimmung der Konstanten $$ \mathcal{B} $$ und $$ \mathcal{C} $$ erfolgt über die Betrachtung des nichtrelativistischen Grenzfalls und des Grenzfalls r. Für r soll gμν in die Minkowski-Metrik übergehen, da im Unendlichen die Massenverteilung keinen Einfluss mehr auf die Metrik haben sollte. Es folgt dann die Bedingung
(13.14)
Weiter wissen wir aus (12.​33), dass im Newton'schen Grenzfall gtt = −(c2 + 2ϕm) mit ϕm = −GMr gilt. Dies führt auf die Bedingung
(13.15)
Diese Konstante kennen wir bereits aus Abschn. 1.​4.​2, dort haben wir den Schwarzschild-Radius
$$ {r}_{\mathrm{s}}=2\frac{GM}{c^2} $$
(1.38)
als charakteristische Länge der Gravitationswechselwirkung eingeführt.
Wenn wir alle Ergebnisse zusammenfassen, haben wir damit die Schwarzschild-Metrik
$$ \mathrm{d}{s}^2=-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2\mathrm{d}{t}^2+\frac{\mathrm{d}{r}^2}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}+{r}^2\mathrm{d}{\varOmega}^2 $$
(13.16)
mit hergeleitet.

Die Beschränkung, dass die Funktionen Φ(r) und Ψ(r) alleine von der Radialkoordinate r abhängen sollen, ist eigentlich zu eng gefasst. Jebsen1 zeigte 1921 [2], dass auch ein allgemeinerer Ansatz, wo die beiden Funktionen auch von der Zeitkoordinate t abhängen dürfen, ebenfalls zur Schwarzschild-Metrik führt. Sie ist daher die eindeutige Lösung der Vakuum-Feldgleichungen mit sphärischer Symmetrie und verschwindender kosmologischer Konstante. Das Theorem, dass die statische Schwarzschild-Metrik die Lösung für jede beliebige sphärisch-symmetrische Massenverteilung ist, wurde jedoch lange Zeit Birkhoff 2 alleine zugeschrieben, der das nach ihm benannte Birkhoff'sche-Theorem [3] 1923 fand, siehe auch [4].

13.2 Eigenschaften der Schwarzschild-Metrik

Im Folgenden wollen wir auf einige erste physikalische Eigenschaften der Schwarzschild-Metrik eingehen.

13.2.1 Singularitäten

An den Metrikkomponenten gtt und grr in (13.16) erkennen wir sofort zwei Problemstellen (Singularitäten) bei r = 0 und r = rs. Wir haben aber bereits in Abschn. 11.​2.​4 für den Fall der Metrik der Kugelfläche gesehen, dass an solchen Stellen nicht unbedingt etwas physikalisch Außergewöhnliches passieren muss. Um eine koordinatenunabhängige Aussage treffen zu können, was an diesen Stellen passiert, benötigen wir eine skalare Größe wie zum Beispiel den Ricci-Skalar. Dieser ist jedoch schon per Konstruktion identisch Null. Wir verwenden daher den Kretschmann-Skalar$$ \mathcal{K} $$ aus (11.​104) zur Charakterisierung der Problemstellen. Für die Schwarzschild-Metrik gilt
$$ \mathcal{K}=12\frac{r_{\mathrm{s}}^2}{r^6}. $$
(13.17)
Bei r = rs verhält sich dieser Krümmungsskalar regulär. Es handelt sich also ,,nur“ um eine Koordinatensingularität, die durch die Wahl anderer Koordinaten wegtransformiert werden kann (s. Abschn. 13.3.2) . Dennoch hat die zugehörige Kugelfläche eine physikalische Bedeutung, was allein schon durch den Vorzeichenwechsel der Metrikkomponenten gtt und grr zum Ausdruck kommt. Die Koordinaten t und r tauschen hier ihren raum- bzw. zeitartigen Charakter. Im Fall der Schwarzschild-Metrik wird diese Kugeloberfläche auch Ereignishorizont oder kurz Horizont genannt, da sie den inneren Bereich nach außen hin vollkommen abschirmt. Nichts, was unterhalb des Horizonts passiert, kann von außerhalb beobachtet werden.
Den Wechsel zwischen raum- und zeitartigem Charakter der Koordinaten t und r können wir mit Hilfe radialer Lichtkegel verdeutlichen. Mit d𝜗 = dφ = 0 reduziert sich (13.16) für lichtartige Geodäten auf
$$ \mathrm{d}{s}^2=-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2\mathrm{d}{t}^2+\frac{\mathrm{d}{r}^2}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}=0. $$
(13.18)
Daraus resultieren die Steigungen
$$ \frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}r}=\pm \frac{1}{c\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r\right)} $$
(13.19)
der radialen Lichtkegel in einem r-t-Diagramm (s. Abb. 13.1).
Abb. 13.1

Bei Annäherung an den Schwarzschild-Radius rs verengen sich die Lichtkegel immer weiter. Am Schwarzschild-Radius sind sie zu einer Linie entartet und öffnen sich innerhalb des Schwarzschild-Radius entlang der Raumachse. Der dunkelgraue Bereich kennzeichnet den Zukunftslichtkegel

Die Lichtkegel verengen sich bei Annäherung an den Schwarzschild-Radius. Für r > rs sind sie entlang der Zeitachse geöffnet, für r < rs öffnen sich die Lichtkegel entlang der Raumachse, d. h. r wird eine zeitartige und t eine raumartige Koordinate. Unterhalb des Horizonts bewegt sich alles unausweichlich auf die Singularität bei r = 0 zu.

13.2.2 Messung der Radialkoordinate

Die Radialkoordinate r in der Schwarzschild-Metrik (13.16) kann aufgrund der Metrikkomponente grr = (1 − rsr)−1 nicht wie in der flachen Raumzeit als tatsächlicher Abstand zum Ursprung interpretiert werden. Wir können ihr jedoch über folgende Messvorschrift eine Bedeutung zuordnen. Betrachten wir zu einer festen Zeit t alle Punkte mit einer festen Radialkoordinate, deren Wert wir allerdings noch nicht kennen. Für diese gilt
(13.20)
Über die Kraft, die die Massenverteilung ausübt, können wir erreichen, dass alle betrachteten Punkte, bzw. an diesen Positionen ruhende Beobachter, die gleiche Radialkoordinate haben. Diese können wir dann über eine Flächen- oder Umfangsbestimmung ermitteln. Für ein Flächenelement folgt mit (13.20) aus (13.16)
(13.21)
Die zugehörige Kugeloberfläche ist F = 4πr2. Durch Messung der Fläche, auf der alle Beobachter liegen, können wir dann die Radialkoordinate bestimmen. Alternativ können wir auch eine Umfangsmessung durchführen, indem wir uns auf Punkte mit 𝜗 = π∕2 beschränken. Diese liegen auf einer Kurve der Länge U = 2πr.

Über die Messung der Fläche oder des Umfangs kann man also, zumindest theoretisch, die Radialkoordinate bestimmen.

13.2.3 Radialabstand von Punkten

Den tatsächlichen messbaren Abstand von Punkten mit unterschiedlicher Radialkoordinate können wir ebenfalls direkt aus dem Linienelement (13.16) ermitteln. Mit den Differentialen
(13.22)
folgt für den differentiellen Eigenradialabstand
$$ \mathrm{d}{s}_{\mathrm{r}}=\frac{1}{\sqrt{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}}\mathrm{d}r\ge \mathrm{d}r. $$
(13.23)
Aufgrund des Wurzelausdrucks können wir radiale Abstände nur jenseits des Schwarzschild-Radius rs bestimmen. Für r > rs und r2r1 gilt dann aber
$$ \Delta s=\underset{r_1}{\overset{r_2}{\int }}\mathrm{d}{s}_{\mathrm{r}}&gt;{r}_2-{r}_1. $$
(13.24)
Der Eigenradialabstand Δs ist stets größer als der Radialabstand, den man aus der Differenz der Radialkoordinaten bestimmen würde.
Für den Abstand zum Ereignishorizont ergibt sich
$$ \Delta s={r}_{\mathrm{s}}\sqrt{\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}\left(\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1\right)}+\frac{r_{\mathrm{s}}}{2}\ln \left[2\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1+2\sqrt{\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}\left(\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1\right)}\right]. $$
(13.25)
Abb. 13.2 zeigt den Eigenradialabstand Δs zum Ereignishorizont in Abhängigkeit von der Radialkoordinate r entsprechend (13.25), normiert bezüglich des Schwarzschild-Radius rs.
Abb. 13.2

Eigenradialabstand Δs zum Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs in Abhängigkeit von der Radialkoordinate r, normiert bezüglich des Schwarzschild-Radius rs. Zur Orientierung ist der Photonenorbit r = 3rs∕2 eingezeichnet (s. Abschn. 13.2.6). Dort wird Licht bereits so stark abgelenkt, dass es auf einer Kreisbahn um das Schwarze Loch läuft

13.2.4 Bedeutung der Koordinatenzeit

Aus dem Linienelement (13.16) der Schwarzschild-Metrik können wir auch eine Beziehung zwischen der Zeitkoordinaten t und der tatsächlich messbaren Eigenzeit τ eines Beobachters herleiten. Betrachten wir einen Beobachter, der an einem festen Koordinatenpunkt ruht, so gilt für ihn
(13.26)
Setzen wir dies in das Linienelement (13.16) ein, so folgt
$$ \mathrm{d}{s}^2=-{c}^2\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)\mathrm{d}{t}^2\equiv -{c}^2\,  \mathrm{d}{\tau}^2\,  \mathrm{bzw}.\,  \mathrm{d}\tau =\sqrt{1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}}\,  \mathrm{d}t&lt;\mathrm{d}t. $$
(13.27)
Für einen weit entfernten Beobachter, r, stimmt die Koordinatenzeit mit dessen Eigenzeit überein. Je weiter wir uns jedoch dem Schwarzschild-Radius rs nähern, umso mehr geht das Verhältnis zwischen Eigenzeit und Koordinatenzeit gegen Null. Das heißt aber, dass die Eigenzeit für einen Beobachter in der Nähe des Schwarzschild-Radius langsamer vergeht als für einen sich weiter entfernt befindenden Beobachter. Im Grenzfall r = rs würde die Eigenzeit im Vergleich zum Rest des Universums stillstehen. Allerdings kann ein Beobachter in r = rs nicht in Ruhe sein, da er hierfür eine unendlich große Beschleunigung benötigen würde (s. Abschn. 16.​2.​2, (16.​18)).

13.2.5 Radiale lichtartige Geodäten

Aus der Schwarzschild-Metrik (13.16) können wir unmittelbar die Lichtlaufzeit Δt(r1, r2) zwischen zwei Punkten P1 = (r1, 𝜗, φ) und P2 = (r2, 𝜗, φ) bestimmen. Mit d𝜗 = dφ = 0 und ds2 = 0 für radiale lichtartige Geodäten folgt
(13.28)
Im Grenzfall r1rs oder r2rs divergiert die Lichtlaufzeit. Für einen Beobachter am Ort r2 und ein Objekt bei r1 < r2 heißt das aber, dass das Licht vom Objekt umso länger benötigt, je näher es sich am Ereignishorizont befindet. Licht von einem Objekt unterhalb des Ereignishorizonts erreicht einen äußeren Beobachter also nie.

13.2.6 Photonenorbit in der Schwarzschild-Metrik

Die Geodätengleichung (11.​131) für die Schwarzschild-Metrik mit dem metrischen Tensor aus (13.16) , den sphärischen Koordinaten xμ = (t, r, 𝜗, φ) für den Ort und uμ = (ut, ur, u𝜗, uφ) für die Geschwindigkeit, lautet
$$ \frac{{\mathrm{d}}^2t}{\mathrm{d}{\lambda}^2}=\,  -\frac{r_{\mathrm{s}}}{r\left(r-{r}_{\mathrm{s}}\right)}{u}^t{u}^r,\,  $$
(13.29a)
(13.29b)
(13.29c)
(13.29d)
Besonders interessant ist der Sonderfall r = 3rs∕2. Dieser Abstand charakterisiert den Photonenorbit, Lichtstrahlen können hier auf einer Kreisbahn um das Schwarze Loch laufen.
Die Existenz eines kreisförmigen Orbits in der Schwarzschild-Metrik können wir wie folgt herleiten. Dabei können wir uns aufgrund der sphärischen Symmetrie der Metrik auf Orbits innerhalb der 𝜗 = π∕2 Ebene beschränken. Der Startpunkt für einen Lichtstrahl sei nun durch den Punkt xμ = (t0, r, π∕2, φ0) gegeben. Damit der Lichtstrahl auf einer Kreisbahn bleibt, muss die Vierergeschwindigkeit uμ stets die Form
$$ {u}^{\mu }=\left({u}^t,0,0,\omega \right) $$
(13.30)
haben. Aus der Zwangsbedingung gμνuμuν = 0 für lichtartige Geodäten, die unmittelbar aus der Definition der Lagrange-Funktion (11.​134) folgt, ergibt sich
$$ {u}^t=\frac{r\omega}{c\sqrt{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}}. $$
(13.31)
Zudem muss die radiale Beschleunigung, (13.29b), identisch verschwinden. Aus d2r∕dl2 = 0 ergibt sich dann
$$ {\left({u}^t\right)}^2=\frac{2{r}^3}{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{\left({u}^{\varphi}\right)}^2=\frac{2{r}^3}{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{\omega}^2. $$
(13.32)
Setzen wir (13.31) in (13.32) ein, so erhalten wir unmittelbar den Radius
$$ {r}_{\mathrm{po}}=\frac{3}{2}{r}_{\mathrm{s}} $$
(13.33)
für den Photonenorbit.

13.2.7 Qualitatives Verhalten von Geodäten

Das qualitative Verhalten von licht- und zeitartigen Geodäten in der Schwarzschild-Raumzeit können wir am einfachsten mit Hilfe des Euler-Lagrange-Formalismus (s. Abschn. 11.​4.​2) bestimmen. Berücksichtigen wir noch die sphärische Symmetrie, können wir uns auf Geodäten in der Äquatorialebene, 𝜗 = π∕2, beschränken. Die Lagrange-Funktion lautet in diesem Fall
$$ \mathcal{L} =-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2{\dot{t}}^2+\frac{{\dot{r}}^2}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}+{r}^2{\dot{\varphi}}^2=\kappa {c}^2. $$
(13.34)
Wie man sofort sieht, sind t und φ zyklische Variablen, da sie nicht explizit in $$ \mathcal{L} $$ auftauchen. Aus der Euler-Lagrange-Gleichung (11.​135) folgt dann
$$ \left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2\dot{t}=k,\,  {r}^2\dot{\varphi}=h,\,  \frac{1}{2}{\dot{r}}^2+{V}_{\mathrm{eff}}=\frac{1}{2}\frac{k^2}{c^2} $$
(13.35)
mit dem effektiven Potential
$$ {V}_{\mathrm{eff}}=\frac{1}{2}\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)\left(\frac{h^2}{r^2}-\kappa {c}^2\right) $$
(13.36)
und den Konstanten der Bewegung k und h. Diese entsprechen im Fall zeitartiger Geodäten der Energie bzw. dem Drehimpuls pro Einheitsmasse im asymptotisch flachen Raum. Im Fall von lichtartigen Geodäten zählt nur das Verhältnis ε = chk. Die letzte Beziehung in (13.35) wird, analog zur klassischen Mechanik, als Energiebilanzgleichung bezeichnet.
Wollen wir die Konstanten der Bewegung aus Sicht eines ruhenden Beobachters angeben, so benötigen wir noch dessen lokales Bezugssystem, welches zum Beispiel durch die lokale Tetrade
(13.37)
beschrieben werden kann (s. Abschn. 11.​2.​5). Eine Geodäte in der Äquatorialebene hat dann eine Startrichtung $$ \underline{\boldsymbol{y}} $$ bezogen auf diese Tetrade von
$$ \underline{\boldsymbol{y}}={y}^{(t)}{\underline{\mathbf{e}}}_{(t)}+{y}^{(r)}{\underline{\mathbf{e}}}_{(r)}+{y}^{\left(\varphi \right)}{\underline{\mathbf{e}}}_{\left(\varphi \right)}={y}^{(t)}{\underline{\mathbf{e}}}_{(t)}+\rho \cos \left(\xi \right){\underline{\mathbf{e}}}_{(r)}+\rho \sin \left(\xi \right){\underline{\mathbf{e}}}_{\left(\varphi \right)}. $$
(13.38)
Aus der Normierungsbedingung $$ {&lt;\underline{\boldsymbol{y}},\underline{\boldsymbol{y}}&gt;}_{\boldsymbol{\eta}}=-{\left({y}^{(t)}\right)}^2+{\left({y}^{(r)}\right)}^2+{\left({y}^{\left(\varphi \right)}\right)}^2=\kappa {c}^2 $$ (s. (11.​137)) folgt dann
$$ k=c\sqrt{\rho^2-\kappa {c}^2}\sqrt{1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r_{\mathrm{beob}}}}\,  \mathrm{und}\,  h={r}_{\mathrm{beob}}\,  \rho \,  \sin \left(\xi \right) $$
(13.39)
mit der radialen Beobachterposition r = rbeob.

Lichtartige Geodäten

Betrachten wir das effektive Potential Veff für lichtartige Geodäten, so findet man lediglich eine Extremalstelle bei r = 3rs∕2 (s. Abb. 13.3). Wie bereits in Abschn. 13.2.6 gesehen, entspricht diese Stelle dem Photonenorbit. Da es sich allerdings um ein Maximum handelt, ist der Photonenorbit instabil. Eine kleine Abweichung Δr < 0 und der Lichtstrahl fällt in die Singularität, wohingegen eine positive radiale Abweichung den Lichtstrahl gegen Unendlich laufen lässt.
Abb. 13.3

Effektives Potential für eine lichtartige Geodäte. Das Maximum Vmax liegt stets an der Position rpo = 3rs∕2 und repräsentiert den Photonenorbit

Mit Hilfe des effektiven Potentials kann man auch den minimalen Abstand rmin einer lichtartigen Geodäten zum Ursprung bestimmen. Dieser folgt für festgelegtes k und h aus der Energiebilanzgleichung (13.35) mit $$ \dot{r}=0 $$ für den Umkehrpunkt der Geodäten. Auflösen nach dem Radius führt auf
$$ {r}_{\mathrm{min}}=\frac{2\varepsilon }{\sqrt{3}}\cos \left[\frac{1}{3}\operatorname{arccos}\left(-\frac{3\sqrt{3}{r}_{\mathrm{s}}}{2\varepsilon}\right)\right] $$
(13.40)
mit $$ \varepsilon =c\,  h/ k={r}_{\mathrm{beob}}\sin \left(\xi \right)/ \sqrt{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{beob}}} $$, wobei wir ρ = 1 wählen konnten.
Ist rmin = 3rs∕2, so nähert sich die zugehörige Geodäte asymptotisch dem Photonenorbit. Der entsprechende Beobachterwinkel ξkrit folgt wiederum aus der Energiebilanzgleichung zu
$$ {\sin}^2\left({\xi}_{\mathrm{krit}}\right)=\frac{27}{4}\frac{r_{\mathrm{s}}^2}{r_{\mathrm{beob}}^2}\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r_{\mathrm{beob}}}\right). $$
(13.41)
Befindet sich der Beobachter unterhalb des Photonenorbits, rs < rbeob < 3rs∕2, so müssen wir den Winkel ξkrit durch 180°− ξkrit ersetzen.

Zeitartige Geodäten

Bei zeitartigen Geodäten kann es bis zu zwei Extremalstellen geben, die sich an den Positionen
$$ {r}_{\pm }=\frac{h^2\pm h\sqrt{h^2-3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2}}{c^2{r}_{\mathrm{s}}} $$
(13.42)
befinden, wobei das Potential bei r+ ein Minimum und bei r ein Maximum annimmt. Ist die Diskriminante $$ {h}^2-3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2 $$ negativ, so gibt es keine Extremalstelle. Im Fall $$ {h}^2=3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2 $$ handelt es sich um eine indifferente Extremalstelle und für $$ {h}^2&gt;3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2 $$ gibt es zwei Extremalstellen. Daraus folgt auch, dass r+ und r nur in den Bereichen
$$ {r}_{+}\ge 3{r}_{\mathrm{s}}\,  \mathrm{und}\,  \frac{3}{2}{r}_{\mathrm{s}}&lt;{r}_{-}&lt;3{r}_{\mathrm{s}} $$
(13.43)
vorkommen können.
Abb. 13.4 zeigt das effektive Potential einer zeitartigen Geodäten mit zwei Extremalstellen. Die Konstanten der Bewegung h und k sind so gewählt, dass sich die zeitartige Geodäte stets im Bereich zwischen rmin und rmax aufhält. Dabei ist rmin die größte Annäherung und rmax die größte Entfernung der Geodäten zum Zentrum, sie befindet sich also in einem gebundenen Orbit. Analog zur klassischen Mechanik kann die Geodäte den Potentialwall bei r nicht überwinden und ist daher vor dem Sturz in das Zentrum bewahrt. Aus dem Potential können wir jedoch nicht ablesen, ob die Geodäte einem geschlossenen Orbit folgt. Aufgrund der in Abschn. 13.4.2 besprochenen Periheldrehung ist dies in der Regel nicht der Fall. Eine ausführliche Diskussion zu periodischen Orbits in der Schwarzschild-Metrik findet man zum Beispiel bei Levin und Perez-Giz [5].
Abb. 13.4

Effektives Potential für eine zeitartige Geodäte mit zwei Extremalstellen

Den Spezialfall einer stabilen kreisförmigen zeitartigen Geodäten erhalten wir, wenn wir in der Lagrange-Funktion (13.34) $$ \dot{r}=0 $$ und den Radius der Kreisbahn in das Minimum des Potentials bei r+ setzen. Die Konstanten der Bewegung lauten dann
$$ {k}^2={c}^4{\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r_{+}}\right)}^2{\left(1-\frac{3{r}_{\mathrm{s}}}{2{r}_{+}}\right)}^{-1}\,  \mathrm{und}\,  {h}^2=\frac{c^2{r}_{+}^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{r}_{+}-3{r}_{\mathrm{s}}}. $$
(13.44)
Bewegt sich ein Objekt entlang dieser Geodäten, so können wir ihm eine Winkelgeschwindigkeit $$ \omega =\mathrm{d}\varphi / \mathrm{d}\tau =\dot{\varphi} $$ bezogen auf seine Eigenzeit t zuordnen, wobei
$$ {\omega}^2=\frac{h^2}{r_{+}^4}=\frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{r_{+}^2\left(2{r}_{+}-3{r}_{\mathrm{s}}\right)}. $$
(13.45)
Bezogen auf die Koordinatenzeit erhalten wir die Winkelgeschwindigkeit $$ \varOmega =\mathrm{d}\varphi / \mathrm{d}t=\dot{\varphi}/ \dot{t} $$ und daraus $$ {\varOmega}^2={c}^2{r}_{\mathrm{s}}/ \left(2{r}_{+}^3\right) $$. Entsprechend können wir die Zeiten für einen vollen Umlauf berechnen und erhalten t2π = 2πω bzw. T2π = 2πΩ. Um dem Objekt auch eine Geschwindigkeit v = zuordnen zu können, die ein Beobachter an dessen aktueller Position misst, müssen wir zunächst die Vierergeschwindigkeit $$ \underline{\boldsymbol{u}}=\dot{t}{\partial}_t+\dot{\varphi}{\partial}_{\varphi }= c\gamma \left({\underline{\mathbf{e}}}_{(t)}+\beta {\underline{\mathbf{e}}}_{\left(\varphi \right)}\right) $$ bestimmen. Daraus folgt dann
$$ v=c\sqrt{\frac{r_{\mathrm{s}}}{2\left({r}_{+}-{r}_{\mathrm{s}}\right)}}. $$
(13.46)
Bisher haben wir noch nicht berücksichtigt, dass der Radius r+ beschränkt ist (s. (13.43)). Im Fall r+ = 3rs hat das effektive Potential (13.36) nur eine (indifferente) Extremalstelle. Jegliche noch so kleine radiale Auslenkung sorgt dafür, dass die zeitartige Geodäte in die Singularität stürzt. Dennoch hat sich eingebürgert, den zugehörigen Orbit, rlso = 3rs, als letzten stabilen Orbit (lso) zu bezeichnen. Ein Objekt bewegt sich hier mit halber Lichtgeschwindigkeit um das Zentrum.

13.2.8 Einstein-Ring

Befindet sich ein punktförmiges Objekt exakt auf der Verbindungslinie zwischen Massezentrum und Beobachter, in Abb. 13.5 entspricht dies der x-Achse, so erscheint es ihm als Einstein-Ring . Der Grund dafür ist die sphärische Symmetrie der Schwarzschild-Raumzeit. Alle Lichtstrahlen, die unter dem gleichen Winkel ξ zur Verbindungslinie beim Beobachter eintreffen, stammen vom gleichen Objekt. Aufgrund der starken Lichtablenkung in der Schwarzschild-Raumzeit gibt es aber nicht nur diesen Einstein-Ring erster Ordnung, sondern im Prinzip unendliche viele Ringe. Startet ein Lichtstrahl beim Objekt und umkreist das Massezentrum einmalig bevor es den Beobachter erreicht, so sprechen wir von einem Einstein-Ring zweiter Ordnung.
Abb. 13.5

Das punktförmige Objekt bei x = −8rs erscheint dem Beobachter bei x = 20rs als Einstein-Ring mit dem Öffnungswinkel ξ ≈ 11,9473° (Ring erster Ordnung) bzw. ξ ≈ 7,279793° (Ring zweiter Ordnung)

Sind Beobachterort r = ri und Objektort r = rf bekannt, so kann man den Winkel ξ des Einstein-Rings wie folgt berechnen. Ausgangspunkt ist die Bilanzgleichung (13.35) mit dem effektiven Potential (13.36) für κ = 0 und die Konstante der Bewegung h. Damit gilt
$$ {\left(\frac{\mathrm{d}r}{\mathrm{d}\varphi}\right)}^2=\frac{{\dot{r}}^2}{{\dot{\varphi}}^2}={r}^4\frac{k^2}{c^2{h}^2}-{r}^2\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right). $$
(13.47)
Nach der Substitution x = rsr folgt daraus
$$ {\left(\frac{\mathrm{d}x}{\mathrm{d}\varphi}\right)}^2={a}^2-{x}^2\left(1-x\right)\,  \mathrm{mit}\,  {a}^2=\frac{k^2{r}_{\mathrm{s}}^2}{c^2{h}^2}=\frac{x_{\mathrm{i}}^2\left(1-{x}_{\mathrm{i}}\right)}{\sin^2\left(\xi \right)} $$
(13.48)
und xi = rsri. Dieses elliptische Integral können wir formal lösen, müssen es jedoch in zwei Bereiche aufteilen
$$ \varphi =\underset{x_{\mathrm{i}}}{\overset{x_{\mathrm{f}}}{\int }}\frac{\mathrm{d}x}{\sqrt{a^2-{x}^2\left(1-x\right)}}=\underset{x_{\mathrm{i}}}{\overset{x_{\mathrm{min}}}{\int }}\frac{\mathrm{d}x}{\sqrt{\dots }}+\underset{x_{\mathrm{f}}}{\overset{x_{\mathrm{min}}}{\int }}\frac{\mathrm{d}x}{\sqrt{\dots }}, $$
(13.49)
abhängig vom kleinsten Abstand (13.40) der Geodäten zum Ursprung
$$ {x}_{\mathrm{min}}=\frac{r_{\mathrm{s}}}{r_{\mathrm{min}}}=\frac{\sqrt{3}a}{2}{\left\{\cos \left[\frac{1}{3}\operatorname{arccos}\left(-\frac{3\sqrt{3}a}{2}\right)\right]\right\}}^{-1}. $$
(13.50)
In (13.49) haben wir auch gleich die entsprechenden Integrationsrichtungen und Vorzeichen berücksichtigt. Den Winkel ξ für den Einstein-Ring erster Ordnung erhalten wir nun, wenn wir in (13.49) den Winkel φ = π wählen. Allerdings können wir die resultierende implizite Gleichung, bei der ξ nicht nur im Integranden, sondern auch in den Integralgrenzen steckt, nicht einfach nach ξ auflösen. Vielmehr müssen wir ein numerisches Verfahren anwenden und dabei sehr sorgsam auf einen Startwert oder auf Startgrenzen achten. Für einen Einstein-Ring n-ter Ordnung mit n ≥ 1 müssen wir entsprechend φ = (2n − 1)π setzen.

13.3 Schwarze Löcher

Die Schwarzschild-Metrik gilt für alle sphärisch-symmetrischen Massenverteilungen mit verschwindender kosmologischer Konstante. Befindet sich diese Massenverteilung vollständig unterhalb des Schwarzschild-Radius, so beschreibt sie auch eines der außergewöhnlichsten Objekte in der ART – ein statisches Schwarzes Loch. Wie bereits im vorherigen Abschn. 13.2 diskutiert, trennt der Ereignishorizont den Innenbereich vom Außenbereich vollkommen ab. Dies bedeutet aber auch, dass nicht einmal Licht aus dem Innenbereich nach außen gelangen kann, weshalb dieser Bereich schwarz ist. Stark vereinfacht haben wir diesen Fall bereits in Abschn. 1.​4.​4 angesprochen.

In den folgenden Abschnitten wollen wir weitere Eigenschaften der Schwarzschild-Metrik untersuchen, die ihr Extremum im Fall von Schwarzen Löchern besitzen.

13.3.1 Freier Fall auf ein Schwarzes Loch

In diesem Abschnitt wollen wir den freien Fall eines Teilchens in ein Schwarzes Loch untersuchen. Dabei interessiert uns besonders, wie ein Beobachter, der mit dem Teilchen mitfällt, und wie ein Beobachter, der sich weit entfernt befindet, die Situation jeweils beurteilen. Wir lassen dabei das Teilchen bei r = R > rs aus der Ruhe heraus starten.

Aufgrund der sphärischen Symmetrie kann sich das Teilchen nur auf einer radialen Geodäten bewegen. Die Euler-Lagrange-Funktion lautet in diesem Fall
$$ \mathcal{L} =-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2{\dot{t}}^2+\frac{1}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}{\dot{r}}^2=-{c}^2. $$
(13.51)
Dabei bezeichnet ein Punkt die Ableitung bezüglich der Eigenzeit τ. Aus Abschn. 13.2.7 wissen wir bereits, dass die Zeitkoordinate t zyklisch ist, und wir erhalten die Konstante der Bewegung $$ k=\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r\right){c}^2\dot{t} $$. Setzen wir diese in die Lagrange-Funktion (13.51) ein und formen um, so gelangen wir zu den Bewegungsgleichungen
$$ \frac{\mathrm{d}r}{\mathrm{d}\tau }=\pm \sqrt{\frac{k^2}{c^2}-{c}^2\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)} $$
(13.52a)
und
$$ \frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}\tau }=\frac{k}{c^2}{\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)}^{-1} $$
(13.52b)
für die Radial- und die Zeitkoordinate in Abhängigkeit der Eigenzeit τ.

Mitfallender Beobachter

Aus (13.52a) können wir eine Relation zwischen der Eigenzeit τ des mitfallenden Beobachters und seiner aktuellen Position r herleiten. Der Beobachter starte an der Position r = R aus der Ruhe, (dr∕dτ)|r=R = 0. Da dann mit zunehmender Zeit die radiale Position stets abnimmt, müssen wir das negative Vorzeichen in (13.52a) wählen und erhalten so
$$ \tau (r)=-\underset{R}{\overset{r}{\int }}\frac{\mathrm{d}r^{\prime }}{\sqrt{k^2/ {c}^2-{c}^2\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r^{\prime}\right)}}. $$
(13.53)
Mit Hilfe der Anfangsbedingungen und (13.52a) können wir die Konstante der Bewegung $$ k={c}^2\sqrt{1-{r}_{\mathrm{s}}/ R} $$ ermitteln. Setzen wir diese in das Integral von (13.53) ein, so gelangen wir zu dem Ausdruck
$$ \tau (r)=\frac{1}{c}\underset{r}{\overset{R}{\int }}\frac{\mathrm{d}r^{\prime }}{\sqrt{\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ R\right)-\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r^{\prime}\right)}}=\frac{1}{c}\underset{r}{\overset{R}{\int }}\frac{\mathrm{d}r^{\prime }}{\sqrt{r_{\mathrm{s}}/ r^{\prime }-{r}_{\mathrm{s}}/ R}}. $$
(13.54)
Wir verwenden zur Lösung die Substitution $$ r^{\prime }=R{\sin}^2(x) $$ mit der Ableitung $$ \mathrm{d}r^{\prime }=2R\sin (x)\cos (x)\,  \mathrm{d}x $$ und erhalten mit den substituierten Integrationsgrenzen $$ {x}_i=\arcsin \left(\sqrt{r/ R}\right) $$ und xf = π∕2,
$$ \tau (r)=\frac{2{R}^{3/ 2}}{c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}\underset{x_i}{\overset{x_f}{\int }}{\sin}^2(x)\,  \mathrm{d}x=\frac{R^{3/ 2}}{c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}{\left[x-\frac{1}{2}\sin (2x)\right]}_{\arcsin \left(\sqrt{r/ R}\right)}^{\pi / 2}. $$
(13.55)
Nutzen wir noch die trigonometrischen Formeln
$$ \sin (2x)=2\sin (x)\cos (x)\,  \mathrm{und}\,  \operatorname{arccos}(x)=\frac{\pi }{2}-\arcsin (x) $$
(13.56)
aus, so ist die verstrichene Eigenzeit τ(r) vom Startort R bis zur aktuellen Position rR durch
$$ \tau (r)=\frac{R^{3/ 2}}{c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}\left[\sqrt{\frac{r}{R}}\sqrt{1-\frac{r}{R}}+\operatorname{arccos}\left(\sqrt{\frac{r}{R}}\right)\right] $$
(13.57)
gegeben. Zur Kontrolle setzten wir r = R ein und erhalten τ(R) = 0 wie zu erwarten. Die Fallzeit bis zum Schwarzschild-Radius r = rs ist
$$ \tau \left({r}_{\mathrm{s}}\right)=\frac{R^{3/ 2}}{c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}\left[\sqrt{\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}}\sqrt{1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}}+\operatorname{arccos}\left(\sqrt{\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}}\right)\right] $$
(13.58)
Das Teilchen bzw. der mitfallende Beobachter erreicht also nach endlicher Eigenzeit den Ereignishorizont des Schwarzen Lochs. Weiter gilt für r = 0 wegen $$ \operatorname{arccos}(0)=\pi / 2 $$, dass das Teilchen auch die Singularität des Schwarzen Lochs nach endlicher Zeit
$$ \tau (0)=\frac{\pi }{2}\frac{R^{3/ 2}}{c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}} $$
(13.59)
erreicht.
Wir können (13.57) mit Hilfe der Zykloidenkoordinate η auch etwas kompakter schreiben. Setzen wir
$$ r=\frac{R}{2}\left[1+\cos \left(\eta \right)\right], $$
(13.60)
dann gilt r(η = 0) = R und r(η = π) = 0 und wir erhalten den einfachen Ausdruck
$$ \tau \left(\eta \right)=\frac{R^{3/ 2}}{2c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}\left[\eta +\sin \left(\eta \right)\right]. $$
(13.61)
Diese Funktion ist für η ∈ [0, π] stetig, woran man deutlich erkennt, dass das Teilchen den Ereignishorizont problemlos passiert und es sich hier nur um eine Koordinatensingularität handeln kann.

Weit entfernter Beobachter

Ein weit entfernter Beobachter beurteilt den freien Fall eines Teilchens auf das Schwarze Loch ganz anders. Um auszuwerten, was dieser sieht, berechnen wir zunächst die verstrichene Koordinatenzeit t(r) an der aktuellen Position r des Teilchens. Aus (13.52a) und (13.52b) folgt
$$ \frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}r}=\frac{\dot{t}}{\dot{r}}=-\frac{k}{c^2}{\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)}^{-1}{\left[\frac{k^2}{c^2}-{c}^2\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)\right]}^{-1/ 2}. $$
(13.62)
Setzen wir wieder die Konstante der Bewegung k aus dem vorherigen Abschnitt ein, so erhalten wir
$$ t(r)=\frac{1}{2}\sqrt{1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}}\underset{R}{\overset{r}{\int }}\frac{\mathrm{d}r^{\prime }}{\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r^{\prime}\right)\sqrt{r_{\mathrm{s}}/ r^{\prime }-{r}_{\mathrm{s}}/ R}}. $$
(13.63)
Wir sehen sofort, dass der Faktor $$ {\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r\prime \right)}^{-1} $$ bei rʹ = rs singulär wird. Zur genauen Auswertung des Integrals verwenden wir wieder die Zykloidenkoordinate. Mit dem bereits gefundenen Ausdruck (13.61) für τ(η) und dessen Ableitung
$$ \mathrm{d}\tau =\frac{R^{3/ 2}}{2c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}\left[1+\cos \left(\eta \right)\right]\,  \mathrm{d}\eta $$
(13.64)
folgt aus (13.52b) die Beziehung
$$ \mathrm{d}t=\frac{R^{3/ 2}}{2c\sqrt{r_{\mathrm{s}}}}\sqrt{1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}}\frac{{\left[1+\cos \left(\eta \right)\right]}^2}{1+\cos \left(\eta \right)-2{r}_{\mathrm{s}}/ R}\,  \mathrm{d}\eta $$
(13.65)
Die Integration ist recht aufwendig, weshalb wir hier nur das Ergebnis
$$ t\left(\eta \right)=\frac{r_{\mathrm{s}}}{c}\left\{\ln \left[\frac{\sqrt{R/ {r}_{\mathrm{s}}-1}+\tan \left(\frac{\eta }{2}\right)}{\sqrt{R/ {r}_{\mathrm{s}}-1}-\tan \left(\frac{\eta }{2}\right)}\right]+\sqrt{\frac{R}{r_{\mathrm{s}}}-1}\left[\eta +\frac{R}{2{r}_{\mathrm{s}}}\left(\eta +\sin \left(\eta \right)\right)\right]\right\} $$
(13.66)
angeben. Dieser Ausdruck divergiert, wenn das Argument des Logarithmus divergiert. Das passiert für $$ \sqrt{R/ {r}_{\mathrm{s}}-1}=\tan \left(\eta / 2\right) $$. Mit der trigonometrischen Relation $$ {\tan}^2\left(\eta / 2\right)=\left(1-\cos \left(\eta \right)\right)/ \left(1+\cos \left(\eta \right)\right) $$ folgt daraus
$$ \cos \left(\eta \right)=2\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}-1. $$
(13.67)
Wenn wir diesen Ausdruck in (13.60) einsetzen, so folgt, dass für rrs die Koordinatenzeit divergiert, t(η) → .

Da nun die Koordinatenzeit t der Eigenzeit für einen weit entfernten Beobachter entspricht, würde dieser berechnen, dass das Teilchen den Horizont nie erreicht. Um zu ermitteln, was er sehen würde, müssen wir noch zusätzlich die Lichtlaufzeit Δt(r, R) vom aktuellen Ort des Teilchens zum Beobachter einbeziehen (s. Abschn. 13.2.5). Diese divergiert jedoch ebenfalls im Grenzfall rrs. Zusammengenommen sieht der Beobachter das Teilchen am aktuellen Ort r zu seiner Zeit tobs(r) = t(r) + Δt(r, R). Für den weit entfernten Beobachter erreicht das Teilchen den Horizont sowohl rechnerisch als auch visuell niemals.

13.3.2 Erweiterung der Schwarzschild-Metrik

Bei Betrachtung der Schwarzschild-Metrik in (13.16) erkennt man zwei Singularitäten, eine bei r = rs und eine bei r = 0. Wie bereits in Abschn. 13.2.1 diskutiert, haben diese aber unterschiedlichen Charakter, wie es mehrere Autoren, unter anderen auch Einstein, in verschiedenen Arbeiten ab 1921 gezeigt haben (siehe z. B. [6]).

Man kann sich die Tatsache, dass bei r = rs keine physikalische Singularität auftritt, am besten klarmachen, indem man auf Koordinaten transformiert, in denen diese Singularität nicht auftritt. Einen ersten Schritt in diese Richtung kann man durch die Einführung der Eddington-Finkelstein-Koordinaten machen.

Eddington-Finkelstein-Koordinaten

Die ursprünglich von Eddington3 1924 [7] gefundenen und von Finkelstein4 1958 [8, 9] wieder entdeckten Koordinaten beruhen auf der Betrachtung frei auf das Schwarze Loch fallender Photonen. Hierzu wird die neue Koordinate $$ \mathcal{V} $$ eingeführt über
$$ \mathcal{V}= ct+{r}^{\ast } $$
(13.68)
mit der Schildkröten-Koordinate5 (engl. tortoise coordinate)
$$ {r}^{\ast }=r+{r}_{\mathrm{s}}\ln \left(\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1\right)\,  \mathrm{und}\,  \mathrm{d}{r}^{\ast }=\frac{\mathrm{d}r}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}. $$
(13.69)
In den neuen Koordinaten > lautet die Metrik
$$ \mathrm{d}{s}^2=-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2\,  \mathrm{d}{\mathcal{V}}^2+2c\,  \mathrm{d}\mathcal{V}\,  \mathrm{d}r+{r}^2\mathrm{d}{\varOmega}^2. $$
(13.70)
Man erkennt die Anpassung an radial fallende Photonen, wenn man deren Lichtkegel betrachtet. Aus ds2 = 0 folgen mit d𝜗 = dφ = 0 die Bedingungen
$$ \frac{\mathrm{d}\mathcal{V}}{\mathrm{d}r}\,  =0\, \, \hspace{5.55pt}\mathrm{f}\ddot{\mathrm{u}} \mathrm{r}\ \mathrm{nach}\ \mathrm{innen}\ \mathrm{laufende}\ \mathrm{Photonen}\ \mathrm{und}\,  $$
(13.71a)
$$ \frac{\mathrm{d}\mathcal{V}}{\mathrm{d}r}\,  =\frac{2}{c\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r\right)}\,  \mathrm{f}\ddot{\mathrm{u}} \mathrm{r}\ \mathrm{nach}\ \mathrm{au}\ss \mathrm{en}\ \mathrm{laufende}\ \mathrm{Photonen}.\,  $$
(13.71b)
In das Schwarze Loch fallende Photonen laufen also auf Flächen mit $$ \mathcal{V}=\mathrm{const}. $$ Für radial nach außen laufende Photonen tritt allerdings bei r = rs immer noch eine Singularität auf. Analog kann man statt $$ \mathcal{V} $$ die Koordinate $$ \mathcal{U}= ct-{r}^{\ast } $$ zur Beschreibung radial auslaufender Photonen einführen. Hier tritt dann bei r = rs eine Singularität für einlaufende Photonen auf.

Kruskal-Szekeres-Koordinaten

Um die Koordinatensingularität bei r = rs ganz verschwinden zu lassen, wird ein sphärisch-symmetrisches Koordinatensystem (v, u, 𝜗, φ) gesucht, in dem radial verlaufende Lichtstrahlen überall die Steigung dv∕du = ±1 wie im flachen Raum haben. Kruskal6 und Szekeres7 wählten dafür den Ansatz
$$ \mathrm{d}{s}^2=-{f}^2\left(u,v\right)\left(\mathrm{d}{v}^2-\mathrm{d}{u}^2\right)+{r}^2\left(u,v\right)\mathrm{d}{\varOmega}^2 $$
(13.72)
für das Linienelement [6, 10]. Dabei bezeichnet v die zeitartige und u die raumartige Koordinate. Die Funktion f soll über u und v nur von r abhängen und für v = u = 0 endlich und ungleich Null bleiben. Die Forderung, dass
$$ {f}^2\left(u,v\right)\left(\mathrm{d}{v}^2-\mathrm{d}{u}^2\right)=\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)\left({c}^2\mathrm{d}{t}^2-\mathrm{d}{r}^{\ast 2}\right) $$
(13.73)
gelten soll, führt auf die Transformationsgleichungen
$$ u=\pm \sqrt{\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1}\,  {\mathrm{e}}^{r/ \left(2{r}_{\mathrm{s}}\right)}\cosh \left(\frac{ct}{2{r}_{\mathrm{s}}}\right),\,  v=\pm \sqrt{\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1}\,  {\mathrm{e}}^{r/ \left(2{r}_{\mathrm{s}}\right)}\sinh \left(\frac{ct}{2{r}_{\mathrm{s}}}\right) $$
(13.74)
für rrs und auf
$$ u=\pm \sqrt{1-\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}}\,  {\mathrm{e}}^{r/ \left(2{r}_{\mathrm{s}}\right)}\sinh \left(\frac{ct}{2{r}_{\mathrm{s}}}\right),\,  v=\pm \sqrt{1-\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}}\,  {\mathrm{e}}^{r/ \left(2{r}_{\mathrm{s}}\right)}\cosh \left(\frac{ct}{2{r}_{\mathrm{s}}}\right) $$
(13.75)
für 0 < r < rs. Für die Koordinaten u und v erhält man damit die Beziehung
$$ {u}^2-{v}^2=\left(\frac{r}{r_{\mathrm{s}}}-1\right){\mathrm{e}}^{r/ {r}_{\mathrm{s}}}. $$
(13.76)
Schließlich hat f2 die Form
$$ {f}^2=\frac{4{r}_{\mathrm{s}}^3}{r}{\mathrm{e}}^{-r/ {r}_{\mathrm{s}}}. $$
(13.77)
Dieser Ausdruck ist größer Null für r > 0 und nur bei r = 0 singulär. Das Linienelement in Kruskal-Koordinaten lautet dann
$$ \mathrm{d}{s}^2=-\frac{4{r}_{\mathrm{s}}^3}{r}{\mathrm{e}}^{r_{\mathrm{s}}/ r}\left(\mathrm{d}{v}^2-\mathrm{d}{u}^2\right)+{r}^2\mathrm{d}{\varOmega}^2, $$
(13.78)
wobei r = r(u, v) aus (13.76) folgt. Deren Umkehrfunktion kann mit Hilfe der Lambert'schen W-Funktion,8 die als Umkehrfunktion von f(x) = xex definiert ist, als
$$ r={r}_{\mathrm{s}}\left[\mathcal{W}\left(\frac{u^2-{v}^2}{\mathrm{e}}\right)+1\right] $$
(13.79)
dargestellt werden.

Die durch das Linienelement (13.78) beschriebene Kruskal-Raumzeit erweitert die Schwarzschild-Raumzeit nun wie folgt. Im Fall rrs gilt $$ v/ u=\tanh \left( ct/ 2{r}_{\mathrm{s}}\right) $$. Kurven mit konstanter Zeit t = const führen also auf vu = const und sind daher Geraden im (u, v)-Diagramm. Kurven konstanter Radialkoordinate r = const sind dagegen Hyperbeln im (u, v)-Diagramm, wie man aus (13.76) unmittelbar sieht. Speziell folgt für r = rs, dass u2v2 = 0. Hieraus ergibt sich also der Spezialfall von Geraden, u = ±v. Für r = 0 ist hingegen u2v2 = −1 bzw. $$ v=\pm \sqrt{1+{u}^2} $$.

Abb. 13.6 zeigt die vier verschiedenen Bereiche der Kruskal-Raumzeit und setzt sie mit der Schwarzschild-Raumzeit in Beziehung. Dabei werden die Bereiche ① und ② durch die positiven Vorzeichen und die Bereiche ③ und ④ durch die negativen Vorzeichen in (13.74) und (13.75) repräsentiert. Der von den Schwarzschild-Koordinaten abgedeckte Bereich ist hellgrau markiert. Dieser Bereich entspricht dem hellgrau markierten Bereich ① in Abb. 13.6b–d.
Abb. 13.6

Die Schwarzschild-Koordinaten decken nur den in (a) grau markierten Teil der Raumzeit ab. In Kruskal-Koordinaten wird die Schwarzschild-Raumzeit um drei weitere Bereiche erweitert. Der ursprüngliche Bereich ist in den weiteren Abbildungen ebenfalls grau eingezeichnet. (b) Linien konstanter Zeit t, (c) Linien konstanter Radialkoordinate r, (d) Zukunftslichtkegel verschiedener Beobachter. Beobachter B befindet sich im Schwarzen Loch (Bereich ②), C im weißen Loch (Bereich ④)

Abb. 13.6b zeigt Geraden konstanter Zeit t. Die Geraden mit Steigung ±1 entsprechen t = ±. Die dunkelgrau untermalten Bereiche entsprächen r < 0 und sind nicht Teil der Raumzeit. Abb. 13.6c zeigt die Hyperbeln konstanter Raumkoordinate r. Die Geraden r = rs liegen im (u, v)-Diagramm exakt auf den t = ± Geraden. Für unendliche Zeiten wird der Ereignishorizont also auf diese Geraden abgebildet, während sämtliche Punkte der Raumzeit mit r = rs für endliche Zeiten auf den Punkt u = v = 0 abgebildet werden.

Abb. 13.6d zeigt die Lichtkegel von drei Beobachtern A, B und C. Beobachter A befindet sich im Schwarzschild-Teil der Raumzeit bei rA > rs. Sein Zukunftslichtkegel enthält Weltlinien, die zu größeren Radialkoordinaten r1 laufen. Beobachter B dagegen befindet sich bei rB < rs. Alle von dort ausgehenden Weltlinien enden bei r = 0 in der Singularität. Jedes Teilchen, das den Schwarzschild-Radius durchquert (r < rs), wird deshalb immer in der Singularität bei r = 0 enden! Dieser Bereich heißt deshalb Schwarzes Loch. Kein Objekt, das in diesen Bereich kommt, kann ihn wieder verlassen; es endet unweigerlich bei r = 0. Gleichzeitig sieht man, dass alle Objekte, die in das Schwarze Loch gelangen wollen, die Zeitlinie t = überqueren müssen. Dies ist konform zu der bereits gezeigten Aussage, dass ein weit entfernter Beobachter das Objekt nie hinter den Ereignishorizont laufen sieht.

Beobachter C schließlich befindet sich bei rC < rs in Bereich ④. Alle Weltlinien von dort laufen zu größeren Radialkoordinaten hin. In diesen Bereich kann also kein Objekt eindringen und alle dort befindlichen Objekte wandern von dort heraus. Man spricht in diesem Fall deshalb von einem weißen Loch . Die Weltlinien überqueren dabei allerdings die Zeitlinie t = −. Wenn weiße Löcher also existieren sollten, dann hätte es sie bereits vor der Entstehung des Universums geben müssen, die Anfangsbedingung für die Existenz eines weißen Lochs ist daher in einem endlich alten Universum nicht zu erfüllen. Abschließend sei erwähnt, dass Bereich ③ wiederum einer Schwarzschild-Raumzeit entspricht. Allerdings zeigt dort der Zeitpfeil in Richtung kleiner werdender Zeit t. Dies wird klar, wenn man bedenkt, dass von Beobachter C kommende Lichtstrahlen die Gerade t = überqueren, um in Bereich ③ zu kommen, und die Weltlinien von Objekten, die ins Schwarze Loch fallen, über die Linie t = − wandern.

13.4 Tests der ART in der Schwarzschild-Metrik

In den folgenden Abschnitten diskutieren wir einige Folgen der ART, die sich im Rahmen der Schwarzschild-Metrik ergeben und auch zu ersten experimentellen Tests der ART genutzt wurden.

13.4.1 Gravitative Frequenzverschiebung

Zur Zeitmessung benötigt man einen periodischen Vorgang. Ein solcher Vorgang ist beispielsweise ein atomarer Übergang zwischen zwei Niveaus mit = hT und der Periodendauer T bzw. Frequenz ν. Bei einem solchen Übergang wird vom Atom Licht emittiert, welches im Schwerefeld durch die Zeitdehnung entsprechend (13.27) in seiner Frequenz verändert werden sollte. Gehen wir von einer Lichtemission am Ort Pem und einer Lichtabsorption am Ort Pabs aus, so wissen wir aus Abschn. 13.5, dass für die lichtartige Geodäte zwischen diesen beiden Punkten der Ausdruck
$$ k=\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r_{\mathrm{em}}}\right){c}^2\frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}\lambda }{\left|{}_{P_{\mathrm{em}}}=\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r_{\mathrm{abs}}}\right){c}^2\frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}\lambda}\right|}_{P_{\mathrm{abs}}} $$
(13.80)
konstant ist. Verwenden wir den gleichen Ansatz für den Viererwellenvektor wie in (8.​6), so erhalten wir für die Differentiale
$$ \frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}\lambda }{\left|{}_{P_{\mathrm{em}}}=\frac{\omega_{\mathrm{em}}}{c^2\sqrt{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{em}}}}\,  \mathrm{und}\,  \frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}\lambda}\right|}_{P_{\mathrm{abs}}}=\frac{\omega_{\mathrm{abs}}}{c^2\sqrt{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{abs}}}}\,  . $$
(13.81)
Nach Einsetzen in (13.80) und unter Berücksichtigung der Relation ω = 2πν, gelangen wir zur Gleichung für die gravitative Frequenzverschiebung
$$ \frac{\nu_{\mathrm{abs}}}{\nu_{\mathrm{em}}}=\sqrt{\frac{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{em}}}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{abs}}}} $$
(13.82)
zwischen emittierter und absorbierter Frequenz, die allein durch die radialen Positionen bestimmt wird.
Zur Messung der gravitativen Frequenzverschiebung benötigt man zwei unterschiedliche Höhen, bei denen die Frequenz eines Lichtsignals gemessen wird. Sei zum Beispiel rabs = rem + h. Wählen wir nun h klein gegen rem, so können wir ohne großen Fehler eine Taylor-Entwicklung um rem vornehmen, die wir nach dem in h linearen Term abbrechen:
$$ \frac{\nu_{\mathrm{abs}}}{\nu_{\mathrm{em}}}\approx 1-\frac{r_{\mathrm{s}}h}{2{r}_{\mathrm{em}}\left({r}_{\mathrm{em}}-{r}_{\mathrm{s}}\right)}. $$
(13.83)
Nimmt man für den Ort der Emission den Erdradius rem = r = 6378 km an, so kann man aufgrund des zugehörigen kleinen Schwarzschild-Radius rs = 9 mm, den Term weiter vereinfachen. Es ergibt sich dann die Abschätzung
$$ \frac{\Delta \nu }{\nu_{\mathrm{em}}}=\frac{\nu_{\mathrm{abs}}-{\nu}_{\mathrm{em}}}{\nu_{\mathrm{em}}}\approx -\frac{r_{\mathrm{s}}h}{2{r}_{\mathrm{em}}^2}=-\frac{gh}{c^2} $$
(13.84)
für die Frequenzänderung. Hier haben wir auch gleich den Schwarzschild-Radius rs = 2GMc2 der Erde durch die Erdbeschleunigung g = GMr2 ersetzt. Das negative Vorzeichen zeigt nun, dass eine an der Erdoberfläche emittierte Frequenz sich in der Höhe h um diesen Betrag verringert hat. Eine kleinere Frequenz hat aber eine größere Wellenlänge zur Folge, weshalb man hier auch von gravitativer Rotverschiebung spricht.
Ein typischer im Experiment realisierbarer Abstand ist etwa h = 30 m, also rabs = rem + h. Damit erhalten wir die Abschätzung
$$ \frac{\Delta \nu }{\nu_{\mathrm{em}}}\cong -3\cdotp 1{0}^{-15}. $$
(13.85)
Die Frequenzverschiebung wurde mit Hilfe der Mössbauer-Spektroskopie 9 an 57Fe nachgewiesen. Der Mößbauer-Effekt erlaubt Messungen an Kernübergängen mit einer Genauigkeit im Bereich der natürlichen Linienbreite des Übergangs in der Größenordnung von z ~ 10−15 [11]. Dabei ist der Rotverschiebungsparameter z definiert über
$$ z=\frac{\Delta \lambda }{\lambda }=\frac{\lambda_{\mathrm{abs}}-{\lambda}_{\mathrm{em}}}{\lambda_{\mathrm{em}}}=\frac{\nu_{\mathrm{em}}}{\nu_{\mathrm{abs}}}-1=\sqrt{\frac{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{abs}}}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ {r}_{\mathrm{em}}}}-1, $$
(13.86)
wobei l jetzt die Wellenlänge bezeichnet (s. (8.​8)).
Abb. 13.7 zeigt skizzenhaft den Aufbau eines Experiments zur Messung der Gravitationsrotverschiebung. Eine angeregte Probe 57Fe emittiert γ-Strahlung mit E = 14,4 keV. Eine um die Strecke h höher gelegene Probe 57Fe kann die γ-Strahlung aufgrund der Rotverschiebung nicht resonant absorbieren. Durch Bewegen der Probe und den dadurch auftretenden Dopplereffekt kann die Rotverschiebung kompensiert und über die nötige Geschwindigkeit vR bestimmt werden, wobei bei diesem Versuchsaufbau vR ≈ 7,5 · 10−7 ms−1 ist. Pound und Rebka [12] erhielten 1960 mit h = 22,6 m in ihren Messungen einen Wert von z = (2,57 ± 0, 26) · 10−15, bzw. ein Verhältnis
$$ \frac{\Delta {\nu}_{\mathrm{exp}}}{\Delta {\nu}_{\mathrm{theo}}}=1,05\pm 0,10. $$
(13.87)
Der Wert stimmt also durchaus innerhalb der Fehlergrenzen mit der theoretischen Vorhersage überein. Eine genauere Messung von Pound und Snider [13] 1965 lieferte sogar
$$ \frac{\Delta {\nu}_{\mathrm{exp}}}{\Delta {\nu}_{\mathrm{theo}}}=0,9990\pm 0,0076. $$
(13.88)
Abb. 13.7

Nachweis der gravitativen Rotverschiebung: Eine angeregte Probe 57Fe emittiert γ-Strahlung mit $$ E=14,4\,  \mathrm{keV} $$ Eine um die Strecke h höher gelegene Probe 57Fe kann die γ-Strahlung aufgrund der Rotverschiebung zuerst nicht absorbieren. Durch Bewegen der Probe und den dadurch auftretenden Dopplereffekt kann die Rotverschiebung bei einer bestimmten Geschwindigkeit vR kompensiert und über den Wert von vR bestimmt werden. In diesem Fall beträgt vR ≈ 7,5 · 10−7 ms−1

13.4.2 Periheldrehung

In der Newton’schen Mechanik sind die Bahnen von Teilchen im gravitativen Zentralpotential ϕm(r) = −GMr Kegelschnitte, also z. B. Kepler-Ellipsen. In diesem Abschnitt untersuchen wir, wie sich der Bahnverlauf in der ART ändert.

Aufstellen der Bewegungsgleichungen

Aufgrund der sphärischen Symmetrie können wir uns auf die Bewegung innerhalb der (𝜗 = π∕2)-Ebene beschränken. In Abschn. 13.5 haben wir bereits die Lagrange-Funktion (13.34) für eine allgemeine Geodäte aufgestellt, die im Fall einer zeitartigen Geodäten wie folgt lautet:
$$ \mathcal{L} =-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2{\dot{t}}^2+\frac{{\dot{r}}^2}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}+{r}^2{\dot{\varphi}}^2=-{c}^2. $$
(13.89)
Die beiden Konstanten der Bewegung k und h bleiben die gleichen,
$$ \left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2\dot{t}=k,\,  {r}^2\dot{\varphi}=h. $$
(13.35)
Setzen wir diese in obige Lagrange-Funktion ein, so erhalten wir
$$ {\dot{r}}^2+\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right)\left(\frac{h^2}{r^2}-1\right)=\frac{k^2}{c^2}. $$
(13.90)
Der Punkt $$ \dot{q}=\mathrm{d}q/ \mathrm{d}\tau $$ bedeutet hier die Ableitung nach der Eigenzeit τ. Unser Ziel ist die Bestimmung der Bahnkurve r(φ). Dazu führen wir zunächst die Substitutionen
$$ r=\frac{1}{u},\,  \frac{\mathrm{d}\varphi }{\mathrm{d}\tau }=h{u}^2,\,  \frac{\mathrm{d}t}{\mathrm{d}\tau }=\frac{k}{c\left(1-{r}_{\mathrm{s}}u\right)}\,  \mathrm{und}\,  \frac{\mathrm{d}r}{\mathrm{d}\tau }=-h\frac{\mathrm{d}u}{\mathrm{d}\varphi } $$
(13.91)
in (13.90) durch. Der Ausdruck für dr∕dτ ergibt sich dabei aus
$$ \frac{\mathrm{d}r}{\mathrm{d}\tau }=\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}\tau}\frac{1}{u}=-\frac{1}{u^2}\frac{\mathrm{d}u}{\mathrm{d}\tau }=-\frac{1}{u^2}\frac{\mathrm{d}u}{\mathrm{d}\varphi}\frac{\mathrm{d}\varphi }{\mathrm{d}\tau }=-h\frac{\mathrm{d}u}{\mathrm{d}\varphi }. $$
(13.92)
Mit der Notation uʹ = du∕dφ führt die Substitution auf
$$ {h}^2{\left(u\prime \right)}^2+\left(1-{r}_{\mathrm{s}}u\right)\left({h}^2{u}^2+{c}^2\right)=\frac{k^2}{c^2}. $$
(13.93)
Eine weitere Ableitung nach φ ergibt
$$ 2{h}^2u^{\prime }{u}^{\prime \prime }-3{h}^2{r}_{\mathrm{s}}{u}^2u^{\prime }+2{h}^2 uu^{\prime }-{c}^2{r}_{\mathrm{s}}u^{\prime }=0. $$
(13.94)
Schließlich multiplizieren wir mit (−2h2uʹ)−1 und erhalten
(13.95)
Der mit K bezeichnete Term ist dabei eine Erweiterung im Vergleich zur Newton’schen Mechanik.

Behandlung mit klassischer Störungstheorie

Für (Planeten-)Bewegungen, deren Bahnradius r sehr viel größer ist als der Schwarzschild-Radius
$$ {r}_{\mathrm{s}}\,  u=\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\ll 1, $$
(13.96)
kann der Term K in (13.95) als kleine Störung behandelt werden, um dann eine Lösung mit Hilfe der klassischen Störungstheorie zu berechnen. Dazu betrachten wir zuerst die Lösung u0(φ) der Gleichung
$$ {u}_0^{\prime \prime }+{u}_0=\frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2} $$
(13.97)
der Newton'schen Mechanik ohne den Zusatzterm der ART. Die Lösung ergibt sich zu
$$ {u}_0\left(\varphi \right)=\frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}\left[1+\varepsilon \cos \left(\varphi \right)\right] $$
(13.98)
und beschreibt wie bereits erwähnt Kegelschnitte. Der Vorfaktor lässt sich auch ausdrücken über
$$ \frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}=\frac{1}{a\left(1-{\varepsilon}^2\right)} $$
(13.99)
mit der großen Halbachse a und der Exzentrizität ε. Für Ellipsen gilt 0 ≤ ε < 1 (s. Abb. 1.​7).
Eine bessere Lösung u1(φ) erhalten wir dann durch Einsetzen von u0 in den Störterm und Lösen der resultierenden Gleichung. Diese lautet
$$ {u}_1^{\prime \prime }+{u}_1\approx \frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}+\frac{3}{2}{r}_{\mathrm{s}}{u}_0^2=\frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}+\frac{3{c}^4{r}_{\mathrm{s}}^3}{8{h}^4}\left[1+2\varepsilon \cos \left(\varphi \right)+{\varepsilon}^2{\cos}^2\left(\varphi \right)\right]. $$
(13.100)
Die Lösung dieser Gleichung ist
(13.101)
Der mit A bezeichnete Term ist proportional zu φ und wächst daher bei jeder Umdrehung an. Die anderen Zusatzterme sind proportional zu ε2 und sind daher für kleine ε vernachlässigbar. Wir setzen den Ausdruck für u0(φ) ein und erhalten dann
$$ {\displaystyle \begin{array}{rll}{u}_1\left(\varphi \right)&amp; \approx \frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}\left[1+\varepsilon \cos \left(\varphi \right)+\varepsilon \frac{3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2}{4{h}^2}\varphi \sin \left(\varphi \right)+\dots \,  \right]&amp; \\ {}&amp; \approx \frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}\left\{1+\varepsilon \cos \left[\left(1-\frac{3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2}{4{h}^2}\right)\varphi \right]\right\}.\end{array}} $$
(13.102)
Im zweiten Schritt wurde dabei eine ,,inverse Taylor-Entwicklung“ vorgenommen. Für kleines δ gilt nämlich die Entwicklung
$$ \cos \left[\left(1-\delta \right)\varphi \right]\approx \cos \left(\varphi \right)+\sin \left(\varphi \right)\,  \delta \varphi +\mathcal{O}\left({\delta}^2\right). $$
(13.103)
Betrachten wir das Argument des Kosinus in (13.102), so wird dieses gleich 2π für
$$ \varphi \approx 2\pi \left(1+\frac{3{c}^2{r}_{\mathrm{s}}^2}{4{h}^2}\right), $$
(13.104)
da (1 − δ)−1 ≈ 1 + δ. Daraus ergibt sich unter Verwendung von (13.99) der Winkel der Periheldrehung für nichtrelativistische Geschwindigkeiten zu
$$ \Delta \varphi =3\pi \frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}^2}{2{h}^2}=3\pi \frac{r_{\mathrm{s}}}{a\left(1-{\varepsilon}^2\right)}. $$
(13.105)
Es gilt also
(13.106)
Auch nichtrelativistisch führt nur das reine Coulomb-Potential − 1∕r auf geschlossene, periodische Bahnen; jede Störung führt zu einer Präzession der Ellipse und zu Rosettenbahnen.

Die Störung durch die Wechselwirkung mit den anderen Planeten war im 19. Jahrhundert bereits quantitativ bekannt. Für Merkur beträgt sie 531,5 ± 0,3ʺ pro Jahrhundert. Langjährige Beobachtungen lieferten aber 574,3 ± 0,4ʺ. Es wurden erfolglos verschiedene Erklärungen vorgeschlagen, um die Differenz von 42,7 ± 0,5ʺ zu deuten. Beispielsweise postulierte der Astronom Le Verrier10 1859 den Planeten Vulkan innerhalb der Merkur-Bahn, der für die Abweichung verantwortlich sein sollte.

In Abb. 13.8 ist der Effekt der Periheldrehung skizziert. Die Pi bezeichnen die sonnennächsten (Perihel) und die Ai die sonnenfernsten (Aphel) Punkte der Bahn. Wegen der reziproken Abhängigkeit vom Bahnradius kann bei Merkur die stärkste Periheldrehung erwartet werden. Für ihn gilt
$$ {a}_{\mathrm{Merkur}}=57,91\cdotp 1{0}^6\,  \mathrm{km}=0,387\mathrm{AU}\,  \mathrm{und}\,  {\varepsilon}_{\mathrm{Merkur}}=0,206, $$
(13.107)
mit der astronomischen Einheit aus (1.​57). Zum Vergleich lauten die Werte für die Erde aErde = 149,6 ∙ 106 km und εErde = 0,0167. Die allgemein-relativistische Perihelbewegung des Merkur pro Jahrhundert beträgt
$$ {\left.\Delta {\varphi}_{\mathrm{Merkur}}\right|}_{100\,  \mathrm{Jahre}}=43,0{3}^{\prime \prime }, $$
(13.108)
für Venus dagegen 8,6ʺ und für die Erde nur 3,8ʺ.
Abb. 13.8

Effekt der Periheldrehung: Durch die Abweichung vom 1∕r-Potential ist die Bahnkurve des Planeten nicht geschlossen. Die Punkte Pi sind die aufeinander folgenden sonnennächsten Punkte (Perihel), die Punkte Ai die sonnenfernsten (Aphel)

Ganz im Gegensatz dazu ist die entsprechende Periastrondrehung bei Pulsarsystemen um vieles größer, wie wir in Abschn. 21.​5.​2 sehen werden. Beim Doppelpulsarsystem PSR B1913+16 (s. Tab. 21.​1) beträgt die mittlere Periastrondrehung etwa 4,23° pro Jahr.

Die Erklärung der Differenz von beobachteter und mit der Newton'schen Theorie vorhergesagten Periheldrehung durch Einstein war der erste große Triumph der allgemeinen Relativitätstheorie. Als Einstein seine Berechnungen durchführte, war die Schwarzschild-Metrik allerdings noch nicht gefunden. Einstein verwendete daher eine genäherte Metrik für schwache Felder. Seine Freude über diesen großen Erfolg drückte er in einem Brief an Ehrenfest11 so aus:12

Ich war einige Tage fassungslos vor freudiger Erregung.

13.4.3 Lichtablenkung im Gravitationsfeld

In diesem Abschnitt diskutieren wir die Lichtablenkung im Gravitationsfeld. Dazu stellen wir zuerst analog zur Periheldrehung die Bewegungsgleichungen für lichtartige Geodäten auf und lösen diese mit Hilfe der Störungsrechnung. Anschließend diskutieren wir eine alternative Berechnung basierend auf der Darstellung der Schwarzschild-Metrik in isotropen Koordinaten.

Untersuchung analog zur Periheldrehung

Zur Untersuchung der Lichtablenkung im Gravitationsfeld starten wir mit der Lagrange-Funktion (13.34) für lichtartige Geodäten,
$$ \mathcal{L} =-\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{r}\right){c}^2{\dot{t}}^2+\frac{{\dot{r}}^2}{1-{r}_{\mathrm{s}}/ r}+{r}^2{\dot{\varphi}}^2=0, $$
(13.109)
wobei hier der Punkt $$ \dot{q}=\mathrm{d}q/ \mathrm{d}\lambda $$ für die Ableitung bezüglich des affinen Parameters λ steht. Einsetzen der Konstanten der Bewegung k und h aus (13.35) und Substitution analog zu (13.92) führt auf die Differentialgleichung
$$ {h}^2{\left(u\prime \right)}^2+{h}^2{u}^2\left(1-{r}_{\mathrm{s}}u\right)-\frac{k^2}{c^2}=0. $$
(13.110)
Eine erneute Differentiation nach φ liefert schließlich
$$ {u}^{\prime \prime }+u=\frac{3}{2}{r}_{\mathrm{s}}{u}^2, $$
(13.111)
mit der kleinen Störung $$ \frac{3}{2}{r}_{\mathrm{s}}{u}^2 $$. Wieder benutzen wir die klassische Störungstheorie und lösen zuerst die Gleichung $$ {u}_0^{\prime \prime }+{u}_0=0 $$ ohne Störungsterm. Dies führt auf
$$ {u}_0\left(\varphi \right)=\frac{1}{R}\sin \left(\varphi \right),\,  \mathrm{bzw}.\,  r\left(\varphi \right)=\frac{R}{\sin \left(\varphi \right)}, $$
(13.112)
was einer Geraden entspricht, wobei R der minimale Abstand zum Zentrum ist (s. Abb. 13.9). Einsetzen von u0 in den Störungsterm führt auf die Gleichung
Abb. 13.9

Zur Lichtablenkung im Schwerefeld: Eine in der (𝜗 = π∕2)-Ebene laufende Gerade wird in sphärischen Polarkoordinaten durch die Gleichung r (φ) = R∕sin(φ) beschrieben

$$ {u}_1^{\prime \prime }+{u}_1=\frac{3{r}_{\mathrm{s}}}{2{R}^2}{\sin}^2\left(\varphi \right) $$
(13.113)
mit der Lösung
$$ {u}_1\left(\varphi \right)=\frac{1}{R}\sin \left(\varphi \right)+\frac{3{r}_{\mathrm{s}}}{4{R}^2}\left[1+\frac{1}{3}\cos \left(2\varphi \right)\right]. $$
(13.114)
Asymptotisch gilt u = 0 für r, d. h. für einen aus dem Unendlichen kommenden Lichtstrahl gilt
$$ \frac{1}{R}\sin \left(\varphi \right)+\frac{3{r}_{\mathrm{s}}}{4{R}^2}\left[1+\frac{1}{3}\cos \left(2\varphi \right)\right]=0. $$
(13.115)
Für φ ≈ 0 können wir die Approximationen $$ \sin \left(\varphi \right)\approx \varphi $$ und $$ \cos \left(\varphi \right)\approx 1 $$ verwenden und erhalten
$$ \frac{\varphi }{R}+\frac{3{r}_{\mathrm{s}}}{4{R}^2}\left(1+\frac{1}{3}\right)=0,\,  \mathrm{d}.\mathrm{h}.\,  {\varphi}_{\infty}\approx -\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}. $$
(13.116)
Die Gesamtablenkung ergibt sich dann zu
$$ \alpha =\mid 2{\varphi}_{\infty}\mid =2\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}. $$
(13.117)

Resultat in Newton'scher Theorie

Man kann für die Lichtablenkung auch in Newton'scher Theorie einen Wert berechnen, wenn man Licht als impulsbehaftetes Teilchen betrachtet, das sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegt. Analog zu (13.98) wird die ungestörte Bahn für einen Lichtstrahl durch die Gleichung
$$ \frac{1}{r\left(\varphi \right)}=u\left(\varphi \right)=\frac{c^2{r}_{\mathrm{s}}}{2{h}^2}\left[1+\varepsilon \sin \left(\varphi \right)\right] $$
(13.118)
beschrieben. Da Licht sich stets mit der Lichtgeschwindigkeit c bewegt, gilt insbesondere für den minimalen Abstand R zum Zentrum und die zugehörige Winkelgeschwindigkeit ω = dφ∕dt, die Bedingung = c. Daraus folgt
$$ h={R}^2\frac{\mathrm{d}\varphi }{\mathrm{d}t}={R}^2\omega = Rc. $$
(13.119)
Einsetzen in (13.118) liefert $$ {R}^{-1}={r}_{\mathrm{s}}\left(1+\varepsilon \right)/ \left(2{R}^2\right) $$ bei φ = π∕2. Aufgelöst nach ε erhält man
$$ \varepsilon =2\frac{R}{r_{\mathrm{s}}}-1\approx 2\frac{R}{r_{\mathrm{s}}}, $$
(13.120)
wegen Rrs. Für r in (13.118) ergibt sich
$$ 0=\frac{r_{\mathrm{s}}}{2{R}^2}\left[1+\varepsilon \sin \left({\varphi}_{\infty}\right)\right] $$
(13.121)
und damit für ε ≫ 1, was aus (13.120) ersichtlich ist, schließlich
$$ {\varphi}_{\infty }=-\frac{1}{\varepsilon }=-\frac{r_{\mathrm{s}}}{2R}. $$
(13.122)
Die Gesamtablenkung nach dieser Rechnung ist also
$$ {\alpha}_{\mathrm{Newton}}=2\mid {\varphi}_{\infty}\mid =\frac{r_{\mathrm{s}}}{R}. $$
(13.123)
Das ist gerade der halbe Wert der allgemein-relativistischen Rechnung.

Isotrope Schwarzschild-Metrik

Ein alternativer Weg für die quantitative Untersuchung der Lichtablenkung im Gravitationsfeld führt über die isotrope Schwarzschild-Metrik . Um diese einzuführen, definieren wir die neue Radialkoordinate $$ \overset{\sim }{r} $$ über
$$ r=\overset{\sim }{r}{\left(1+\frac{r_{\mathrm{s}}}{4\overset{\sim }{r}}\right)}^2\,  \mathrm{mit}\,  \mathrm{d}r=\left(1+\frac{r_{\mathrm{s}}}{4\overset{\sim }{r}}\right)\left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{4\overset{\sim }{r}}\right)\mathrm{d}\overset{\sim }{r}. $$
(13.124)
Dann folgt für das Linienelement
$$ \mathrm{d}{s}^2=-{\left(\frac{1-{r}_{\mathrm{s}}/ \left(4\overset{\sim }{r}\right)}{1+{r}_{\mathrm{s}}/ \left(4\overset{\sim }{r}\right)}\right)}^2{c}^2\mathrm{d}{t}^2+{\left(1+\frac{r_{\mathrm{s}}}{4\overset{\sim }{r}}\right)}^4\mathrm{d}{\overset{\sim }{\boldsymbol{x}}}^2 $$
(13.125)
mit dem Differential und der Koordinatentransformation . Es folgt dann für Photonen aus ds2 = 0 die Beziehung
$$ {\left(\frac{1-{r}_{\mathrm{s}}/ \left(4\overset{\sim }{r}\right)}{1+{r}_{\mathrm{s}}/ \left(4\overset{\sim }{r}\right)}\right)}^2{c}^2\mathrm{d}{t}^2={\left(1+\frac{r_{\mathrm{s}}}{4\overset{\sim }{r}}\right)}^4\mathrm{d}{\overset{\sim }{\boldsymbol{x}}}^2. $$
(13.126)
Wir stellen diese Gleichung um und erhalten für $$ \overset{\sim }{r}\gg {r}_{\mathrm{s}} $$, d. h. auch für $$ \overset{\sim }{r}\approx r $$
$$ \left|\frac{\mathrm{d}\overset{\sim }{\boldsymbol{x}}}{\mathrm{d}t}\right|=\frac{1-{r}_{\mathrm{s}}/ \left(4\overset{\sim }{r}\right)}{{\left[1+{r}_{\mathrm{s}}/ \left(4\overset{\sim }{r}\right)\right]}^3}c\approx \left(1-\frac{r_{\mathrm{s}}}{\overset{\sim }{r}}\right)c={v}_{\mathrm{Licht}}&lt;c. $$
(13.127)
Das Licht in der isotropen Schwarzschild-Metrik hat also eine geringere Geschwindigkeit als die Lichtgeschwindigkeit in der Minkowski-Metrik. An dieser Stelle muss aber eine wichtige Präzisierung vorgenommen werden: Bei der gerade gemachten Aussage bezieht man sich auf eine globale Eigenschaft, etwa die Messung der Laufzeit des Lichts bis zu einem anderen Planeten. Jeder Beobachter misst lokal stets die Lichtgeschwindigkeit c!
Formal können wir dem Sachverhalt der global geringeren Lichtgeschwindigkeit durch die Einführung eines ortsabhängigen Brechungsindex Rechnung tragen:
$$ \frac{c}{v_{\mathrm{Licht}}}=n\approx 1+\frac{r_{\mathrm{s}}}{\overset{\sim }{r}}. $$
(13.128)
Licht wird im Gravitationsfeld also ,,gebeugt“. Aus der geometrischen Optik ist uns die Eikonal-Gleichung bekannt:
$$ \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}{s}_0}\left(n{\boldsymbol{s}}_0\right)=\mathbf{\nabla}n, $$
(13.129)
wobei s0 der Tangentialvektor an die Bahnkurve des Lichts ist (s. Abb. 13.10). Bezeichnet man α als den Krümmungswinkel und R als den ,,Stoßparameter“ des Lichts relativ zu einem Streuer (eben ein Gravitationsfeld), so folgt nach kurzer Rechnung wiederum
Abb. 13.10

Die Wirkung von Massen kann beschrieben werden als scheinbarer ortsabhängiger Brechungsindex der Raumzeit. Die Änderung des Tangentialvektors s0 ist durch die Eikonal-Gleichung gegeben

$$ \alpha =\frac{2{r}_{\mathrm{s}}}{R}. $$
(13.130)
Für die Sonne ist R = R ≈ 7 · 105 km und rs ≈ 3 km und daher
$$ {\alpha}_{\odot}\approx 1,7{5}^{\prime \prime }. $$
(13.131)
Sterne, die am Himmel der Sonne sehr nahe stehen, erscheinen aufgrund der Lichtablenkung etwas weiter von der Sonne entfernt als ihre tatsächliche Position (s. Abb. 13.11). Da diese Sterne aber normalerweise von der Sonne überstrahlt werden, ist dieser Effekt nicht sichtbar. Wird während einer Sonnenfinsternis die Sonne verdeckt, so kann die scheinbare Positionsveränderung dieser Sterne bestimmt werden.
Abb. 13.11

Während einer Sonnenfinsternis erscheinen Sterne, die am Himmel der Sonne nah sind, aufgrund der Lichtablenkung scheinbar weiter entfernt von der Sonne (grau) als ihre tatsächliche Position ist (schwarz)

Durch Messungen während der Sonnenfinsternis am 29. Mai 1919 konnte von Eddington die Lichtablenkung erstmals nachgewiesen und die Newton’sche Vorhersage ausgeschlossen werden [14]. Heutzutage gibt es allerdings Zweifel daran, ob mit Eddington’s Versuchsanordnung dieser Nachweis überhaupt möglich war und er nicht bei ihm auftretende systematische Fehler weit unterschätzte.

Die Bekanntgabe dieser Resultate erfolgte am 6. November 1919 in einer eigens dafür einberufenen Sitzung der Royal Astronomical Society in London und machte Einstein auch außerhalb der Physik weltberühmt. So schrieb etwa die New York Times am 9. November 1919:

Lights all askew in the Heavens – Men of science more or less agog over results of eclipse observations – Einstein's Theory triumphs.

Der Effekt der Lichtablenkung wird auch als Gravitationslinseneffekt bezeichnet, da das massive Objekt, in diesem Fall die Sonne ähnlich wie eine Linse wirkt. Es besteht allerdings ein wichtiger Unterschied: Bei einer Linse wird das Licht umso stärker abgelenkt, je weiter es vom Mittelpunkt der Linse entfernt auf sie auftrifft. Die Lichtablenkung im Gravitationsfeld dagegen wird dann immer kleiner. Eine ,,Gravitationslinse“ hat daher keinen Brennpunkt.

Eine sehr gute und leicht verständliche Abhandlung über die Lichtablenkung im Schwerefeld auch unter einem geschichtlichen Aspekt findet sich in [15].

Im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums zur Entdeckung der Lichtablenkung an der Sonne entstand ein kurzes Vollkuppel-Video, das die Lichtablenkung demonstriert und zeigt, wie die Situation ausgesehen hätte, wenn ein Schwarzes Loch vor den Sternhaufen der Hyaden und Plejaden vorbeigezogen wäre [16].

Lichtablenkung außerhalb des Sonnensystems

Mit den leistungsfähigsten Teleskopen ist es heutzutage möglich, die Lichtablenkung auch außerhalb des Sonnensystems zu beobachten. Läuft etwa Licht einer weit entfernten Galaxie an einem sehr massiven Objekt, etwa einem Galaxienhaufen, vorbei, bevor es die Erde erreicht, so tritt hier wiederum eine Lichtablenkung auf. Durch die viel größeren Massen kann die Lichtablenkung hier noch deutlich größer sein. Licht, das vom selben Gebiet der beobachteten Galaxie in verschiedene Richtungen ausgesandt wurde, kann so abgelenkt werden, dass es bei uns aus verschiedenen Richtungen ankommt. Im Idealfall erscheint uns das betrachtete Objekt als Einstein-Ring.

Durch quantitative Messungen dieses Effekts kann wiederum Rückschluss auf die Masse des ablenkenden Objekts gezogen werden. Durch Vergleich mit Berechnungen anhand der sichtbaren Masse in diesem Objekt zeigt sich, dass viel mehr Masse für die beobachtete Lichtablenkung nötig ist, als sichtbar ist. Dies ist einer der aktuellen Hinweise auf dunkle Materie (s. Abschn. 26.​4).

13.4.4 Laufzeitverzögerung

Neben der Lichtablenkung erfährt ein Lichtstrahl auch eine Laufzeitverzögerung beim Durchqueren eines Gravitationsfeldes. Dies wollen wir anhand von Radiowellen, die an den Planeten Merkur und Venus reflektiert werden, untersuchen. Für einen maximalen Effekt sollen die Planeten in Konjunktion stehen. Dabei sind Planeten und Sonne in Konjunktion, wenn sie vereinfacht gesagt auf einer Linie stehen.

Wir können die Laufzeitverzögerung leicht mit Hilfe des Ausdrucks (13.127) für die ortsabhängige Lichtgeschwindigkeit in der isotropen Schwarzschild-Metrik herleiten. Dazu betrachten wir einen Lichtstrahl, der knapp an der Sonne vorbei läuft. Mit dt = dlvLicht(r) folgt
$$ t=\int \frac{\mathrm{d}l}{v_{\mathrm{Licht}}\left(r(l)\right)}=\int \frac{\mathrm{d}l}{c\left(1-{r}_{\mathrm{s}}/ r(l)\right)}, $$
(13.132)
wobei $$ r(l)=\sqrt{R^2+{l}^2} $$ (s. Abb. 13.12). Da rrs gilt, können wir den Ausdruck in (13.132) entwickeln und erhalten
Abb. 13.12

Zur Lichtlaufzeitverzögerung im Schwerefeld: Um die Verzögerung zu bestimmen, muss der Ausdruck r(l) bekannt sein, der sich elementar herleiten lässt

$$ t=\int \frac{\mathrm{d}l}{c}+\frac{r_{\mathrm{s}}}{c}\int \frac{\mathrm{d}l}{r}={t}_{\mathrm{Newton}}+\Delta t. $$
(13.133)
Die Lichtlaufzeit setzt sich also als Summe der Laufzeit in Newton'scher Theorie und einer Korrektur zusammen. Für einen von der Erde zu einem Planeten und wieder zurück laufenden Lichtstrahl erhalten wir mit den Entfernungen und lP der Erde und des entsprechenden Planeten zur Sonne dann
(13.134)
Wiederum kann auch im Rahmen der Newton'schen Theorie für ein sich mit Lichtgeschwindigkeit bewegendes, impulsbehaftetes Teilchen eine Laufzeitverzögerung berechnet werden. Die Ergebnisse der Rechnungen lassen sich zusammenfassen zu
$$ \Delta t=\left(1+\xi \right)\frac{r_{\mathrm{s}}}{c}\ln \left(\frac{4{r}_1{r}_2}{b^2}\right), $$
(13.135)
mit den Distanzen r1 und r2 von Erde und jeweiligem Objekt von der Sonne und dem Stoßparameter b. Da b selbst sich mit der Zeit T ändert, kann man je nach Situation schließlich eine Funktion Δt(T) angeben (s. Abb. 13.13). Die allgemein-relativistische Rechnung führt auf ξ = 1, die Newton'sche auf ξ = 0, also wieder der halbe Effekt wie bei der Lichtablenkung.
Abb. 13.13

Laufzeitverzögerung des Lichts: (a) In den drei Konstellationen ①–③ ändert sich jeweils der Parameter b und damit die Laufzeitverzögerung (oben: Blick auf die Bahnebene der Erde, unten: Blick aus Erdperspektive). (b) zeigt skizzenhaft die zeitliche Entwicklung der Laufzeitverzögerung, wie man sie in einer Messung erwarten würde (s. Abb. 21.​17)

Zusätzlich zur Laufzeitverzögerung tritt auch noch eine Dopplerverschiebung des Signals auf [17]:
$$ {z}_{\mathrm{gr}}=\frac{\Delta \nu }{\nu }=\frac{\mathrm{d}\Delta t}{\mathrm{d}t}=-2\left(1+\xi \right)\frac{r_{\mathrm{s}}}{c}\frac{1}{b}\frac{\mathrm{d}b}{\mathrm{d}t}. $$
(13.136)
Im Fall ② in Abb. 13.13 ist die Laufzeit des Radarsignals wegen des Brechungsindexeffekts größer als nach der Newton'schen Theorie. Es ergibt sich etwa
$$ \Delta t=240\,  \upmu \mathrm{s}\,  \mathrm{bzw}.\,  c\,  \Delta t=36\,  \mathrm{km}. $$
(13.137)
In einem Experiment konnte Shapiro [18] 1968 diese Laufzeitverzögerung bis auf 3 % bestätigen, dies entspricht der Bestimmung des Abstandes Erde-Venus auf 1 km genau.

Neuere Messung mit Hilfe der Cassini-Raumsonde

Mit Hilfe der Cassini-Raumsonde konnte 2002 eine deutlich genauere Messung vorgenommen werden [17]. Die Messungen führten auf
$$ \xi =1+\left(2,1\pm 2,3\right)\cdotp 1{0}^{-5}. $$
(13.138)
Auf ihrem Weg zum Saturn befand sich die Sonde um den 6. und 7. Juli 2002 herum in Konjunktion zur Sonne, d. h. in maximaler Entfernung zur Erde hinter der Sonne, allerdings nicht exakt in der Erdebene, sodass sie nicht von der Sonne verdeckt war. Da im Gegensatz zur Messung mit Hilfe der Venus in diesem Fall das Signal nicht einfach reflektiert, sondern von der Sonde empfangen, analysiert und aktiv ein Signal zurückgeschickt werden konnte, war es möglich in diesem Fall die Dopplerverschiebung zgr aus (13.136) sehr genau zu messen und damit die viel höhere Präzision, die sich im Parameter ξ äußert, zu erreichen.

13.4.5 Geodätische Präzession

In Abschn. 11.​4.​3 haben wir gesehen, dass wir für die Bewegung eines Objekts entlang einer zeitartigen Kurve in einer gekrümmten Raumzeit die Paralleltransportgleichung (11.​138) verwenden müssen. Im Fall einer zeitartigen kreisförmigen Bahn innerhalb der Schwarzschild-Metrik hat dies zur Folge, dass das lokale Bezugssystem nach einem vollen Umlauf nicht mehr gleich orientiert ist wie zu Beginn der Bewegung. Diese geodätische Präzession ist für den letzten stabilen Orbit in Abb. 13.14 dargestellt, dabei repräsentiert der Schwarze Pfeil die $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{(1)}\left(\tau \right) $$-Richtung der bewegten lokalen Tetrade $$ {\mathcal{L}}_b $$ zur Eigenzeit τ und die grauen Pfeile geben die $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{(r)} $$- und $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{\left(\varphi \right)} $$-Richtung der Referenztetrade $$ {\mathcal{L}}_r $$ an der momentanen Position an. Der momentane Rotationswinkel von $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{(1)}\left(\tau \right) $$ ergibt sich jedoch nicht aus dem Winkel zur radialen Richtung $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{(r)} $$ des Referenzsystems, wie in Abb. 13.14 durch die grau schraffierten Kreissegmente angedeutet, sondern bezogen auf den ,,unendlichen Fixsternhimmel“. Nach einem Umlauf ist daher der Rotationswinkel α ≈ 105,44° zwischen der ursprünglichen Richtung $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{(1)}\left(\tau =0\right) $$ und der aktuellen Richtung $$ {\underline{\mathbf{e}}}_{(1)}\left(\tau ={\tau}_{2\pi}\right) $$. Die Umlaufzeit τ2π = 2πω ergibt sich dabei aus der Winkelgeschwindigkeit ω bezogen auf die Eigenzeit t des Objekts (s. (13.45)).
Abb. 13.14

Geodätische Präzession entlang des letzten stabilen Orbits innerhalb der Schwarzschild-Raumzeit. Der Rotationswinkel an der momentanen Position bezieht sich auf den ,,unendlichen Fixsternhimmel“

13.4.6 Global Positioning System

Für den Betrieb des Global Positioning System (GPS) sind sowohl speziell- als auch allgemein-relativistische Effekte sehr wichtig, weshalb wir hier kurz darauf eingehen wollen. GPS besteht aus 24 Satelliten, die auf 6 Bahnen mit jeweils 4 Satelliten kreisen und einigen Satelliten zur Reserve. Die Satelliten befinden sich in einer Höhe von etwa 20.200 km über der Erdoberfläche und umrunden die Erde zweimal pro Tag. Aufgrund der großen Entfernung zur Erde, und der damit einhergehenden schwächeren Gravitation, gehen die Uhren der Satelliten pro Tag etwa um 45 μs vor.

Wegen der Bahngeschwindigkeit von etwa 3−4 ms−1 gehen sie allerdings um etwa 7 μs nach. In der Summe ergibt sich eine Zeitdifferenz von 38 μs. Da GPS die Positionen des Nutzers über Lichtsignale bestimmt, würde dies bei einem direkten Abgleich mit der Uhrzeit des Empfängers auf einen Fehler von etwa
$$ 38\,  \upmu \mathrm{s}\cdotp \mathrm{299.792.458}\,  \mathrm{m}{\mathrm{s}}^{-1}\approx 11,4\,  \mathrm{km} $$
(13.139)
pro Tag führen! Um dies zu vermeiden, muss für eine exakte Positionsbestimmung Kontakt zu vier GPS-Satelliten hergestellt werden um vier Parameter, eine Zeit- und drei Raumkoordinaten, zu berechnen. Um die Zeitdifferenz von 38 μs auszugleichenso, werden die Uhren auf den Satelliten so gebaut, dass sie am Erdboden genau um diese Zeitspanne vorgehen.

13.5 Das massereiche Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße

Zwei Beobachtungsgruppen, die eine geführt von Reinhard Genzel13 am Max-Planck-Institut für Extraterrestrische Physik in Garching [19, 20], die andere von Andrea Ghez14 an der University of California, Los Angeles [21], haben seit 1994 die Bahnen von Sternen um das Zentrum der Milchstraße im Detail vermessen und dadurch nicht nur die Existenz eines massereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße nachgewiesen, sondern auch seine Masse und seine Entfernung genau bestimmen können. Die unabhängig voneinander bestimmten Massen sind miteinander konsistent: (4,31 ± 0,36) ∙ 106 Sonnenmassen [19] bzw. (4,5 ± 0,4) ∙ 106 Sonnenmassen [21]. Der Abstand des Zentrums des Galaktischen Schwarzen Lochs konnte zuletzt mit einer Unsicherheit von nur 0,3 % zu R0 = 8178 pc (26.670 Lichtjahre) bestimmt werden [22]. Für diese Entdeckungen teilen sich Genzel und Ghez eine Hälfte des Nobelpreises für Physik 2020 [23, 24].

Das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße verbirgt sich hinter dichten Vorhängen aus Gas und interstellarem Staub. Dies verhindert seine Beobachtung bei optischen Wellenlängen, da nur etwa eines von 109 Photonen den Staub in Richtung der Sichtlinie zur Erde durchdringen kann. Für Infrarot- und Radiostrahlung hingegen ist der Staub um einen Faktor 10 durchlässiger.

Entsprechend begann die Suche nach dem Schwarzen Loch zunächst mit Radioteleskopen. Balick15 und Brown16 entdeckten 1974 im Sternbild Schütze (lat. Sagitarius) bei Wellenlängen von 3,7 cm und 11 cm eine recht intensive, sehr kompakte Quelle nichtthermischer Synchrotronstrahlung, deren Position innerhalb weniger Lichtjahre mit dem vermuteten Zentrum der Milchstraße übereinstimmte [25]. Sie nannten die Quelle Sagitarius A (Sgr A) . Der Name kam zustande, da Brown eine Theorie präsentierte, in der er Sgr A als eine angeregte Radioquelle interpretierte und in Analogie zur Kennzeichnung angeregter Zustände in der Atomphysik ein Asterisk ,,“ hinzufügte. Die Theorie erwies sich als falsch, aber der Name blieb.

Die Gruppen von Genzel und Ghez führten ihre Beobachtungen bei Wellenlängen im nahen Infrarotbereich aus, und zwar zentriert um λ = 2,2 μm. Die von Genzel geleitete GRAVITY-Kollaboration [26] nutzte für ihre Beobachtungen das in der Atacama-Wüste im Norden Chiles gelegene Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte (ESO). Dieses besteht aus vier identischen 8,2 m-Teleskopen, die zur Interferenz zusammengeschlossen werden können und dadurch ein ,,Superteleskop“ von effektiv 130 m Durchmesser ergeben, das Very Large Telescope Interferometer (VLTI). Die Gruppe von Ghez beobachtete von dem auf Hawaii stehenden Keck-Observatorium aus mit den beiden Teleskopen Keck-I und Keck-II, mit Spiegeldurchmessern von jeweils 10,4 m. Zur Interferenz zusammengeschlossen entsteht ein Teleskop mit einem effektiven Durchmesser von 85 m.

Die für die Bahnverfolgung von Sternen in der Nähe von Sgr A nötige hohe räumliche Auflösung konnte durch die Technik der ,,Adaptiven Optik“ erreicht werden. Turbulenzen in der Erdatmosphäre verschmieren die Bahnen der von Sternen kommenden Photonen auf einer Zeitskala kürzer als etwa eine Sekunde (,,das Funkeln der Sterne“). Um dies auszugleichen, benutzt die Technik der Adaptiven Optik entweder einen hellen Referenzstern in der Nähe des zu beobachtenden Objekts oder einen künstlichen ,,Stern“, der durch Anregung von Natriumatomen in der oberen Atmosphäre (90 km) durch einen Laserstrahl erzeugt wird. Ein Wellenfrontsensor misst die durch die Luftunruhe aktuell verursachte Verzerrung der Wellenfronten des Referenzobjekts, ein Computer berechnet die erforderliche Rekonstruktion der Wellenfronten, diese Information wird in einer Rückkopplungsschleife auf einen verformbaren Zweitspiegel des Teleskops weitergegeben, der in Echtzeit so ,,verbogen“ wird, dass die durch die Luftunruhe verursachten Störungen im Bild des beobachteten Objekts komplett korrigiert werden können. Dies ermöglichte lange Belichtungszeiten und lieferte Bilder so scharf, als ob sie vom Weltall aus aufgenommen worden wären. Diese technische Revolution gestattete es auch, die Spektren der Sterne zu messen. Aus der Position der Spektrallinien konnte auf diese Weise zum einen auf die chemische Zusammensetzung der Atmosphären der Sterne geschlossen werden. Zum andern konnten über die Dopplerverschiebung der Linien die Radialgeschwindigkeiten der Sterne bestimmt werden.

Einer der über die Jahre verfolgten Sterne (von Genzels Gruppe S2 bezeichnet), ragt aus den beobachteten Sternen heraus. Seine Umlaufzeit um Sgr A beträgt knapp unter 16 Jahren. Zum Vergleich: Für eine volle Bahn um das Galaktische Zentrum benötigt die Sonne etwas über 200 Millionen Jahre. S2 besitzt eine hochelliptische Bahn mit einer Exzentrizität von e = 0,88. Zweimal konnte die Passage von S2 durch das Perizentrum17 gemessen werden, nämlich 2002 und besonders genau im Mai 2018. Der Abstand im Perizentrum zu Sgr A beträgt nur 17 Lichtstunden (oder 120 AE). Die Bahn ist um 46° relativ zur Himmelsebene geneigt.

Abb. 13.15 fasst 26 Jahre der Beobachtung der Bahn von Sgr A zusammen. Die linke Abbildung zeigt die mit den ESO-Teleskopen gewonnenen Ergebnisse für die Bahnellipse von S2. Die Beobachtungen sind genau genug, um die Veränderung der Position von S2 von Nacht zu Nacht bestimmen zu können. Die Passage durch das Perizentrum im Mai 2018 ist in der Abbildung rechts unten vergrößert dargestellt. Der beste Fit an die Bahn wird durch die durchgezogene Kurve wiedergegeben. Die Abbildung rechts oben zeigt die Ergebnisse der spektroskopischen Beobachtungen sowohl von Keck als auch von ESO zur Messung der auf die Himmelsebene projizierten Radialgeschwindigkeiten von S2. Man erkennt, dass im Perizentrum S2 mit einer Geschwindigkeit von über 4000 km∕s auf uns zukommt und im Apozentrum sich mit 2000 km∕s von uns entfernt.
Abb. 13.15

Zusammenfassung der Beobachtungsergebnisse der Bahnverfolgung des Sterns S2 um Sgr A von 1992 bis 2018 [27]. Die Farbskala gibt das Jahr der Beobachtung an. Links: Die auf die Himmelsebene projizierte Bahn von S2 relativ zu der kompakten Radioquelle Sgr A (braunes Kreuz am Ursprung). Die radiale Dopplergeschwindigkeit (rechts oben) variiert zwischen −2000 und 4000 km∕s. Die Bahn von S2 während der Passage des Perizentrums im Mai 2018 wurde von GRAVITY hochgenau bestimmt (rechts unten). Um den besten Fit für den Orbit von S2 zu finden (durchgezogene Kurve) müssen Effekte sowohl der Speziellen als auch der Allgemeinen Relativitätstheorie berücksichtigt werden. Man beachte die Längenskala, die das 5000-fache des Schwarzschild-Radius von Sgr A angibt, also etwa 400 Astronomische Einheiten. (Credit: GRAVITY collaboration [27], reproduced with permission ⒸESO)

Aus der Neigung der Bahnebene kann auf die dreidimensionale Geschwindigkeit geschlossen werden. Für die Gesamtgeschwindigkeit im Perizentrum ergibt sich ein Wert von etwa 7650 km∕s, was einem Geschwindigkeitsparameter von β = vc = 2,55 ∙ 10−2 entspricht. Dies bedeutet, dass der transversale Dopplereffekt der Speziellen Relativitätstheorie bei der Analyse der Beobachtungsdaten berücksichtigt werden muss. Bei der Annäherung an das Perizentrum ist S2 zunehmend dem starken Schwerefeld des Galaktischen Schwarzen Lochs ausgesetzt. Die dadurch bewirkte Gravitationsrotverschiebung der Infrarotstrahlung musste ebenfalls mit einbezogen werden, um den in Abb. 13.15 gezeigten besten Fit für den Orbit von S2 in der Umgebung des Perizentrums zu erhalten.

Seit 2016 hat das Instrument GRAVITY am Very Large Telescope die Infrarotastronomie noch einmal um einen gewaltigen Sprung vorangebracht. Es kombiniert, wie schon erwähnt, die Signale aller vier, interferometrisch effektiv bis zu 130 m voneinander entfernten VLT-Teleskope und erreicht eine Winkelauflösung, die etwa 16-mal besser ist als die eines einzelnen Teleskops. Dadurch konnten allgemeinrelativistische Effekte wie die Gravitationsrotverschiebung [27] und sogar die Schwarzschild-Präzession nachgewiesen werden: In [28] wird berichtet, dass das Perizentrum von S2 pro Umlauf um 12 Bogensekunden weiterwandert. Dies ist genau der Wert, den man in der Schwarzschild-Metrik bei der gegebenen Masse von etwa 4 Millionen Sonnenmassen erwartet. Außerdem konnten mit GRAVITY Ausbrüche (Flares) von Infrarotstrahlung beobachtet werden, die aus der Akkretionsscheibe von Sgr A stammen [29]. Ein Gürtel aus Gas mit etwa 10 Lichtminuten Durchmesser umkreist Sgr A nahe dem (aus Abschn. 13.5 bekannten) letzten stabilen Orbit. Dabei wirbelt das Gas mit einem Tempo von 30 % der Lichtgeschwindigkeit um das Schwarze Loch herum. Material, das unter den letzten stabilen Orbit gerät, stürzt auf das Schwarze Loch und erzeugt die Flares.

Eine Gruppe an der Universität Köln hat am VLT Sterne mit noch kürzerer Umlaufszeit um Sgr A als S2 entdeckt [30]. Der erste, S62, benötigt 9,9 Jahre, und der allerschnellste, S4711 (benannt nach dem Parfüm aus Köln) nur 7,6 Jahre [30]. Seine Geschwindigkeit im Perizentrum beträgt 24.000 km∕s, entsprechend β = 0,08. Ein weiterer Stern, S4714, hat eine Bahnperiode von 12 Jahren, die Bahnellipse weist die extreme Exzentrizität von 0,985 auf. Diese Sterne mit noch kürzeren Umlaufzeiten sind weitere ideale Kandidaten, um Gravitationsverschiebung und Perizentrum-Drehung in der Schwarzschild-Metrik zu beobachten.

13.6 Übungsaufgaben

13.6.1 Dopplereffekt beim Pound-Rebka-Experiment

Wir haben in Abschn. 13.4.1 das Pound-Rebka-Experiment diskutiert. Dabei kamen wir auf eine Größenordnung v ≈ 7,5 · 10−7 ms−1, mit der der Absorber bewegt werden muss, um resonante Absorption zu erreichen.

Bestätigen Sie diese Größenordnung.

13.6.2 Zeitdifferenzen bei GPS

In Abschn. 13.4.6 haben wir die Zeitdifferenz angegeben, die ein GPS-Satellit gegenüber einer Uhr auf der Erdoberfläche besitzt. Diese setzt sich aus der speziell-relativistischen und der gravitativen Zeitdilatation zusammen.

Bestätigen Sie die angegebenen Werte.

13.6.3 Geschwindigkeit des frei fallenden Beobachters

In Abschn. 13.3.1 haben wir den auf ein Schwarzes Loch frei fallenden Beobachter und dessen aktuelle Position in Abhängigkeit seiner Eigenzeit diskutiert. Bestimmen Sie dessen Geschwindigkeit β am aktuellen Ort r bezogen auf die lokale Tetrade (13.37) eines Beobachters, der an diesem Ort ruht.

13.6.4 Geodätische Präzession

In Abschn. 13.4.5 haben wir die geodätische Präzession eines Vektors für einen Umlauf auf dem letzten stabilen Orbit um ein Schwarzes Loch angegeben. Berechnen Sie die geodätische Präzession für eine zeitartige Kreisbahn mit beliebigem Radius.