Die Veröffentlichung der speziellen Relativitätstheorie (SRT) durch Albert Einstein1 1905 [2] fällt in eine Zeit, in der die Physik durch revolutionäre Umbrüche, neben der speziellen durch die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik, innerhalb weniger Jahrzehnte komplett verändert wurde. Die SRT revolutionierte unser Bild von Raum und Zeit. Während zuvor Zeit und Raum strikt getrennte unabhängige Entitäten waren, wurden sie innerhalb der SRT zur Raumzeit verknüpft. Die ART, die Einstein in den folgenden 10 Jahren erarbeitete, verallgemeinert dieses Konzept noch weiter. Es liegt außerhalb des Rahmens und ist nicht Ziel dieses Textes, Einsteins Arbeit in den historischen Kontext der Arbeiten anderer Wissenschaftler einzubetten, auch wenn eine solche Einordnung sehr interessant ist. Zu diesem Thema sei der Leser z. B. auf einen Artikel von Darrigol [1] verwiesen.
Wir möchten aber in einer nicht chronologisch korrekten Form einige zentrale Experimente und theoretische Ergebnisse aufzeigen, deren Probleme und Widersprüche die Formulierung der SRT motiviert haben und die durch sie aufgelöst wurden.
2.1 Modell der Lichtausbreitung im 19. Jahrhundert
Wir wissen, dass Schall ein Wellenphänomen ist. Dichte- bzw. Druckvariationen breiten sich wellenförmig durch Luft, Wasser oder andere Medien aus. Man kann es auch so auffassen, dass Schall durch Vibrationen des jeweiligen Trägermediums erzeugt wird. Durch die Interferenzversuche von Hertz war man im 19. Jahrhundert schließlich davon überzeugt, dass auch Licht ein Wellenphänomen ist. Nur was ist dann das Trägermedium, dessen Vibrationen Licht erzeugen, insbesondere, wenn man weiß, dass etwa das Licht der Sonne oder von Sternen durch das Vakuum zu uns gelangt?
Um dieses Problem zu lösen, postulierte man ein solches Medium, den Weltäther oder Lichtmedium , wie er von Einstein bezeichnet wurde. Die Existenz dieses Lichtmediums wurde fast schon als gegeben vorausgesetzt. Zu den konkreten Eigenschaften des Lichtmediums gab es aber verschiedene Hypothesen. Maxwell etwa nahm an, dass Äther und Materie eine Einheit bildeten, so sollte sich bewegende, auch sehr dünne, Materie den Äther vollständig mit sich mitziehen. Dies ist die sogenannte Mitnahme-Hypothese (engl. ether-drag). Diese Vorstellung stand aber im Widerspruch zur in Abschn. 1.5.5 besprochenen Aberration von Sternlicht. Aus diesem Widerspruch heraus entwickelte sich die Alternativvorstellung, dass die Erde sich durch den ruhenden Äther hindurchbewegt. Der dadurch auf der Erdoberfläche auftretende ,,Ätherwind“ hätte sich allerdings wiederum in optischen Experimenten feststellen lassen müssen, was nicht gelang. Um dieses Problem zu lösen, postulierte Fresnel2 eine partielle Äthermitnahme.
Ein großes Ziel der Experimentalphysik des 19. Jahrhunderts war es nun, experimentell die richtige unter diesen Hypothesen zu finden. Bei diesen Versuchen tat sich besonders Michelson3 hervor.
2.2 Michelson-Morley-Experiment
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![$$ {t}_{AB}-{t}_{BA}=2l\frac{v}{c^2-{v}^2}\approx 2\frac{vl}{c^2}\left[1+\mathcal{O}\left(\frac{v^2}{c^2}\right)\right]\approx 2{t}_0\frac{v}{c}, $$](../images/331389_2_De_2_Chapter/331389_2_De_2_Chapter_TeX_Equ5.png)
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Skizze zum Michelson-Morley-Experiment. a Vereinfacht besteht der Aufbau aus einer Lichtquelle, von der ein Lichtstrahl durch einen Stahlteiler aufgeteilt wird und die beiden Teilstrahlen je auf einen von zwei Spiegeln S1 und S2 geleitet werden. Danach interferieren die Teilstahlen in einem Teleskop und man kann Interferenzringe beobachten. b Da sich das Interferometer gegen das Lichtmedium bewegt, ergibt sich auch für den senkrecht zur Bewegungsrichtung stehenden Arm eine verlängerte Wegstrecke
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Aufbau des Michelson-Morley-Experiments. a Perspektivische Ansicht, b Strahlenverlauf in Draufsicht. Das Interferometer ist auf einem quadratischen Stein der Seitenlänge a = 1,5 m angebracht. Der Stein ist auf einem ringförmigen Holzstück aufgestellt, das wiederum in Quecksilber schwimmt. Diese Anordnung ermöglicht es, das Experiment möglichst störungsfrei zu rotieren. Das eigentliche Interferometer besteht aus einer Anordnung von mehreren Spiegeln in den Ecken des Steins, um den Lichtweg zu maximieren.Aus Michelson und Morley [5], mit freundlicher Genehmigung
2.3 Fizeau-Versuch zur Äthermitbewegung
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Skizze des Fizeau-Experiments. Der Lichtstrahl einer Lichtquelle wird durch einen Strahlteiler in zwei Teilstrahlen aufgeteilt. Beide Teilstrahlen durchlaufen danach einen Aufbau von Wasserrohren. In diesen Rohren fließt das Wasser mit Geschwindigkeit v. Einer der Strahlen durchläuft das Wasser in, der andere gegen die Fließrichtung. Anschließend interferieren die Teilstrahlen beim Beobachter
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2.4 Relativitätsprinzip und Inertialsysteme
Das wiederholte Scheitern, den Weltäther experimentell nachzuweisen, führte Einstein zu dem Schluss, dass es gar keinen Weltäther gibt und die Lichtgeschwindigkeit für jeden Beobachter gleich groß ist, unabhängig von seiner Bewegung relativ zur Lichtquelle.
Wenn es einen Weltäther geben würde, könnte man damit Bewegung absolut definieren. Die Geschwindigkeit eines Körpers wäre dann Null, wenn er sich relativ zum Weltäther in Ruhe befände. Wenn wir nun mit Einstein davon ausgehen, dass es keinen Weltäther gibt, so müssen wir auch das Konzept der absoluten Bewegung aufgeben. Nehmen wir z. B. einen Raumfahrer an, der sich in einem Bereich des Universums befindet, in dem es keine Sterne gibt, die nahe genug sind, damit er sie beobachten kann. Die Triebwerke seines Raumschiffes sollen ausgeschaltet sein, er beschleunigt also nicht. Wie soll er entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit er reist und relativ zu was? Nur die Relativbewegung zu einem anderen Körper lässt sich feststellen.
In Kap. 29 werden wir die kosmische Mikrowellenhintergrundstrahlung (cosmic microwave background radiation, CMB) kennenlernen. Sie ist ein Hinweis darauf, dass das Universum früher in einem Zustand sehr hoher Dichte war und sich seitdem ausgedehnt hat. Die CMB ist bis auf kleine Abweichungen sehr isotrop, aber z. B. auf der Erde aufgrund ihrer Bewegung und des dadurch hervorgerufenen Dopplereffektes, den wir in Abschn. 8.1 besprechen, auf Teilen der Himmelskugel rot- und auf anderen blauverschoben, siehe auch die Diskussion in Abschn. 29.1. Wir könnten den CMB also benutzen, um eine absolute Ruhe zu definieren. Um dem gegenüber zu treten, könnten wir von unserem Raumfahrer fordern, dass er in seinem geschlossenen Raumschiff durch ein physikalisches Experiment entscheiden soll, ob er in Ruhe ist oder sich mit einer konstanten Geschwindigkeit, etwa relativ zum CMB, bewegt. Die Aussage des Relativitätsprinzips ist, dass er an dieser Aufgabe scheitern wird.[…] die mißlungenen Versuche, eine Bewegung der Erde relativ zum ,,Lichtmedium“ zu konstatieren, führen zu der Vermutung, dass dem Begriffe der absoluten Ruhe nicht nur in der Mechanik, sondern auch in der Elektrodynamik keine Eigenschaften der Erscheinungen entsprechen, sondern dass vielmehr für alle Koordinatensysteme, für welche die mechanischen Gleichungen gelten auch die gleichen elektrodynamischen und optischen Gesetze gelten […]
Diese Aussage gilt z. B. nicht für die Erdoberfläche, auf der Scheinkräfte wie die Corioliskraft auftreten. Das Relativitätsprinzip sagt nun, dass wir kein Inertialsystem besonders auszeichnen können, nämlich solch eines, das in absoluter Ruhe ist. Somit sind alle Inertialsysteme gleich gut geeignet, um physikalische Gesetze zu formulieren, und sie nehmen auch in allen Inertialsystemen die gleiche Form an.Jeder Körper verharrt im Zustand der Ruhe, bzw. der geradlinig-gleichförmigen Bewegung, solange keine äußere Kraft auf ihn wirkt.
Mit dem Vorwissen zum Relativitätsprinzip und zur Beobachterunabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit können wir uns in den folgenden Kapiteln jetzt mit den Grundlagen der SRT eingehend befassen.